[eigene Übersetzung des englischen Textes in Socialism Today, Nr. 43, November 1999]
Die Tagung der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle wird von Demonstrant*innen belagert werden, die gegen die katastrophalen Auswirkungen der Globalisierung auf Millionen von Menschen in der ganzen Welt protestieren. Der Freihandel begünstigt die mächtigen multinationalen Konzerne, die täglich ihren Zugriff auf die Weltwirtschaft verstärken, und hat zu wachsender Ungleichheit, zusammen mit Arbeitslosigkeit, Armut, Umweltzerstörung und sozialem Zusammenbruch geführt, was sich in einer wachsenden Zahl bewaffneter Konflikte äußert. Jetzt versuchen die USA, die EU und Japan – die Mächte der „Triade“ – trotz der Spannungen zwischen ihnen, das globale Freihandelsregime zu intensivieren. Was ist ihre Agenda für die Seattle-Runde? Was ist die Alternative? Lynn Walsh schreibt.
Fünftausend Regierungsvertreter*innen aus 134 Ländern werden sich am 29. November in Seattle, USA, treffen. Dies ist die erste Generalversammlung der WTO seit sie im Jahr 1995 gegründet wurde, als sie das frühere Welthandelsgremium GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) ablöste.
Die WTO behauptet, faire Handelsregeln (ein „ebenes Spielfeld“) für alle Handelsnationen festzulegen. In Wirklichkeit wird sie von den großen kapitalistischen Mächten der „Triade“, den USA, der Europäischen Union (EU) und Japan, dominiert. Trotz einiger ernsthafter Spannungen innerhalb der Triade haben die fortgeschrittenen kapitalistischen Staaten fünf Jahre lang im Rahmen der WTO zusammengearbeitet, um das internationale Regime zur Förderung der Globalisierung von Handel und Investitionen zu stärken. Die Definition des Begriffs „Handel“ wurde enorm ausgeweitet, um alle Bereiche der Investitionen zu erfassen und alle Hindernisse für die weltweiten Aktivitäten der multinationalen Konzerne zu beseitigen. Die von der WTO ausgearbeiteten Freihandelsregeln werden zunehmend dazu benutzt, die Maßnahmen der nationalen Regierungen in den Bereichen Soziales, Beschäftigung und Umweltschutz zu untergraben oder wegzufegen. Das übergeordnete Ziel der WTO ist es kurz gesagt, eine Welt zu schaffen, die den multinationalen Konzernen als Aufenthalt ausgesprochen passt. Es überrascht nicht, dass die WTO von denjenigen, die gegen die negativen Auswirkungen der Globalisierung auf Millionen von Menschen in der ganzen Welt, insbesondere auf die Mehrheit der Weltbevölkerung, die in den ärmeren Ländern lebt, kämpfen, in World Take Over [Weltübernahme] umbenannt wurde.
Auf der Tagung in Seattle werden sich die WTO-Delegierten jedoch belagert fühlen. Viele Tausende werden gegen die Globalisierungsaktivitäten der Konzerne und der sie unterstützenden Regierungen demonstrieren. Es werden über 700 Organisationen aus 73 Ländern als Beteiligte erwartet, darunter Gewerkschaften, NGOs (Nichtregierungsorganisationen), Interessenverbände usw. Viele sind in der Koalition Jubilee 2000 zusammengeschlossen, die auch Oxfam, Friends of the Earth und viele andere Verbraucher*innen- und Umweltschutzgruppen umfasst. Ihre Erklärung wendet sich gegen „jeden Versuch, die Machtbefugnisse der WTO auszuweiten“, da sie „die Märkte zum Vorteil transnationaler Unternehmen auf Kosten der nationalen Volkswirtschaften, der Arbeiter*innen, der Landwirte und anderer Menschen geöffnet hat“.
Eine kämpferischere Gruppe, Ruckus, hat eine Kampagne des zivilen Ungehorsams angedroht. Die führenden kapitalistischen Vertreter*innen befürchten eine ernsthafte Störung der WTO-Gespräche. Einige haben ängstlich Vergleiche mit der „Belagerung“ von Chicago 1968 gezogen, als der Parteitag der Demokratischen Partei von Tausenden von Demonstrant*innen belagert wurde, die gegen den Vietnamkrieg protestierten – und von der Polizei des Bürgermeisters Daley brutal angegriffen wurden. Darüber hinaus befürchten die führende Vertreter*innen der Triade, dass die Anti-Globalisierungs-Proteste in Seattle bei Millionen von Menschen auf der ganzen Welt, die unter den verheerenden Auswirkungen der Zerstörung von Arbeitsplätzen, Landwirtschaft und Umwelt durch die Ausbeutung durch die multinationalen Konzerne leiden, große Sympathie hervorrufen werden.
Die „Öffnung“ des globalen Marktes
Die WTO löste 1995 das GATT ab. Das GATT war in erster Linie ein Handelsregime, das während des langen Weltwirtschaftsaufschwungs 1950-73 in einem Rahmen fester Wechselkurse und einer strengen Kontrolle der Kapitalströme durch die nationalen Regierungen wirkte. Unter dem GATT wurden direkte Handelshemmnisse, vor allem Zölle (Einfuhrzölle), schrittweise abgebaut, was ein rasches Wachstum des Welthandels ermöglichte. Gleichzeitig gab es für weniger entwickelte Länder die Möglichkeit, wichtige heimische Industrien zu schützen, was eine Politik des „importsubstituierenden Wachstums“ ermöglichte, die es den Ländern erlaubte, Industrien aufzubauen, die Konsumgüter, Textilien usw. für ihren heimischen Markt produzierten.
Dieses Regime begann nach dem weltweiten Konjunktureinbruch von 1974-75, der durch den Ölpreisschock von 1973 ausgelöst wurde, zu zerfallen. Das System fester Wechselkurse wurde durch freie Wechselkurse ersetzt, und das internationale Kapital wurde viel mobiler, insbesondere nach den „Deregulierungs“maßnahmen der 1980er Jahre. Die Regierungen der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder, die die großen multinationalen Konzerne vertraten, waren entschlossen, den „Freihandel“ noch viel weiter zu treiben.
Durch die letzte GATT-Verhandlungsrunde, die sogenannte Uruguay-Runde der multilateralen Handelsverhandlungen (die 1986 auf einer Tagung in Punta del Este, Uruguay, eingeleitet wurde), begannen sie, „nichttarifäre Hemmnisse“ anzugreifen, wie z. B. die Beschränkung des ausländischen Eigentums an heimischen Industrien und Dienstleistungen, die staatliche Beschaffungspolitik zugunsten heimischer Anbieter*innen, Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltvorschriften und so weiter. Das GATT begann auch, Beschränkungen des Dienstleistungshandels anzugreifen, insbesondere in den hochprofitablen Sektoren wie Telekommunikation, Banken und Versicherungen etc.
Die Uruguay-Runde, die 1995 abgeschlossen wurde, war in vielerlei Hinsicht eine Übergangsrunde, die eine neue, auf den Anforderungen der Globalisierung beruhende Agenda widerspiegelte.
Der berüchtigte „Dunkel-Entwurf“ (der nach dem damaligen Generalsekretär des GATT benannte Vorschlag, der die Grundlage für das endgültige Abkommen bildete) hob Schlüssel-Zugeständnisse auf, die die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder den unterentwickelten Ländern gemacht hatten. Die Regierungen der Entwicklungsländer durften die heimische Industrie und Landwirtschaft nicht mehr aus sozialen Gründen schützen. Kartellvereinbarungen wie das Multifaserabkommen, das es zumindest einer Reihe von Produzent*innen aus der Dritten Welt ermöglichte, Quoten von Textilien auf den westlichen Märkten zu verkaufen, wurden abgeschafft. Gleichzeitig zwang GATT das US-Patentrecht und die Rechte am geistigen Eigentum der ganzen Welt auf. Dies bedeutete zum Beispiel, dass die indische Pharmaindustrie keine Medikamente mehr herstellen durfte, auf die US-Unternehmen Patente besaßen, was den Weg für die Übernahme der indischen Pharmaindustrie durch die USA ebnete. Außerdem konnten globale Getreidekonzerne wie Cargil nun Saatgut patentieren lassen und von armen Bäuer*innen in der Dritten Welt eine Lizenzgebühr für jede Aussaat verlangen. Allein diese Maßnahme löste massive Demonstrationen von Kleinbäuer*innen in ganz Asien aus.
Die Uruguay-Runde markierte eine neue Etappe bei der Öffnung der unterentwickelten Länder für die multinationalen Konzerne und der allgemeinen wirtschaftlichen Unterordnung dieser Länder unter die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder. Die neuen GATT-Regeln gingen mit mehreren anderen Entwicklungen einher. Am wichtigsten waren die Strukturanpassungsprogramme (SAPs), die den unterentwickelten und halb entwickelten Ländern während der Schuldenkrise der 1980er Jahre auferlegt wurden. Nach 1973 wurden riesige Mengen an Ölgeldern, die über westliche Banken recycelt wurden, zu relativ günstigen Zinssätzen an Länder der Dritten Welt verliehen. Der scharfe Anstieg der Zinssätze als Ergebnis der von den USA nach dem Abschwung von 1979 verfolgten Deflationspolitik führte jedoch dazu, dass die Schulden der Dritten Welt zu einer lähmenden Last wurden. Der Preis für die „Rettung“ durch den IWF und die Weltbank war die „Strukturanpassung“, in anderen Worten die Öffnung dieser Volkswirtschaften für die westlichen Banken und Konzerne. Dritte-Welt-Regierungen wurden gezwungen, nationale Kapitalverkehrskontrollen abzuschaffen, Schutzzölle drastisch zu senken, staatliche Industrien zu privatisieren und Subventionen für Lebensmittel und andere lebensnotwendige Güter zu kürzen. In einer Reihe lateinamerikanischer Länder wurden ganze Brocken ehemals staatlicher Industrien im Austausch gegen einen Schuldenerlass an multinationale Konzerne übergeben. Schuldnerländer wurden noch abhängiger vom Export von Rohstoffen, Öl, Mineralien und landwirtschaftlichen Erzeugnissen, um ihre Schulden zu finanzieren.
Als Ergebnis ist trotz des schnellen Wachstums in einer Handvoll „Tigerstaaten“ vor der Asienkrise von 1998 die Kluft zwischen den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern und der Mehrheit der unterentwickelten oder armen Volkswirtschaften enorm gewachsen.
Spannungen innerhalb der Triade
Das Treffen in Seattle kommt zu einer Zeit nicht nur wachsender Spannungen zwischen den reichen und den armen Mitgliedern der WTO, sondern auch ernsthafter Spannungen zwischen den Mächten der Triade. Zwischen den USA und der EU gab es mehrere ernste Handelsstreitigkeiten – insbesondere über Bananen und Rindfleisch. Es gab auch einen langen und schädlichen Streit um die Ernennung eines neuen Generalsekretärs für die WTO. In Bezug auf die Agenda für Seattle scheinen die USA und die EU recht unterschiedliche Ziele zu haben. Die Haltung der USA ist vor allem durch die prekäre politische Stellung Clintons in der letzten Phase seiner Präsidentschaft bestimmt.
Das Gerangel um den Generalsekretär wurde erst kürzlich mit einem faulen Kompromiss beigelegt. Außerhalb der Triade-Staaten gab es eine starke Lobby für die Ernennung des Thailänders Supachai Panitchpakdi. Obwohl er mit der neoliberalen Politik untrennbar verbunden ist, gehörte Panitchpakdi zu den führenden asiatischen Politikern, die die vom IWF zur Zeit der Krise von 1998 vertretene Politik kritisierten, als der IWF massive staatliche Ausgabenkürzungen verlangte, die, wenn sie vollständig umgesetzt worden wären, den Abschwung enorm verschärft hätten. Insbesondere die USA sind offenbar strikt dagegen, einen Generalsekretär aus einem unterentwickelten Land zu akzeptieren. Sie unterstützten Mike Moore aus Neuseeland. Moore, ein ehemaliger linker Gewerkschaftsfunktionär, ist jetzt ein begeisterter Propagandist der Globalisierung. Am Ende waren die USA jedoch gezwungen, einen Kompromiss zu schließen und eine Aufteilung der Amtszeit zwischen Moore und Panitchpakdi zu akzeptieren, wobei beide eine dreijährige Amtszeit haben, beginnend mit Moore. Dieser Streit ist vielleicht ein Vorspiel für künftige Auseinandersetzungen.
Zwei Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und der EU in diesem Jahr haben, gelinde gesagt, die Atmosphäre getrübt. Die USA behaupteten, die EU habe eine frühere WTO-Entscheidung über Bananen nicht befolgt. Die EU begünstige nach wie vor karibische Kleinbäuer*innen, von denen Europa weniger als ein Zehntel seines Bananenbedarfs beziehe. Die großen US-Bananenproduzent*innen in Mittelamerika, darunter Chiquita (ehemals United Fruit), eine prominente Unterstützerin der Demokratischen Partei (die vor kurzem 500 000 Dollar spendete), hatten sich darüber beschwert. Die WTO genehmigte US-Sanktionen (100%ige Zölle) auf europäische Ausfuhren in die USA im Wert von über 191 Millionen Dollar. Bananen machen nur einen winzigen Teil der EU-Einfuhren aus, aber die USA sehen dies eindeutig als wichtigen Präzedenzfall für andere, viel wertvollere Waren wie gentechnisch verändertes Soja, Getreide (Weizen) usw.
Der andere Hauptkonflikt war zum EU-Verbot der Einfuhr von mit Hormonzusätzen erzeugtem US-Rindfleisch (das sind 90% des in den USA aufgezogenen Rindfleischs). Diese Produkte sind von der EU verboten, aber laut der Codex-Alimentarius-Kommission, dem Ausschuss der Weltgesundheitsorganisation und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, der im Rahmen der WTO das letzte Wort über die weltweite Lebensmittelsicherheit hat, völlig „legal“. Die USA und Kanada lehnen sogar freiwillige Kennzeichnungssysteme ab, die auf die Verwendung von Hormonen hinweisen, mit der Begründung, dies sei „diskriminierend“ für den Handel (d.h. die Verbraucher*innen würden weniger wahrscheinlich kaufen, wenn sie über die Verwendung von Hormonen informiert sind).
Mit Unterstützung der WTO verhängten die USA Ende Juli Sanktionen und verhängten Zölle in Höhe von 100% auf Gourmet-Lebensmittel im Wert von über 1 Million Dollar. Diese Sanktionen richteten sich obendrein gegen Dänemark, Frankreich, Italien und Deutschland, die sich gegen die Verwendung von Hormonen aussprachen, nicht aber gegen Großbritannien, das die US-Politik unterstützt.
Es gab zwar eine Reihe von Urteilen gegen die USA, aber diese waren relativ unbedeutend und unklar. Ein Verbot der USA für die Einfuhr von Garnelen, die mit Methoden geerntet wurden, die sich schädlich auf Meeresschildkröten auswirken könnten, wurde von der WTO verworfen. Gleichzeitig wurde die Verwendung von Foreign Sales Corporations (FSC) durch multinationale US-Unternehmen zur Umgehung von Steuern auf ihre Ausfuhren ebenfalls für unzulässig erklärt.
Nichtsdestotrotz haben die Siege der USA bei Bananen und Rindfleisch Clintons Position gegenüber seinen Kritiker*innen im Kongress gestärkt, wo protektionistischer und isolationistischer Druck zunehmen. Die ständig steigenden Handelsbilanzdefizite der USA gegenüber Japan, China und anderen südostasiatischen Hersteller*innen (insbesondere in den Bereichen Stahl, Autos, Textilien, elektronische Konsumgüter usw.) haben zu einem wachsenden Druck zum Schutz der US-Industrie und der Arbeitsplätze geführt. Es gibt eine wachsende Feindseligkeit rechter, Protektionismus befürwortender Kongressmitglieder gegen die Beteiligung der USA an internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen und der WTO, die formell die Befugnis haben, Entscheidungen zu treffen, denen die USA Folge leisten müssen.
Sowohl 1997 als auch 1998 gelang es Clinton nicht, den Kongress dazu zu bewegen, seine „Fast-Track-Befugnis“ für Handelsabkommen zu verlängern. Dies bedeutet, dass er nicht mehr die Befugnis hat, komplexe Abkommen auszuhandeln, wobei der Kongress nur noch das Recht hat, sie am Schluss zu ratifizieren. Jetzt müssen Abkommen Abschnitt für Abschnitt vom Kongress genehmigt werden. Dies stellt eine ernsthafte Aushöhlung der Exekutivgewalt des Präsidenten dar, soweit es um Handelsverhandlungen geht.
Sowohl Clinton als auch Gore werden bei der Eröffnung der Gespräche in Seattle da sein. Es wird sogar gemunkelt, dass der US-Präsident versucht hat, darauf zu bestehen, dass die Verhandlungen als „Clinton-Runde“ und nicht als „Millennium-Runde“ bezeichnet werden sollten. Clinton strebt eine „frühe Ernte“ an, d.h. eine Reihe hochkarätiger die USA begünstigender Abkommen, die Gores Präsidentschaftswahlkampf im nächsten Jahr unterstützen würden. Sie versuchen, die staatliche Beschaffungspolitik, die heimische Produzent*innen begünstigt, zu verbieten. Sie wollen ein Verbot jeglicher Zölle auf elektronische Transaktionen und keine Zölle auf Produkte der Informationstechnologie. Sie wollen ein Ende aller Beschränkungen für das Eindringen der USA in die nationalen Film- und Videoindustrien, wie die französischen Beschränkungen, die trotz der Proteste der USA am Ende der Uruguay-Runde in Kraft blieben.
Dieser Ansatz ermöglicht es den USA, heikle Themen zu vermeiden, die eine Reaktion verschiedener amerikanischer Geschäftsinteressen hervorrufen könnten. „Die USA versuchen nicht, ein ausgewogenes Paket zu entwickeln“, kommentiert Jeffrey Schott vom Institute for International Economics, einer Washingtoner Denkfabrik: „Sie lehnen sich zurück und sagen zu anderen Ländern: ,Was werdet ihr für uns tun?‘ Aber sie sind nicht bereit, irgendetwas anzubieten, das sie dazu bringen würde, deren Forderungen zu akzeptieren“. („Financial Times“, 23. Juli 1999)
Die EU-Verhandlungsführer*innen lehnen dies ab, sie wollen eine „einzige Verpflichtung“, ein umfassendes Paket (der Art, wie sie am Ende früherer GATT-Runden angenommen wurde), das ausgehandelt und dann als ein einziges Paket angenommen würde. Der scheidende EU-Handelskommissar Leon Brittan und sein Nachfolger, der Franzose Pascal Lamy, wollen ein Paket, das die Bereiche Landwirtschaft und Dienstleistungen, Investitionspolitik, Wettbewerbspolitik, Umweltvorschriften und öffentliches Beschaffungswesen sowie neue Senkungen der Industriezölle umfasst. Dahinter steht das Ziel der EU, die von den USA noch immer aufrechterhaltenen Schutzbereiche abzubauen, beispielsweise den Schutz der maritimen Industrie vor ausländischer Konkurrenz, die riesigen Subventionen für Farmer*innen (trotz der Beschwerden der USA über die EU-Agrarpolitik) und die restriktive Beschaffungspolitik, die von staatlichen und lokalen Behörden in den USA betrieben wird.
Es wird also wahrscheinlich ein ziemliches Gerangel um die Tagesordnung geben, noch bevor man zu den inhaltlichen Fragen kommt.
Das MAI wiederbeleben
In einem Punkt sind sich die USA und die meisten führenden EU-Vertreter*innen jedoch einig. Sie beabsichtigen, das Wesen des MAI, des Multilateralen Investitionsabkommen wiederzubeleben und es als vorrangigen Punkt auf die WTO-Tagesordnung zu setzen. Das MAI wurde 1995 konzipiert und drei Jahre lang im Forum der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) diskutiert, weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit, bis 1998 die ersten Details durchsickerten. Das MAI war als Waffe gedacht, um alle verbleibenden Hindernisse für die freie Tätigkeit der multinationalen Konzerne zu beseitigen. Wäre es vereinbart worden, hätten die Konzerne mit der rechtlichen Rückendeckung eines MAI-Vertrages alle Arten von nationaler Gesetzgebung in den Bereichen sozialem Schutz, Gesundheitsdienste, Gesundheit und Sicherheit, Umweltschutz usw. außer Kraft setzen können. Das vorherrschende globale Rechtsregime wäre die „Legalität“ des Weltmarkts, der von den großen Konzernen und Banken beherrscht wird.
Die MAI-Gespräche scheiterten im Sommer 1999, als die Jospin-Regierung in Frankreich, die unter massiven Druck der Opposition gegen die MAI-Vorschläge geriet, sich aus den Gesprächen zurückzog und die Verhandlungen damit faktisch beendete. Die US-Handelsbeauftragte Charlene Barshefsky und der ehemalige EU-Handelskommissar Leon Brittan, der immer noch als Botschafter für die europäischen Unternehmen tätig ist, haben jedoch beide deutlich gemacht, dass sie der Ansicht sind, dass die wichtigsten Bestimmungen des MAI in Seattle auf dem Tisch sein sollten. Zwei wichtige Elemente sind ihrer Ansicht nach das GATS (Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen) und das TRIPS (Handelsbezogene Aspekte von geistigen Eigentumsrechten). GATS zielt darauf ab, alle inländischen Regulierungsschranken in 160 verschiedenen Dienstleistungsbereichen abzubauen, darunter Groß- und Einzelhandel, Bauwirtschaft, Finanzdienstleistungen, Lebensmittelindustrie, Sport und Unterhaltung, Bibliotheken und Museen und viele andere Dinge. TRIPS würde es Unternehmen ermöglichen, ihr „geistiges Eigentum“ (insbesondere Computersoftware, digitalisierte Unterhaltungsprodukte usw.) über nationale Grenzen hinweg zu verkaufen, ohne irgendwelchen Zöllen unterworfen zu sein, und die vollständige finanzielle Kontrolle über ihre Produkte in Bezug auf Patente, Lizenzgebühren etc. zu behalten.
Die Verhandlungen über GATS und TRIPS könnten zu einem erbitterten Gerangel zwischen den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern führen, wobei Frankreich vor allem versucht, seine Kulturindustrien wie Film und Fernsehen zu schützen. Aber solche Vorschläge werden vor allem eine Bedrohung für die halb entwickelten und unterentwickelten Länder sein, da sie sie für die vollständige wirtschaftliche Beherrschung durch die mächtigsten Konzerne der Welt öffnen.
Globalisierung und Ungleichheit
Wie eben ist das Spielfeld der WTO? Formal sind die Regeln für alle Mitglieder des Clubs gleich. Aber einige Spieler*innen, eine kleine Minderheit, sind viel mächtiger als der Rest. Die großen Konzerne mit Sitz in den Ländern der Triade haben enorme Ressourcen, finanzielle und technologische, und können auf globaler Grundlage manövrieren. Sie haben den Rückhalt mächtiger Regierungen. Auf der anderen Seite wird die Mehrheit der WTO-Mitglieder wirtschaftlich von den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern dominiert. In vielen Fällen sind ihre größten Firmen entweder Tochtergesellschaften oder Vertreter*innen der im Westen sitzenden multinationalen Konzerne. Die ärmeren Länder haben enorme Schulden, die sie an die reichen Wirtschaften binden, was zu einem ständigen Transfer von Wohlstand in den Westen führt.
Alle müssen sich an die Regeln halten, aber die Regeln selbst sind nach den Interessen der großen Akteure gestaltet. Sie folgen der neoliberalen Logik der Globalisierung und erleichtern unweigerlich die Geschäfte der großen Banken und Konzerne.
In der Theorie handelt die WTO als unparteiische Schiedsrichterin, die Streitigkeiten streng nach den Regeln regelt. Doch die WTO ist eindeutig dem enormen Druck der großen Akteur*innen, insbesondere der USA, unterworfen. Dies spiegelte sich in der Entschlossenheit der USA wider, den thailändischen Kandidaten für das Amt des Generalsekretärs zu blockieren und Mike Moore einzusetzen. Außerdem bleibt abzuwarten, wie die USA reagieren werden, wenn die WTO in wichtigen Fällen gegen sie entscheidet. In den Fällen Bananen und Rindfleisch wurde bisher zu Gunsten der USA entschieden. Sollten jedoch in Zukunft ähnliche Fälle gegen die USA entschieden werden, ist nicht auszuschließen, dass der Kongress zu seiner alten Praxis zurückkehrt und (gemäß Abschnitt 301 des Handelsgesetzes) auf einseitigen Vergeltungsmaßnahmen gegen Länder besteht, deren Exporte als Bedrohung der US-Interessen angesehen werden. Es sollte nicht vergessen werden, dass die USA derzeit Wirtschaftssanktionen gegen 26 Länder verhängen, in den meisten Fällen einseitig, weil diese die außenpolitischen Ziele der USA verletzen.
Wie „fair“ die Regeln auch sein mögen, ein multilaterales Freihandelsregime garantiert keine fairen Ergebnisse, was die Realwirtschaft betrifft. Es ist absolut unbestreitbar, dass die Globalisierungstrends, die sich unter dem Uruguay-Runden-Abkommen und in den ersten fünf Jahren der WTO beschleunigt haben, zu einer grotesken Zunahme der Ungleichheit geführt haben, sowohl international als auch in den Nationalstaaten. Es ist jetzt gut bekannt, dass der Reichtum der 15 reichsten Menschen der Welt das gesamte BIP von Afrika südlich der Sahara übersteigt. Die 225 größten Vermögen der Welt, die größtenteils in den USA konzentriert sind, belaufen sich auf mehr als 1.000 Milliarden Dollar, was dem Jahreseinkommen der ärmsten 47% der Weltbevölkerung, d.h. 2,5 Milliarden Menschen, entspricht. Das sind obszöne Ungleichheiten, und sie werden jeden Tag schlimmer.
Die 100 größten Firmen der Welt kontrollieren jetzt 70% des Welthandels. Jede von ihnen verkauft mehr, als irgendeines der ärmsten 120 Länder der Welt exportiert, während 23 der mächtigsten mehr verkaufen als selbst halb entwickelte Länder wie Indien, Brasilien, Indonesien oder Mexiko.
Auf der Grundlage der Globalisierung, das stimmt, ist eine winzige Elite in den ärmeren Ländern sehr viel reicher geworden. Die Mehrheit der Menschen ist jedoch ärmer geworden und viel stärker von Katastrophen wie Überschwemmungen, Hungersnöten und besonders Krieg bedroht, mit mehr als 60 bewaffnete Konflikte in den 90er Jahren, die Hunderttausenden von Toten forderten und mehr als 17 Millionen Flüchtlinge erzeugten.
Obendrein sollten wir nicht vergessen, dass die Globalisierung auch zu einer Polarisierung innerhalb der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder führte, besonders innerhalb der USA, dem mächtigsten Land. Ein riesiger Teil der Bevölkerung, insbesondere Einwander*innen und People of Colour, lebt und arbeitet unter Dritte-Welt-Bedingungen. Fünfundvierzig Millionen Menschen in den USA leben unterhalb der Armutsgrenze, über 40% haben keinen Krankenversicherungsschutz. Trotz all der fortschrittlichen Technologie und des Wohlstands, die den USA zur Verfügung stehen, haben über 32 Millionen Menschen eine Lebenserwartung von weniger als 60 Jahren. In der Europäischen Union leben 50 Millionen Menschen in Armut, während 18 Millionen Menschen offiziell arbeitslos sind.
Die Welle der weltweiten Wut über die brutalen Ergebnisse des Neoliberalismus wird sich in Seattle in den Demonstrationen gegen die WTO widerspiegeln. Doch was ist die Alternative zum Freihandel? Einige fordern zu Recht eine Eindämmung der rücksichtslosen Aktivitäten der multinationalen Konzerne und verteidigen das Recht der Völker auf Schutz ihrer Gesundheit und Sicherheit, der natürlichen Umwelt, der Arbeitsbedingungen und der demokratischen Rechte. Mehr und mehr Stimmen werfen jedoch die Forderung nach Schutzmaßnahmen auf, um das Dschaggannath-Rad des Freihandels zurückzudrängen, das in den 1980er und 1990er Jahren enorm an Fahrt gewonnen hat.
Aber ist eine Rückkehr zum Protektionismus eine brauchbare Alternative zum neoliberalen Freihandel? Eine allgemeine Rückkehr zum Schutz der nationalen Wirtschaften, was in Wirklichkeit nationale kapitalistische Interessen bedeutet, würde keinen wirtschaftlichen und sozialen Schutz für die Arbeiter*innenklasse und arme Bäuer*innen bieten. Wenn sie mit wirtschaftlicher Auslöschung konfrontiert sind, werden viele nationale Kapitalist*innen auf die Idee geschützter nationaler Enklaven zurückgreifen, in denen sie freie Hand haben, ihre „eigene“ Arbeiter*innenklasse und die werktätigen Menschen auszubeuten. Weit davon entfernt, die Ungleichheiten zwischen den reichen, fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern auf der einen und den armen, weniger entwickelten Ländern auf der anderen Seite zu verringern, würde der Protektionismus die wirtschaftliche und technologische Rückständigkeit der ärmeren Länder noch verstärken.
Ohnehin haben angesichts des derzeitigen Charakters der Weltwirtschaft, die von einer Handvoll fortgeschrittener Volkswirtschaften und dem überwältigenden Einfluss des frei fließenden Kapitals beherrscht wird, die meisten Regierungen keine freie Wahl, was Freihandel oder Protektionismus angeht. Während die großen Mächte eine Politik des Freihandels verfolgen, die von allen internationalen Agenturen – WTO, IWF, Weltbank und sogar der UNO und der Nato – unterstützt wird, ist es selbst für halb entwickelte Wirtschaften praktisch unmöglich, gegen den Strom zu schwimmen. Dies zeigt sich an dem enormen Druck, der auf China ausgeübt wird, um seine Wirtschaft zu öffnen, während die USA Chinas Mitgliedschaft in der WTO immer noch blockieren, wenn das Land den Forderungen der USA nicht nachkommt. Selbst die recht begrenzten Kapitalverkehrskontrollen, die Mohamad Mahathir von Malaysia nach der Asienkrise von 1998 eingeführt hat, die wahrscheinlich bei weitem nicht vollständig wirksam sind, haben zu massivem Druck seitens der westlichen Mächte geführt, zu einer offenen Wirtschaft zurückzukehren.
Weder Freihandel noch Protektionismus
Das weltweite Finanzkapital stellt faktisch eine Art virtuelle Regierung, faktisch eine Diktatur dar, die durch den schnellen Transfer von Geldern nationale Regime brechen kann, wenn diese versuchen, von der Norm abzuweichen. Dies zeigte sich sogar im Falle Frankreichs, als der sozialistische Präsident Mitterrand 1981 unter dem Druck der internationalen Finanzmärkte gezwungen war, seine Reformpolitik fallen zu lassen.
Solange der Freihandel weiterhin die vorherrschende globale Politik ist, worin sich der Charakter der Weltwirtschaft widerspiegelt, ist es für jede Regierung, auch die einer großen kapitalistischen Macht, praktisch unmöglich, gegen den Strom zu schwimmen. Nichtsdestotrotz werden die großen Mächte selbst ihre Politik ändern, wenn sich die wirtschaftliche Konstellation ändert, was in der nächsten Zeit wahrscheinlich der Fall sein wird. In einem großen Abschwung werden sich die großen Mächte, einschließlich der USA, der EU-Mächte und Japans, zum Schutz ihrer nationalen Wirtschaftsinteressen zurück wenden. In einer schweren Krise wird die scharfe internationale Konkurrenz (neben der Verringerung der kapitalistischen Profite) die heimischen Industrien und Arbeitsplätze untergraben und eine soziale und politische Krise hervorrufen. Unter solchen Bedingungen werden die kapitalistischen Regierungen unweigerlich gezwungen sein, ihre Machtbasis zu verteidigen.
Zunächst einmal wird die Verteidigung ihrer Interessen durch die großen Handelsblöcke, Nafta, die EU und den lockeren, von Japan dominierten asiatischen Block stattfinden. Dennoch werden sich die verschiedenen nationalen kapitalistischen Staaten unter extremen Bedingungen gegen ihre Konkurrent*innen verteidigen und zu einer neuen Version der Politik „auf Kosten des eigenen Nachbarn“ zurückkehren.
Es ist natürlich unwahrscheinlich, dass sie dem Freihandel abschwören und sich offen für eine allgemeine Politik des Protektionismus aussprechen werden. Vielmehr werden sie ihre unvergängliche Unterstützung für den Freihandel verkünden und gleichzeitig versuchen, „außergewöhnliche“ und „vorübergehende“ protektionistische Maßnahmen zu ergreifen, um diese oder jene Industrie oder Dienstleistungsbranche zu schützen. Die schwächeren, ärmeren halb entwickelten und armen Länder werden natürlich die ersten Opfer eines solchen Wandels sein. Das Unheil, das sie unter der neoliberalen Politik selbst in einer Periode des weltweiten Wachstums erlitten haben, wird nichts sein im Vergleich zu der Katastrophe, die sie in einer Periode des weltweiten Abschwungs erleben werden.
Die neoliberale Freihandelspolitik, für die die WTO Partei ergreift, spiegelt, anders gesagt, die zugrunde liegende Logik des globalen Kapitalismus wider. Viele Organisationen und Kampagnen wenden sich gegen diese oder jene Auswirkung des Neoliberalismus und sind unterstützenswert. Sozialist*innen erkennen jedoch die Notwendigkeit an, das kapitalistische System abzulehnen, das weder durch Freihandel noch durch Protektionismus sozialen Fortschritt für die Menschen in der Welt bringen kann. Der profitgierigen Herrschaft der Konzerne und der zerstörerischen Anarchie des Marktes setzen wir die Notwendigkeit von Planwirtschaften auf nationaler und internationaler Basis entgegen.
Die Alternative zum Kapitalismus ist, Produktionsanlagen, Technologie, Schlüssel-Dienstleistungen, Infrastruktur und natürliche Ressourcen unter die demokratische Kontrolle der Mehrheit der arbeitenden Menschen zu stellen. Sie müssen auf planvolle Weise geführt werden: Die Bedürfnisse der Gesellschaft zu befriedigen und nicht Profite für eine Minderheit zu erzielen, muss die oberste Planungspriorität sein. Für einige mag diese Alternative das Gespenst der ehemaligen Sowjetunion und ihrer Klone in Osteuropa heraufbeschwören. In Wirklichkeit waren diese Gesellschaften eine groteske Entstellung des Sozialismus. Sie wurden von einer herrschenden Bürokratie kontrolliert, die sich auf diktatorische Mittel stützte und der es an allen demokratischen Elementen fehlte, die für das Funktionieren einer echten sozialistischen Gesellschaft wesentlich sind.
Eine Zeit lang verstärkte der Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion und der anderen stalinistischen Staaten Osteuropas die Illusion, dass der Kapitalismus ein global erfolgreiches System sei, das kontinuierlichen Fortschritt gewährleisten könne. Die Entwicklungen des letzten Jahrzehnts jedoch, als der Kapitalismus freie Hand auf der Weltbühne hatte, haben die falschen Versprechungen der kapitalistischen Triumphalist*innen entlarvt. Die Opposition gegen die WTO, nur eines der Symptome der Globalisierung, ist nur ein Anzeichen für die ständig stärker werdende Bewegung gegen den Kapitalismus als globales System – und ein Zeichen für die wachsende Suche nach einer radikalen Alternative.“
Schreibe einen Kommentar