(Militant Nr. 31, November 1967, S. 1 und 3)
Die biafranische Armee wird aufgerieben. Die Beförderung von Oberst Ojukwu zum General markiert die Niederlage seines kühnen Versuchs, einen autonomen Staat innerhalb der Föderation Nigeria zu errichten. Seine intelligenten und entschlossenen Manöver, wie die rasche Eroberung des Mittleren Westens, konnten dem überwältigenden Gewicht der Bundesstreitkräfte auf die Dauer nicht standhalten. Nun wird vermutet, dass er Oberst Banjo und andere Unterstützer im Mittleren Westen wegen Verrats hingerichtet hat. Die Yorubas des Westens wenden sich wieder gegen die Ibos [Igbos].
Durch den Krieg ist nichts gewonnen worden. Der Krieg ist nur ein Kapitel in der Geschichte des Zerfalls Nigerias. Diese willkürliche Schöpfung des imperialistischen Kartenmachers begann mit der Unabhängigkeit 1960 zu zerfallen. Die britische „Demokratie“ löste sich in Luft auf. Die Militärregime von General Ironsi und General Gowon erwiesen sich ihrerseits als machtlos gegenüber den zentrifugalen Kräften des Stammeswesens.
Der Ausbruch der Stammeskriege in Nigeria offenbart das wahre Erbe des Imperialismus: chronische Rückständigkeit. Großbritannien zog Westafrika in das Netz des Weltmarktes. Doch während die für die fortgeschrittenen Länder notwendigen Rohstoffe in den Maschen gefangen wurden, rutschte die Gesellschaft als Ganzes hindurch. Die Afrikaner*innen haben das dringende Bedürfnis, ihre Gesellschaft ins 20. Jahrhundert zu führen. Aber ein rückständiges Land muss sich seine Modernisierung nach der Preisliste der fortgeschrittenen Volkswirtschaften erkaufen. Und eine kräftige Injektion der modernen Industrie führt nicht automatisch zur Belebung des Patienten. Ungleichheiten werden vergrößert, soziale Spannungen verschärft, Widersprüche gewaltsam auf die Spitze getrieben. Nigeria ist immer noch ein sehr armes Land. Von den 58 Millionen Einwohner*innen sind 80 % in der Landwirtschaft tätig, die 60 % des Nationaleinkommens erwirtschaftet. Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt nur 25 Pfund und variiert regional zwischen 20 Pfund im Norden und 40 Pfund im Westen. Selbst in Ghana beträgt das Pro-Kopf-Einkommen 75 Pfund. In Großbritannien liegt es bei 350 Pfund. Die Ungleichheiten sind groß. Eine von General Gowon eingesetzte Sonderkommission stellte beispielsweise fest, dass ein ehemaliger Minister eine Million Pfund veruntreut hatte. Die Korruption unter den Beamt*innen war so weit verbreitet, dass ein Teil des Programms von General Gowon die Rückzahlung der unterschlagenen Gelder vorsah. Er versprach eine „korrigierende Regierung“.
Der nigerianische Handel verbessert sich. Im Jahr 1965 gab es einen Überschuss von 2 Millionen Pfund, verglichen mit einem Defizit von 34 Millionen Pfund im Jahr 1964. Aber die Lage ist nicht so rosig, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Riesige Kapitalmengen werden für Grundbedürfnisse wie Straßen, Bewässerung und landwirtschaftliche Verbesserungen benötigt. Die Einfuhren, vor allem von Industriegütern aus dem Westen, kosten Nigeria jährlich über 300 Mio. Pfund. Um die Probleme nur an der Oberfläche zu kratzen, das Land schuldet über 100 Mio. Pfund an ausländischen Krediten. Ein großer Teil der Ausfuhren, die zur Tilgung dieser Schulden verwendet werden (z.B. Palmöl, Erdnüsse, Kakao), ist sehr anfällig für Schwankungen auf dem Weltmarkt. In einem schlechten Jahr können die Preise um bis zu 25 % einbrechen. Und weil die Kleinbäuer*innen von den Cash-Crops angezogen werden, herrscht in Nigeria tatsächlich ein Mangel an Nahrungsmitteln, der die Preise in die Höhe treibt. Bei einem Preis von 100 im Jahr 1958 lagen die Preise 1962/3 bei 122, ’64 bei 124, ’65 bei 135 und ’66 bei 145! Dies sind die nackten Statistiken der sozialen Krise.
Was ist aus der „Zivilisation“ und der „Demokratie“ geworden, die seinen ehemaligen Untertan*innenvölkern hinterlassen zu haben sich Großbritannien rühmte? Der Fortschritt hat makabre Formen angenommen. Primitive Stammesfehden werden mit allen Utensilien der modernen Kriegsführung ausgetragen, die zu überhöhten Preisen von den Schrotthaufen der imperialistischen Mächte gekauft wurden. Ein Feind kann anhand von Stammeszeichen in seinem Gesicht identifiziert werden – und dann mit dem neuesten automatischen F. N.-Gewehr exekutiert werden.
Im Juni 1966 wurden die vier Staaten der Föderation unter dem Druck regionaler und stammesbezogener Rivalitäten in zwölf Staaten aufgeteilt. Im Juli wurde General Ironsi in der Nacht ermordet und sein Regime gestürzt. Sein Nachfolger, General Gowon, versuchte, die Macht weiter aufzuteilen, um ein vollständiges Auseinanderbrechen der Föderation zu verhindern. Der Versuch, die Macht zu delegieren, bewirkte jedoch das Gegenteil. Die Dezentralisierung der Regierung machte sie mehr denn je unfähig, die allgemeinen Probleme zu bewältigen. Die Unterbrechung der zersplitterten Verwaltungen ermöglichte es der von den nördlichen Hausas dominierten Bundesarmee, in diesem Jahr noch stärker zuzugreifen. Oberst Ojukwu erklärte die Ostregion zu einer unabhängigen Republik, die zwar noch zur Föderation gehört, aber völlig autonom ist. – Im Juli brachen Kämpfe zwischen der biafranischen und der föderalen Armee aus, und am 9. August hatten die biafranischen Streitkräfte die Kontrolle über die Region Mittlerer Westen um Benin erlangt.
Hinter den Feindseligkeiten verbargen sich tief verwurzelte Feindseligkeiten zwischen dem Ibo-Stamm im Osten und dem Hausa-Stamm im Norden. Unter britischer Herrschaft waren es die Ibo, die als Personal für die Kolonialverwaltung ausgebildet wurden. Durch ihre Schnelligkeit und Intelligenz erlangten sie nach der Unabhängigkeit in ganz Nigeria Schlüsselpositionen im Bildungswesen, in der Kommunalverwaltung und im Geschäftsleben. Ihr Erfolg und ihr Einfluss brachten ihnen das Misstrauen und die Eifersucht der Hausa und in geringerem Maße der Fulani und Yoruba ein. Auf die Frage, was mit den Ibo los sei, tippte sich ein Nordstaatler an den Kopf und sagte: „Zu viel hier oben“. Nach der Meuterei der Armee im letzten Jahr wurden 30.000 Ibo im Norden massakriert. Zwei Millionen weitere wurden gezwungen, in ihre Heimat im Osten zu fliehen.
Die Gefahren der Hegemonie des Nordens verstärkten die überwältigende Unterstützung des Ostens für die Unabhängigkeitserklärung von Oberst Ojukwu. Die Ibo spürten, dass ihre Existenz auf dem Spiel stand und dass sie notfalls für den Erhalt von Iboland kämpfen mussten. Die reichen Ölvorkommen in Biafra, die zwei Drittel der nigerianischen Jahresproduktion von 100 Millionen Pfund ausmachen, waren nicht das Hauptthema, obwohl sie zu einem wichtigen Hebel im Kampf wurden. Unter der Voraussetzung, dass die Bundesregierung Biafra anerkannte und für die ursprünglich im Rahmen des Bundesplans finanzierten, aber von Biafra bezahlten Entwicklungsprojekte aufkam, war Oberst Ojukwu bereit, 30 % der Öleinnahmen an die Föderation abzuführen. Die führenden Politiker*innen des Nordens würden eine Abspaltung jedoch nicht dulden. Sie wollen nicht die Biafraner*innen, sondern sie wollen die reichen Ressourcen ihres Territoriums.
Biafra ist kein Katanga. Es gibt keine Positionierung westlicher kapitalistischer Kräfte hinter Biafra gegen den „afrikanischen Sozialismus“ der Föderation. Shell und BP versuchten, ein doppeltes Spiel zu spielen, indem sie 250.000 Pfund der von beiden Seiten geforderten 7 Millionen Pfund an Lizenzgebühren für Biafra und den Rest für General Gowon anboten. Oberst Ojukwu sah sich gezwungen, ihre Raffinerien im Wert von 130 Millionen Pfund zu übernehmen. Die Westmächte versuchten, eine neutrale Position einzunehmen. Großbritannien leugnete, einer der beiden Seiten zu helfen, hatte aber, wie sich herausstellte, stillschweigend die private Ausfuhr unbekannter Mengen von Waffen genehmigt. Die Waffenprofiteur*innen lachten sich ins Fäustchen.
Aber wenn General Gowon keine Hawker Hunters bekommen konnte, würden russische MiGs und tschechische Delfines ausreichen. Mit dem zynischen Opportunismus, der das Markenzeichen der Außenpolitik der sowjetischen Bürokratie ist, griff sie mit Militärhilfe ein. Dies geschah unter dem Vorwand, die „Balkanisierung“ Afrikas zu verhindern. Damit stellte sich Großbritannien noch offener hinter Gowon. Trotz Ojukwus Slogan „Rettet Biafra für die freie Welt“ ist die Unterstellung, Gowon und Co. seien „Agenten des kommunistischen Sozialismus“, kaum glaubwürdig. Die westliche und russische Unterstützung für General Gowon ist lediglich eine Anerkennung der Tatsache, dass eine „Balkanisierung“ ihre Märkte stören würde und dass die Bundesarmee wahrscheinlich in jedem Fall gewinnen wird. Aber die Unterstützung des bestehenden Regimes, das sich auf ausländische Interessen, feudale Grundbesitzer*innen und einheimische Unternehmer*innen stützt, wird keinen Ausweg aus Nigerias Sackgasse bieten.
Solange die Menschen noch immer den uralten Kampf gegen Hunger, Dürre, Pestilenz und Krankheiten kämpfen – und verlieren –, sind soziale Harmonie und kultureller Fortschritt ein Ding der Unmöglichkeit. Die Vertreter*innen des kapitalistischen Systems in Afrika sind völlig unfähig, der Gesellschaft ihren Stempel aufzudrücken. Unfähig, Kapital in nennenswertem Umfang zu akkumulieren und vor den Wirtschaftsgiganten des Westens auf die Knie zu fallen, haben sie keine Chance, die Produktivkräfte ins 20. Jahrhundert zu zerren. Da sie nicht in der Lage sind, das grundlegende Problem der nationalen Einigung (die in Großbritannien im 17. Jahrhundert erreicht wurde) zu lösen, können sie von politischer Stabilität nur träumen. In Wirklichkeit ist ihr einziges Mittel zum Überleben eine „starke“ Regierung, eine Militär- und Polizeidiktatur. Der so genannte „afrikanische Sozialismus“ ist lediglich eine Rationalisierung dieser bonapartistischen Entwicklung und der Tatsache, dass Außenhandel und Entwicklungsprojekte zwangsläufig unter der Ägide des Staates stehen müssen.
Die schlafenden Riesen Afrikas müssen sich aus dem Geflecht des Weltkapitalismus befreien, wenn sie zu ihrer vollen Größe aufsteigen wollen. Unter kapitalistischer Herrschaft wird die „Balkanisierung“ jede Woche weiter vorangetrieben. Man denke nur an das Auseinanderbrechen des schwachen gemeinsamen ostafrikanischen Marktes. Man sehe sich die Zersplitterung Westafrikas an. Der einzige Weg zu künftigem Fortschritt liegt in der Zerschlagung der feudalen und kapitalistischen Ausbeuter*innen und in der Vergesellschaftung von Landwirtschaft und Industrie unter der Kontrolle der Arbeiter*innen und armen Bäuer*innen. Mit einem steigenden Lebensstandard in erheblichem Umfang würden Stammes- und regionale Gegensätze überwunden werden. Vor allem aber müssten die Produktivkräfte Afrikas zu einer einzigen Einheit zusammengeführt werden. Südafrika mit seinen großen industriellen Ressourcen ist ein entscheidender Faktor. Die Vergesellschaftung der Wirtschaft Südafrikas durch eine Erhebung der Arbeiter*innen und Bäuer*innen würde als Zündschnur für eine kontinentale Explosion dienen.
Leider sind die Kräfte der Arbeiter*innenklasse in Afrika aufgrund des Versagens des Kapitalismus selbst noch jung und schwach: Die Entwicklung des Sozialismus in einer afrikanischen Föderation würde noch von der Verbindung mit der sozialistischen Produktion in den fortgeschrittenen Ländern abhängen. Das schwarze Proletariat hat einen entscheidenden Anteil am Kampf seiner Verbündeten aus der Arbeiter*innenklasse in Europa und Amerika. Das Aufkommen des Sozialismus hier würde es der afrikanischen Gesellschaft ermöglichen, direkt vom Stammeswesen zum Sozialismus überzugehen. Die derzeitige kaleidoskopische Vielfalt der Gesellschaftsformen, vom Stammeswesen bis zum krisengeschüttelten Kapitalismus, verschlimmert jedes Problem und löst keines.
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