[Gehalten am 25. Okt. 1925, Abgedruckt in der Prawda, Nr. 253, 5. November 1925, der Hauptteil wiedergegeben im Anhang zu „Europa und Amerika“ von 1926, der Schluss hier eigene Übersetzung der französischen Übersetzung in Correspondence International, der französischen Ausgabe der Inprekorr, Nr. 77, 1924]
Der imperialistische Krieg zerstörte Europa zugunsten Amerikas. Europa versuchte sich zu restaurieren – einstweilen mit sehr wenig Erfolg. Aber teilweise Erfolge sind immerhin zu verzeichnen. Doch der Wiederaufbau seiner Produktivkräfte stößt stets auf die historischen Hindernisse, auf die nationalen, staatlichen, durch den Versailler Frieden geschaffenen Schranken, auf Zollmauern, auf die verringerte allgemeine Kapazität des Weltmarktes. Daher das Bestreben, dieser Umklammerung zu entgehen – aber wie? – wenn es sein muss, mit der Waffe in der Hand. Daher verwandeln sich die kaum restaurierten Produktivkräfte sofort in Kräfte der Vernichtung. Der in die Länge gezogene Todeskampf der kapitalistischen Welt liefert uns ein Bild der größten Entfaltung des Militarismus.
Neben Europa, dieser Bühne des Militarismus, treten die Vereinigten Staaten von Nordamerika in den Vordergrund, und zwar in Ausmaßen, die nicht nur das gegenwärtige desorganisierte und balkanisierte Europa, sondern auch das Europa der Vorkriegszeit sich nicht hat träumen lassen. Ich will hier keine Zahlen anführen, die die wirtschaftliche Machtstellung der U.S.A. charakterisieren. Sie sind populär geworden, allgemein bekannt. Aber zwei Tatsachen will ich hier dennoch bringen. Sie wissen, dass die Rolle der mechanischen Kraftquellen (Lokomotiven, Motoren, Dampfer, Automobile, Traktoren usw. usw.) in der Kriegstechnik außerordentlich groß ist. Die mechanischen Kraftmaschinen der ganzen Welt werden auf 500 Millionen PS. geschätzt. Diese Zahl ist sehr ungenau; aber für unsere Zwecke reicht sie aus. Sie wissen, was eine mechanische Pferdestärke ist – sie gleicht der Kraft von zehn Menschen. Wenn man also die 500 Millionen PS der Weltkraftmaschine in lebendige Menschenkraft umrechnet, so erhält man annähernd 5 Milliarden Menschenstärken. Wenn man nun die ganze Bevölkerung des Erdballs – 1¾ Milliarden – nimmt und Kinder, Greise, Kranke und Invaliden in Abzug bringt, so kann man sagen, dass es auf dem ganzen Erdball etwa 1 Milliarde arbeitsfähiger Menschen gibt. Somit entfallen auf 1 Milliarde lebendiger Menscheneinheiten, 5 Milliarden mechanische Krafteinheiten, d.h. die maschinelle Energie, über die die Menschheit verfügt, ist fünfmal stärker als die Menschheit selbst. Aber wie ist diese mechanische Energie verteilt? Die Vereinigten Staaten von Nordamerika haben eine Bevölkerung von etwas über 100 Millionen Menschen. Die ganze übrige Welt, mit Ausnahme der Vereinigten Staaten – 1,61 Milliarden. Es ergibt sich also ein Verhältnis von 1 zu 16. Die 500 Millionen Pferdestärken der mechanischen Energie aber verteilen sich so, dass die Hälfte auf die Vereinigten Staaten entfällt, die andere Hälfte – auf die ganze übrige Menschheit. Somit sichert die Grundlage der ganzen neuen Technik – die mechanische Energie – den Vereinigten Staaten einen ungeheuren Vorsprung gegen die ganze übrige Welt. Was diese Tatsache für die Kriegstechnik bedeutet, das weiß jedes Kind. Sehen wir uns jetzt eine andere Größe an – das Gold, dieses unbestrittene Äquivalent für alle Werte der Welt, mit dem sich alles kaufen lässt. Der ganze Goldvorrat der Welt wird auf etwa 36 Milliarden Goldmark geschätzt. Von diesen 36 Milliarden Goldmark lagert genau die Hälfte – 18 Milliarden – in den Stahlkammern der amerikanischen Banken, also die Hälfte des Goldvorrats der ganzen Welt! Und ihr wisst ja, denn es ist schon vor langem ausgesprochen worden, dass zum Kriege drei Dinge gehören: Geld, Geld und noch einmal Geld. Das hat einer der Alten gesagt, vielleicht sogar Friedrich II., aber ich stehe dafür nicht ein. Mechanische Energie und Gold – und alles, was zwischen ihnen steht! Das Gold ist gewissermaßen die Krönung, die goldene Kuppel des kapitalistischen Tempels; die mechanische Energie ist seine technische Grundlage; und alles, was zwischen diesem mechanischen Fundament und der goldenen Kuppel liegt, ist in derselben, oft in noch überraschenderer Weise zwischen den Vereinigten Staaten und der ganzen übrigen Menschheit verteilt. Das charakterisiert in ausreichender Weise die technische und wirtschaftliche Grundlage des amerikanischen Militarismus, der später kam als die anderen, aber alle anderen in verblüffender Weise vor unseren Augen überflügelt hat.
Die Vereinigten Staaten waren bis vor kurzem kein „militaristisches“ Land. Die einschneidende Wendung trat mit dem imperialistischen Kriege ein. US-Amerika mischte sich gegen Ende des Krieges ein und erreichte, was es von diesem Kriege haben wollte: es zertrümmerte Deutschland vollständig; was England – das Haupthindernis auf dem Wege der Weltherrschaft Amerikas – nicht haben wollte. England brauchte ein geschwächtes, aber kein ruiniertes Deutschland, ein Deutschland, das Frankreich die Spitze bieten konnte; während die Vereinigten Staaten ein mächtiges Frankreich haben wollten, ein Frankreich, das England entgegengestellt werden konnte. Die Vereinigten Staaten haben ihren Zweck vollkommen erreicht, und jetzt sehen wir, dass der Militarismus in Nordamerika seine wildesten Orgien feiert – nicht trotzdem die Vereinigten Staaten in diesem imperialistischen Kriege ihren Zweck erreichten, sondern gerade aus diesem Grunde. Kürzlich erschien in den „Iswestija“ eine sehr interessante Meldung aus New York, die aufmerksam zu lesen ich allen empfehlen möchte. Diese Meldung betrifft den sogenannten „Verteidigungs“-Tag, der kürzlich in den Vereinigten Staaten inszeniert worden ist Die Pressemeldung ist nicht politisch-militärischer, sondern allgemeiner Art, aber sie eröffnet uns sowohl politische als auch militärische Perspektiven. Der Marineminister Wilbur (man nennt ihn drüben Staatssekretär) verkündet jetzt – also in einer Epoche, da die Welt eben den sogenannten „letzten“ Krieg hinter sich hat – er verkündet bei dem nationalen Fest des amerikanischen Militarismus, dass in verschiedenen Weltteilen die Leidenschaften gegen die Amerikaner aufgepeitscht würden, und dass nichts geeigneter sei, diese Leidenschaften zu kühlen als ein kaltes Stück Stahl. Wenn man diese Rede des ehemaligen friedlichen Philisters liest – ich denke, dass dieser Staatssekretär vor dem imperialistischen Kriege etwa mit kondensierter Milch oder mit Chicagoer Würsten gehandelt haben mag –‚ so ist man erstaunt, wie gut der ehrenwerte Staatssekretär die so bekannten Reden Wilhelm Hohenzollerns kopiert. Überhaupt, diese ganze nationale militärische Parade gleicht auf ein Haar den Manieren und Gepflogenheiten des deutschen Militarismus des letzten Jahrzehnts vor dem Kriege. Noch vor kurzem sprach ich den Gedanken aus, dass die Psychologie des amerikanischen Bourgeois hinter seiner Machtstellung zurückbleibt, aber ich fügte damals hinzu, dass diese Psychologie sich sehr schnell den objektiven Faktoren anzupassen pflegt. Ich muss gestehen, dass ich damals nicht geglaubt habe, dass der Prozess der Militarisierung so weit gediehen sei, und dass die öffentliche Meinung Amerikas, die bis vor kurzem am Gängelbande des Pazifismus, des Quäkertums, der Philanthropie, der „vierzehn Punkte“ Wilsons usw. geführt wurde, dass diese amerikanische öffentliche Meinung – in den Wochen vor der Präsidentenwahl – eine derartige militaristische Inszenierung und eine derartige Hohenzollern-Rede des Marineministers nicht nur gestatten, sondern auch billigen würde. Und das geschah nicht etwa in den Jahren 1917-1918, da Amerika mit der Waffe in der Hand Europa „rettete“, sondern jetzt, 1924, da der Steuerzahler für die damals zerschlagenen Töpfe blechen muss! Das hätte ich, offen gesagt, noch vor wenigen Wochen nicht für möglich gehalten. Das bedeutet, dass der Reichtum der amerikanischen Bourgeoisie, diese 250 Millionen Pferdestärken und 18 Milliarden in den Banktresors aufgestapelter Goldmark, sich vor unseren Augen in überhitzte Dämpfe des amerikanischen Militarismus verwandeln. Das amerikanische Kapital erstickt an seiner Vollblütigkeit. Den Rahmen des Binnenmarkts hat es nahezu vollständig ausgefüllt. Hier kommt nur noch eine partielle Entwicklung in Frage. Die bisherige Entwicklung aber verlief in einer wild aufwärtsstrebenden radial zunehmenden Spirale, und damit diese Spirale nicht mit voller Wucht am Rahmen des Weltmarkts zerschelle, muss das amerikanische Kapital diesen Rahmen gewaltsam sprengen. Das lässt sich aber nicht allein mit wirtschaftlichen Mitteln machen, denn der Weltmarkt ist restlos aufgeteilt und in festen Händen: das lässt sich nur mit Gewalt machen. Daher letzten Endes diese irrsinnige Entwicklung des Militarismus sowohl des materiellen Apparats, als der militaristischen, aggressiven, echt hohenzollernschen Psychologie. Was ist in dieser Zeit aus der amerikanischen Flotte geworden? Sie wissen, dass sie im großen ganzen die britische Flotte eingeholt hat. Im Flugwesen nehmen die Vereinigten Staaten den ersten Platz ein, ebenso auf dem Gebiete der chemischen Waffen. Übrigens fand gerade zur Zeit dieses „Verteidigungs“-Tages der Kongress der amerikanischen Chemiker statt, der zwei militaristische Demonstrationen zum besten gab; zunächst erklärten die 69 Sektionen der „All-Amerikanischen Gesellschaft der Chemiker“, dass jeder von ihnen auf seinem Fachgebiet an der Sache der Verteidigung arbeite, und dann versicherte der Vorsitzende des Kongresses im Namen der 15.000 Mitglieder der Gesellschaft dem Vertreter des Chemischen Departements des Kriegsministeriums, dass alle Kräfte der Gesellschaft der nationalen „Verteidigung“ zur Verfügung stünden. Was der Begriff „Verteidigung“ für Amerika, für diesen gigantischen Kontinent, für die Vereinigten Staaten, die überhaupt keine starken Nachbarn haben, bedeutet – das ist vollkommen klar.
Wir treten in die Epoche der aggressiven Entfaltung des amerikanischen Militarismus ein. Um seine Entwicklung in der bevorstehenden Periode besser zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, in welchem rapiden Tempo sich der deutsche Militarismus auf Grund des raschen Aufblühens des deutschen Kapitalismus entwickelt hat. Der deutsche Kapitalismus, der später kam als die anderen, musste sich mit den Ellenbogen, oder besser gesagt, mit gepanzerten Fäusten, einen Platz unter der Sonne sichern.. In derselben Situation ist auch das amerikanische Kapital, nur in unvergleichlich größeren Dimensionen. Gleichzeitig genießt und verwertet der amerikanische Kapitalismus noch heute – dank den Besonderheiten seiner geographischen Lage und historischen Entwicklung – die Vorteile der „pazifistischen“ Aufmachung. Noch heute erwecken aggressive Einmischungen des amerikanischen Finanzkapitals in europäische Angelegenheiten sogar in Europa pazifistische Illusionen. In Wirklichkeit sind der amerikanische Kapitalismus und sein Militarismus jetzt die hauptsächlichsten Störenfriede des internationalen „kapitalistischen Gleichgewichts“, d.h. jenes anarchischen Zustandes, der mit diesem Namen bezeichnet wird. Der amerikanische Imperialismus erhebt sich jetzt über die ganze Welt als die zügellosesten, aggressivsten und zerstörendsten Energien der blutigsten Umstürze und Erschütterungen. Und wir, die wir auf dem Gebiete des Kriegswesens arbeiten, müssen auch diesen Weltfaktor bei der Beurteilung der allgemeinen internationalen Kriegsaussicht berücksichtigen, ohne die unmittelbaren und nächsten Gefahren aus den Augen zu verlieren – denn seine „Friedensarbeit“, d.h. die Arbeit der Beraubung und Unterjochung der ganzen Menschheit, kann das amerikanische Kapital mit „trockenen“ Mitteln allein nicht durchführen. Wenn es Widerständen begegnen wird, wird es europäische oder asiatische Staaten gegeneinander aufhetzen und Kriege, ebenso wie kommerzielle Unternehmen, finanzieren. Und wir sind nicht eins der geringsten Hindernisse auf dem Wege der Vereinigten Staaten zur Weltherrschaft. Aus diesem Grunde müssen wir in die Zukunft blicken und stets auf der Hut sein!
Die gegenwärtige Epoche hat, wie alle anderen, ihre grundlegenden und ihre sekundären, untergeordneten, temporären oder gar oberflächlichen Prozesse. Wir beobachten jetzt in Europa und Amerika einen Wechsel der Regierungen. Wer wird die Macht in Amerika übernehmen? Aller Wahrscheinlichkeit nach wird man Coolidge zum Präsidenten wählen. Aber wenn man statt seiner den Demokraten Davis oder gar La Follette wählen würde, wird der amerikanische Militarismus sich ebenso entwickeln, seine Aggressivität ebenso wachsen. Übrigens galt La Follette als einer unserer besten Freunde, denn er agitierte in den letzten Jahren für die Anerkennung der Sowjetunion; aber seit den Präsidentenwahlen ist von der Agitation kein Wort mehr zu hören, und das ist kein Zufall: die Vereinigten Staaten sind jetzt das einzige Land mit aktiven internationalen Aufgaben, ihre Pläne umfassen den ganzen Erdball; nur den Erdball, weil andere Planeten einstweilen nicht zu erreichen sind. Und wenn die Amerikaner ihre Agenten auf die internationalen Heerstraßen schicken, vor allem nach China, nach diesem potentiell mächtigsten Absatzmarkt mit einer Bevölkerung von 400 Millionen, konstatieren sie missvergnügt, dass an der Ost-Chinesischen Eisenbahn Sowjetbeamte und Sowjetarbeiter anzutreffen sind, dass in Peking, in Kanton und Schanghai nicht nur über den Gesandtschaften, sondern auch über den Konsulaten Sowjetbanner wehen. Sie wissen um die ungeheure Anziehungskraft, die das Banner der Sowjetunion auf die Chinesen ausübt. Der internationale Bolschewismus ist der einzige wirkliche ernste und unversöhnliche Feind jedes Imperialismus und folglich auch des aggressivsten Imperialismus: – des amerikanischen. Der Hass mancher Führer des amerikanischen Kapitals, wie z. B. Hughes’, gegen uns ist kein Zufall.
Ich sage also, es gibt zweierlei Prozesse: die grundlegenden und die sekundären. Vom politischen Standpunkte aus dürfen wir auch diese sekundären Prozesse nicht übersehen. Es taucht z. B. ein MacDonald auf – das ist sicherlich kein Zufall. Wir haben versucht, mit ihm einen Vertrag abzuschließen, aber es kam nicht dazu: gewisse Verwicklungen in der Karriere MacDonalds machten den Abschluss unmöglich. Wenn Curzon den Ministersessel wieder einnehmen wird, werden wir auch mit Curzon verhandeln. Alles das sind zweit- und drittrangige Prozesse, die Hauptsache bleibt: das Wachsen der Gegensätze, die wilde Entwicklung des Militarismus, die hoffnungslose Lage der europäischen Produktivkräfte, die Vorbereitung eines Weltgemetzels. Eine Politik muss auch zweit- und drittrangige Erscheinungen berücksichtigen, sonst ist es keine Politik; aber die grundlegende Linie muss sich nach dem grundlegenden Prozesse richten. Aus dieser Tatsache ergibt sich für uns die Schlussfolgerung, dass unsere Rote Armee und unsere Rote Flotte für die Revolution und die Sowjetunion noch immer eine Lebensfrage bleiben. Von einer Liquidation auf dem Gebiete der bewaffneten Kräfte kann nicht die Rede sein. Es wäre gewiss der größte Leichtsinn, wollten wir sagen, dass wir unsere bewaffneten Kräfte nach und nach auf Null bringen könnten mit der Begründung: man habe sich einerseits an uns gewöhnt, denn wir existierten ja schon sieben Jahre, ärgern schon sieben Jahre lang die kapitalistische Welt (und das ist auch eine Errungenschaft – man hat sich an uns „gewöhnt“), andererseits seien wir ja schon von vielen anerkannt … Gewiss, diese Tatsache ist nicht zu unterschätzen, sie bedeutet eine Eroberung, aber welcher Art? Ist sie grundlegender oder zweitrangiger Ordnung? Darüber kann kein Zweifel herrschen, denn es macht sich in den internationalen Beziehungen eine Anhäufung von Gegensätzen und ein Wachsen von militaristischen Kräften bemerkbar.
Gewiss, man könnte darauf trübsinnig erwidern: was bedeuten wir mit unserer Armee und unserer Flotte, mit unserer ganzen Kriegstechnik, verglichen mit dem Militarismus des kapitalistischen Europa und der Vereinigten Staaten? Welche Rolle spielen wir, wenn die Hälfte der mechanischen Energien, die Hälfte des Goldes und annähernd die Hälfte aller übrigen Güter auf die Vereinigten Staaten entfallen? Zweifellos, wenn es so wäre, dass auf der einen Seite die Vereinigten Staaten und mit ihnen die ganze kapitalistische Welt stünde und auf der anderen – wir, mit unserer Armee und unserer Flotte, mit unserer Technik und unserer Ressourcen, dann hätte unsere Stunde schon längst geschlagen! Aber unsere Unbesiegbarkeit in der kapitalistischen Umzingelung liegt vor allem in den einschneidenden Gegensätzen, von denen die kapitalistische Welt zerrissen wird, in dem Kampf der Staaten gegeneinander, im Kampf: Klasse gegen Klasse. Das ist die grundlegende Garantie – nicht theoretischer Art: sie ist die praktisch geprüfte Garantie unserer Stabilität.
[Aber es ist auch wahr, dass die Gegensätze, die die kapitalistische Gesellschaft spalten, sie nur bis zu einem gewissen Grad lähmen, so dass, wenn wir entwaffnet wären – wobei unsere Entwaffnung übrigens eine Provokation gegenüber unseren Feinden darstellte -, diese leicht die Kräfte finden würden, um uns zu besiegen. Das Unverständnis für die Rolle der Roten Armee in der globalen Kräftekonstellation ähnelt dem für die Rolle einer militarisierten Kampforganisation im Klassenkampf. Was entscheidet über den Ausgang einer Revolution? Der Grad des revolutionären Bewusstseins des Proletariats, seine Rolle in der Produktion, die objektive Korrelation der Klassenkräfte, die internationale Lage und so weiter. Doch wenn der Moment der Machteroberung näher rückt, bilden wir Kampforganisationen, wir bilden Arbeiterhundertschaften – „Wozu“, könnte man einwenden, „in einem Land, in dem ein starker bürgerlicher Militarismus existiert? Das Kräfteverhältnis der Klassen wird über alles entscheiden und nicht ein paar Arbeiterhundertschaften!“ Diese marxistisch anmutende Argumentation ist natürlich falsch. Es kommt dazu, dass der Klassenkampf durch Gewehre, Maschinengewehre und sogar Revolver entschieden wird. Ja, die entscheidende Frage der Geschichte wird zu einem bestimmten Zeitpunkt, unter bestimmten Bedingungen, durch Waffengewalt gelöst, und wenn die Waffen nicht ausgegeben werden, wenn es keine Organisationen gibt, die sie nehmen, dann wird die revolutionäre Klasse, selbst wenn sie in jeder anderen Hinsicht auf die Machtübernahme vorbereitet ist, diese nicht nehmen …
Die Rote Armee und die Rote Flotte hätten uns ohne die Klassen- und Staatengegensätze nicht gerettet. Aber ohne die Rote Armee und die Rote Flotte hätte uns auch der Klassen- und Staatengegensatz nicht gerettet. Und gerade weil die Mächte uns anerkennen, nachdem sie uns unerbittlich bekämpft haben, gerade weil wir nicht mehr jeden Tag unerwartete Schläge parieren müssen, konnten wir die Zahl unserer Streitkräfte erheblich reduzieren. Unsere militärische Organisation muss jedoch auf alle zukünftigen Gefahren vorbereitet sein. Sicherlich ist es für die Sowjetunion hart, jedes Jahr 200 Millionen Dollar (genau 395.000.000 Rubel) für die militärische Verteidigung auszugeben. Aber es ist eine unausweichliche Notwendigkeit. Wir haben jeden Haushaltstitel jeder Ausgabe untersucht. Jede Einsparung, die wir machen konnten, haben wir gemacht. Wir haben die Grenze erreicht, über die hinaus unser Verteidigungsmechanismus nicht mehr vereinfacht oder reduziert werden kann. Wir werden fortfahren ihn zu perfektionieren und nicht mehr suchen, ihn zu reduzieren.
Leo Trotzki – 25. Oktober 1924
[N. B.: Die Friedensstärke der Roten Armee und Flotte zusammengenommen beträgt nicht einmal 550.000 Mann.]
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