[eigene Übersetzung aus: Militant International Review, Nr. 27, September 1984, S. 12-20]
Der Sturz der Somoza-Diktatur 1979 hat zweifellos geholfen, eine neue Welle von revolutionären Kämpfen in ganz Lateinamerika zu entfachen. Der Sieg der Sandinistas entzündete die Idee eines Aufstandskampfes unter den jungen Kämpfer*innen neu, die gegen die Diktaturen und unterdrückerischen Regime von Lateinamerika kämpfen. Die unbestrittenen sozialen Fortschritte, die in Nicaragua seit 1979 gemacht wurden, haben auch die Menschen angeregt, die weltweit gegen den Kapitalismus kämpfen. Das hat es den Sandinistas auch ermöglicht, eine breite Anhänger*innenschaft in vielen Ländern zu entwickeln. Die grundlegende Basis für diese Unterstützung ist die vollkommen feste Sehnsucht unter Sozialist*innen und Arbeiter*innen, die nicaraguanische Revolution gegen die Reaktion und besonders gegen die von den USA finanzierten Konterrevolutionär*innen zu verteidigen. Aber gleichzeitig können Marxist*innen nicht einfach Cheerleader sein. Es ist von entscheidender Bedeutung, die richtigen Lehren aus jedem Kampf zu ziehen und so das Verständnis der Arbeiter*innenklasse für die Aufgaben, vor denen sie im Kampf für den Sturz des Kapitalismus steht, zu vergrößern.
Leider gibt es in der Arbeiter*innenbewegung und besonders an ihrem sektiererischen Rändern Leute, bei denen die Begeisterung über die nicaraguanische Revolution den Platz von marxistischer Analyse einnimmt. Das ist kein neues Phänomen. Es ähnelt der unkritischen oder praktisch unkritischen Unterstützung, die viele selbsternannten ,Marxist*innen’ Stalin in den dreißiger Jahren, Tito in den späten vierziger Jahren und Mao in den sechziger Jahren gaben. Diese Leute vergessen bei ihrer Hast zur Idealisierung dieser Regime völlig die Grundlagen des Marxismus, oder haben sie nie gekannt. Wegen den von der Revolution dargestellten offensichtlichen und wichtigen Errungenschaften, die wir völlig unterstützen, haben viele Genoss*innen, besonders unter der Jugend dazu geneigt, eine völlig idealisierte Vorstellung sowohl von der nicaraguanischen Revolution als auch vom Charakter und der Rolle der sandinistischen Führung zu entwickeln. Wir leugnen keinen Moment den Heroismus der Sandinistas oder die Ehrlichkeit ihrer Absichten. Marxistische Analyse stützt sich jedoch nicht auf die Untersuchung der persönlichen Eigenschaften der sandinistischen Führung, sondern vielmehr auf die Frage, ob das Proletariat als Klasse in Nicaragua an der Macht ist. Die Tatsache, dass es gegenwärtig überwältigende Unterstützung für das sandinistische Regime gibt, bedeutet nicht automatisch, dass die Arbeiter*innenklasse an der Macht ist. Ähnlich führt die Tatsache, dass die sandinistische Führung Reden über den Sozialismus hält, nicht dazu, dass Marxist*innen ihnen gegenüber eine unkritische Haltung einnehmen. Wir beurteilen Menschen nicht nur danach, was sie sagen, sondern vor allem danach, was sie tun.
Der allgemeine Eindruck wird geschaffen, dass die Sandinistas irgendwie ,die sozialistische Revolution durchführen’. Aber woraus besteht die sozialistische Revolution wirklich? Vor allem ist die sozialistische Revolution die bewusste Bewegung der Arbeiter*innenklasse, die Macht in ihre Hände zu nehmen. Die Arbeiter*innenklasse übt ihre Kontrolle über die Gesellschaft durch eine Arbeiter*innendemokratie aus, auf der Grundlage von Prinzipien, die in der Pariser Kommune von 1871, der ersten Periode der Russischen Revolution und der Ungarischen Revolution von 1956 entwickelt wurden.
Die Prinzipien, die Lenin in ,Staat und Revolution’ zum Ausdruck gebracht hat, bilden den Lackmustest dafür, ob eine sozialistische Revolution stattgefunden hat. Kurz zusammengefasst sind diese Prinzipien:
- Keine stehende Armee, sondern bewaffnetes Volk.
- Alle Beamt*innen, Manager*innen etc. werden regelmäßig von Arbeiter*innenorganisationen gewählt, die das Recht auf jederzeitige Abwahl haben.
- Alle Beamt*innen erhalten den selben Lohn wie Facharbeiter*innen.
- Beteiligung des Volks an allen Verwaltungsaufgaben; direktes Management und Kontrolle der Gesellschaft durch Arbeiter*innenräte (Sowjets).
Die stalinistische politische Konterrevolution in Russland während der zwanziger Jahre zerschlug die auf diesen Prinzipien beruhende Arbeiter*innendemokratie in Russland und versuchte, Lenins vier Punkte für immer zu begraben.
Die Degeneration der Russischen Revolution und die Entwicklung stalinistischer Regime in anderen Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg erzeugte auch große Verwirrung innerhalb der internationalen Arbeiter*innenbewegung darüber, was eine sozialistische Revolution und eine sozialistische Gesellschaft darstellt Die vergrößerte Stärke des Stalinismus nach 1945, die Verzögerung der Revolution in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern und die Nachkriegsschwäche der Kräfte des Marxismus führten zur verzerrten Entwicklung der Revolution in vielen Ländern.
Die Revolutionen, die in Osteuropa, China, Vietnam, Kuba, Syrien, Äthiopien etc. stattfanden, führten gewiss zum Sturz des Kapitalismus (man kann immer noch nicht sagen, dass so etwas in Nicaragua stattgefunden hat, obwohl es für die Zukunft nicht ausgeschlossen ist). Privateigentum an den Produktionsmitteln wurde durch verstaatlichte Wirtschaften mit geplanter Produktion ersetzt. Das stellte gewiss einen gewaltigen Fortschritt dar und wurde als solches von den Marxist*innen begrüßt. Die verzerrte Art und Weise, auf die diese Revolutionen durchgeführt wurden, führten unausweichlich zur Errichtung von bürokratischen, totalitären Ein-Parteien-Polizeistaaten und einer neuen Form der Sklaverei für die Arbeiter*innenklasse. Dies war trotz der Tatsache, dass diese Regime zumindest in der Anfangsphase einen äußerst ,populären’ Charakter hatten und von den Massen begeistert begrüßt wurden.
Warum fand dies statt? War es das Produkt von Zufall, Missverständnis oder ,Pech’? Es war im Gegenteil im Charakter dieser Revolutionen verwurzelt, die ohne die bewusste führende Rolle des Proletariats stattfanden, dessen höchster Ausdruck die marxistische revolutionäre Partei ist.
Nur die in demokratischen revolutionären Räten organisierte Arbeiter*innenklasse kann die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft führen. Keine andere Klasse oder Gesellschaftsgruppe – egal ob Bäuer*innen, Lumpenproletarier*innen, Student*innen, Bürokrat*innen, Guerillas oder radikale Armeeoffiziere – kann die selbe Rolle spielen. Und wann immer eine andere soziale Gruppe versucht, sich in der Revolution an die Stelle des Proletariats zu setzen, steht das Ergebnis von vornherein fest. Selbst beim günstigsten Ergebnis, wo solch eine Bewegung erfolgreich Großgrundbesitz und Kapitalismus stürzt, ist das beste, was wir erhoffen können eine neue Art von totalitärer bürokratischer Sklaverei, die jahrzehntelang dauern kann, bis die Arbeiter*innenklasse stark genug zu ihrem Sturz durch eine neue politische Revolution wird und sich in Richtung wirklichem Sozialismus zu bewegen beginnt, in dem sie den Staat vom bürokratischen Schmarotzertum säubert und einen wirklichen demokratischen Arbeiterstaat oder ,Halbstaat’ (um Lenins eigenen Ausdruck zu verwenden) auf der Grundlage von Arbeiter*innendemokratie schafft. Von Anfang dieser ,Revolutionen’ an war die Kontrolle fest in den Händen einer Elite, die ein bürokratisches Regime nach dem Modell des stalinistischen Regimes in der UdSSR zu schaffen versuchte. So hatten wir in vielen Teilen der Welt die Entwicklung dessen, was Marxist*innen proletarisch-bonapartistische Regime nennen.
Im Fall von Nicaragua hat die sandinistische Führung unter dem Druck der russischen und kubanischen Bürokratien noch nicht einmal den Prozess der Enteignung des Kapitalismus bis zum Ende durchgeführt. Wegen dieser Politik ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass die kapitalistische Reaktion es immer noch schaffen wird, die nicaraguanische Revolution bei der Geburt zu erdrosseln. Diese Tatsache allein zeigt den völlig unmarxistischen Charakter der sandinistischen Führung und ihre enge nationalistische Konzeption der Revolution und auch die kriminelle Rolle des kubanischen und russischen Stalinismus, die ihre Beziehungen zum US-Imperialismus nicht weiter verkomplizieren wollen, indem sie offen als Unterstützung bei der Beseitigung des Kapitalismus in Zentralamerika gesehen werden.
Moskau und Havanna haben klar massiven Druck auf die Sandinistas ausgeübt, eine ,gemäßigte’ Haltung einzunehmen und ein ,Abkommen’ mit Washington anzustreben. Das erklärt weitgehend den vergeblichen Versuch, das, was von der nicaraguanischen Bourgeoisie übrig ist, durch alle Arten von Zugeständnissen zu versöhnen, die diese unverschämten Konterrevolutionär*innen nur kühner machen und die Gefahr einer Invasion der Vereinigten Staaten erhöhen. Das ist keineswegs eine ,realistische’ Politik, sondern wird verheerende Folgen haben.
Wenn die Sandinistas wirkliche Marxist*innen-Leninist*innen wären, würden sie die Revolution bis zum Ende führen, die Bourgeoisie enteignen und dann einen revolutionären Appell an die Arbeiter*innen und Bäuer*innen in Lateinamerika und auch in Nordamerika machen, ihnen zu Hilfe zu kommen. Auf einer rein nicaraguanischen – oder, was das betrifft, zentralamerikanischen – Grundlage ist kein Sieg möglich. Hier stellt sich die Lehre der permanenten Revolution geradeheraus: entweder verbreitet sich die Revolution auf andere Länder, angefangen mit Zentral- und Lateinamerika, oder sie ist dem Untergang geweiht. Die explosive Lage auf dem ganzen Subkontinent ist eine mächtige Reserve für die Revolution, vorausgesetzt eine kühne internationalistische revolutionäre Politik wird verfolgt. Aber auf der Grundlage des illusorischen ,Realismus’, diplomatischer Manöver und halbherziger Politik gibt es keinerlei Hoffnung.
Die weitverbreitete Verwirrung über den Charakter des nicaraguanischen Regimes beruht auf einer oberflächlichen Wahrnehmung der großen Begeisterung, die zweifellos unter der Massen für die Errungenschaften der Revolution besteht. Ähnliche Begeisterung bestand nicht nur in Jugoslawien, China und Kuba in den frühen Phasen der Revolution, sondern auch in Stalins Russland in der Periode des ersten Fünfjahresplans, bevor der Albtraum der Schauprozesse die Überbleibsel des Oktober in einem Meer von Blut ertränkte. Der Charakter des sandinistischen Regimes ist klar sehr von Stalin in Russland verschieden, es wäre aber ein grundlegender Fehler, sich entweder vorzustellen, dass es eine wirkliche Arbeiter*innendemokratie darstelle, oder dass es sich bei seinem gegenwärtigen Kurs in diese Richtung entwickeln könne.
Viele Unterstützer*innen der Sandinistas weisen auf das riesige Wachstum der Volksorganisationen seit 1979 hin und sagen, dass dies in der Praxis beweise, dass sich die Sandinistas nicht in eine bürokratische Elite entwickeln könnten. Gewiss ist das Wachstum dieser Organisationen sehr beeindruckend, aber in Wirklichkeit üben sie letztlich nicht die Macht aus. Die wirkliche Kontrolle über Nicaragua ist in den Händen der eigenen Partei der Sandinistas, der FSLN, die eine sehr beschränkte Mitgliedschaft hat.
Von einer Bevölkerung von nur 3.000.000 in Nicaragua sind 100.000 Mitglieder der Sandinistischen Arbeiter*innenföderation (CST), 50.000 Mitglieder der Landarbeiter*innenassoziation (ATC), 70.000 der Bäuer*innenunion (UNAG), 70.000 der Frauenorganisation (AMLAE), 50.000 der sandinistischen Jugendbewegung (MJ19), 500.000 in den 12.000 örtlichen Sandinistischen Verteidigungskomitees (CDS) und 80.000 in der Miliz (MPS). 1979 waren nur 25.000 Arbeiter*innen in Gewerkschaften, jetzt sind über 250.000 Arbeiter*innen in der CST und anderen Gewerkschaften. Das Wachstum dieser Massenorganisationen stellt einen wichtigen Fortschritt für die städtischen und ländlichen Arbeiter*innen, Bäuer*innen und Jugendlichen dar, die die ersten Schritte bei der Entwicklung ihres Klassenbewusstsein machen.
Aber während sich diese Organisationen ausgedehnt haben, ist die FSLN selbst verhältnismäßig klein geblieben. Es ist sehr schwer, Mitgliedszahlen für die eigene Partei der Sandinistas zu finden, aber es wurde berichtet, dass die FSLN im Januar 1981 500 Mitglieder hatte und ihre Verdoppelung auf 1.000 im Sommer 1981 plante. Es wurde auch berichtet, dass nicht geplant sei, die FSLN-Mitgliedschaft über 5.000 zu erhöhen
Selbst wenn die Massenorganisationen rapide gewachsen sind, gab es schwerwiegende Beschränkungen bei der Entwicklung der internen Demokratie. So hielt die CST (Sandinistische Arbeiterföderation) ihren ersten Kongress 1983 ab, dreieinhalb Jahre nach ihrer Bildung!
In Wirklichkeit ist die Haltung der Sandinistas gegenüber den Massen, für sie zu handeln. Statt sich bei der Leitung der Gesellschaft auf die Arbeiter*innen selbst zu stützen, sehen die sandinistischen Führer*innen die Arbeiter*innen als zu ,unreif’ an, daher müsse die FSLN klein gehalten werden. Das ist der Grund, warum in den ersten fünf Jahren der Revolution für keinerlei Regierung Wahlen organisiert wurden.
Die Haltung der Sandinistas, ihre Entscheidungen durch die Massen bloß absegnen zu lassen, wurde in ihrer Zeitung ,Barricada’ veranschaulicht, die behauptete, dass die Teilnahme von 500.000 auf einer Kundgebung zur Feier des ersten Jahrestages von Somozas Sturz bedeute, dass das Volk zur Bestätigung der FSLN-Politik ,abgestimmt’ habe. Wir haben diese Herangehensweise nur mit der der Bolschewiki nach 1917 zu vergleichen, um zu sehen, dass die Sandinistas Lichtjahre vom Programm Lenins und Trotzkis entfernt sind.
Die Sandinistas verweisen auf den riesigen Umfang der Massenorganisationen als Zeichen der Beteiligung der Bevölkerung bei der Entscheidungsfindung. Es stimmt zwar, dass es viel Entscheidungsfindung vor Ort gibt, zum Beispiel durch die CDS, die wichtigen Entscheidungen werden aber von der kleinen FSLN getroffen, eine Organisation, die ihre Größe willkürlich beschränkt, ohne Rücksicht auf die Eigenschaften der Leute, die ihr möglicherweise beitreten wollen.
Lenin und Trotzki versuchten zwar, den Beitritt von Karrierist*innen zu den Bolschewiki zu verhindern, nachdem sie 1917 an die Macht gekommen waren, aber sie versuchten nie bewährte und erprobte Arbeiter*innen am Beitritt zu hindern. Die Herangehensweise der Führung der Sandinistas zeigt nicht nur ein Mangel an Vertrauen in die Arbeiter*innenklasse, sondern trägt in sich auch die Saat der Entwicklung einer neuen herrschenden Elite.
Zu der Zeit, in der dies geschrieben wird, halten die Sandinistas Wahlen in Nicaragua ab. Der Hauptzweck dieser Wahlen war klar ein Versuch, den US- und Weltimperialismus zu beschwichtigen und der inneren bürgerlichen Opposition einen Palmenzweig hinzuhalten. Sie haben versuchte, eine theoretische Rechtfertigung für diese Politik zu finden, indem sie zu der völlig falschen und diskreditierten, von Stalin erfundenen Theorie der ,zwei Etappen’ griffen. Es gibt keine ,demokratische’ Bourgeoisie in Nicaragua. Die Bourgeoisie ist auf der Seite der konterrevolutionären ,Contras’. Sie haben die Wahlen frech boykottiert und nutzen die von den Sandinistas angebotenen Zugeständnisse als Plattform für die organisierte Unterstützung für die bewaffnete Reaktion.
Es ist klar, dass diese Wahlen einen überwältigenden Sieg für die Sandinistas ergeben werden. Die bürgerlichen Parteien, die offen mit der Konterrevolution identifiziert werden, sind in den Augen der Massen völlig diskreditiert. Das Richtige wäre es unter diesen Umständen, wenn sich die Sandinistas auf das Vertrauensvotum des Volks stützen würden, um den revolutionären Prozess bis zum Ende fortzusetzen, das Eigentum der reaktionären nicaraguanischen Bourgeoisie auf der Grundlage von demokratischer Verwaltung und Kontrolle der Arbeiter*innenklasse zu verstaatlichen. Die bestehenden Massenorganisationen, Gewerkschaften, Volkskomitees könnten verbunden und verbreitert werden, um jeden Tel der Arbeiter*innenklasse einzuschließen, Hausfrauen, Bäuer*innen, Milizionär*innen, um die Grundlage für einen demokratischen Arbeiter*innenstaat als unbesiegliches Bollwerk gegen die Konterrevolution zu liefern.
Solch ein Schritt hätte eine elektrisierende Wirkung auf die Arbeiter*innen nicht nur in Zentral- und Lateinamerika, sondern auch auf die USA selbst. Verbunden mit einem revolutionären internationalistischen Appell hätte er eine ähnliche Wirkung, wie das von der bolschewistischen Revolution auf der ganzen Welt erzeugte Erdbeben. Und wenn Nicaragua ein rückständiges, bäuerliches Land ist, sollte man nicht vergessen, dass Russland damals so war wie Indien heute. Der entscheidende Faktor hier ist nicht die relative Schwäche des Proletariats im Verhältnis zur Bäuer*innenschaft (die in Wirklichkeit in Nicaragua hauptsächlich Landarbeiter*innen sind, was überhaupt nicht das selbe ist), sondern die Schwäche der Führung des Proletariats von Nicaragua und im Weltmaßstab. Mit einer anderen Politik wäre das Ergebnis völlig anders.
Das Versagen der Sandinistas bei der Durchführung der Revolution bis zum Ende durch die Enteignung der vorhandenen Kapitalist*innen bedeutet, dass die Richtung der nicaraguanischen Revolution noch nicht endgültig geklärt ist. Es ist überhaupt nicht ausgeschlossen, dass unter gewissen Bedingungen die nicaraguanische Bourgeoisie mit Unterstützung des Imperialismus beginnen könnte, den ganzen Prozess zurückzuschieben. Das wirtschaftliche Durcheinander, der niedrige Lebensstandard und die Sabotage der Kapitalist*innen selbst könnten Unzufriedenheit unter einer den rückständigeren Schichten schaffen, die in einem gewissen Stadium zu einer konterrevolutionären Lage führen würde, einer Spaltung unter den Sandinistas und einem rechten Putsch. Paradoxerweise ist es die Politik von Reagan und die durch die Contras dargestellte Bedrohung einer offenen Konterrevolution, die gegenwärtig der inneren Opposition den Boden unter den Füßen wegzieht, die in den gleichen Topf geworfen wird. Die Massen sind sich vielleicht nicht ganz klar, was sie wollen, aber sie sind sich völlig klar, was sie nicht wollen: sie werden wie Tiger*innen gegen jeden Versuch kämpfen, ihnen mit Waffengewalt die alte Somoza-Diktatur aufzuzwingen.
Wie wir vorher erklärt haben, würde die ernsthafte Möglichkeit bestehen, dass die auf halbem Wege stecken gebliebene nicaraguanische Revolution vor den inneren Widersprüchen kapitulieren und der bürgerlichen Konterrevolution im Innern den Triumph erlauben würde. Aber die Sache ist, dass Reagan und der US-Imperialismus nicht warten können. Die Gefahren, die selbst eine verzerrte und unvollständige Revolution im explosiven Kontext Zentralamerikas darstellt, sind zu groß, um sie zu dulden. Alles weist in die Richtung einer offenen US-Intervention sowohl gegen El Salvador als auch gegen Nicaragua besonders in dem wahrscheinlichen Fall, das Reagan die nächsten Wahlen gewinnt. Leider bereitet die Politik der Sandinistas offen den Boden für eine solche Wendung. Ihre versuchten Zugeständnisse werden keine Wirkung haben. Nur eine kühne revolutionäre Politik kann dem Imperialismus in den Arm fallen. Nur eine vollständige Durchführung der Revolution kann ihren Erfolg garantieren. Aber das kann nicht auf die Grenzen eines kleinen, künstlichen Landes wie Nicaragua beschränkt werden. Das bloße Überleben der Revolution, von ihrer Entwicklung ganz zu schweigen, hängt von ihrer schnellen Ausdehnung ab, zumindest auf den Rest von Zentralamerika und dann auf Lateinamerika, Nordamerika und den Rest der Welt.
Selbst die Verstaatlichung und Wirtschaftsplanung wäre jedoch nicht ausreichend, das nicaraguanische Regime als ,sozialistisch’ zu definieren. Trotz des unbestreitbar fortschrittlichen Charakters der verstaatlichten Planwirtschaften von Kuba, China, der UdSSR und den anderen deformierten Arbeiter*innenstaaten, wird die Arbeiter*innenklasse dort immer noch unter der Herrschaft einer privilegierten bürokratischen Elite in Ketten gehalten. Und das ist unausweichlich der Fall, wo eine Revolution von einer guerillaistischen Minderheit durchgeführt wird, die im Namen des Proletariats handelt, egal wie heldenhaft, wohlmeinend und aufrichtig diese Leute sein mögen.
Der Marxismus stützt sich nicht aus sentimentalen Gründen oder aufgrund einer willkürlichen Entscheidung auf die Arbeiter*innenklasse als die einzige Klasse, die den Sozialismus errichten kann, sondern wegen der gesellschaftlichen Rolle des Proletariats in der Produktion und weil es die einzige Klasse in der Gesellschaft mit einem instinktiven sozialistischen, kollektivistischen Bewusstsein ist, das sich genau aus seinen Existenzbedingungen ableitet. Im Unterschied dazu ist das Bewusstsein der Bäuer*innen, der Intellektuellen, der Student*innen und des Lumpenproletariats vom Individualismus durchtränkt und gemäß der Psychologie des Kleineigentümers geformt, oder der Armeeoffizier, der das System von Befehl und gehorsam gewohnt ist, ist am wenigsten geeignet für die Organisierung der Gesellschaft nach demokratisch-kollektivistischen Prinzipien.
Ohne Arbeiter*innendemokratie kann der Sturz des Kapitalismus nur zur Schaffung eines Regimes des proletarischen Bonapartismus führen. Solch ein Regime könnte zwar die Gesellschaft in gewissem Ausmaß entwickeln, weil es auf einer geplanten, verstaatlichten Wirtschaft beruht, würde aber die Arbeiter*innenklasse vor die Aufgabe der Durchführung einer neuen politischen Revolution stellen, bevor die Gesellschaft die Bewegung zum Sozialismus beginnen kann.
Die Grundlage der Arbeiter*innendemokratie ist, dass das Proletariat als Klasse eine Gesellschaft kontrolliert. Durch seine Klassenorganisationen – Gewerkschaften, Arbeiter*innenräte, politische Parteien – bestimmt das Proletariat (und in einem Land wie Nicaragua im Bündnis mit der armen Bäuer*innenschaft), was stattfindet. Dies ist das Wesen der sozialistischen Revolution, die Tatsache, dass der Proletariat als Kollektiv handelt und die Macht übernimmt. Auf der anderen Seite kann Guerillakampf für sich genommen nie zur Arbeiter*innendemokratie führen, weil er sich auf die Idee der Schaffung von Streitkräften stützt, die die städtischen Gebiete, die Heimat des Proletariats von außen einnehmen werden.
Mit anderen Worten spielt das Proletariat in den Augen der Guerillaist*innen eine Hilfsrolle, eine Politik, die die salvadorianische Revolution 1980 in eine schwere Niederlage führte. Die guerillaistische Strategie ist nicht das gleiche wie eine, die auf der Notwendigkeit beruht, dass die Arbeiter*innenklasse einen Aufstand führen muss. Sie führt dazu, dass die Guerillaarmee und nicht die Klassenorganisationen des Proletariats die Macht übernehmen. Der einzige Weg, auf dem das vermieden werden kann, ist wenn der Guerillakampf als eine Ergänzung zu dem der städtischen Arbeiter*innenklasse gesehen wird.
Die herrschenden bürokratischen Eliten in China, Vietnam und Kuba entwickelten sich genau aus den Führungen der siegreichen Guerillaarmeen. In Nicaragua war es zwar die Arbeiter*innenklasse von Managua, die im Juli 1979 die Somoza-Diktatur stürzte, aber die politische Macht ging in die Hände der FSLN über. Trotz der Tatsache, dass die Bewegung der nicaraguanischen Arbeiter*innen, wie der sandinistische Führer Humberto Ortega zugab, die FSLN zwang, ihre Guerillastrategie zu ändern, die auf die Umzingelung der Städte abzielte, wurden sie wegen ihres langen heldenhaften Kampfes gegen Somoza als die Führer*innen der Revolution gesehen. Ohne Arbeiter*innendemokratie würde ein entschlossener Bruch mit dem Kapitalismus in Nicaragua unausweichlich zur Entwicklung einer Form von proletarischen Bonapartismus (das heißt Stalinismus) führen, egal welche guten Absichten die Sandinistas haben.
## Manche Leute haben versucht, das Zögern der Sandinistas, entschlossen gegen den Kapitalismus vorzugehen, durch Vergleiche ihrer Wirtschaftspolitik mit der der Bolschewiki in den frühen zwanziger Jahren zu rechtfertigen. Jeder Vergleich zwischen Nicaragua heute und Russland in den frühen Tagen der Revolution ist völlig falsch, weil damals, wie schon erklärt, unter Lenin und Trotzki ein Regime der Arbeiter*innendemokratie, Kontrolle durch Sowjets und eine bolschewistische Massenpartei bestand.
Die Einführung der Neuen Ökonomischen Politik 1921, die den Kapitalist*innen und reichen Bäuer*innen in Russland mehr Spielraum gab, war ein Rückzug in der Wirtschaftspolitik, der den Bolschewiki wegen der Niederlage der sozialistischen Revolution in Europa und den vom Bürgerkrieg verursachten Verwüstungen aufgezwungen wurde. Aber trotz der NEP blieben die Kommandohöhen der Wirtschaft und der gesamte Außenhandel unter der Kontrolle eines verhältnismäßig demokratischen Arbeiter*innenstaats verstaatlicht. In einem Land wie Nicaragua, das ein großes Element von kleinen, kleinbürgerlichen Produzent*innen und Händler*innen hat, würden Marxist*innen nur die sofortige Verstaatlichung der größeren Konzerne, Firmen im ausländischen Eigentum, der Banken und des Außenhandels befürworten. Die Sandinistas haben sich jedoch große Mühe gegeben, den örtlichen Kapitalist*innen und den ausländischen Regierungen zu versichern, dass sie die ,gemischte Wirtschaft’ beibehalten wollen.
Einer der Haupt-FSLN-Führer*innen, Tomas Borge, hat immer wieder von der Sehnsucht der Sandinistas gesprochen, eine gemischte Wirtschaft beizubehalten. Er sagte der Pariser ,Le Monde’ dass „wir nicht um den Amerikanern zu gefallen, von politischem Pluralismus und gemischter Wirtschaft reden. Das ist unser Programm.“ (19. Dezember 1982) Aber in einem anderen Interview ein paar Tage früher in der ,La Republica’ in Lima beschwerte Borge sich: „Wir geben den Geschäftsleuten viele Konzessionen, Kredite, Infrastruktur, aber sie bleiben unzufrieden. Sie wollen sich nicht damit abfinden, dass sie die politische Macht verloren haben.“ (12. Dezember 1982).
Das fasst das Dilemma treffend zusammen, vor dem die Sandinistas stehen. Die Revolution von 1979 zerschlug die alte Staatsmaschine, ließ die nicaraguanische Bourgeoisie ohne ,bewaffnete Formationen von Menschen’ zurück, mit denen sie ihre Herrschaft sichern. Ohne solch eine Garantie in der Form einer wenigstens verhältnismäßig sicheren kapitalistischen Staatsmaschine werden die Kapitalist*innen nicht investieren und ohne Investitionen kann die Wirtschaft nicht funktionieren. Aber statt die führenden Kapitalist*innen zu entfernen und mit der Planung der Wirtschaft zu beginnen, versuchen die Sandinistas, sie zu beschwichtigen, eine Politik, die ihnen mindestens teilweise durch die russische und kubanische Führung aufgedrängt wurde, die zögern, eine Konfrontation mit dem US-Imperialismus zu provozieren, indem sie bei der Errichtung des ersten proletarisch-bonapartistischen Staates auf dem amerikanischen Festland helfen.
Dass sie nicht klar mit dem Kapitalismus gebrochen haben, hat zur Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage Nicaraguas beigetragen und, was wichtiger ist, Reagan nicht bei dem Versuch der Zerschlagung der Revolution gestoppt. Reagan wird weiter einen Sieg für die Reaktion zu sichern versuchen, weil die fortgesetzte Entfaltung der nicaraguanischen Revolution die revolutionären Kämpfe in ganz Zentralamerika ermutigt. Egal welche Kompromisse die Sandinistas mit dem Kapitalismus oder der US-Regierung zu machen versuchen, Reagan wird seine Politik beibehalten, solange es keine Bewegung in den USA selbst gibt oder die Revolution sich erfolgreich auf andere zentralamerikanische Länder ausbreitet. Tatsächlich ist die FSLN-Politik, Reagan nicht provozieren zu wollen, sehr gefährlich, weil die beste Sicherung für die Fortsetzung der Revolution die Festigung der Arbeiter*innendemokratie innerhalb Nicaraguas und ein internationalistischer Appell an die Arbeiter*innen und Bäuer*innen in Nord- und Südamerika ist, diesem Beispiel zu folgen.
Alan Woods wies jedoch in der MIR vom Winter 1983/84 darauf hin, dass die sandinistische Politik kein Zufall ist. Sie ergibt sich daraus, dass die Führer der FSLN „die Idee der ,Zwei-Etappen’-Theorie der Revolution [anerkennen]. Der Kapitalismus in Nicaragua ist wie in ganz Zentralamerika völlig verfault, korrupt und degeneriert. Es gibt keinen Weg vorwärts für die nicaraguanische Revolution auf dieser [kapitalistischen] Grundlage. Und doch bestehen die Sandinistas auf dem vergeblichen Versuch, eine Art Privatsektor in Nicaragua aufrechtzuerhalten. Es ist ein Fehler, sich vorzustellen, dass der Kapitalismus in Nicaragua gegenwärtig beseitigt sei. Statt dessen haben wir einen äußerst merkwürdigen Zustand wo auf der einen Seite der alte Somoza-Staat völlig zerschlagen wurde – der Staat ist im marxistischen Sinne eine bewaffnete Formation von Menschen zur Verteidigung bestimmter Eigentumsbeziehungen – und ein völlig neuer Staat in Nicaragua errichtet wurde, der von den Sandinistas kontrolliert wird. Und doch bleiben nach den jüngsten Zahlen 60% des Landes (und der Industrie) in privaten Händen. Die wirtschaftliche Macht der Bourgeoisie wurde daher in Nicaragua nicht entscheidend zerstört. Darin liegt die Gefahr.
Diese Lage kann nicht über längere Zeit bestehen. Entweder werden die Sandinistas, gestützt auf die Arbeiter*innen und Bäuer*innen den Prozess zu Ende führen und die Wirtschaft verstaatlichen, oder sonst ist es nicht ausgeschlossen, dass die Bourgeoisie unter gewissen Bedingungen frische Kräfte erlangen und den neuen Staat auslöschen würde.“
Die widersprüchliche Lage, in der die Kapitalist*innen noch die Wirtschaft, aber nicht mehr den Staat kontrollieren, wird nicht ewig andauern. Der Widerspruch kann nur gelöst werden, indem entweder der Staat den Großteil der Wirtschaft durch Verstaatlichung übernimmt oder der Bourgeoisie durch den Sieg der Konterrevolution erlaubt, einen neuen kapitalistischen Staat zu schaffen. Die Tragödie ist dass die Sandinistas den Kapitalist*innen die Gelegenheit geben, in der Wirtschaft und durch ihre Versuche, politische Vereinbarungen mit Teilen der nicaraguanischen Bourgeoisie zu erreichen, die Konterrevolution zu entwickeln.
Der völlig konterrevolutionäre Charakter der nicaraguanischen Kapitalist*innen zeigt sich an der anfänglichen Weigerung ihres hauptsächlichen politischen Bündnisses, der CDN, an den für November angesetzten Wahlen teilzunehmen, solange die Sandinistas nicht Verhandlungen mit den bewaffneten ,Contra’-Banden zustimmen, die das Land angreifen.
Mitte August zog die CDN plötzlich diese Forderung zurück. Der ,Guardian’ berichtete, dass „mehrere lateinamerikanische und europäische Regierungen die CDN unter der Hand informierten, dass ihre Entschuldigung für den Wahlboykott unzureichend sei. Viele waren auch irritiert, dass die CDN zuließ, so eng mit den Contras identifiziert zu werden.“ (16. August 1984). Mit anderen Worten sagten die ausländischen Unterstützer*innen der Konterrevolution der CDN, sie sollte ihre Herangehensweise ändern, um einen besser klingenden Vorwand für die Intervention gegen die Revolution zu fabrizieren.
Die Kapitalist*innen hoffen immer noch, dass ein Wahlboykott durch ihre Parteien die öffentliche Rechtfertigung für ein noch größeres Niveau der von den USA geförderten Intervention gegen de Revolution liefern wird, wenn Reagan wiedergewählt wird. Es gibt klar keine Möglichkeit, dass sich die nicaraguanische Bourgeoisie mit der Revolution versöhnen kann, aber die Sandinistas sind immer noch nicht bereit, feste Maßnahmen gegen Gruppen wie die CDN zu ergreifen, die klar der politische Flügel der ,Contra’-Gangster ist, möglicherweise in der vergeblichen Hoffnung, dass diese Geste Reagans Intervention stoppen wird.
Dies ist das Ergebnis des Akzeptierens der ,Zwei-Etappen’-Theorie der Stalinisten durch die FSLN-Führer*innen, dass es notwendig sei, die ,Demokratische Diktatur des Proletariats und der Bäuer*innenschaft’ zu schaffen (die man manchmal jetzt fälschlich eine ,Arbeiter*innen-und-Bäuer*innen-Regierung’ nennt) als getrennte und unterschiedene Etappe vor dem Aufbau der Arbeiter*innendemokratie auf der Grundlage der geplanten verstaatlichten Wirtschaft zu schaffen.
Dies führte dazu, dass die FSLN ständig versuchte, Abkommen mit den sogenannten ,demokratischen’ Kapitalist*innen zu erreichen, während es in der Tat so etwas wie eine demokratische Bourgeoisie in Nicaragua nicht gibt. Wenn man eine kleine Handvoll von niemanden repräsentierenden kapitalistischen Politiker*innen beiseite lässt, die denken, dass sie aus der Zusammenarbeit mit dem Regime persönlich gewinnen können, ist die Masse der Kapitalist*innen entschlossen, die Revolution zu zerschlagen.
Aber die ,Zwei-Etappen’-Theorie hat bedeutet, dass die FSLN-Führer*innen gezögert haben, die hauptsächliche interne Basis der Kapitalist*innen durch Verstaatlichung zu entfernen. In der Tat sind die Hauptführer*innen der ,Contras’ bürgerliche Führer*innen, die einmal von den Sandinistas in ihre ,revolutionäre’ Regierung einbezogen waren. Arturo Cruz, der ehemalige CDN-Präsidentschaftskandidat, der bis vor kurzem Gespräche mit den Contras forderte, war tatsächlich von der FSLN im Mai 1980 in die Junta berufen worden als Ersatz für einen anderen kapitalistischen Führer, der aus Protest gegen die Politik der Sandinistas aus der Junta zurücktrat. Heute zahlt Cruz seien früheren Förderer*innen zurück, indem er Reagan einen Vorwand zum Eingreifen wegen ,undemokratischer’ Wahlen liefert.
Diese Theorie der Stalinist*innen soll auf dem beruhen, was während der russischen Revolution geschah, aber in der Tat ist sie das völlige Gegenteil. Es gab nie eine Periode, in der Lenin und die Bolschewiki mit kapitalistischen Führer*innen in der Regierung zusammenarbeiteten, aber die Stalinist*innen argumentieren immer für die Zusammenarbeit mit dem sogenannten ,demokratischen’ Kapitalismus und pervertieren alles, wofür Lenin jemals gekämpft hat.
Schändlicherweise werden diese Ideen jetzt von den früheren Anhänger*innen Trotzkis in der Socialist Workers Party der USA wiederholt, die jetzt vor dem Stalinismus kapituliert haben. Diese Abtrünnigen vom Marxismus haben die Ideen von Marx, Engels, Lenin und Trotzki entstellt, um eine völlig neue Etappe zwischen Kapitalismus und Arbeiter*innendemokratie zu schaffen, die sie „Arbeiter*innen-und-Bäuer*innen-Regierung“ nennen, in der die Hauptsektoren der Wirtschaft noch nicht verstaatlicht sind. Angesichts der Schwierigkeit, diese Position mit der des Marxismus zu versöhnen, musste ein SWP-Führer eine ,Klarstellung’ in einer Fußnote zu einem kürzlichen Artikel machen und zugeben, dass „Marx, Engels, Lenin und andere Arbeiter*innendemokratie in einem Sinne verwendeten, der auch einen Staat umfasste, in dem die politische Macht der ausbeutenden Klasse abgerungen wurde und vom Proletariats und seinen Verbündeten in die Hände genommen wurde, aber in der sozialistische Eigentumsformen (das heißt geplante Wirtschaft) noch nicht vorherrschen.“ (,New International’, Nr. 3, S. 92)
Die US-SWP ist gezwungen zugeben, dass „Lenin in den Jahren nach dem Oktobersieg viele verschiedene Ausdrücke verwendete, um den revolutionären Prozess zu beschrieben, den die Bolschewiki führten: Diktatur des Proletariats, Arbeiter*innen-und-Bäuer*innen-Regierung, sozialistischer Staat, Sowjetrepublik, Diktatur des Proletariats und der armen Bäuer*innen, proletarischer Staat etc.“ (S. 64) Dies zeigt ziemlich klar, dass diese Abtrünnigen versuchen, der Forderung nach einer Arbeiter*innen-und-Bäuer*innen-Regierung eine völlig neue Bedeutung zu geben, eine die das fortgesetzte Vorhandensein einer kapitalistischen Wirtschaft beinhaltet und mit der Rechtfertigung der sandinistischen Weigerung endet, entschieden gegen die Bourgeoisie vorzugehen, eine Politik, die die ganzen Zukunft der Revolution gefährdet. Wie wir vorher erklärt haben, gibt es nur durch die Vollendung der nicaraguanischen Revolution, das heißt den Sturz des Kapitalismus, eine Chance, die Konterrevolution zu besiegen. Jede Verschiebung oder Zögern beim Zerschlagen der Kapitalist*innen wird ihnen nur eine weitere Gelegenheit zum Organisieren der Reaktion geben.
Klar wird selbst die Errichtung einer Arbeiter*innendemokratie in Nicaragua nicht unmittelbar zum Sozialismus führen. Eine sozialistische Gesellschaft kann nur auf der Überwindung aller Formen des Mangels durch die Hebung der Arbeitsproduktivität auf viel höhere Niveaus erreicht werden, als sie unter dem Kapitalismus erreicht worden sind. Damit dies stattfindet, muss der Kapitalismus und daher der Imperialismus mindestens in einer Reihe der fortgeschrittensten kapitalistischen Länder oder, als Alternative, der Stalinismus in der Sowjetunion gestürzt werden. Ein kleines unterentwickeltes Land wie Nicaragua jedoch kann die sozialistische Weltrevolution zwar nicht vollenden, aber beginnen.
Der Sieg der sozialistischen Revolution in Nicaragua würde nicht nur bei der Umgestaltung Zentralamerikas helfen, sondern hätte tiefgehende Wirkungen auf die größeren lateinamerikanischen Länder wie Mexiko, Brasilien, Argentinien, Chile etc. Die Errichtung einer Arbeiter*innendemokratie in einem dieser größeren Länder würde die ganze Weltlage ändern und die endgültige Niederlage von Kapitalismus und Stalinismus ankündigen. Deshalb ist es so wichtig, dass die Arbeiter*innenklasse selbst in einem kleinen Land wie Nicaragua, dessen Bevölkerung halb so groß wie die Londons ist, mit marxistischer Politik bewaffnet wird. Ein Sieg für das Programm des Marxismus in einem einzigen Lande heute wäre Grünes Licht für den Beginn der Weltrevolution, die die ganze Menschheit umgestalten würde.
Chronologie der nicaraguanischen Geschichte
1821 – Die Zentralamerikanische Föderation, zu der Nicaragua gehörte, erlangt die Unabhängigkeit von Spanien.
1843 – Auflösung der Zentralamerikanischen Föderation.
1909 – US-Truppen marschieren in Nicaragua ein, um zu verhindern, dass Präsident Zelaya mit deutscher und japanischer Unterstützung einen Konkurrenten zum Panamakanal baut. Nicaragua wird de facto zu einer Halbkolonie der USA.
1912 – US-Truppen greifen erneut ein, um einen von den Liberalen angeführten Volksaufstand niederzuschlagen, woraufhin eine ständige Truppe von US-Marines in Nicaragua stationiert wird.
1925 – Abzug der US-Marines aus Nicaragua. Zwei Monate später bricht der Bürgerkrieg aus, nachdem die Konservativen ihre Koalition mit den Liberalen gebrochen und durch einen Staatsstreich die Macht übernommen haben. Die US-Truppen kehren sofort zurück.
1927 – Die Liberalen erklären sich bereit, zu den Bedingungen der USA zu kapitulieren, aber ein Führer der Liberalen, General Sandino, weigert sich und kämpft mit seiner 300 Mann starken Truppe im Norden weiter.
1932 – Mit dem Versprechen, dass die US-Marines abziehen werden (was sie 1933 taten), erklärt sich Sandino bereit, die Kämpfe einzustellen, nachdem er Garantien für einige bäuerliche Kooperativen erhalten hat.
1934 – Sandino wird bei einem von Somoza, dem damaligen Chef der nicaraguanischen Nationalgarde, und dem US-Botschafter eingefädelten Komplott ermordet, als er an einem Bankett im Präsidentenpalast teilnimmt.
1936 – Somoza ergreift die Macht und nutzt seine Position, um schließlich der reichste Mensch in Zentralamerika zu werden. Somoza wurde 1956 ermordet und von seinem ältesten Sohn abgelöst, der wiederum nach dessen Tod 1967 von seinem jüngeren Bruder abgelöst wurde. Bis 1979 besaß die Familie Somoza ein Vermögen von 150 Millionen Dollar in Nicaragua und weitere Millionen im Ausland.
1958 – Beginn einer neuen sandinistischen Guerillakampagne unter General Raudeles im Norden des Landes.
1962 – Gründung der FSLN (Sandinistische Nationale Befreiungsfront) durch Carlos Fonseca Amador, Silvio Mayorga und Tomas Borge. Fonseca war ein ehemaliges Mitglied der PSN (der pro-moskauischen kommunistischen Partei) und hatte Che Guevara in Kuba kennengelernt, nachdem er 1959 bei der sandinistischen Guerilla verwundet worden war.
1963 – Die FSLN beginnt mit Guerilla-Aktivitäten.
1970 – Nach schweren Niederlagen stellt die FSLN alle militärischen Aktivitäten ein.
1972 – Ein Erdbeben zerstört die nicaraguanische Hauptstadt Managua.
1974 – Die FSLN nimmt ihre militärischen Aktivitäten wieder auf, wenige Tage nach der Gründung der Demokratischen Befreiungsunion (UDEL), einer „Volksfront“ aus liberalen Kapitalist*innen und Arbeiter*innenorganisationen.
1975 – Die Mehrheit der FSLN schließt die von Jaime Wheelock geführte „Proletarische Tendenz“ aus, die sich gegen jedes militärische Abenteurertum wendet und dafür plädiert, dass sich die FSLN zunächst im Proletariat verankern sollte.
1976 – Weitere Spaltung innerhalb der FSLN zwischen der mehrheitlichen „Tercerista“-Tendenz und der Tendenz des „langgezogenen Volkskriegs“ (GPP). Die Terceristas unter der Führung von Daniel Ortega favorisieren kommandoartige Aktionen, Stadtguerilla-Aktivitäten ähnlich denen der uruguayischen Tupamaros, eine Orientierung auf einen früheren Aufstand und unterstützen die Idee breiter Bündnisse mit Teilen der Bourgeoisie. Die GPP, die ursprünglich von Tomas Borge geführt wurde, wollte eine Strategie des ländlichen Guerillakriegs beibehalten.
1977 – Somoza hebt den Ausnahmezustand auf, nachdem er die FSLN offenbar zerschlagen hat, doch einen Monat später startet die Tercetista-Tendenz der FSLN neue Angriffe. Im November veröffentlicht die UDEL einen Aufruf zur Schaffung einer demokratischen Alternative zum Somoza-Regime, die auch die FSLN einschließen sollte.
1978 – Ermordung des UDEL-Führers durch Somoza und „La Prensa“-Bewegung gegen das Regime. 120.000 Menschen nehmen an der Beerdigung von Chamorro teil, Arbeitgeber*innen und Gewerkschaften rufen zum Generalstreik auf. Die FSLN verübt weitere Anschläge.
– Juli: Bildung der FAO, einer breiten Oppositionsfront, die Kräfte von der MDN, die von dem millionenschweren Industriellen Alfonso Robelo angeführt wird, bis zu den Terceristas der FSLN vereint. Die Terceristas führen militärische Angriffe durch, während die Flügel der „proletarischen Tendenz“ und der GPP eine breite politische Arbeit leisten. Im ganzen Land kommt es zu Aufständen und Streiks, wobei die September-Bewegung in León und Esteli unter dem Verlust von 6.000 Menschen niedergeschlagen wird.
– Im November trennen sich die Terceristas von der FAO aus Protest gegen die Einmischung der USA in die Gespräche zwischen der FAO und Somoza.
1979 – Februar: Bildung der Nationalen Patriotischen Front (FPN) durch die Sandinistas, die Gewerkschaften, die MPU (eine Front der Volksorganisationen) und einige kleinere bürgerliche Gruppen.
– März: Wiedervereinigung der FSLN und Wiederaufnahme ihrer militärischen Offensive inmitten anhaltender Massenbewegungen. Ständig werden neue Fronten eröffnet.
– Juni: Spontaner Aufstand in der Hauptstadt Managua. Bildung einer provisorischen Exilregierung, die sich aus drei Sandinistas und ihren Anhänger*innen sowie zwei Kapitalist*innen zusammensetzt.
– Im Juli markiert der Einzug der Sandinistas in Managua das Ende des Bürgerkriegs, der mehr als 50.000 Menschen (2 % der Bevölkerung Nicaraguas) tötete. Zu diesem Zeitpunkt hatte die FSLN nicht mehr als 500 Mitglieder. Am 20. Juli wurde die provisorische Regierung mit einer sandinistischen Mehrheit von 3 zu 2 in die Regierungsjunta des Nationalen Wiederaufbaus (JGRN) umgewandelt und das Vermögen der Familie Somoza verstaatlicht. Heute unterstützen die beiden ursprünglich kapitalistischen Mitglieder der Junta die „Contras“.
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