[1988, Broschüre „Stalinism in Crisis“ (Stalinismus in der Krise), S. 1]
Seit Gorbatschows ersten Äußerungen über „Glasnost“ im Jahr 1986 und seiner Rede auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei im Februar 1987 befindet sich die herrschende Bürokratie in der Sowjetunion in Aufruhr. Noch bedeutsamer ist, dass die Spaltungen und Abspaltungen an der Spitze das Signal für die größte Bewegung der Arbeiter*innenklasse seit der Revolution von 1917 waren. Die offizielle Tageszeitung Prawda berichtete: „Das gesamte armenische Volk der Stadt Stepanakert geht täglich zu Demonstrationen und Versammlungen. Die Arbeiter haben nicht die Absicht, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren, solange die Frage [der umstrittenen Region Berg-Karabach] nicht gelöst ist“. Zur gleichen Zeit versammelten sich im 1000 Meilen entfernten Kuibyschew 10.000 Demonstrant*innen, um die Entlassung eines örtlichen kommunistischen Parteiführers zu fordern. An der Schwarzmeerküste streikten 5000 Tatar*innen und forderten eine autonome Republik.
In Estland trafen sich 100.000 Menschen in einer großen Versammlung, um die Delegierten aus der Region für den Sonderparteitag der Kommunistischen Partei Ende Juni 1988 mit klaren Anweisungen, was von ihnen erwartet wird, „zu verabschieden“.
Gorbatschow mag es vorübergehend gelingen, die gegenwärtige Bewegung mit Reformversprechen zu bändigen, aber in der UdSSR wird nichts mehr so sein wie früher. Jahrzehntelang hat sich die Bürokratie für die Fortsetzung ihrer Herrschaft auf die Passivität der Arbeiter*innenklasse verlassen. Jetzt ist die Arbeiter*innenklasse der Sowjetunion, die mächtigste der Welt, aufgewacht. Die Transparente, die auf den Straßen Moskaus zu sehen sind, spiegeln Bestrebungen wider, die weit über die Absichten von Gorbatschow hinausgehen: „Sozialismus statt Stalinismus“ und „Volks-Perestroika“. Gleichzeitig gibt es Berichte über Personen, die sich in den neuen Oppositionsgruppen engagieren, die „sehr radikal sind und wegen trotzkistischer Sympathien aus der Partei ausgeschlossen wurden“. Auch wenn viele der Oppositionsgruppen in dieser Phase von Intellektuellen dominiert werden und kein klares Programm haben, ist ihr neu gewonnenes Selbstvertrauen ein Ausdruck der tieferen Opposition gegen die Bürokratie unter den Arbeiter*innen.
Die Krise und die Spaltungen innerhalb der Bürokratie sowie die Bewegungen der Arbeiter*innen sind ein Hinweis darauf, dass in Osteuropa eine neue Epoche begonnen hat – die der politischen Revolution -, die ihren Höhepunkt im Kampf zum Sturz der stalinistischen Bürokratien und zur Wiederherstellung einer echten Arbeiter*innendemokratie in der Tradition der Russischen Revolution von 1917 finden wird.
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