[„Die Gleichheit. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen”, 10. Jahrgang, Nr. 16, 1. August 1900, S. 121 f.]
„Was geht Euch Frauen die Politik an? Steckt Eure Nase nicht in die Zeitung, um Euch über die Vorgänge in China zu unterrichten, nehmt lieber den Kochlöffel zur Hand und vertieft Euch in den ,Wegweiser zum häuslichen Glück‚, allwo ,wohlmeinende‘ Fabrikanten und Geistliche den Arbeiterfrauen die Kunst lehren, aus Wasser, Knochen und Gemüseresten mit einem Aufwand von ganzen 28 Pfennigen deutscher Reichswährung für vier Personen eine wohlschmeckende, nahrhafte und reichliche Mittagsmahlzeit zu bereiten. Besucht keine Versammlungen, wo von Frauenwahlrecht, Gewerkschaftsbewegung oder gar von dem ††† Sozialismus die Rede ist, widmet Euch besser dem allein ewig-weiblichen Strümpfestopfen. Der Frau, in der Theorie wenigstens, nichts als Kinderpflege und Wirtschaftsbesorgung. Der proletarischen Frau in der Praxis vor Allem die harte Fron zur Mehrung fremden Reichtums. Politik ist allein Männersache und schert die Frauen nichts.“
Wer von uns hat nicht schon bis zum Überdruss diese Salbaderei gehört, welche der biedere Philister von seinem Lieblingsspruche am Stammtisch zu einem sozialen Dogma erheben möchte? Doch gemach, liebes Spießbürgerlein, stimmen auch die Tatsachen zu deinem Glauben? Erweisen sie, dass wirklich Politik nur „Männersache“ ist und die Frau nichts schert? Lass uns das an einem Beispiel sehen.
Die Zeitungen berichten in den letzten Wochen häufiger und häufiger von Stockungen des wirtschaftlichen Lebens. Es mehren sich die Industrien, welche von einer Krise ergriffen werden; es mehren sich die Unternehmungen, welche der Besitzer ganz oder für einige Tage der Woche schließt, oder in denen er die tägliche Arbeitszeit um Stunden verkürzt. In der Textilindustrie des sächsischen Vogtlandes und Erzgebirges, der thüringischen Zaunkönigreiche und anderwärts stehen Tausende von Stühlen still, in der Spiegelglas- und Nadelindustrie kriselt es, in der Musikwerk- und Möbelfabrikation fehlt es an Aufträgen, ja selbst in der bisher so flott gehenden Eisen- und Metallindustrie treten Stockungen ein.
Dieser ungünstige Stand des Erwerbslebens ist sicher nicht bloß „Männersache“, welche die Frauen nicht kümmert. Nach der Berufs- und Gewerbezählung waren 1895 in der Textilindustrie allein 347.010 Arbeiterinnen beschäftigt, in der Metallverarbeitung 31.779, in der Fabrikation von Maschinen, Werkzeugen, Instrumenten und Apparaten 10.109. Die hausindustriellen Arbeiterinnen sind dabei nicht einmal mitgerechnet.
In allen Industrien, wo die Aufträge knapp, die Aussichten auf Absatz der Waren unsicher und schwach geworden sind, da sind es mithin nicht nur Männer, da sind es auch größere und kleinere Gruppen von Frauen und Mädchen, welche unter dem Niedergang des Wirtschaftslebens leiden. Nach Tausenden und Abertausenden zählen die Textilarbeiterinnen allein, welche ein Lied, ein traurig Lied, von der Verschlechterung ihrer Lage in der letzten Zeit singen können. Denn was bedeutet die Geschäftsflaute für die Arbeiterin? Mit der Arbeit geht die Lohnsklavin des Brotes verlustig, es schrumpft ihr ohnehin bettelhaftes Einkommen zusammen und wird obendrein unregelmäßig und unsicher. Je geringer aber ihr Verdienst, je schwankender und regelloser, um so härter ihr Darben, um so bitterer ihre Sorgen, um so zahlreicher die Tage, wo nicht einmal mehr Schmalhans Küchenmeister ist, wo vielmehr der nackte Hunger an ihrem Tische sitzt. Kurz, die Summe des Elends der Arbeiterin wächst um so viel, als ihre Erwerbsverhältnisse sich verschlechtern.
Aber auch dort, wo nur Arbeiter von Beschäftigungslosigkeit und Sinken des Verdienstes betroffen worden sind, stehen nicht Männerinteressen allein auf dem Spiele. Die meisten Arbeiter, welche unter dem Kriseln leiden, haben Frauen, Kinder, Eltern, Geschwister usf., für die sie ganz oder zum Teil sorgen müssen. Tausende von Familienvätern sind in Folge des Stockens von Handel und Wandel des Verdienstes beraubt worden oder bringen kärglichsten Lohn heim. Die proletarische Hausfrau aber soll nach wie vor den Tisch bestellen. Das Wirtschaftsgeld, das der Mann ihr in die abgearbeitete Hand drückt, wird kleiner und kleiner, es bleibt womöglich die und jene Woche oder auch längere Zeit ganz aus, die Bedürfnisse der Familie jedoch machen sich nach wie vor täglich, stündlich geltend. Mag die Frau wahre Wunder der Sparsamkeit verrichten, die in ihrer Art größer sind, als die Speisung der 4.000 Mann mit sieben Broten und wenig Fischlein, sie ist nicht imstande, die schwarze Not zu verscheuchen, die wie ein grimmer Wolf in das armselige Heim einbricht. Die Verschlechterung der Erwerbsverhältnisse des Mannes bringt der proletarischen Hausfrau die nämlichen bitteren Früchte wie der selbständigen Arbeiterin: eine wachsende Last von Sorgen und Elend.
Auch der Spießbürger, dem in Sachen der Frauenfrage der Zopf noch so dick und lang unter der Nachtmütze hervor baumelt, wird nicht zu behaupten wagen, dass die Stockungen des Wirtschaftslebens nur „Männersache“ sind und die Frau nichts angehen. Wie kann er sich dann erdreisten, das Fragen und Forschen nach den Ursachen der geschäftlichen Flaue als „Männersache“ zu erklären, die Macht zur Beeinflussung der gesellschaftlichen Verhältnisse, welche bestimmend in das Leben der Frau eingreifen, zu einem ausschließlichen Männerrecht stempeln zu wollen?
Der Philisterweisheit letzter Schluss ist stets, die nach politischen Rechten und Pflichten verlangende Frau an den Kochtopf zurückzuschicken. Sehr schön! Aber gerade der Kochtopf ist es, welcher der denkenden Arbeiterin und Arbeiterhausfrau predigt, sich um Politik zu kümmern, nach politischen Rechten zu streben, am politischen Kampfe teilzunehmen. In der Tat: ob der Kochtopf leer oder gefüllt ist, ob in ihm ein leidlich Stück Fleisch brodelt, Kartoffeln gesotten werden oder Zichorienbrühe zieht: dafür sind in Dutzenden und Dutzenden von Fällen die politischen Verhältnisse ausschlaggebend. Wenn gegenwärtig viele Zehntausende von deutschen Proletarierinnen am kalten Herde stehen, oder wenn in ihrer Pfanne Sonntags statt zähen Kuhfleisches, eines Häppchens Schweinernem nur ein Stück Hottehü schmort, wenn Wochentags der Hering unter dem noblen Namen „Schusterkarpfen“ das Fleisch ersetzt, so tragen politische Zustände ganz wesentlich die Schuld daran. Die Wirren in China üben einen tiefen, schädlichen Einfluss auf die ausländischen Handelsbeziehungen, auf das industrielle Leben aus. Es stockt nicht nur der Absatz der deutschen Waren nach China, bei dem Zusammenhängen des Weltmarktes und der Weltwirtschaft erleidet auch die Warenausfuhr nach anderen Ländern Einbuße. Die Furcht vor einem drohenden Weltkrieg wirkt lähmend auf das geschäftliche Leben und verschärft die unmittelbaren Folgen der chinesischen Wirren. Der gegenwärtige Niedergang des Wirtschaftslebens, der immer weiter um sich greift, ist eine Frucht der reaktionären Weltpolitik, welche den Krieg in China heraufbeschworen hat. Die reaktionäre Weltpolitik leert der proletarischen Frau, leert der Arbeiterin den Kochtopf.
Dass Milliarden für die „grässliche Flotte“ ins Wasser geworfen werden, wollten die Marinekollerigen dem werktätigen Volke durch das Geflunker mundgerecht machen, die Weltmachtspolitik der gepanzerten Faust verschaffe nicht bloß den 70.000 Arbeitern der am Schiffsbau interessierten Industrien mehr Beschäftigung und höheren Lohn, sie bedinge vielmehr auch einen allgemeinen Aufschwung der Industrie. Statt der prophezeiten Fülle von Verdienst und Brot beschert die Weltmachtspolitik, noch ehe sie die Kinderschuhe ausgewachsen hat, breiten Schichten der Arbeiterklasse Erwerbslosigkeit und härteste Not. Der Kochtopf mahnt deshalb in unseren Tagen die deutsche Proletarierin, „Politik zu treiben“ und mit der Sozialdemokratie zusammen die Weltmachtspolitik des Evangeliumkurses in der allerschärfsten Weise zu bekämpfen.
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