Ted Grant: Die kommende deutsche Revolution

[eigene Übersetzung des englischen Textes in Workers International News, Oktober 1944, S. 9-12]

Die deutsche Revolution und die Zukunft

Der Eintritt alliierter Truppen in Deutschland stellt den Anfang vom Ende des deutschen Imperialismus und der Nazis dar. Der völlige Zusammenbruch des Hitler-Regimes kann nicht lange aufgeschoben werden. In vier Jahren hat das Schwingen des Pendels den deutschen Imperialismus vom Erlangen seines Traumes der europäischen Herrschaft in die Lage drohender Zerteilung und Machtlosigkeit gebracht. Es gab wenige so anschauliche und schnelle Änderungen in der Geschichte der Kriegführung und der Beziehungen zwischen den Nationen. Aber in ihnen spiegelt sich die Instabilität der Beziehungen zwischen den Nationen und die sozialen Widersprüche innerhalb der Nationen selbst wider.

1940 schrieb Trotzki über Hitlers Siege:

„Die politische Landkarte wurde in keiner anderen Epoche, außer der der Napoleonischen Kriege, mit einer ähnlichen Geschwindigkeit umgestaltet. Zu jener Zeit ging es um die überlebten Feudalstaaten, die für den bürgerlichen Nationalstaat das Feld räumen mussten. Heute handelt es sich um die überlebten bürgerlichen Staaten, die Platz machen müssen für die sozialistische Völkergemeinschaft.“

Die hier ausgedrückt Idee wird durch Hitlers Niederlagen keineswegs zurückgewiesen, sondern bestätigt. Es sind die Widersprüche des Weltkapitalismus und die Ausdehnung des Krieges zu einem Welt- statt zu einem europäischen Maßstab (die diese Widersprüche unausweichlich machten), die zu Hitlers Vernichtung auf dem militärischen Feld führten. Darüber hinaus liegt eine tiefgreifende Bedeutung darin, dass in den Ebenen der Ukraine und an den Ufern der Wolga Hitlers Wehrmacht das Herz herausgerissen wurde. Das war auf eine sehr verzerrte Form die Widerspiegelung der Überlegenheit der kommenden neuen Gesellschaft des Sozialismus über den niedergehenden Kapitalismus. Das ist für sich genommen ein Anzeichen des Niedergangs und Verfalls des bürgerlichen Systems.

Aber durch die Eroberung Europas und seinen Versuch es niederzuhalten hat Hitler die soziale Basis völlig untergraben, die der Kapitalismus besaß. Indem die Nazis das machten, haben sie den „Siegern“ ein Erbe hinterlassen, ein Erbe gesellschaftlicher Stürme und Krämpfe, wie es das nie vorher in der reichen Geschichte des Alten Kontinents gab, der einst alle anderen beherrschte.

Der „Economist“ hat in Artikeln, die die bürgerliche Unruhe widerspiegeln, darauf hingewiesen, dass die Mittelschicht in Frankreich und anderen besetzen Ländern durch die Nachfrage der Nazis nach Fabrikarbeiter, durch den durch den Krieg herbeigeführten Ruin, die allgemeinen Vertreibungen, Mangel an Vorräten außer für die Kriegsindustrie, Bombardierungen etc. zu einem Bruchteil dessen geschrumpft ist, was sie war. In den ländlichen Gebieten hat der selbe Prozess stattgefunden, wenn auch in kleinerem Maßstab. Dies zusammen mit dem durch die Ereignisse des Krieges herbeigeführten psychologischen Schock, mit der Kollaboration der Bourgeoisie der besiegten Nationen mit den Invasoren, hat das frühere gewohnheitsmäßige Akzeptieren der bürgerlichen Vorherrschaft über die Gesellschaft untergraben. Nicht allein die Arbeiterklasse, sondern die bäuerlichen und kleinbürgerlichen Massen werden unausweichlich revolutionäre Lösungen für die unerträgliche Todeskrise suchen, in die sie durch das kapitalistische Regime gebracht wurden. Die harte Schule, durch die sie gehen, wird die Massen schnell lehren. Alle politischen Strömungen und Tendenzen werden beurteilt werden, ob sie fähig sind, das Geforderte zu liefern.

Die Krise des bürgerlichen Regimes ist viel tiefgehender als sie 1918 war. Die Schocks beim Zusammenbruch des Faschismus in Italien sind erst ein Schatten, den die kommenden Ereignisse voraus werfen.

Keine stabilen konterrevolutionären kapitalistischen Armeen in Europa

Es ist eine Tatsache, die der Aufmerksamkeit der Presse der Arbeiterklasse entgangen ist, aber tiefe Bedeutung hat, dass es in ganz Europa keine stabile bürgerliche Armee gibt, die nach der Zerstörung der deutschen Armee übrig bleiben wird. Eine bemerkenswerte Tatsache, über die die „revolutionären“ Pessimisten einmal nachdenken sollten! Die französische Armee ist verschwunden und die in Algier versammelte Armee wird den Zweck kaum erfüllen. Die italienische Armee und die der Niederlande wurden aufgelöst. Polens klägliche Emigrantenarmee wurde zwar für diesen Zweck ausgesucht und organisiert, könnte aber kaum die Erwartungen erfüllen. Auf dem Balkan wurden die Armeen Griechenlands und Jugoslawiens zerschlagen und die Rumäniens und Bulgariens, die es geschafft haben, formell ihre Form zu behalten, sind schon in einer zerbrechlichen Verfassung. Wenn wir die britische Armee als eine europäische Armee dazurechnen, besteht sie vorwiegend aus Arbeitern, deren Mannschaften so mit einem antikapitalistischen und sogar sozialistischen Bewusstsein durchtränkt sind, dass es unmöglich wäre, sie über einen langen Zeitraum für Straf- und Unterdrückungszwecke zu verwenden. Sobald Hitler verschwunden ist, wird im Bewusstsein dieses feinen proletarischen Materials der Grund für ihre Anwesenheit in Europa ebenfalls verschwunden sein.

Von den bürgerlichen Armeen bleiben nur die außereuropäischen Kräfte des amerikanischen Imperialismus. Politisch sind sie äußerst rückständig. Und auf diese Rückständigkeit stützt sich der Weltimperialismus, um die Lage in Europa zu retten. Aber die Achillesferse des amerikanischen Kolosses liegt darin, dass diese Masse von Soldaten überhaupt keine zusammenhängende Ideologie hat. Die meisten amerikanischen Soldaten sind gegenüber der Propaganda des amerikanischen Imperialismus über die Kriegsziele gleichgültig. Die, die politisch bewusst sind, erstreben die Beseitigung des Faschismus – aber alle sind sich einig in der Sehnsucht „heimzugehen“. Die, die von der reaktionären Propaganda beeinflusst wurden, richten ihre Feindseligkeit tendenziell eher gegen die Japaner als gegen die Deutschen. Sobald Hitler verschwunden ist, wird die amerikanische Armee in einer Atmosphäre allgemeiner Feindseligkeit auch schnell demoralisiert werden, wenn sie gegen Teile der europäischen Arbeiter verwendet wird. Die Sehnsucht, in die [Vereinigten] Staaten zurückzukehren, wird sich in politische Opposition gegen die herrschende Klasse verwandeln.

Inzwischen sind angesichts der Möglichkeit einer Vermischung der Soldaten der Roten Armee mit den Arbeiter und Bauern Deutschlands die die Rote Armee kontrollierenden Bürokraten noch erschreckter als die die imperialistischen Armeen kontrollierenden. Sie haben mit allen Mittel, die in ihrer Macht stehen, versucht, eine Mauer des Hasses zwischen ihnen zu schaffen. Vorbereitungen wurden getroffen, die Rote Armee zur völligen Zerschlagung jedes Versuchs auf Seiten der deutschen Arbeiterklasse in Richtung sozialistische Revolution zu verwenden. Aber sobald sich die Massen in Deutschland Richtung Aufstand und Zwangsmaßnahmen gegen die Nazis und die deutsche herrschende Klasse bewegen, wird das in den sowjetisch besetzten Gebieten tiefgreifende Auswirkungen auf die Arbeiter und Bauern haben, aus denen die Rote Armee besteht. Es wird tendenziell die Flamme der Oktoberrevolution wieder entfachen. Daher wäre die Rote Armee als stabile und sichere Basis für die kapitalistische Konterrevolution und Besetzung sogar noch instabiler als jede andere Armee.

Dies ist der Hintergrund, vor dem sich die Ereignisse in Deutschland entwickeln werden – ein Hintergrund von revolutionären Unruhen und Krämpfen in ganz Europa.

Ideologische Vorbereitung für alliierte Unterdrückung in Europa

Innerhalb Deutschlands sind alle Bedingungen für soziale Explosionen herangereift. Revolution ist unausweichlich. Wenn man annimmt, dass es die Alliierten schaffen sollten, Deutschland zu besetzen, bevor die Revolution ausbricht, könnte das den Ausgang nur vorübergehend verzögern. Die Aufwallung würde sich unausweichlich entwickeln und die Masse des Volks hinter der Arbeiterklasse in ihrem Kampf gegen nationale und soziale Versklavung vereinigen. Die Alliierten wollen ein Blatt aus Hitlers Buch übernehmen und in Deutschland ein ähnliches Regime errichten, wie es die Nazis Frankreich und anderen Ländern aufzwangen, die sie überrannt haben. Sie können das nur machen durch die Verwendung der selben Terror-, Folter- und Repressalienmethoden, mit denen die SS ihre kurzlebige und instabile Besatzung der überrannten Länder aufrecht erhielt. Die Alliierten werden bei ihren Versuchen, die Bevölkerung in Deutschland niederzuhalten, sogar noch weniger Erfolg haben.

Bei ihrem Bemühen, psychologisch den Weg für ihre Repressalien und Hinrichtungen vorzubereiten, um die Massen in Deutschland zur Unterwertung zu terrorisieren, haben die Alliierten in den letzten Wochen eine ununterbrochene Hass- und Verleumdungskampagne gegen das deutsche Volk als Ganzes begonnen. Der Mythos, dass die Nazis und das deutsche Volk ein und dasselbe seien, und dass alle Deutschen von Natur aus „Hunnen“, „kriegsliebend“, „brutal“ „faschistische Bestien“, „Mörder“ etc. ohne den kleinsten Funken menschlichen Anstands seien, wird systematisch verbreitet. Die unbestrittenen Gräueltaten, die die verdorbenen Elemente der SS und der Nazis gegen die Völker Europas begangen haben, dienen als angebliche Rechtfertigung für die Legende, dass das ganze deutsche Volk verantwortlich sei. Die hohen Herren, die diesen Hass fabrizieren, vergessen praktischerweise, dass die SS ihren Sadismus in Maßnahmen gegen die sozialistischen Arbeiter, Sozialisten und Gewerkschafter in Deutschland selbst lernte, und dass diese Barbarei sogar schon vor Hitlers Machtantritt begann. Sie möchten, dass die Massen die Freude übersehen, mit der sie Hitlers Unterdrückung der deutschen Massen betrachteten und die Zustimmung, mit der sie von den demokratischen Staatsmännern als Rettung vor der sozialistischen Revolution betrachtet wurde. Aber in beiden Fällen bleiben sie ihren Zielen treu. Hinter der Unterstützung für Hitler wie hinter den Angriffen auf die deutschen Massen als „vergiftete Hitleristen“ liegen die selben Klassenmotive: Angst vor der sozialistischen Revolution.

Der vom Kreml gepredigte wilde Chauvinismus und Rassenhass kann mit einem etwas ähnlichen Standpunkt erklärt werden. Die Zusammenarbeit mit Hitler im Stalin-Hitler-Pakt und jetzt die wahnwitzigen und verrückten Angriffe auf alles Deutsche stellen in Wirklichkeit ein symmetrisches Muster dar: Angst vor der sozialistischen Revolution in Deutschland und ihrer Bedrohung für die Macht und Privilegien der Stalinbürokratie.

In dieser Frage sind alle Kräfte der alten Gesellschaft vereinigt. Natürlich versuchen sie, die Lage zu nutzen, um in ihrem Interesse alles, was sie können, aus den deutschen Massen herauszupressen.

Das deutsche Volk unter den Nazis

Nachdem Hitler an die Macht gekommen war, zerschlug er die Arbeiterklasse mit der Hilfe der Mittelschichten und wandte sich dann schnell gegen das enttäuschte Kleinbürgertum. Das war die Bedeutung der Säuberung vom 30. Juni 1934. Nachdem die Nazi-Diktatur die Mittelschichten mit demagogischen Phrasen und Propaganda gegen die Konzerne getäuscht hatte, enthüllte sie sich als grimmiger Agent des Finanzkapitals. Wenn die Mittelschichten in der „demokratischen“ Weimarer Republik ruiniert wurden, war das nichts im Vergleich zu dem Zustand, auf den sie unter den Nazis herabgebracht wurden; erdrückende Steuern und die Beseitigung großer Teile der Mittelschicht als Gesellschaftsgruppe wurden stärker beschleunigt als es jemals im Vor-Nazi-Deutschland erreicht wurde.

Die aufgeblähte Nazi-Bürokratie war unfähig zur Lösung der Krise des deutschen Kapitalismus und hatte keine anderen Weg als den Krieg. Der Nazismus enthüllte sich als „chemisch reines Destillat der Kultur des Imperialismus“. Aber auf diesem Weg konnte der geschwächte deutsche Imperialismus nur reisen, indem er die Massen zwang, den Gürtel noch enger zu schnallen. „Kanonen statt Butter“ war das grimmige Programm der Nazis, bevor der gegenwärtige Krieg begann.

In den sechs Jahren zwischen dem Machtantritt der Nazis und dem Einmarsch in Polen war die Massenbasis der Nazis weitgehend verschwunden. Die Masse der Arbeiterklasse unterstützte sie nie. Die Mittelschicht war desillusioniert worden. Die Siege von 1939-40 haben vielleicht zu einer vorübergehenden Welle des Chauvinismus geführt, aber dies verschwand schnell durch die Schrecken des Krieges gegen die Sowjetunion. Eines allein hat die deutschen Massen dabei gelähmt, gegen das verhasste Regime aktiv zu werden, und das war die Angst vor den Folgen eines alliierten Sieges.

Ihnen wurde weder im Osten von Seiten Stalins noch im Westen von den Alliierten eine attraktive Alternative angeboten. In der Tat waren die Drohungen, die von der Sowjetunion ausgingen, für die Massen noch erschreckender als die der alliierten Imperialisten. So lieferte Stalin Goebbels die „Geheimwaffe“ mit der die „nationale Einheit“ im Reich erhalten wurde.

Aber eine auf der Furcht vor den Folgen der Niederlage begründete „nationale Einheit“, die vom Terror von SS und Gestapo gestützt wird, kann angesichts der zunehmenden Katastrophen, die das Nazi-Regime erleidet, nicht unbegrenzt aufrecht erhalten werden. Der Zerfall des Nazi-Reichs schreitet fort. Deutschland ist jetzt fast das letzte der von den Nazis besetzten Länder. Die Zehntausenden Verhaftungen von allen, die im entfernten Verdacht der Opposition und gefährlicher Gedanken über das Regime stehen, sind ein Anzeichen dafür. Die Massen werden zunehmend bitter und ärgerlich, die Nazis sind wie Eroberer in einem fremden Land. Die Zeitungen berichten von Hamburg – dem Roten Hamburg– dass große Mengen von SS-Leuten entweder erstochen oder mit eingeschlagenem Schädel gefunden wurden – aber ihre Waffen waren gestohlen. Es wird berichtet, dass es SS- und Gestapo-Leute nicht wagen, nachts allein in Deutschlands Industriestädten zu gehen – sondern paarweise oder in Gruppen gehen – weil so viele tot und ohne ihre Schusswaffen aufgefunden wurden. Aufschlussreiche Episoden! Sie spiegeln die Intensität des Hasses gegenüber dem Regime wider, der sicher der größte in der Geschichte sein muss – und den Rachedurst auf Seiten der deutschen Massen.

Alle Bedingungen für eine revolutionäre Erhebung sind jetzt vorhanden. Es braucht nur einen Zufall, der die Arbeiter einer großen Industriestadt in Deutschland zu einem offenen Zusammenstoß mit den Nazis bringen wird und ganz Deutschland wird in die Revolution gestoßen werden. Es ist ähnlich wie die Lage in Italien vor dem Fall Mussolinis, außer dass in Deutschland die Massen die Alliierten fürchten; wenn sie die Gelegenheit zum Marschieren kriegen, muss die deutsche Revolution als eine viel gewaltigere Explosion losbrechen als auf der italienischen Halbinsel.

Spaltungen in der deutschen herrschenden Klasse

Das Wissen über die Unausweichlichkeit der Niederlage und der Druck der Massen von unten hat die deutsche Bourgeoisie schon zu einem Versuch geführt, sich von ihrem Maskottchen Hitler zu befreien, das sich jetzt in einen Mühlstein um ihren Hals verwandelt hat. Dies ist für sich genommen ein Symptom für die revolutionäre Krise in Deutschland. Wie immer in der Geschichte wird das Kommen der Revolution durch unheilbare Klüfte und Gegensätze innerhalb der Reihen der herrschenden Klasse selbst gekennzeichnet. Unter einer offenen Diktatur kommt das immer in Komplotten und Verschwörungen zum Ausdruck. Die Revolte der Generäle und die Berichte, die eine verbundene oder sogar völlig getrennte Verschwörung auf Seiten gewisser Industriellengruppen anzeigen, waren Ausdrücke dieses Prozesses in Deutschland. Aber weder die Generäle noch die Industriellen waren völlig vereint in der Frage der Notwendigkeit oder des Zeitpunkts, die Nazis loszuwerden. Dieselbe Ursache, die eine verzweifelte Gruppe vorwärts trieb, lähmte und erschreckte andere Teile. Ihre Aufmerksamkeit wurde von den Ereignissen in Italien gefesselt, wo die Entfernung Mussolinis den revolutionären Sturm hervorriefstatt ihm vorzubeugen. Die Frische dieser Ereignisse und die Unterströmung sozialer Gegensätze, die jetzt offen an die Oberfläche kommt, überzeugte sie, dass die Entfernung Hitlers womöglich noch schlimmere Folgen für ihre Klasse hervorrufen würde.

Darüber hinaus hatten Hitler und seine Gruppe von menschlichem Abschaum, Schlägern und Abenteurern keine Absicht, sich von der Bühne zurückzuziehen, um ihren Zahlmeistern einen Gefallen zu tun, die keine weitere Verwendung für sie hatten. Sie hatten keine Absicht, sich zur Seite schieben zu lassen, wie die Bourgeoisie aufgebrauchte Geliebte wegschickt. Sie hatten auch die Ereignisse in Italien beobachtet und versucht, aus den Lehren Nutzen zu ziehen. Diese Hooligan-Bande hat bei solch einer Änderung nichts zu gewinnen und würde alles verlieren – einschließlich ihrer Leben. Sie haben keine besondere Beziehung zu „Deutschland“, ob es ein bürgerliches oder irgend ein anderes Deutschland ist, außer aus dem Blickwinkel, wie sie es melken können. Diese Gangster haben solch eine Ernte des Hasses und der Verachtung gesät, dass es keinen Ausweg für sie gibt – sie handeln mit der Verzweiflung in die Ecke gedrängter Ratten. Und die deutsche Bourgeoisie, die erst gestern noch üppige Visionen der Ausbeutung ganz Europas hatte, sieht sich unfähig, sich sofort die Kontrolle in Deutschland zu sichern – die Kräfte, die sie aus der Tiefe der Gesellschaft emporgehoben haben, haben sie politisch enteignet und versuchen, als unabhängige Kraft zu wirken und selbst die Mitglieder der Bourgeoisie zu bedrohen.

So enthüllt es sich, dass in der Dialektik der Klassenherrschaft die Muster überhaupt nicht einfach sondern äußerst komplex sind.

Alliierte Pläne nach Hitlers Fall

Terrormaßnahmen können jedoch Hitler nicht retten. Selbst wenn die Nazis durch irgend ein Wunder die militärische Niederlage für eine Weile abwenden könnten (und das ist durch das Kräfteverhältnis nicht völlig ausgeschlossen), nähert sich der unausweichliche Zusammenbruch des Regimes durch innere Explosionen. Die Verzweiflung des Regimes ist nur eine Widerspiegelung der Verzweiflung der Massen. Erschießungskommandos, Verhaftungen Terror, Konzentrationslager sind alle nutzlos für ein Regime, das sich völlig überlebt hat. In dem ganzen Gewebe ist kein lebendiger Faden übrig. Selbst die SS und Gestapo haben kein Vertrauen in die Zukunft und eine große Anzahl sucht einen Weg, sich zu retten. Dazu hat der Krieg ein Niederbrechen der SS erzwungen, die nicht mehr länger ein sorgfältig ausgewähltes Unterdrückungsinstrument ist, sondern durch eine große Anzahl von frischen Elementen und sogar ausländischen Söldnern verwässert wurde, die eine völlig andere Ausbildung und Erscheinungsbild als die alten Mitglieder haben. Selbst diese letzteren können durch die vorherrschende Stimmung unter der Masse der Bevölkerung in Deutschland nicht unbeeinflusst bleiben. Der Hitlerismus ist in seiner Todeskrise. Die Aufstauung der Widersprüche hat solch eine Intensität erreicht, dass es weit über die Grenzen hinausgeht, die die Gesellschaft ertragen kann.

Es wäre unmöglich vorherzusagen, was der genaue Verlauf der Ereignisse sein wird. Man kann nur den allgemeinen Verlauf der Ereignisse feststellen, die stattfinden werden. Einer der Faktoren, der die krankhafte Kampagne der Stalinisten und der Bourgeoisie gegen die Deutschen diktiert, ist ihre Furcht vor den Traditionen der deutschen Arbeiter. Die deutschen Arbeitersind zahlenmäßig der stärkste Teil die europäischen Proletariats und haben eine Tradition der Schulung in den Ideen des Marxismus, die sich über mehr als zwei Generationen erstreckt. Unter dem Einfluss der Krise müssen diese Ideen unausweichlich mit zehnfacher Stärke wiederbelebt werden, besonders unter der Vorhut, jetzt da die Massen durch die Hölle des Faschismus gegangen sind. Hitler hat die gesellschaftlichen Reserven des deutschen Kapitalismus ausgetrocknet. Die Mittelschicht – die zu einem Schatten dessen, was sie vor Hitler oder auch nur vor dem Krieg war, herabgestutzt ist – kann nicht länger eine stabile Grundlage für die Reaktion liefern. Im Gegenteil, das Pendel muss in die entgegengesetzte Richtung schwingen. Die Mittelschicht, die in ihrer Periode der konterrevolutionären Raserei Teile der rückständigen Arbeiter hinter sich herzog, wird in einer neuen revolutionären Erhebung der Führung der Arbeiter folgen.

Wenn die Arbeiter in Frankreich Italien und anderen Ländern sofort den Weg der Massenenteignungen und Verhaftungen der Arbeitgeber beschritten haben, wenn es eine Tendenz zur Errichtung von Sowjets und Arbeiterkomitees gibt, wenn die Arbeiter sofort beginnen, die Fabriken zu übernehmen und sich zu bewaffnen, um sich zu Herren der Lage zu machen, sobald der Druck der Nazi-Militärmaschine aufgehoben wurde – was wird die Position in Deutschland sein? In einer Lage von Chaos und Ruin werden die Massen getrieben werden, auf rücksichtsloseste Weise mit den Nazis abzurechnen. Am Morgen eines erfolgreichen Aufstandes gegen Hitler wären die Arbeiter-, Soldaten- und Bauern-Komitees fast automatisch gezwungen, die Übernahme der Kontrolle in Deutschland zu versuchen: die sozialistische Revolution würde sich als einzige Lösung darstellen.

Ein Aufstand entlang dieser Linien ist in den Kalkulationen des anglo-amerikanischen Imperialismus schon ausgemalt. Churchills Erklärung im Parlament, dass die „Deutschen“ der Verantwortung für ihre Verbrechen nicht entkommen könnten, indem sie sich dem Kommunismus zuwendeten, war eine Warnung im Voraus vor der Unterdrückung durch die Alliierten in diesem Fall. Aber die Folgen solch einer Bewegung für Europa und die Welt würden der Kontrolle der Imperialisten entgleiten. Revolutionäre Krämpfe bis hin nach Afrika und Asien wären unter den schon unruhigen Kolonialsklaven der Imperialisten zu fühlen.

Wenn wir die schlimmste Entwicklungsvariante für die unmittelbare Zukunft akzeptieren – dass Hitler es schaffen könnte, die Bevölkerung niederzuhalten, bis die Alliierten einmarschieren und ganz Deutschland besetzen und dass der Fall der Nazis durch militärische Katastrophen stattfindet – würde sich sicher ein anderes Muster als das oben skizzierte ergeben! Aber wie anders? Nach der Unterdrückung der deutschen Arbeiter durch die Nazis würden die deutschen Arbeiter durch die ausländischen Eroberer nicht nur sozial, sondern auch national unterdrückt werden.

Und was kann die Bourgeoisie Deutschlands oder der Alliierten irgend einem Teil der deutschen Bevölkerung anbieten? Unter den gegenwärtigen Bedingungen betrachten die Alliierten genauso wie die deutsche Bourgeoisie das Vorhandensein eines demokratischen Regimes als gefährlich, weil es nicht lange dauern könnte. Daher kann das Programm der deutschen Bourgeoisie nichts anderes sein, als die Stellung eines Satelliten des anglo-amerikanischen Imperialismus zu akzeptieren – von Quislingen.

Die Alliierten beabsichtigen, sich in die früher von den Nazis eingenommene Stellung zu begeben, hoffen aber, die gegenwärtigen politischen Verhältnisse intakt zu halten. Alles soll unverändert bleiben! Mit oder ohne Alliierte würde die Nazi-Partei verschwinden – und ihr Vorhandensein würde den Alliierten zu Hause extreme Verlegenheit bereiten. Sie müssen immer noch den Vorwand eines Krieges zur Beseitigung des Faschismus beibehalten und eine zu offene Enthüllung ihrer Ziele würde Auswirkungen unter ihrer eigenen Arbeiterklasse hervorrufen. Folglich müssten ein paar Hundert Spitzennazis entfernt werden als Geste, um den „Mob“ zu befriedigen. Aber was den Rest betrifft, würden die Nazi-Bürokratie und die Kapitalisten als untergeordnete Partner der Imperialisten bleiben. Das von Hitler eingeführte Unterdrückungsregime würde – außer der Rassendiskriminierung gegen die Juden deren Abschaffung die Alliierten nichts kosten würde und eine kostenlose Geste wäre – in Kraft bleiben mit zusätzlichen „Verbesserungen“ wie der Ausgangssperre. Die Paria-Rasse wären jetzt die Deutschen. Das ist das Muster der Besatzung, wie es durch die Militärregeln auf dem ersten von den Alliierten besetzten deutschen Gebietsstreifen eingeführt wurde.

Die Bourgeoisie hat mit Angst die Erfahrung des Faschismus in Europa festgestellt, ist aber unfähig, daraus Nutzen zu ziehen. Hitlers Herrschaft hing wie die Mussolinis von einer Reihe von Faktoren ab, die alle heute verschwunden sind. Kein Regime kann ohne Massenunterstützung andauern. Diese Unterstützung wurde in der ersten Periode der Herrschaft des Faschismus von der getäuschten Mittelschicht gegeben. Sobald sie desillusioniert waren, war es nur die Trägheit, Apathie und Enttäuschung der Massen über das Versagen und die Unfähigkeit ihrer eigenen Organisationen, die den Sturz des Diktators verhinderte. Mussolini war dem Untergang geweiht, Hitler ist es. Hitler versucht mit militärischer Macht die erschütterten Reihen von Mussolinis Miliz zu ersetzen. Er hat in Norditalien gefunden, dass es unmöglich war, den Faschismus wieder einzusetzen, so hart sie es auch versuchten. Eine totalitäre Unterdrückung ist schlimm genug. Eine ausländische totalitäre Unterdrückung ist unerträglich!

Aber die alliierten kapitalistischen Staatsmänner erkennen dies nur zu gut. Sie erwarten einen so verzweifelten Widerstand, wie ihn die Nazis in den Ländern, die sie eroberten erhielten. Daher gibt es eine klare und kühle Kalkulation in der von der bürgerlichen Presse Großbritanniens und Amerikas vorangetriebenen Kampagne, dass die Nazis, die eine unausweichliche Niederlage erwarten, sich darauf vorbereiten, in den „Untergrund“ zu gehen. Die Idee selbst hält der Untersuchung nicht stand. Hitler könnte nicht mehr eine militärische Niederlage überleben als es bei Mussolini der Fall war, bei der geringen Unterstützung, die er noch besitzt. Aber die völlig wachgerüttelten deutschen Massen, die mit unerträglicher Unterdrückung klarkommen mussten, würde die Unterdrückung durch die Alliierten nicht lange dulden, besonders wenn sie Zeugen der Verbrüderung der Alliierten mit den Nazibürokraten und Kapitalisten und deren Beschützung durch sie sind. Sie würden sich unausweichlich auf die verzweifeltste Weise der alliierten Unterdrückung und Ausbeutung widersetzen. Um jede Sympathie und Unterstützung für solche Oppositionsbewegungen unter den Arbeitern in den alliierten Ländern zu töten, ist das alliierte Kommando bereit, Stalins Technik zu verwenden und jeden solchen Aufstand, Streik, Protest oder Demonstration als „Untergrund-Nazis“ oder „von den Nazis angeregt“ zu etikettieren. Daher ihr Schrecken und ihre Furcht vor der Verbrüderung zwischen den deutschen Arbeiter und alliierten Armeen; daher ihre Übernahme der selben Technik wie Hitler (der sie wiederum von der Unterdrückung der Imperialisten in den Kolonien und den besetzten Gebieten gelernt hat). Ihre Zerstörung der kleinen Stadt Wallendorf hatte dasselbe willkürliche Ziel wie die Zerstörung von Lidice und anderer Städte durch die Nazis: die Bevölkerung zu terrorisieren und eine Kluft zwischen ihnen und den alliierten Soldaten zu schaffen. Aber alle solchen Bemühungen werden langfristig zusammenbrechen am Abscheu der alliierten Soldaten davor, für solche Repressalien und Bestrafungen verwendet zu werden.

Vorbereitung auf die sozialistische Revolution

Inzwischen wird in Deutschland selbst unter den Krallen der Nazis eine neue Generation von Revolutionären geformt. Eine harte und nicht zu brechende Generation, getestet und gestählt im Feuer der Nazi-Unterdrückung. Die alliierte herrschende Klasse richtet ihre Propaganda gegen die deutsche Jugend. Mit gutem Grund! Überhaupt nicht, weil sie durch die Lehren der Nazis „korrumpiert“ ist, sondern wegen ihrem Streben nach revolutionärer Veränderung. Das Beispiel Italiens zeigt wieder, wie leicht die Jugend, die die Last faschistischer Unterdrückung und Erstickung aller Initiative und Unabhängigkeit mehr als jeder andere Teil der Bevölkerung fühlt, bei der ersten Gelegenheit schnell revolutionäre Ideen und Methoden annimmt. Die Berichte, die durchsickerten, zeigen die starke Opposition in Deutschland gegen den Hitlerismus selbst unter der studierenden Jugend der Mittelschicht, und Schulkinder haben Gruppen von Mitgliedern für Anti-Nazi-Organisationen gestellt.

Aus vielen Gründen ist es wahrscheinlich, dass die alten Arbeiterorganisationen, die so schändlich vor Hitler kapitulierten, selbst in den frühen Stadien der Revolution in Deutschland keine so feste Unterstützung erlangen werden, wie in den anderen Ländern in Europa. Jeder Versuch, mit den alliierten Eroberern zusammenzuarbeiten, würde sie in den Augen der Massen sofort als Verräter etikettieren. Das stalinistische Programm der vansittartistischen1 Unterdrückungen und Reparationen würde diese Herren schnell jede Unterstützung verlieren lassen, die sie in Deutschland haben mögen. Aus den Reihen der deutschen Arbeiter werden einige der feinsten Kämpfer für die sozialistische Revolution kommen. Was es in Deutschland an Gruppen von Sozialisten, Kommunisten und oppositionellen Arbeiter gab und sich entwickelte, war gerade durch die Bedingungen des beispiellosen Nazi-Terrors gezwungen, die Lage einzuschätzen und unabhängig von den Bürokraten des Stalinismus und der Sozialdemokratie Führung zu geben. In den Fabriken haben die besten Kämpfer gelernt, die Lage sorgfältig und gründlich einzuschätzen. Es wird nicht so leicht sein, diesen revolutionären Kämpfern die Politik der Klassenkollaboration aufzuzwingen. Die Gedanken der deutschen Arbeiter sind bitter und sie wurden durch die Exzesse der Nazis gefärbt. Jeder Arbeiter muss Laternenpfähle mit sehnsüchtigen Blicken angeschaut haben, wenn sie mit besonders lästiger Tyrannei auf Seiten der Nazis oder ihre Bosse konfrontiert waren – sie unterscheiden nicht sehr zwischen ihrem Arbeitgeber oder Fabrik„führer“ und dem Naziregime.

Aber das Schicksal Deutschlands kann offensichtlich nicht vom Schicksal Europas getrennt werden. Die Millionen ausländischer Sklaven, die Hitler nach Deutschland einführte, werden in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle spielen. Sie haben geheime und freundschaftliche Beziehungen zu den deutschen Arbeitern angeknüpft, trotz dem strengen Nazi-Verbot dagegen. Sie werden Erinnerungen an die deutsche Arbeiteropposition gegen das Regime und ihre brüderliche Klassensolidarität mitnehmen, wenn sie in die Länder zurückkehren, aus denen sie kamen. Das Problem der deutschen Revolution kann nicht vom Problem der Revolution in ganz Europa getrennt werden. Der Krieg hat das Schicksal aller europäischen Länder miteinander verbunden. Ereignisse in einem Land werden unmittelbare Rückwirkungen in allen anderen haben.

In dieser Verbindung spiegeln die Ereignisse in Bulgarien, als die Rote Armee einmarschierte, im Kleinen die Möglichkeiten wider, die in der Lage in ganz Europa enthalten sind. Trotz allem hatten, als die Rote Armee in Sofia einmarschierte, die Klassen– und nicht die nationalenoder Rasseninstinkte sofort die Oberhand. Laut dem im „News Chronicle“ (bedeutsamerweise die einzige Zeitung, die in Großbritannien die Nachrichten brachten und, noch beachtlicher, nur in ihrer Frühausgaben, da sie in späteren unterdrückt wurden) veröffentlichten Bericht verbrüderten sich die Soldaten der Roten Armee mit der Zivilbevölkerung, mit der bulgarischen Armee und mit den deutschen Soldaten!Eine ekstatische Masse machte den Rot-Front-Gruß!

Wie der britische Korrespondent, der Zeuge der Ereignisse war, scharfsinnig bemerkte, hätte die Kommunistische Partei ohne jede Möglichkeit von Opposition die Macht übernehmen können, schien das aber nicht zu wollen! Was für ein geschichtliches Verbrechen wurde durch die treulose Rolle des Stalinismus begangen!

Die Aufgabe ist jedoch nicht, über die Rolle des Stalinismus und Reformismus zu meditieren, sondern sich aktiv auf den Kampf gegen sie vorzubereiten. Die militärischen Schlachten in Europa neigen sich dem Ende zu, die Ära der Klassenschlachten wird die ersetzen.

Wenn die Revolutionären Kommunisten von Deutschland zusammen mit der Vierten Internationale überall es schaffen, ihren Weg zu den Massen zu finden und starke revolutionäre Parteien aufzubauen, werden sie die Zukunft bestimmen – die der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.

1 Robert Vansittart war Staatssekretär im britischen Außenministerium, tarnte seine anti-deutsche Einstellung als Antifaschismus


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