[19.-20. September 1933, eigene Übersetzung der französischen Übersetzung]
19. September 1933
Meine liebe Natalotschka, heute war ein schwieriger, aber guter Tag für mich: lebhafte und heiße Diskussionen mit R. M., in Anwesenheit und mit Beteiligung von Ljowa, Blasco, Erwin, Lesoil und allen unseren Leuten von hier. Ich redete viel, zeitweise sehr schroff, aber nicht beleidigend, sondern väterlich, und das spürten alle. Es entstand eine Atmosphäre des Zusammenhalts, der Aufmerksamkeit, und ich fühlte mich wie … der alte Schulmeister. Dann kam Ljowusjatka zu mir ins Zimmer; zuerst gab es ein paar belanglose Sätze, dann erzählte ich ihm etwas über mich, er legte seinen Kopf auf meine Schulter, umarmte mich und sagte: „Papotschka, ich liebe dich so.“ Ganz wie ein kleiner Junge. Ich umarmte ihn ganz fest und drückte meine Wange an seinen Kopf. Er spürte, dass ich gerührt war, und ging auf Zehenspitzen aus dem Zimmer … Danach gab es noch ein Gespräch unten im Esszimmer, aber es war überhaupt kein politisches Gespräch mehr, sondern ein ruhiges Gespräch in einem „intimen“ Ton. Alle Augen sahen mich so liebevoll an und ich fühlte mich wieder als Starez [Ältester], aber ohne Bitterkeit, sondern eher mit einer gewissen Wärme, vielleicht leicht mit Traurigkeit vermischt. Während dieses Gesprächs fing ich oft den glänzenden Blick des kleinen Ljowa auf, der auf mir ruhte. Er sieht nicht gut aus; er ist blass und hat einen erdigen Teint. Lesoil und Blasco sind soeben abgereist (mit dem Zug); Raymond, Ljowa und Bauer fahren morgen früh mit dem Automobil ab. Ich bedauere, dass Ljowa geht; hier werde ich sehr gut behandelt, aber es gibt niemanden, der ganz mein ist.
Der heutige Tag hat mich doch müde gemacht und ich möchte schlafen gehen; es ist jetzt halb zehn. Guten Abend, meine Natalotschka, mein kleiner Schatz, schläfst du gut? Mit Adalin oder ohne? Mach’s gut, sei ruhig.
Dein
L.
Am 20. [September 1933]
In der Nacht, wenn ich aufwachte, habe ich oft laut nach dir gerufen: Natalotschka, wo bist du? Guétier sagte, dass das Alter uns nicht in die Kindheit zurückfallen lässt, sondern dass es, wenn es zu uns kommt, echte Kinder findet. Nachdem ich mich tagsüber als eine Art Starez [Ältester] voller Weisheit gefühlt hatte, fühlte ich mich nachts wie ein verlassenes kleines Kind, das nach seiner Mutter ruft.
Gehabt euch wohl, liebe Natalotschkas
Ljowa hat diesen Brief vergessen (ich hatte ihn daran erinnert!).
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