[Militant Nr. 396, 10. März 1978, S. 8-9]
In Äthiopien gibt es Aufruhr, da das Regime des Derg einen erbitterten Krieg an zwei Fronten führt. Der Artikel der letzten Woche erläuterte die bedeutsamen Ereignisse in Äthiopien seit dem Sturz Haile Selassies im Jahr 1974. Mit der Analyse des sozialen Charakters des neuen Regimes wurde erklärt, dass einerseits die unter dem Druck der Massen durchgeführte Landreform und Verstaatlichung der Industrie – die Abschaffung von Großgrundbesitz und Kapitalismus – einen enormen Fortschritt darstellen, während andererseits die diktatorische Ausrichtung der Veränderungen von oben durch die Militärführer des Derg der äthiopischen Revolution von Anfang an einen verzerrten, bonapartistischen Charakter verliehen hat. Diese Woche behandelt Lynn Walsh die nationalen Frage: den Kampf in Eritrea und den Krieg mit Somalia um Ogaden.
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Der Versuch des Derg-Regimes, die Kontrolle über Eritrea und Ogaden zu behalten, hat nichts mit echtem Marxismus zu tun.
Als die Bolschewiki 1917 in Russland an die Macht kamen, gewährten sie den unterdrückten Nationalitäten, die im „Völkergefängnis“ des alten russischen Reiches gefangen waren, sofort das Selbstbestimmungsrecht. Durch die Verkündung des Rechts auf Unabhängigkeit gelang es der Sowjetregierung, das Vertrauen der ausgebeuteten Klassen innerhalb der unterworfenen Nationen zu gewinnen und sie von den enormen Vorteilen einer freiwilligen sozialistischen Föderation mit voller Autonomie zu überzeugen.
Unter Stalin kehrte die Bürokratie, die die politische Kontrolle über die Sowjets an sich gerissen hatte, jedoch zu einer engstirnigen, nationalistischen Politik zurück. Der großrussische Chauvinismus des Stalinismus schürte alle schwelenden Glutnester des Nationalismus und hauchte nationalen Bestrebungen neues Leben ein, die in einer demokratischen Föderation von Sowjetrepubliken bald befriedigt und überwunden worden wären. Heute verstärken in ganz Russland und Osteuropa nationale Gefühle alle Beschwerden der Arbeiter*innen in den unterworfenen Staaten und Nationalitäten und bieten ihnen gleichzeitig ein Mittel, um ihren Widerstand gegen die totalitäre Diktatur, die über die Planwirtschaft herrscht, zum Ausdruck zu bringen.
In dieser entscheidenden Frage wie auch in anderen folgte der Derg nicht dem Beispiel der Bolschewiki, sondern dem der stalinistischen Bürokratie. Dies ist nicht einfach eine Frage einer falsch gewählten Politik: Es spiegelt die engstirnigen sozialen Interessen der kleinbürgerlichen Militärkaste wider, auf die sich der Derg stützt. Sein Mangel an Internationalismus und seine Feindseligkeit gegenüber nationalen Bestrebungen sind das Gegenstück zu seiner Entschlossenheit, alle sozialen Veränderungen von oben zu lenken und um jeden Preis die Macht in seinen Händen zu behalten.
Weit davon entfernt, die explosiven nationalen Gegensätze zu entschärfen, die sich in Haile Selassies Reich aufgebaut hatten, löste der Derg durch seinen Versuch, die durch den Sturz des Kaisers geweckten Hoffnungen zu zerstören, eine kritische Reaktion aus, die Äthiopien fast auseinandergerissen hätte.
Kampf in Eritrea
Der bewaffnete Kampf der eritreischen Befreiungsbewegung gegen das Regime in Addis Abeba ist jetzt 17 Jahre alt. Während des Krieges zur Befreiung Äthiopiens von der italienischen Herrschaft im Jahr 1941, als die britische Armee die Truppen Haile Selassies unterstützte, wurde Eritrea, ehemals eine italienische Kolonie, die Unabhängigkeit versprochen. Nach dem Krieg empfahlen die Vereinten Nationen jedoch eine Föderation mit Äthiopien unter dem Thron des Kaisers.
Im Jahr 1962 beschloss die Partei, die die eritreische Versammlung dominierte und die Interessen der Eigentümer*innen vertrat, Eritrea mit Äthiopien zu vereinen. Schritte in diese Richtung hatten bereits zur Gründung der Eritrean Liberation Front [Eritreische Befreiungsfront] (ELF) im Jahr 1958 in Kairo geführt, die 1961 den bewaffneten Kampf aufgenommen hatte.
Bis 1971 hatte die ELF eine starke Position aufgebaut, und ihre Operationen zwangen Haile Selassie, in Eritrea das Kriegsrecht zu verhängen. Doch 1972 spaltete sich die ELF, was zu blutigen Konflikten zwischen den beiden Flügeln der Bewegung führte. Die ELF, die vom Sudan und einer Reihe arabischer Staaten unterstützt wird, beansprucht, „sozialistisch“ zu sein, charakterisiert aber den gegenwärtigen Kampf als „Phase der nationalen demokratischen Revolution“ und verschiebt sozialistische Ziele auf eine spätere „Etappe“.
Die abgespaltene EPLF (Eritrean Popular Liberation Front) [Eritreische Volksbefreiungsfront] hingegen bezeichnet sich als „marxistisch-leninistisch“ und scheint unter den ausgebeuteten Massen und Kleinbürger*innen in Eritrea eine viel breitere Unterstützung zu genießen. Ironischerweise zählt die EPLF denselben Fidel Castro zu ihren Held*innen, der nun ihre Todfeinde mit Militärberatern versorgt. Das sind die tragischen Widersprüche.
Sowohl die ELF als auch die EPLF nutzten den Zusammenbruch des alten Regimes im Jahr 1974, um einen neuen offensiven Kampf für die Unabhängigkeit zu beginnen. Nach zwei Jahren intensiver Kämpfe befreiten die Befreiungskräfte den größten Teil der Provinz aus der Kontrolle des Derg, besetzten die meisten Städte Eritreas und schnitten Äthiopien den Weg zu den wichtigen Häfen Massawa und Assab am Roten Meer ab.
Nur die Spaltungen innerhalb der eritreischen Befreiungsbewegung und ihr Mangel an einer tragfähigen politischen Strategie bewahrten den Derg vor einer vollständigen Niederlage in Eritrea. Das Ausmaß der Massenunterstützung für den Unabhängigkeitskampf zeigt sich daran, dass die vereinten Guerillakräfte der ELF und der EPLF im Mai 1976 auf 30.000 bis 40.000 Mann geschätzt wurden. Als der Derg Eritrea eine begrenzte Autonomie anbot, wurde dies von beiden Flügeln der Befreiungsbewegung rundweg abgelehnt.
Angesichts dessen begann der Derg im Mai 1976, eine Bäuer*innenarmee zu rekrutieren, um in Eritrea gegen die Befreiungsbewegung loszumarschieren. Unter Rückgriff auf die Bäuer*innenverbände, die im Zuge der Landreformen entstanden waren, stellte der Derg eine Bäuer*innenarmee von 30.000 bis 40.000 Leuten auf.
Zweifellos wären Tausende von Bäuer*innen bereit gewesen, mobilisiert zu werden, um – wie der Derg behauptete – die Errungenschaften zu verteidigen, die sie unter dem neuen Regime erlangt hatten. Aber der Derg versuchte auch, auf reaktionärster Basis Unterstützung zu mobilisieren, indem er sich bei der Rekrutierung auf die überwiegend christlichen Provinzen konzentrierte und eine hysterische Propagandakampagne gegen die Eritreer*innen führte, in der er ihnen vorwarf, „äthiopisches Territorium an die Araber*innen zu verkaufen“. In einer solchen Herangehensweise steckt nicht ein Funken Marxismus.
Die schlecht vorbereitete und schlecht ausgerüstete Bäuer*innenarmee des Derg zerfiel, als sie auf die eritreischen Streitkräfte traf. Der größte Teil Eritreas bleibt nach wie vor außerhalb der Kontrolle des Derg. Obwohl das Kämpfen weitergeht, scheint der Derg seine militärischen Anstrengungen im Süden gegen die von Somalia unterstützten Streitkräfte in Ogaden zu konzentrieren.
Mit der militärischen und wirtschaftlichen Hilfe, die er derzeit von Russland erhält, und der Ausbildung seiner Armee durch über 6.000 kubanische Berater*innen ist es möglich, dass der Derg Eritrea zurückerobern kann. Die Rückeroberung Eritreas könnte vom Derg jedoch nur mit enormen Verlusten an Menschenleben und Zerstörung erreicht werden, was mit dem Blut von Zehntausenden den nationalistischen, repressiven Charakter des neuen Regimes bestätigen würde, trotz der fortschrittlichen sozialen Veränderungen, aus denen es seine Stärke bezieht.
Hätte das neue Regime Eritrea die volle Unabhängigkeit angeboten und gleichzeitig eine autonome Beteiligung an einer sozialistischen Föderation, wer kann dann bezweifeln, dass die Landreformmaßnahmen und die Verstaatlichung eine enorme Anziehungskraft auf die Arbeiter*innen und Bäuer*innen Eritreas ausüben würden? Aber so erscheint der Derg als ebenso despotisch wie das Regime Haile Selassies, wenn nicht sogar noch despotischer.
Zur nationalen Unterdrückung kommt der Widerwille gegen die brutalen, diktatorischen Methoden des Derg. Der verstärkte Kampf der eritreischen Befreiungsbewegung hatte obendrein auch die Wirkung, innerhalb Äthiopiens erneut separatistische Forderungen anzuregen, insbesondere unter den Völkern der Tigre und Afar, die sich gegen die ihnen vom Derg auferlegte Tyrannei wehren.
Der Krieg in Ogaden und der Charakter des somalischen Regimes
In den letzten Wochen hat Äthiopien eine massive Gegenoffensive gegen die von Somalia unterstützten Kräfte in Ogaden gestartet – unterstützt von Russland (mit Kuba als seinem militärischen Vertreter), nachdem Moskau seine frühere Unterstützung für Somalia aufgegeben hatte. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Äthiopien Ogaden zurückerobern. Unabhängig vom Ausgang zeigt dieser Krieg in einer der ärmsten Regionen der Welt jedoch unmissverständlich den völligen Mangel an Internationalismus der russischen Bürokratie und die engstirnige nationalistische Haltung ihrer Nachahmer*innen in den unterentwickelten Ländern.
Äthiopien und Somalia befinden sich im Krieg, aber das Regime in Somalia hat im Wesentlichen die gleichen sozialen Merkmale wie das Regime in Äthiopien (analysiert im Artikel der letzten Woche). Während Äthiopien von dramatischen und blutigen Ereignissen erschüttert wurde, die die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich zogen, erlebte Somalia ähnliche Veränderungen, die jedoch ohne große Umwälzungen und international fast unbemerkt vonstatten gingen.
1975 vollendete die Militärregierung von Siad Barre, die 1969 die Macht übernommen hatte, eine radikale Landreform, die den Großgrundbesitz abschaffte und die Forderungen der Bäuer*innen nach Land erfüllte. Das wenige an Industrie, was es in Somalia gab, wurden vollständig verstaatlicht, und ein Plan zur wirtschaftlichen Entwicklung wurde auf den Weg gebracht.
Somalia erklärte sich zu einem Staat, der auf dem „wissenschaftlichen Sozialismus” basiert, und wurde schnell von der russischen Bürokratie als Klientelstaat übernommen, die bereits Hilfe geleistet hatte und nun bestrebt war, sich den Zugang zu den Marineeinrichtungen in Berbera am Golf von Aden zu sichern. Die somalischen Streitkräfte erhielten enorme militärische Hilfe aus Russland.
Somalia erhebt seit langem Anspruch auf Ogaden, ein ehemaliges britisches „Protektorat”, das 1955 von Großbritannien an Äthiopien übergeben wurde, aber eine Bevölkerung von etwa zwei Millionen (hauptsächlich nomadischen) Somalis hat. Seit seiner Gründung als unabhängige Republik im Jahr 1960 (Vereinigung des britischen und italienischen Somalilands) fordert Somalia die Einbeziehung anderer Gebiete mit überwiegend somalischer Bevölkerung: Nordostkenia (mit etwa einer halben Million Einwohner*innen) und Dschibuti (ehemals Französisch-Somaliland).
Während Haile Selassi Äthiopien beherrschte, war Moskau durchaus bereit, Somalias Ansprüche auf Ogaden zu billigen – obwohl es ironischerweise Stalin war, der nach 1945 in den Vereinten Nationen sein Veto gegen einen britischen Vorschlag eingelegt hatte, Ogaden an Somalia zu übergeben!
Russland wechselt die Seiten
Aber die Ereignisse von 1974 veränderten die Lage. Somalia sah in dem Aufruhr in Äthiopien eine einmalige Gelegenheit, seinen Kampf um Ogaden zu verstärken, indem es seine Versorgung der Westsomalischen Befreiungsfront mit regulären Truppen und Ausrüstung verstärkte. Als der Derg jedoch zu radikaleren Maßnahmen überzugehen begann, begann Moskau, seine Politik zu ändern.
Die russische Führung rechnete damit, dass die sozialen Maßnahmen dem neuen Regime trotz der schrecklichen Krämpfe, die das Land durchmachte, eine Grundlage geben würden. Mit seiner viel größeren Landfläche und zahlreicheren Bevölkerung hat Äthiopien eine weitaus größere politische und strategische Bedeutung in Afrika und am Arabischen Golf. Zunächst versuchte die russische Bürokratie, einen Kompromiss zwischen Somalia und Äthiopien auszuhandeln. Als dies jedoch scheiterte, verlagerten sie – was die zynische Grundlage ihrer Außenpolitik deutlich machte – ihre Unterstützung auf die großen Bataillone, auf Äthiopien.
Amerika vorsichtig
Als Ergebnis schmiss Barre im November letzten Jahres die 6.000 russischen Berater*innen aus dem Land und beendete Somalias Verbindungen zu Moskau. Anschließend bat er die westlichen Mächte um Hilfe. Barre hat einige Hilfe von Frankreich und Westdeutschland erhalten (teilweise als Gegenleistung für die Zusammenarbeit gegen die palästinensischen Entführer*innen des Lufthansa-Flugzeugs, das letztes Jahr in Mogadischu landete). Aber die USA haben jede größere Hilfe für Somalia verhindert. Abgesehen von der Zurückhaltung gegenüber der verstaatlichten, zentral geplanten Wirtschaft und der Angst vor einem neuen Engagement nach vietnamesischem Vorbild fürchten sie die Büchse der Pandora, die durch die Unterstützung Somalias Anspruch auf Ogaden geöffnet würde, was einen allgemeinen Anspruch auf alle „ethnischen Grenzen“ impliziert, die alle Somalis umfassen.
„Die Vereinigten Staaten können keine Waffen nach Somalia schicken”, erklärt die „Financial Times” (19. 1. 78), „denn unabhängig davon, wie man zu Somalias moralischer Position und der Authentizität der WSLF steht, vertreten praktisch alle anderen afrikanischen Staaten die Ansicht, dass Somalia der Aggressor ist und dass sein Vorgehen den Grundsatz gefährde, dass die der aus der Kolonialzeit übernommenen Grenzen unverletzlich seien. Somalias Argument, dass sich das Volk von Ogaden vom äthiopischen Kolonialismus befreie, wird nicht weithin akzeptiert.“
Selbstbestimmungsrecht
Angesichts dieser Situation wird Äthiopien wahrscheinlich Ogaden zurückerobern, obwohl es unwahrscheinlich ist, dass es die Grenze zu Somalia überschreitet. Aber könnte es eine größere Verurteilung der grotesken, nationalistischen Außenpolitik der russischen Bürokratie geben? Vielleicht nur den Krieg zwischen den Regimes der deformierten Arbeiter*innenstaaten in Vietnam und Kambodscha nach dem langen, heroischen Kampf ihrer Völker gegen den Großgrundbesitz und den Imperialismus.
Der Marxismus von Marx, Engels, Lenin und Trotzki steht eindeutig für das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung. Sensibilität für die Bestrebungen unterdrückter Nationalitäten geht Hand in Hand mit echtem Internationalismus.
Marxist*innen müssen das Recht des eritreischen Volkes auf Unabhängigkeit unterstützen.
Obwohl das somalische Regime zweifellos die „Westsomalische“ Befreiungsbewegung aus Gründen seiner eigenen Macht und seines Prestiges unterstützt hat, müssen Marxist*innen die Forderung der Somalis in Ogaden, über ihre eigene Zukunft zu entscheiden, einfach unterstützen.
Ähnlich sollten die anderen nationalen Minderheiten innerhalb Äthiopiens Autonomie erhalten und das Recht auf Unabhängigkeit, wenn sie sich entscheiden, sich loszutrennen.
Doch während die Erfüllung nationaler Bestrebungen eine Voraussetzung für die Lösung der Konflikte ist, die derzeit überall am Horn von Afrika toben, würde die Bildung einer Reihe kleiner neuer unabhängiger Staaten, selbst bei Abschaffung des Großgrundbesitzertums und des Kapitalismus, für sich genommen keineswegs eine Lösung für die schrecklichen Probleme bieten, vor denen die verarmten und ausgebeuteten Massen der Region stehen.
Vollständige Anerkennung nationaler Rechte muss von Marxist*innen mit der Forderung nach einer sozialistischen Föderation Äthiopiens, Somalias, Eritreas und, falls sie sich für die Unabhängigkeit entscheiden, anderer kleiner Staaten in der Region verbunden werden.
Selbst dies muss jedoch als ein Schritt in Richtung einer sozialistischen Föderation Afrikas betrachtet werden, dem einzigen Mittel, mit dem der Kontinent dem erstickenden Erbe des Kolonialismus und der anhaltenden Vorherrschaft des Imperialismus entkommen kann.
Diese Forderungen müssen in Verbindung mit den Forderungen nach Arbeiter*innendemokratie gesehen werden, die im Artikel der letzten Woche in Bezug auf Äthiopien erläutert wurden und die auch für Somalia gelten.
Internationale Perspektiven sind der Schlüssel
Im Falle Äthiopiens und Somalias entstehen sowohl der diktatorische Charakter der Regime als auch ihr völliger Mangel an Internationalismus aus der Einengung der grundlegenden sozialen Veränderungen, die sie herbeigeführt haben, in enge nationale Grenzen. Auf der Grundlage der extremen Rückständigkeit, die nach wie vor vorherrscht, mit dem Überleben feudaler Verhältnisse und der nur sehr begrenzten Entwicklung moderner Industrie ist es unmöglich, echte sozialistische Verhältnisse zu schaffen. Der Sozialismus erfordert, wie Marx erklärte, ein ausreichend hohes technisches und kulturelles Niveau, um Knappheit und Not zu beseitigen.
Der Versuch kleinbürgerlicher Militärführer, unter außergewöhnlichen Bedingungen soziale Aufgaben anzugehen, die objektiv denen der sozialistischen Revolution entsprechen – und damit deformierte Arbeiter*innenstaaten hervorbringen –, kann nur aus der Perspektive des internationalen Kräfteverhältnisses der Klassen erklärt werden.
Die revolutionären Entwicklungen in Äthiopien und Somalia sind ebenso wie in anderen Ländern wie Kuba (Militant Nr. 390-392) ebenso sehr das Produkt der Weltlage wie des Klassenkampfs innerhalb dieser Länder. Die entstandenen Regime sind das Ergebnis einer internationalen Pattsituation im Klassenkampf, die in der Nachkriegszeit vorherrschte.
Während der Kapitalismus in den fortgeschrittenen Ländern des Westens und in Japan einen langen, beispiellosen Aufschwung erlebte, erwies er sich als unfähig, die ex-kolonialen, unterentwickelten Gebiete der Welt zu entwickeln. Die Verzögerung der sozialistischen Revolution im Westen, wo die industrielle Arbeiter*innenklasse konzentriert ist, schuf unerträgliche Bedingungen in den rückständigen Ländern.
Als die Krise ausbrach, die den vollständigen Zusammenbruch der alten herrschenden Klasse auslöste und insbesondere in Äthiopien eine umfassende Bewegung der Arbeiter*innen und Bäuer*innen hervorrief, waren die Militärführer an der Spitze der Bewegung nicht nur gezwungen, die Überreste der alten herrschenden Klasse zu beseitigen, sondern auch, mit den privaten Eigentumsverhältnissen zu brechen, um einen Ausweg zu finden.
Unter Mengistu in Äthiopien und Barre in Somalia wurden bonapartistische Führungen, die in einer früheren Epoche wahrscheinlich bestimmte begrenzte Maßnahmen gegen den Großgrundbesitz und ausländische Großunternehmen ergriffen hätten, um das Wachstum ihres einheimischen Kapitalismus zu fördern, durch die Ereignisse dazu gedrängt, die Abschaffung von Großgrundbesitz und Kapitalismus durchzuführen. Sie konnten auf keine andere Weise eine feste Basis für ihre Macht schaffen. Sie konnten Maßnahmen ergreifen, die historisch gesehen dem Proletariat zukommen, weil die Arbeiter*innenklasse in diesen Ländern extrem schwach ist und weil die mächtige Arbeiter*innenklasse der fortgeschrittenen Länder, der Schlüssel zur internationalen sozialistischen Revolution, noch nicht genügend entschlossen Schritte unternimmt, die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft durchzuführen.
Angesichts des weltweiten Kräfteverhältnisses haben sich diese bonapartistischen Regime, die auf ihre eigene verzerrte Weise proletarische Aufgaben in Angriff genommen haben, zwangsläufig an die viel mächtigeren deformierten Arbeiter*innenstaaten in Russland und Osteuropa (und in einigen Fällen China) gewandt, die ein schweres Gegengewicht zum Imperialismus bilden. Die Bürokratie der stalinistischen Staaten leistet nicht nur wirtschaftliche und militärische Hilfe – wie früher für Somalia und jetzt für Äthiopien –, um ihnen das Überleben in einer feindlichen kapitalistischen Welt zu ermöglichen, sondern sie versorgt diese neuen Regime auch mit einem vorgefertigten Prototyp, nach dem sie ihren eigenen Staatsapparat ausrichten können. Es gibt zwangsläufig die Tendenz, dass diese relativ schwachen Regime zu Klienten der russischen Bürokratie werden.
Neue Weltlage
Im Falle Somalias, das enorme militärische Hilfe erhielt, sind die nationalen Interessen der herrschenden Kaste mit den umfassenderen außenpolitischen Interessen der russischen Bürokratie am Horn von Afrika in Konflikt geraten. Die stalinistische Bürokratie, die in der Isolation der russischen Revolution verwurzelt ist, ist unfähig, die durch Kapitalismus und Imperialismus geschaffenen nationalen Gegensätze zu überwinden.
Aber die Klassen-Pattsituation der Nachkriegszeit, die zu den verzerrten Übergangsregimes in Äthiopien und Somalia geführt hat, bricht zusammen. Die Weltwirtschaftskrise hat bereits enorme Bewegungen der Arbeiter*innen in Portugal, Spanien und Italien ausgelöst. Morgen wird es ähnliche Bewegungen in Frankreich, Großbritannien und anderen fortgeschrittenen Ländern, einschließlich der Vereinigten Staaten, geben. Die sozialistische Revolution kam nun in den Metropolen des Kapitals auf die Tagesordnung. Ereignisse in Russland und Osteuropa haben auch die politische Revolution in den stalinistischen Staaten viel näher gebracht.
Die Errichtung der Arbeiter*innendemokratie und der planmäßigen Produktion in den fortgeschrittenen Ländern würde die Weltlage verändern. Dann würden die fortschrittlichen Veränderungen, die derzeit unter solch verzerrten Bedingungen durchgeführt werden, zur Grundlage für die rasche Umgestaltung dieser verzweifelt armen Länder auf der Grundlage von internationaler Zusammenarbeit der Arbeiter*innenklasse werden. Der materielle und kulturelle Lebensstandard der werktätigen Massen würde unermesslich angehoben werden, und in einer Weise, die den nationalen Bestrebungen und der Sehnsucht, demokratisch selbst zu bestimmen, voll und ganz gerecht wird.
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