[14. Januar 1933, eigene Übersetzung des russischen Textes, Korrekturen von russischen Muttersprachler*innen wären sehr willkommen]
Ich habe den „Bolschewik“ mit der Stalinschen Antwort auf den Artikel „Mit beiden Händen“ (s. „Bulletin“, Nr. 32) noch nicht in den Händen. Jedoch durch die offiziöse Mitteilung des „Berliner Tageblatts“ bildet sich durchaus eine ausreichende Vorstellung von der Gegendarstellung Stalins.
Zuallererst muss man anmerken, dass Stalin auf das Buch Campbells seinerzeit nicht reagierte, bevor die linke Opposition diese Frage aufgriff. Erachtete Stalin dieses Buch nicht genügend der Aufmerksamkeit wert? Aber er gab Campbell eine Audienz, welche nach den Worten des Amerikaners bis zur Morgendämmerung dauerte, wenn auch nach den Worten der Stalinschen Gegendarstellung „nicht länger als“ zwei Stunden. Aber auch zwei Stunden sind ausreichend, um die Wichtigkeit der Gespräche zu bestätigen. Campbell erhielt das unterschriebene Stenogramm in die Hand: Stalin bestätigt das. Campbell ist kein Journalist, sondern ein großer Agrarbourgeois. Kann man daher annehmen, dass die Kunde vom Buch Campbells Stalin nicht erreichte? Dies ist ausgeschlossen. Das Pressebüro brachte ihm zweifellos unverzüglich nach der Herausgabe des Buchs die wichtigsten Auszüge, besonders der Teile, die Stalin persönlich betrafen. Und trotzdem schwieg er. Erst der Artikel in unserem Bulletin öffnete ihm den Mund. Bereits dieses Faktum beinhaltet eine Einschätzung der Gegendarstellung.
im Jahre 1925, als sein Kurs vollständig in Richtung auf kapitalistische Farmer, d.h. auf Kulaken, war, ging Stalin so weit, dass er die Entnationalisierung des Landeigentums für erforderlich erachtete und vorbereitete. Mit diesem Ziel bestellte er sich im Übrigen ein Interview mit einem Sowjetjournalisten. Eine von Stalin selbst diktierte Frage lautete: „Wäre es nicht im Interesse der Landwirtschaft zweckmäßig, für jeden Bauern ein zu bearbeitendes Bodenstück für zehn Jahre festzulegen?“ Die Antwort Stalins lautete: „Sogar auch für 40“. Einige Zeit danach brachte der Volkskommissar für Ackerbau Georgiens, nach einem Gespräch mit Stalin im Kaukasus, formell einen Gesetzentwurf hinsichtlich der Entnationalisierung des Bodens ein. Die Linke Opposition eröffnete gegen diese Tendenzen einen entschlossenen Kampf. Sie zog auch das bereits ein wenig vergessene Stalinsche Interview hinsichtlich der Aussetzung der Nationalisierung des Bodens auf 40 Jahre ans Licht. Stalin sah sich gezwungen, einen Rückzug zu unternehmen. Er erklärte einfach, dass der Journalist ihn „falsch“ verstanden habe. Warum schwieg er jedoch, einige Monatе lang aus Anlass des gedruckten Interviews, gab auf es keine Antworten.
Im Jahre 1926 bereitete Stalin den Eintritt der Sowjetgewerkschaftsverbände in die Amsterdamer Internationale vor. In der Neuausgabe der Mitgliedsbüchlein der Sowjetgewerkschaften wurde der Paragraf über die Zugehörigkeit zur Roten Gewerkschaftsinternationale einfach gestrichen. Kaganowitsch gab damals – selbstverständlich mit vorhergehender Zustimmung Stalins – in Charkow einen Bericht über den Nutzen des Eintritts in die Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale. Die Linke Opposition erhob die Stimme zum entschiedenen Protest. Stalin wich erneut zurück. Der neue Text des Mitgliedsbüchleins wurde einfach zum „Missverständnis“ erklärt. Kaganowitsch erklärte seinerseits, dass die Stenografin in Charkow die Bedeutung seine Rede „entstellte“. Charkower Oppositionelle stellten jedoch ohne Mühe fest, dass das Stenogramm sehr sorgfältig von Kaganowitsch selbst korrigiert wurde.
Bereits im Jahre 1930 machte Stalin im Gespräch mit Lominadse und anderen ihm damals nahestehenden Personen die Bemerkung: „Die Komintern stellt nichts dar und ist nur dank unserer Unterstützung vorhanden“. Aber als Lominadse im Kampf gegen Stalin ihn an seine eigenen Worte erinnerte, bereitete es Stalin keine Minute Schwierigkeiten, es zurückzuweisen.
Nicht zum ersten Mal griff Stalin auf diese Weise unter den Schlägen der Opposition zur formellen Gegendarstellung zu seinen eigenen Erklärungen. Man kann sogar sagen, dass ein solches Vorgehen zum eisernen Arsenal seiner Politik gehört. Bei jedem neuen Zickzack rückt Stalin mit Behutsamkeit vorwärts, lässt, meist über Vermittlung anderer, aber manchmal auch selbst, falls es anders nicht möglich ist, Versuchsballons steigen, was ihm jedoch so lange wie möglich die Möglichkeit des Rückzugs gibt. Ihm bereitete es dabei niemals Schwierigkeiten, seine eigenen Worte zurückzuweisen.
im Übrigen unterscheidet sich das von Stalin selbst veröffentlichte Gespräch mit E. Ludwig nicht sehr wesentlich von dem von ihm zurückgewiesenen Gespräch mit Campbell. Und was unermesslich wichtiger ist, die Gegendarstellung verändert nicht um ein Jota weder die Politik des Kelloggpakts noch die Taktik Stalin-Litwinows in Genf. Aber hier liegt gerade der Kern der Sache.
L. Т.
Prinkipo, 14. Januar 1933
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