[12. Juli 1934, eigene Übersetzung des französischen Textes]
Werter Genosse Craipeau!
Nach meinem letzten Brief an Sie lege ich meinen Standpunkt in einem Brief an die Leitung dar, aber ich fühle das Bedürfnis, das, was ich Ihnen geschrieben habe, zu vervollständigen. Es handelt sich in erster Linie um die J.S. Die von Ihnen gezeichnete Perspektive ist sehr verlockend, aber ich habe Angst, dass sie bis zu einem gewissen Grad zu optimistisch ist und dass die Fehleinschätzung von der gleichen Art ist wie die, die Sie daran hindert, die Notwendigkeit einer mutigen Wende zu erkennen.
Sie sagen: „Wir sind 150, die J.S. in Paris 950. Sie befinden sich im Kampf gegen ihre Leitung. Es gibt nur uns, die ihnen eine neue Leitung geben können. Wir werden 1000 Bolschewiki-Leninisten sein“. Wie sicher sind Sie sich da? Die jungen Leute neigen zu unseren Ideen. Ein Teil von ihnen, nehme ich an, ist entschlossen, uns bis zum Ende zu folgen. Aber die Mehrheit, die vor die Notwendigkeit gestellt wird, sich endgültig und unwiderruflich zwischen uns und der S.F.I.O. zu entscheiden, wird sich gegen uns entscheiden, um sich nicht von der Arbeitermasse zu trennen. Und in diesem Moment werden Sie jeden Zugang zu den jungen Sozialisten verlieren. Vergessen Sie nicht die Macht des Apparats. Er verfolgt genau, was unter der Jugend geschieht, und er hat ein Instrument von imposanter Macht in seinen Händen: die Einheitsfront mit den Stalinisten. Paul Faure wird, wenn er es nicht schon gesagt hat, der Jugend sagen: „Ihr müsst euch entscheiden zwischen der kleinen Gruppe der Leninisten, die die Idee der Einheitsfront nur verkündet, und der wirklichen Einheitsfront, die durch die S.F.I.O. und die P.C. repräsentiert wird.“ Es gibt bereits Symptome, dass die jungen Sozialisten ihre Wahl zugunsten dessen treffen, was ihnen als die realisierte Einheitsfront (S.F.I.O. + P.C.) erscheint. Erinnern Sie sich gut an das Experiment mit den PUPisten. Es war eine kleine Probe dessen, was mit den Sozialisten wiederholt werden sollte. Wir standen auch fast kurz vor der Fusion. Dann gab es den Druck des Apparats, der die proletarische Einheit (S.F.I.O. + P.C. + P.U.P.) gegen die kleine Sekte der Leninisten stellte, und als Ergebnis brach Ihre ganze Perspektive zusammen. Es ist richtig, dass die J.P.U. auch zusammengebrochen ist, aber die J.S., wie sie heute vom ideologischen Standpunkt aus gesehen ist, kann genauso gut durch den Kontakt mit den Stalinisten zusammenbrechen, ohne irgendeinen Nutzen für die Revolution. In jedem Fall, Sie werden vielleicht fünfzig von diesen tausend haben, und dann noch mehr. Gerade diese 50, die bereit sind, uns zu folgen, neigen dazu, sich dem Eintritt in die P.S. zu widersetzen. Aber die 900 wären sehr froh, wenn Sie sie nicht schon heute dazu zwingen würden, sich zwischen den richtigen Ideen, die sie nicht ausreichend verstehen, und der „Einheitsfront“, die sich auf die Massen stützt, zu entscheiden. Wenn Sie in die J.S. eintreten, schaffen Sie die Möglichkeit, nicht nur die Tausend von Paris zu gewinnen, sondern Ihren Einfluss in ganz Frankreich zu verbreiten. Ohne diese Möglichkeit würde die Bürokratie eine Fehlgeburt herbeiführen.
Natürlich sind die 50 (ich nehme diese Zahl nur als Hypothese an), die uns treu sind, ein sehr wertvolles Element für uns, aber da sie bereits den Kern unserer Ideen verstanden haben, werden sie sehr wohl in der Lage sein, auch die Notwendigkeit einer breiten umhüllenden Aktion zugunsten derselben Ideen zu verstehen, während die anderen, die 900, noch gewonnen werden müssen.
Was bedeutet die fast allgemeine Abneigung gegen den Vorschlag der Genossen von Bes.? Dass der Hass gegen den Reformismus, den Sozialpatriotismus und die Zweite Internationale in unseren Reihen tief verwurzelt ist, trotz des Ekels, den wir – und mit wie viel Grund – vor der Politik der Stalinisten empfinden. Aber ohne diese unversöhnliche Animosität gegen die Reformisten wäre der Vorschlag von Bes. überhaupt nicht möglich, denn es handelt sich um ein völlig einzigartiges Manöver (im guten und nicht im schlechten Sinne des Wortes), das von außergewöhnlichen Umständen diktiert wird und viele Risiken für die Organisation, die es unternimmt, beinhaltet. Passive Feindseligkeit gegen den Reformismus reicht jedoch nicht aus. Man muss ihm einen Schlag versetzen können, und die Umstände erlauben diesen Schlag nur von innen heraus, indem man gleichzeitig das Gros der Partei vor dem Zerfall rettet und für die Revolution gewinnt.
Der Gang der Ereignisse – vergessen Sie das nicht, ich flehe Sie an – lässt uns nur noch sehr wenig Zeit, vielleicht nur noch ein paar Monate. Die Lage kann nur durch eine plötzliche und kraftvolle Erholung der proletarischen Avantgarde gerettet werden. Wenn sich diese Perspektive verwirklicht, werden wir von der Radikalisierung der sozialistischen Arbeiter weit nach oben getragen und werden in wenigen Monaten die Früchte der Arbeit der vergangenen Jahre ernten. Wenn im Gegenteil das französische Proletariat der Katastrophe geweiht ist (was ich nicht glauben will), ist die völlige Zersetzung der beiden großen Parteien unvermeidlich, aber der mutigste Kern der S.F.I.O. wird mit uns in der Illegalität bleiben, wenn wir heute in ihre Reihen eintreten.
Man muss die unmittelbaren Aufgaben erkennen, nicht aus dem Blickwinkel einiger vorgefertigter Formeln oder traditioneller und im Grunde berechtigter Gefühle, sondern aus dem Blickwinkel der gesamten Lage, die beispiellos ist und uns angemessene Entschlüsse abverlangt.
Hier sind meine Schlussfolgerungen: Wir haben das Aktionsprogramm auf den Weg gebracht. Es ist die Zusammenfassung einer langen propagandistischen Periode. Jetzt muss man eine Bilanz der Ergebnisse dieser wichtigen Aktion ziehen können; aber nicht eine vage, um nicht zu sagen fiktive Bilanz, wie sie schon oft genug gezogen wurde, sondern eine ernsthafte und gewissenhafte Bilanz, die sich in Zahlen und Fakten ausdrückt. Ein Monat, beginnend mit dem Zeitpunkt des Starts, sollte dafür mehr als ausreichend sein.
In der gleichen Zeit, d.h. in den verbleibenden zwei bis drei Wochen, müssen Sie Ihre Beziehungen zu den J.S. und ihre Dialektik objektiver beurteilen und aus diesen beiden Erfahrungen die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen. Vor allem sollten Sie keine Zeit verlieren. Es bleibt nicht mehr viel Zeit.
P.S.: Diesen Schlussfolgerungen möchte ich noch einige Überlegungen hinzufügen: zur Losung einer neuen Partei einerseits und zur organischen Einheit (Zusammenschluss von S.F.I.O. und P.C.) andererseits. Um von der Masse verstanden zu werden, sollten wir die Frage folgendermaßen stellen: „Auch wir sind keine Gegner der organischen Einheit, aber unter der Bedingung, dass ihr eine Klärung auf beiden Seiten vorausgeht. Die Bolschewiki hatten für ähnliche Situationen eine feste Formel: erst die Abgrenzung, dann die Vereinigung.“ In diesem Rahmen hätte unser Eintritt in die S.F.I.O. den Zweck, die vorherige Abgrenzung zu beschleunigen, um die Vereinigung der proletarischen Avantgarde vorzubereiten. Ich bitte Sie, diesen Brief an die Genossen in der Führung weiterzuleiten, die die Absicht äußern, ihn zu kennen.
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