Leo Trotzki: Brief an das IS

[19. März 1934, eigene Übersetzung des französischen Textes in Œuvres 3, November 1933 – April 1934, dort unter dem Titel: „La résolution de la conférence des jeunes“, „Die Resolution der Jugendkonferenz“, verglichen mit der englischen Übersetzung in Writings of Leon Trotsky, Bd. 14, dort unter dem Titel „The Youth’s Conference unsatisfactory resolution“, „Die unbefriedigende Resolution der Jugendkonferenz“]

Die Resolution gibt einen völlig enttäuschenden Eindruck. Der gesamte Text beruht auf Halbwahrheiten, Zweideutigkeiten und Ausdrücken, die radikal klingen, aber vor den Konsequenzen zurückschrecken. Martows Dokumente in Zimmerwald und Kienthal waren viel radikaler. Mit einem Wort: Das Dokument ist vollkommen zentristisch.

Ich möchte hier nur die wenigen Punkte hervorheben, in denen unsere Delegation eine unzulässige Tendenz zur Versöhnung gezeigt hat.

1. Schon im Titel lesen wir: „Konferenz der revolutionär-sozialistischen Jugendorganisationen“. Aber wir sind Kommunisten und nicht Sozialisten. Warum hat man nicht in den Titel unseren wahren1 Namen aufgenommen: „Sozialistische und kommunistische Jugendorganisationen“? Hatten unsere Delegierten das verlangt? Oder sind sie einfach über dieses „Detail“ hinweg gerutscht? Die Politik, zumindest in der Vorbereitungsphase, besteht aus ähnlichen Details.

2. Die Frage des Zentrismus wurde völlig mit Schweigen übergangen. Nur ein einziges Mal, in Paragraf VII (Seite 4), finden wir den Zentrismus, der zwischen Reformismus und Stalinismus genannt wird. Aber das Wort wird nur als juristisches Alibi benutzt. Man sagt nichts darüber, dass nicht nur die unabhängigen Organisationen, sondern auch die Zweite Internationale den Zentrismus in all seinen Schattierungen widerspiegeln, und dass aus diesem Grund der Aufbau der Vierten Internationale gerade durch die Emanzipation der Arbeiterjugend von der zentristischen Verwirrung erfolgen muss. Einer meiner Briefe an Glotzer war dieser sehr wichtigen Frage gewidmet und, wie mir gesagt wurde, wurde er vom IS als völlig korrekt beurteilt. Man findet nicht die geringste Spur dieser Position in dem Dokument. Die „scharfe“, „unversöhnliche“ Kritik am Reformismus und Stalinismus dient in Wirklichkeit nur als Deckmantel für das Akzeptieren des Zentrismus. Und in diese Sünde sind auch unsere Delegierten gefallen.

3. Ich finde den endgültigen Text, der sich mit der Vierten Internationale befasst, nicht. Der Basistext ist scharlatanmäßig. „Die II. und die II. Internationale überwinden“, indem sie sich die „Verwirklichung der proletarischen Einheit“ zum Ziel setzt, das ist es, was nicht nur Tranmæl, sondern auch Louis Sellier will, der übrigens in den Debatten der Untersuchungskommission als Kandidat für eine halb faschistische Regierung auftaucht. Die beiden Internationalen überwinden, das ist Tranmæls scharlatanmäßige Formel: „Ich will keine Vierte Internationale, Es gibt schon zu viele mit zweien.“ 2Daraufhin antwortet Walcher: „Es geht nicht um die Vierte Internationale, sondern darum, die bestehenden zu überschreiten.“ Dieser Ausdruck des „Überschreitens“ ist ein klassischer menschewistischer Ausdruck. Von Jahr zu Jahr, vor allem während des imperialistischen Krieges, setzte sich Lenins Kampf gegen die Philosophie fort, die behauptet, man müsse die Revisionisten, Opportunisten, Chauvinisten usw. „überschreiten“.3 Das Wort steht bei Lenin immer in Anführungszeichen, als symbolischer Begriff, der für ein ganzes Programm steht. Alles, was die Walcher-Leute schreiben, ist ein unbewusstes Plagiat von Martow.

4. Es ist richtig, dass die SAP, nachdem Finn Moe entfernt worden war, die Formel der neuen Internationale begrüßte, aber in Verbindung mit dem „Überschreiten“. Wir können dem auf keinen Fall zustimmen: Es handelt sich nicht einfach um eine neue Internationale, denn eine Internationale 2½ wäre ja auch eine neue Internationale, ebenso wie die Fusion der II. und III. Für uns geht es um etwas ganz anderes, um die Vierte Internationale, die unbedingt im Zuge des unerbittlichen Kampfes gegen die beiden bestehenden Internationalen und gegen die zentristischen Tendenzen aufgebaut werden muss. In dieser Frage ist das kleinste Zugeständnis ein Verrat und ein Verbrechen. Walcher kämpft nicht aus Liebe zur Terminologie, er sucht nach einer geschmeidigen Formel, um seine Schmuggelware unterzubringen, und genau das können wir unter keinen Umständen zulassen.

Vorschlag: Wir können dieses Dokument (und unter Vorbehalt, d.h. mit einer besonderen offiziellen Erklärung) nur unterzeichnen, wenn:

1. Der Titel geändert wird.

2. Das „Überschreiten“ der Zweiten und Dritten Internationale wird gestrichen und durch den unerbittlichen Kampf gegen alle opportunistischen und zentristischen Tendenzen und Strömungen ersetzt, um die Arbeiter von der Umklammerung der Zweiten und Dritten Internationale zu befreien.

3. Die Schaffung der Vierten (und nicht der „neuen“) Internationale wird als Ziel bekräftigt.

Man muss diese drei Punkte in Form eines strengen Ultimatums stellen und darf keinen Millimeter4 davon abweichen. Eine offene Spaltung wäre tausendmal besser als eine bewusste Lüge bei der Gründung5 der Jugendinternationale.

Eine Forderung, die kein Ultimatum ist, aber ebenfalls sehr wichtig, ist, in dieses Dokument, dort wo von der österreichischen Sozialdemokratie die Rede ist, einen Satz einzufügen, der besagt, dass die norwegische Arbeiterpartei gegenwärtig auf den Spuren des Austromarxismus wandelt und dem norwegischen Proletariat eine identische Katastrophe bereitet.

Wenn die SAP den drei oben genannten Punkten zustimmt, unterzeichnen wir das Dokument. Aber wir geben eine schriftliche Erklärung ab, in der wir klarstellen, dass die Jugend ebenso wenig wie wir auch nur den geringsten Teil der Verantwortung für die schädliche Politik des Londoner und Amsterdamer Büros übernimmt, das nichts anderes ist als6 eine neue Version des Austromarxismus etc.

P.S.: Wenn unsere jungen Delegierten meinen, dass wir sie damit „desavouieren“, so ist das nur zum Teil richtig. Die Funktion des IS besteht nicht nur darin, ihre Delegationen richtig zu benennen7, sondern auch darin, sie zu desavouieren. Man macht dieselbe Unterscheidung bei vielen unserer Genossen: Sie sind durchaus in der Lage, die Psychologie und das Verhalten der zentristischen Betrüger zu erklären und sich über sie lustig zu machen, aber in der Praxis sind sie nicht in der Lage, ihre Schläge zu parieren.

Zur Frage der Organisation. Was das dreigliedrige Sekretariat betrifft, müssen wir vorerst die offizielle Position der schwedischen Jugend abwarten, bevor wir uns auf dieses Feld begeben. Die Anwesenheit eines einzigen unserer Genossen in Schweden, wo wir keine Organisation haben, ist keine ausreichende Garantie für die Weiterverfolgung unserer Politik im künftigen Sekretariat. Daher muss zumindest das Terrain der Prinzipien durch eine Klärung vorbereitet werden, die a) die Verbesserung des Dokuments und b) die Stellungnahme der Schweden umfasst.

1In der englischen Übersetzung fehlt das Wort

2In der englischen Übersetzung fehlt der folgende Satz

3In der englischen Übersetzung: „Von Jahr zu Jahr, vor allem während des imperialistischen Krieges, führte Lenin einen Kampf gegen die Philosophie des „Überschreitens“ [der Zweiten Internationale], die von Revisionisten, Opportunisten, Chauvinisten usw. vertreten wurde.“ Das ist offenkundig Unsinn, Opportunist*innen oder Chauvinist*innen traten keineswegs für das „Überschreiten“ der Zweiten Internationale ein, aber Martow & Co für das „Überschreiten“ von Revisionist*innen, Opportunist*innen, Chauvinist*innen usw.

4In der englischen Übersetzung: „Zoll“

5In der englischen Übersetzung: „bewusste Täuschung im Herz“

6In der englischen Übersetzung eingefügt: „Feigenblatt für Tranmæl ist, dessen Politik einfach“

7In der englischen Übersetzung: „bestätigen“


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