Lynn Walsh: Die Belagerung von Nadschaf

[eigene Übersetzung des Artikels, veröffentlicht in Socialism Today, Nr. 86, September 2004]

Drei Wochen lang lieferte sich Moktada al-Sadrs Mahdi-Armee in Nadschaf heftige Straßenschlachten mit den US-Truppen. Die US-Truppen waren aus politischen Gründen nicht in der Lage, ihren Stützpunkt im Imam-Ali-Schrein – der heiligsten Stätte des schiitischen Islam – anzugreifen. Al-Sadrs trotzige Haltung brachte ihm neue Anhänger*innen, hauptsächlich aus den ärmsten Schichten. Unterdessen sieht Iyad Allawis Handlanger*innenregierung immer schwächer aus. Lynn Walsh berichtet über die jüngsten Entwicklungen im Irak.

Anfang August brachen in Nadschaf erneute Kämpfe zwischen den US-Streitkräften und Moktada al-Sadrs Mahdi-Armee aus. Dies wurde durch das provokative Eindringen einer neu eingetroffenen US-Marineeinheit in die „Sperrzone“ ausgelöst, aus der sich die US-Streitkräfte als Teil des nach dem Konflikt im April/Mai vereinbarten Waffenstillstands zurückziehen mussten. Laut „New York Times“ (19. August) beschlossen die örtlichen Kommandeur*innen der Marineinfanterie, al-Sadrs Milizen zu zerschlagen, ohne ihre Befehlshaber*innen in Bagdad um Erlaubnis zu fragen, allerdings mit der Ermutigung des neuen US-Botschafters Negroponte.

Die übermütigen US-Marines stießen auf stärkeren Widerstand, als sie erwarteten, und mussten Verstärkung aus der US-Armee anfordern. Der Konflikt eskalierte rasch zu einer großen Konfrontation zwischen den USA und al-Sadrs Guerillakräften.

Al-Sadr rief (am 5. August) zu einem Aufstand gegen die Besatzungstruppen auf. Hunderte junger Kämpfer*innen strömten aus anderen Städten herbei, um sich seiner Mahdi-Armee anzuschließen, und Tausende kamen auch, um in der Imam-Ali-Moschee „menschliche Schutzschilde“ zu bilden. In mindestens sieben anderen schiitischen Städten im Südirak kam es zu Aufständen, von denen die meisten zu Sperrgebieten für die US-amerikanischen und irakischen Regierungstruppen wurden. Die Kämpfe flammten auch in einer Reihe von Städten im sunnitischen Dreieck, insbesondere in Falludscha, wieder auf.

Al-Sadrs Aufstand zeigte die Schwäche der Allawi-Regierung. Allawi genehmigte die US-Offensive gegen al-Sadrs Streitkräfte. Er konnte jedoch kein grünes Licht für einen US-Angriff auf die Moschee von Nadschaf, den Schrein von Imam Ali, dem Begründer des schiitischen Islam, geben. Eine ernsthafte Beschädigung der Moschee und eine Besetzung durch ausländische Truppen hätte eine Explosion unter der gesamten schiitischen Bevölkerung ausgelöst, die in der gesamten islamischen Welt Widerhall gefunden hätte.

Als Widerspiegelung ihres Dilemmas verfolgten Allawi und seine Minister*innen einen Zickzackkurs. Sie stellten al-Sadr mindestens drei Ultimaten und drohten ihm, ihn zu vernichten, wenn er die Moschee nicht verlasse. Dazwischen boten sie verschiedene Kompromisse an, nach denen al-Sadr die Moschee verlassen und sich „dem politischen Prozess anschließen“ könne. Al-Sadr erklärte sich bereit, die Moschee zu verlassen – unter der Bedingung, dass sich die US-Truppen aus Nadschaf zurückzögen. Diese „Verhandlungen“ führten zu nichts.

In der Zwischenzeit setzten die US-Truppen immer stärkere Streitkräfte ein, um Teile der Altstadt und den riesigen Friedhof im Tal des Friedens, wo ein Großteil der ersten Kämpfe stattfand, zu zerstören. Panzer, Kampfhubschrauber und Bomber wurden eingesetzt, um alle Gebäude zu zerstören, von denen man annahm, dass sie al-Sadrs Milizen Deckung boten – was zu zahlreichen Toten und Hunderten von Verletzten unter den Nichtkombattant*innen führte.

Schritt für Schritt zogen die US-Streitkräfte den militärischen Kordon um die Moschee enger. Um den 24./25. August herum gab es Anzeichen dafür, dass die Vorbereitungen für einen endgültigen Angriff getroffen wurden. Allawi behauptete, dass nur irakische Streitkräfte die Moschee betreten würden. Aber die Anwesenheit von Kontingenten der irakischen Nationalgarde war nur symbolisch. Sie wären gar nicht in der Lage gewesen, nach Nadschaf einzudringen, außer hinter massiven US-Truppen. Sie waren nur anwesend, um die Illusion einer „irakischen Operation“ zu erwecken, um die Kontrolle über die Moschee zurückzugewinnen. Al-Sadr schien die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs zu erkennen und reduzierte die Verteidiger*innen auf etwa 300 Personen für ein letztes Gefecht.

Die Ereignisse nahmen jedoch einen anderen Verlauf. Der Großajatollah al-Sistani, der sich drei Wochen lang zur medizinischen Behandlung in London aufgehalten hatte, kehrte ins Land zurück und rief zu einem Marsch aller Schiit*innen nach Nadschaf auf, um die Moschee wieder einzunehmen und den Konflikt zu beenden.

Unterstützung für al-Sadr

Al-Sadr Kontrolle über die Imam-Ali-Moschee, die er Anfang des Jahres in Besitz genommen hatte, gab ihm eine starke Basis. Die Moschee ist nicht nur eine der weltweit am meisten verehrten Stätten des schiitischen Islam, sondern Zehntausende von Pilger*innen bringen der Moschee auch beträchtliche Einnahmen. Al-Sadrs größte Massenunterstützung kommt jedoch nicht aus Nadschaf, sondern aus den armen schiitischen Vierteln von Bagdad und den Städten im Süden. Der schiitische Islam und der irakische Nationalismus haben unter den Armen und Besitzlosen schon immer einen starken Einfluss gehabt.

Bagdads Sadr City, benannt nach Masadas Vater, der 1999 von Saddam ermordet wurde, ist mit über zwei Millionen Menschen (40% der Gesamtbevölkerung der Stadt) gefüllt. Sie leben in höllisch heißen und überfüllten Slums, die von extremer Armut und Massenarbeitslosigkeit geplagt sind. Es gibt eine tief verwurzelte Wut über den ausbleibenden Fortschritt seit dem Sturz des Saddam-Regimes. Die Erinnerungen an Saddams rücksichtslose Unterdrückung des schiitischen Aufstands von 1991 sind noch stark, und viele befürchten, dass Allawi, ein ehemaliger Baathist, versuche, Saddams früheren sunnitisch dominierten Staatsapparat wieder zusammenzusetzen. Sie sehen Allawi und seine Minister*innen als Handlanger*innen der US-Besatzung.

Al-Sadrs Miliz, die Mahdi-Armee, rekrutiert sich aus diesen Schichten. Die führenden irakischen Vertreter*innen, die die potenzielle Macht der schiitischen Armen fürchtet, denunzieren die Mahdi-Armee als „Gangster“, „Fanatiker“, „ungebildetes Gesindel“ und so weiter. Doch al-Sadrs Miliz ist gut organisiert, mit einer Nachbarschafts-Kommandostruktur. Sie haben die medizinische Versorgung und die Versorgung mit Lebensmitteln organisiert. Die Miliz hat in den Gebieten, in denen sie operiert, klar starken Rückhalt. Obendrein sympathisieren Teile der Polizei mit der Miliz.

Während einer Demonstration aus Protest gegen die US-Belagerung Nadschafs „erlaubten zwei Polizeistationen in der Nähe, dass Sadr-Plakate auf den Dächern der Wachtürme angebracht wurden. Das Nachmittagsgebet wurde aus Lautsprechern übertragen, die an ein Polizeifahrzeug angeschlossen waren“. („International Herald Tribune“, 16. August 2004)

Al-Sadr wurde von anderen führenden schiitischen Vertreter*innen als junger Hitzkopf, halbgebildeter Emporkömmling usw. kritisiert. Aber er hat eine Familientradition des Widerstands geerbt. Familienmitglieder, so erinnert al-Sadr oft seine Zuhörer*innen, spielten eine prominente Rolle in der Revolution von 1920 gegen die britische Besatzung. Sein Onkel, der versuchte, eine islamische Opposition gegen Saddam aufzubauen, wurde 1980 von Saddams Schergen ermordet. Sein Vater, der Großajatollah Mohammad Sadeq al-Sadr, wurde 1999 ebenfalls von Saddam ermordet, weil er den Widerstand unter den schiitischen Armen Bagdads organisiert hatte.

Bis vor kurzem war Moktada al-Sadrs Einfluss jedoch relativ gering. Er hat jedoch dramatisch zugenommen, zum einen, weil er sich immer offener gegen die Besatzung und die irakischen Kollaborateur*innen stellt, und zum anderen, weil die US-Streitkräfte erfolglos versucht haben, ihn „festzunehmen oder zu töten“.

„Die Übergangsregierung ist illegitim und repräsentiert nicht die irakische Nation“, sagte al-Sadrs Vertreter, Scheich Azhar Kenani, vor Reporter*innen in der Moschee von Nadschaf. „Deshalb weisen wir sie zurück. Wir fordern, dass alle Besatzungstruppen unser Land verlassen“. („Observer“, 22. August)

Ein junger Milizkämpfer, der aus Amara kam, um bei der Verteidigung der Moschee zu helfen, erklärte, warum er al-Sadr unterstützt. „Sie [andere schiitische Parteien] benutzen nur islamische Slogans, um zu verschleiern, was sie tun. Said Moktada ist ein Nationalist und fordert die Rechte des irakischen Volkes und die Rechte der Armen. Er ist der einzige, der nicht das Volk verraten und mit den Amerikanern zusammengearbeitet hat“. („Guardian“, 12. August)

Die Unterstützung für al-Sadr hat in dem Maße zugenommen, wie die Enttäuschung über die „Befreiung“ durch die USA zugenommen hat. Seine unnachgiebige Opposition gegen Allawi als Vehikel für die Fortsetzung der US-Besatzung findet bei immer breiteren Schichten Anklang.

Manche Medienberichte legen nahe, dass manche Bewohner*innen von Nadschaf und anderen Konfliktgebieten wütend über al-Sadrs Taktik sind, die zu vielen zivilen Todesfällen, Verletzungen und massiven Zerstörungen in den Vierteln geführt hat. „Moktada Sadr ist nur ein weiterer Mann, der nur auf sich selbst achtet“, sagt eine Frau, die gezwungen war, ihr Haus in Nadschaf zu verlassen. „Er kümmert sich nicht um die Menschen. Wenn er sich um die Menschen kümmern würde, warum kämpft er dann? Warum werden Menschen getötet?“

Die meisten Menschen scheinen jedoch den Besatzungstruppen die Schuld zu geben. Ein hochrangiger Geistlicher aus Nadschaf, Muhammad Bahr al-Ulum, ein ehemaliges Mitglied des irakischen Regierungsrats, machte die USA und die Regierung Allawi für die Gewalt verantwortlich. „Die Amerikaner haben die heilige Stadt in eine Geisterstadt verwandelt. Sie werden jetzt als hasserfüllt gegen Nadschaf und die Schiit*innen gesehen. Nichts, was ich weiß, wird daran etwas ändern“. („Financial Times“, 14. August)

Einige schiitische Familien sind gespalten. Ein Fabrikbesitzer aus Nadschaf sagte: „Als die Amerikaner [kamen], sagten sie und wir dachten, sie seien Befreier. Jetzt halten wir sie für Besatzer. Natürlich hat Moktada al-Sadr das Recht, gegen die Besatzung Widerstand zu leisten, aber dies ist nicht die richtige Zeit. Wir sollten abwarten und sehen, was bei den Wahlen passiert.“ Sein Sohn sagte jedoch, dass er beabsichtige, sich der Mahdi-Armee anzuschließen. „Ich bin jetzt bereit, mich Moktada al-Sadr anzuschließen. Sind die Amerikaner wegen Saddam Hussein in den Irak gekommen? Nein, sie kamen wegen Geld und Öl und weil sie den Islam zerstören wollen. Sie wollen das Land kontrollieren und die armen Menschen leiden lassen. („Independent“, 14. August)

Ein anderes Mitglied der al-Sadr-Miliz sagte, dass er ursprünglich die US-Invasion im letzten Jahr unterstützt habe. Jetzt sieht er Allawi als einen Handlanger der USA und einen Tyrannen, der nicht besser ist als Saddam. „Die Amerikaner kamen hierher, um Saddam zu beseitigen, aber sie haben ihn nicht getötet. Stattdessen töten sie uns, während Saddam in einem klimatisierten Raum bleibt“. („Telegraph“, 20. August)

Die Unterstützung für al-Sadrs Haltung in Nadschaf zeigt sich an den Tausenden von Schiit*innen, die aus den schiitischen Hochburgen im Süden zum Imam-Ali-Schrein strömen. Einmal befanden sich über 3.000 „menschliche Schutzschilde“ in der Moschee.

Im Oktober 2003 zeigte eine vom irakischen Zentrum für Forschung und strategische Studien durchgeführte Umfrage, dass nur ein Prozent der Irakis al-Sadr unterstützten. Doch im Mai dieses Jahres zeigte eine Umfrage derselben Organisation, dass seine Unterstützung auf 68% gestiegen war und damit an zweiter Stelle hinter der Unterstützung für den Großajatollah Ali al-Sistani lag. Dies war das Ergebnis des Versuchs Paul Bremers, al-Sadr „festzunehmen oder zu töten“, und des damaligen Aufstands der Mahdi-Armee, vor dem sich die USA zurückziehen mussten. Im Juni ergab eine von der CPA selbst durchgeführte Umfrage, dass 81% der Irakis ihre Meinung über al-Sadr nach seinem Aufstand im April als „viel besser“ oder „besser“ bezeichneten. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage ergab zudem, dass Allawis Zustimmungsrate nur noch bei 2% liege, in etwa das selbe Niveau wie die Saddam Husseins. („Independent“, 24. August)

Al-Sadrs Programm

Al-Sadr wurde mit der Forderung nach einer islamischen Republik im Irak identifiziert, einem theokratischen Regime, das auf der Herrschaft der Kleriker und der Scharia basiert. Diese Ideologie ist die des rechten Islam, vergleichbar mit den Ansichten von Ajatollah Khomeini, dem Führer der iranischen islamischen Republik nach 1979. Gleichzeitig hat al-Sadr versucht, sich als führender Vertreter des irakischen nationalistischen Widerstands gegen die imperiale US-Besatzung zu positionieren. Seine unnachgiebige Opposition gegen die Besatzungsbehörde und ihre irakischen Kollaborateur*innen hat ihm nicht nur zunehmende Unterstützung unter den Schiit*innen im gesamten Irak gewonnen, sondern auch unter Sunnit*innen Unterstützung gebracht.

In den letzten Monaten hat sich al-Sadr hinsichtlich seines Wunsches nach einer islamischen Republik im Irak zurückhaltender gezeigt. Nachdem der US-Prokonsul Paul Bremer im vergangenen Jahr den inzwischen aufgelösten irakischen Regierungsrat eingesetzt hatte, rief al-Sadr einseitig eine ausschließlich aus seinen eigenen Anhänger*innen zusammengesetzte alternative Regierung aus. Dies erhielt wenig Unterstützung von anderen Gruppen. „Jedoch“, schreibt Sami Ramadani, „auf die Frage nach dem politischen und sozialen Programm von al-Tayyar al-Sadri (der Sadr-Strömung) sagte einer von al-Sadrs wichtigsten Sprechern letzte Woche, dass al-Sadr die Veröffentlichung eines solch detaillierten Programms ablehne, weil es auf einer Konferenz aller irakischen politischen Kräfte entwickelt und vereinbart werden müsse.“ (There’s More to Sadr than Meets the Eye [Es steckt mehr in Sadr, als in den Blick fällt], „Guardian“, 24. August)

Al-Sadr scheint zumindest bis zu einem gewissen Grad zu erkennen, dass die Idee eines Regimes im Stil von Khomeini im Irak, der eine andere ethnische und religiöse Zusammensetzung und eine andere Geschichte als der Iran hat, keine breite Unterstützung findet. Obwohl die Schiit*innen die Mehrheit bilden (etwa 60%), gibt es auch Sunnit*innen, Kurd*innen und andere Minderheiten sowie säkulare Strömungen, die sich von der Idee einer schiitischen Theokratie nicht angesprochen fühlen. Es wird berichtet, dass al-Sadr kürzlich mit seinem klerikalen Mentor Kazen al-Haeri, einem khomeinistischen Ajatollah mit Sitz im Iran, brach. (Unruly Hero [Widerborstiger Held], „Financial Times“, 21. August) Dies mag auf einen Versuch hindeuten, sich vom Khomeiniismus zu distanzieren und einen breiteren nationalistischen Appell an die Oppositionskräfte des Irak zu richten.

„Sowohl säkulare als auch islamische Anti-Besatzungskräfte im Irak beginnen nun, ihre Zurückhaltung gegenüber Moktada al-Sadr aufzugeben und stellen sich offen auf die Seite seiner Widerstandskräfte in Nadschaf“, schreibt Sami Ramadani. „Der Nationale Stiftungskongress, die einflussreiche Dachorganisation, die die meisten religiösen, nationalistischen und anderen säkularen Kräfte in Opposition gegen die US-Besatzung vertritt, legte am Samstag einen bereits von Sadr gebilligten Acht-Punkte-Vorschlag zur friedlichen Beendigung der Krise in Nadschaf vor. („Guardian“, 24. August) Der Vorschlag war im Wesentlichen pro-Sadr, da er ein Ende der Offensive der US-geführten Streitkräfte in Nadschaf, Bagdad und anderen Gebieten des Irak forderte.

Al-Sadr scheint zu versuchen, sich Hassan Nasrallah zum Vorbild zu nehmen, den führenden Vertreter der radikalen libanesischen Schiit*innenbewegung Hisbollah, die Israel im Jahr 2000 zum Rückzug aus dem Libanon zwang. Nachdem sich die Hisbollah als mächtige Guerillatruppe etabliert hatte, hat sie sich auch zu einer starken politischen Partei im Libanon entwickelt. Der Irak ist jedoch nicht der Libanon, genauso wenig wie der Iran, und es bleibt abzuwarten, wie sich die Bewegung Sadrs entwickeln wird.

In Bezug auf die rasch wachsende Unterstützung für al-Sadrs Mahdi-Armee bemerkt Ramadani, dass „die meisten Eltern und Großeltern der jungen Sadri-Patrioten wahrscheinlich Anhänger der einst mächtigen Irakischen Kommunistischen Partei waren, die jetzt in der Übergangsregierung von Iyad Allawi ist …“.

Die derzeitige Dominanz schiitischer und sunnitischer rechter islamischer Kräfte im nationalen Widerstand ist in der Tat eine deutliche Verurteilung der „kommunistischen“ Partei und der stalinistischen Politik, die einst den vorherrschenden Einfluss auf die Arbeiter*innenbewegung im gesamten Nahen Osten hatte. In der Periode nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich starke säkulare Kräfte, darunter auch Arbeiter*innenorganisationen. Die führenden stalinistischen Vertreter*innen waren im Schlepptau der führenden bürgerlich-nationalistischen Vertreter*innen, einschließlich der Militärdiktatoren (wie Qasim und später Saddam im Irak), die ihre Unterstützung mit rücksichtsloser Unterdrückung belohnten. Heute unterstützt die Partei die Regierung Allawis und befürwortet eine breite Koalition für die angekündigten Wahlen auf der Grundlage der Unterstützung für „Demokratie“ und eine gemischte Wirtschaft (eine kapitalistische Wirtschaft mit einem staatlichen Sektor). Die „Financial Times“ beschreibt den führenden Vertreter der Partei, Hamid Majid Mousa, als „abgesehen von seinem kommunistischen Etikett in vielerlei Hinsicht den idealen Partner der USA“. (12. August)

Nachdem sie von bürgerlichen nationalistischen Parteien und stalinistische Karikaturen von „sozialistischen“ und „kommunistischen“ Parteien immer wieder enttäuscht sind, hat sich eine neue Generation führenden islamischen Vertreter*innen wie al-Sadr und seinen sunnitischen Gegenstücken im Untergrund zugewandt.

Durch einen nationalistischen Guerillawiderstand werden schiitische und sunnitische islamische und vielleicht auch andere Kräfte die USA und ihre Verbündeten früher oder später vertreiben. Wie bei Guerillakämpfen in der Vergangenheit wird das irakische Volk wahrscheinlich einen hohen Preis in Form von Tod, Verletzungen und sozialer Zerstörung zahlen. Obendrein, wenn sie an die Macht kämen, wäre keiner der führenden islamischen Vertreter*innen in der Lage, Lösungen für die brennenden Probleme von Armut, sozialer Wohlfahrt, wirtschaftlichem Fortschritt und demokratischen und nationalen Rechten zu finden. Wie das Khomeini-Regime im Iran zeigte, sind die „radikalen“ Islamist*innen zu sehr an die traditionellen Stammesführer*innen, Großgrundbesitzer*innen und den Basar (Händler*innen und Kleinkapitalist*innen) gebunden, um aus der kapitalistischen Zwangsjacke auszubrechen und die Ketten des Imperialismus erfolgreich abzuwerfen. Grundlegende Probleme werden nur durch eine gesellschaftliche Umgestaltung mit sozialistischen Zielen gelöst werden. Das bedeutet, den Widerstand gegen den Imperialismus mit einer demokratischen Massenbewegung zu verbinden, in der die Arbeiter*innenklasse und andere unterdrückte Schichten die führende Rolle spielen.

Der Waffenstillstand

Am 26. August, nach 22 Tagen von intensivem Konflikt, wurde die Krise in Nadschaf von al-Sistani entschärft, der von einer dreiwöchigen medizinischen Behandlung in London zurückkehrte. Al-Sadrs Truppen in der Moschee waren von schwer bewaffneten US-Streitkräften, die sich durch die Altstadt bis zur Moschee vorgekämpft hatten, dicht umzingelt. Es wurde berichtet, dass sich nur noch etwa 300 von al-Sadrs Kämpfer*innen in der Moschee befanden, auf ein letztes Gefecht vorbereitet. Al-Sistani ergriff jedoch die Initiative und änderte die Lage dramatisch. Er rief zu einem Marsch aller Schiit*innen nach Nadschaf auf, um die Moschee zurückzufordern und die Kämpfe zu beenden, und schlug Bedingungen für den Rückzug der US/Allawi-Regierungstruppen sowie von al-Sadrs Milizen vor.

Tausende machten sich auf den Weg, und etwa 20.000 erreichten die Moschee. Ein paar Versuche wurden von der irakischen Polizei und der Nationalgarde unternommen, die Demonstrant*innen am Betreten der Moschee zu hindern, und mehrere Dutzend Demonstrant*innen wurden getötet und zahlreiche verwundet. Die französische Nachrichtenagentur AFP berichtete (26. August): „Die Tore des Imam-Ali-Schreins in Nadschaf wurden am Donnerstag von einem Meer weinender und rufender schiitischer Muslim*innen aufgestoßen… Außerhalb der Altstadt spielte sich eine surreale Szene ab, als verwirrte amerikanische Soldaten, die in ihren Panzern festsaßen, zusahen, wie ihnen Sistani- und Moqtada-Plakate vor die Gesichter gehalten wurden.“

Ein Sistani-Marschierer sagte: „Gott ist groß. Dies ist die Demokratie, dies ist der neue Irak, dies ist die größte Niederlage, die wir den Amerikanern hätten zufügen können…“ Ein anderer junger Marschierer aus Amara sagte: „Als wir das Gebiet erreichten, versuchten die Nationalgarde und die irakische Polizei, uns daran zu hindern, zum Schrein zu gehen, aber sie konnten nichts tun…“ Vor den Toren des Schreins sagte ein junger Mahdi-Milizionär: „So Gott will, ist die Schlacht vorbei, aber ich werde meine Waffe an einem sicheren Ort aufbewahren, denn ich habe das Gefühl, dass ich sie bald wieder brauchen könnte“.

Das von al-Sistani vorgeschlagene Abkommen sah vor, dass al-Sadr die Kontrolle über die Moschee an al-Sistani übergeben und die Mahdi-Armee sich entwaffnen und abziehen solle. Alle ausländischen Truppen hätten Nadschaf zu verlassen. Die irakische Regierung würde die Nadschaf zugefügten Zerstörungen beseitigen. Der entscheidende Punkt war jedoch, dass „Besucher*innen“ – d. h. die schiitischen Demonstrant*innen – die Moschee betreten und bis Freitagmittag bleiben durften. Dies würde den Kräften von al-Sadr die Möglichkeit geben, die Moschee friedlich zu verlassen.

Al-Sistanis Vorschlag war eine gesichtswahrende Lösung, die keine der beteiligten Parteien ablehnen konnte. Al-Sadr wurde eine Möglichkeit zum ehrenhaften Rückzug gegeben. Seine Miliz löste sich in der Menge auf. Selbst wenn sie ihre Waffen aufgeben, können sie später leicht neue erwerben. Die Mahdi-Armee wird eine Kraft bleiben, mit der man rechnen muss. Ihre Unterstützung speist sich aus den tief verwurzelten Beschwerden der ärmsten Bevölkerungsschichten.

Allawis Regierung war auch gezwungen, das Abkommen zu akzeptieren. Sie hatte al-Sadr mindestens drei unwirksame Ultimaten gestellt. Allawi hätte es gerne gesehen, wenn al-Sadrs Streitkräfte zerschlagen und al-Sadr selbst eliminiert worden wäre. Aber sie konnten es sich nicht leisten, den US-Truppen das gewaltsame Eindringen in die Moschee zu erlauben. Ein ranghoher (anonymer) irakischer Beamter räumte ein, dass al-Sistanis Vereinbarung es al-Sadrs Milizionär*innen ermöglichen werde, unbehelligt nach Bagdad und in andere irakische Städte zurückzukehren. „Wir werden die meisten von ihnen entkommen lassen“, sagte der Beamte. („Washington Post“, 27. August)

Durch seine Initiative zur Entschärfung der Krise hat al-Sistani zweifellos seine Autorität gestärkt und einen Teil der Unterstützung zurückgewonnen, die er durch seine Abwesenheit in London (der Hauptstadt einer der Besatzungsmächte) zu einem so entscheidenden Zeitpunkt verloren hatte. In den Augen vieler Schiit*innen war er allein in der Lage, die Kämpfe zu beenden, die Nadschaf verwüstet haben und den Imam-Ali-Schrein schwer zu beschädigen drohten.

Al-Sistanis Aufforderung an die Regierung Allawi, die Schäden in Nadschaf zu beheben, ist von großer Bedeutung, auch wenn es zweifelhaft ist, ob Allawi oder die USA eine solche Vereinbarung einhalten werden. Obwohl das Heiligtum nicht ernsthaft beschädigt wurde, ist die Altstadt von Nadschaf jetzt „eine höllische Landschaft aus stehendem Wasser, Schweizer Käse-Mauern und zerstörten Hotels“. („Washington Post“, 27. August) Ein Offizier der US-Armee verglich sie mit Stalingrad, ein anderer mit Sarajewo und ein dritter mit Beirut. Die US-Streitkräfte verloren während der 21-tägigen Kämpfe etwa elf Soldat*innen. Doch der Einsatz schwerer Waffen, darunter Panzer und luftgestützte Raketenwerfer, hat Hunderten von Milizionär*innen und nicht kämpfenden Zivilist*innen das Leben gekostet.

Das Waffenstillstandsabkommen scheint (bei Redaktionsschluss) zu halten. Die US-Truppen haben sich aus Nadschaf zurückgezogen. Aber selbst wenn er kurzfristig hält, löst der Waffenstillstand nichts. Er ist lediglich eine vorübergehende Atempause.


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