[Sommer 1934, eigene Übersetzung des französischen Textes in Œuvres 4, S. 182-186, verglichen mit der englischen Fassung]
1 – Die Einschätzung des katalanischen Konflikts und der sich daraus ergebenden Möglichkeiten muss von der Tatsache ausgehen, dass Katalonien heute unbestreitbar die stärkste Position der Defensivkräfte gegenüber der spanischen Reaktion und der faschistischen Gefahr darstellt. Wenn diese Position verloren ginge, hätte die Reaktion einen entscheidenden Sieg errungen, und zwar für lange Zeit. Mit der richtigen Politik könnte die proletarische Avantgarde diese defensive Bastion als Ausgangspunkt für eine neue Offensive der spanischen Revolution nutzen. Dies sollte unsere Perspektive sein.
2 – Diese Entwicklung ist nicht möglich, solange es dem katalanischen Proletariat nicht gelungen ist, die Führung im Abwehrkampf gegen die reaktionäre Zentralregierung in Madrid zu übernehmen. Aber das ist nicht möglich, wenn das katalanische Proletariat nur verspricht, diesen Kampf zu unterstützen, falls er [von anderen Kräften initiiert wird. Die Politik des Proletariats darf] weder von der Unnachgiebigkeit der Madrider Regierung noch der reaktionäre Charakter der katalanischen Kleinbourgeoisie [abhängen]. Mauríns Mitläuferpolitik wird von unseren Genossen in der Arbeiterallianz von Katalonien fortgesetzt. Dies [d.h. ein Erfolg] ist jedoch nur möglich, wenn sie sich an die Spitze der Verteidigungsbewegung stellt, die Perspektiven beleuchtet, immer mutigere Losungen ausgibt und beginnt, die Führung des Kampfes zu übernehmen – nicht mit Worten, sondern mit Taten.
3 – Ein siegreicher Widerstand ist nur denkbar, wenn er nicht nur alle Kräfte der Massen mobilisiert – und dafür existieren jetzt alle Vorbedingungen -, sondern wenn er nach vorne drängt, in die Offensive. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, dass die proletarische Avantgarde den Arbeiter- und Bauernmassen im übrigen Spanien schon jetzt erklärt, dass der Sieg oder die Niederlage des katalanischen Widerstands auch über ihren eigenen Sieg oder ihre Niederlage entscheiden wird. Diese Verbündeten müssen jetzt in ganz Spanien mobilisiert werden und nicht erst, wenn die reaktionäre Offensive [Madrids] zur Tatsache geworden ist. (Dies ist die Position unserer Genossen und der Mehrheit des Komitees der Arbeiterallianz).
4 – Katalonien kann die Achse der spanischen Revolution bleiben. Die Übernahme der Führung in Katalonien muss die Grundlage für unsere Politik in Spanien sein. Aber die Politik unserer Genossen macht dies völlig unmöglich. Man muss diese Politik sehr schnell ändern, wenn man nicht will, dass eine entscheidende Lage durch unsere Schuld in einer weiteren Niederlage endet, die für lange Zeit entscheidend sein könnte.
Wir dürfen nicht verhehlen, dass die Politik unserer Genossen in dieser Frage dem Ansehen nicht nur unserer Organisation und der Arbeiterallianz, sondern des Proletariats selbst schweren Schaden zugefügt hat, der nicht wieder gutgemacht werden kann, es sei denn, es kommt zu einer radikalen Wende 1und einem Beweis durch die Tatsachen. Die Position unserer Genossen und diejenige der Arbeiterallianz kann von den nichtproletarischen Werktätigenmassen nur so verstanden werden: Das Proletariat ist durch seine Organisationen bereit, mitzumachen, wenn die anderen anfangen. Aber es verlangt dafür seinen Preis (vgl. die von der Arbeiterallianz auferlegten Bedingungen) von der katalanischen Esquerra, ignoriert völlig die Sonderinteressen der Bauernschaft und der kleinbürgerlichen Massen und wird sich bemühen, den Kampf so schnell wie möglich auf seine eigenen Klassenziele, die Diktatur des Proletariats, zu lenken. Anstatt als Führer aller unterdrückten Schichten der Nation, als Führer der nationalen Befreiungsbewegung aufzutreten, erscheint das Proletariat hier nur als Partner der anderen Klassen: ein in der Tat sehr egoistischer Partner, dem man etwas geben oder vielmehr versprechen muss, weil und solange man ihn braucht. Die katalanische Kleinbourgeoisie, die Großbourgeoisie und die Reaktion, die sich auf den Bankrott der Kleinbourgeoisie stützten, konnten sich nichts Besseres wünschen als das Proletariat in einer solchen Position.
5 – Unsere Genossen müssen ihre Wende vor allem darauf gründen: Sie müssen (durch ihre eigene Organisation wie durch die Arbeiterallianz) für die Ausrufung einer unabhängigen katalanischen Republik agitieren und zu deren Sicherung die sofortige Bewaffnung des ganzen Volkes fordern. Sie dürfen nicht darauf warten, dass die Regierung sie bewaffnet: Sie müssen sofort Arbeitermilizen bilden, die nicht nur von der Regierung eine bessere Ausrüstung verlangen, sondern sie auch durch die Entwaffnung der Reaktionäre und Faschisten erhalten. Das Proletariat muss den katalanischen Massen beweisen, dass es ein aufrichtiges Interesse an der Verteidigung der katalanischen Unabhängigkeit hat. Darin wird der entscheidende Schritt zur Eroberung der Führung im Kampf aller Schichten liegen, der auf die Verteidigung sowohl der Stadt als auch des Landes vorbereitet ist. Die Volksbewaffnung muss in den kommenden Wochen zum Zentrum unserer Agitation rund um folgende Losungen werden: „Keine Lohnabzüge! Die Regierung und die Unternehmer müssen die Kosten für die Ausrüstung und die Reserven tragen!“. Man muss als Ausbilder für die Bildung der Milizen die bestehenden Streitkräfte einstellen, die Offiziere müssen von den Milizen gewählt werden. Die Basis der Miliz ist die Fabrik.
Die Arbeiter der Großindustrie, der Eisenbahnen usw. und aller öffentlichen Dienste müssen automatisch Teil dieser Miliz sein. Die Mehrheit des Volkes muss dazu aufgerufen werden, sich ihr anzuschließen. Jedes Regiment wählt sein Komitee, das seinerseits einen Vertreter in das Zentralkomitee aller Milizeinheiten Kataloniens entsendet. Das Zentralkomitee – d. h. der Zentralsowjet – funktioniert wie der politische Staat, aber in erster Linie als Kontrollorgan und später als zentrale Behörde für den Nachschub und die Ausrüstung der Streitkräfte. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe wird er [vom] Organ neben der Regierung, zur Regierung selbst im eigentlichen Sinne. Dies ist die Form, die konkrete Entwicklung der Sowjets in der gegenwärtigen Lage in Katalonien.
6 – Aufgrund seiner tiefen inneren Spaltung, die es ihm nicht erlaubt, seine Hegemonie in Katalonien zu errichten, kann das Proletariat in der gegenwärtigen Lage nicht allein die Unabhängigkeit Kataloniens ausrufen. Aber es kann und muss mit aller Kraft zur Unabhängigkeit aufrufen und sie von der kleinbürgerlichen Regierung der Esquerra einfordern. Er muss auf deren Verzögerungsmanöver mit der sofortigen Abhaltung von Wahlen reagieren. „Wir brauchen eine Regierung, die den tatsächlichen Kampfwillen der Volksmassen vertritt und leitet.“ Die Regimentskomitees der Miliz müssen zum Hauptmittel für die Vorbereitung und Durchführung dieser Wahlen werden. Mit anderen Worten: In dem Maße, in dem die beiden Phasen des Problems, die Proklamation der Unabhängigkeit und die Bewaffnung des Volkes, voneinander getrennt werden können, muss die erste mittels der zweiten verwirklicht werden.
7 – Das Proletariat muss nicht nur die demokratischen Forderungen (Pressefreiheit, billiger Staat, Nivellierung der Beamtengehälter, demokratische Wirtschaft, Abschaffung der indirekten Steuern2, direkte progressive Steuer auf die Eigentümer zur Finanzierung des Widerstands usw.) nicht nur für sich selbst und zusätzlich zu seinen eigenen Klassenforderungen vorbringen, sondern auch alle spezifischen Forderungen der Bauern und der kleinbürgerlichen Massen zusätzlich zu früheren Forderungen vorbringen.
Es fehlt an Informationen über die Einzelheiten der Agrarfrage, aber das Proletariat muss vor allem aus eigener Initiative die Massen mit den Losungen und Forderungen bewaffnen, für die sie kämpfen sollen. Aber [es darf] diese Forderungen nicht als Bedingungen darstellen, um selbst bereit zu sein, am Kampf teilzunehmen.
1In der englischen Fassung der Schluss des Satzes: „beruhend auf einem Verständnis der Tatsachen“.
2In der englischen Fassung: „mehr indirekte Steuern“, offensichtlich ein Fehler.
Schreibe einen Kommentar