[eigene Übersetzung des Schlussabschnitts des Dokuments „World Perspectives“, 25. Juni 1974]
Die letzten sechs Jahrzehnte haben in einem Land nach dem anderen, auf einem Kontinent nach dem anderen die Bewegung der Massen hin zur Revolution gesehen. Es war eine in der Geschichte beispiellose Periode von Revolution und Konterrevolution. Keine andere Geschichtsepoche in der blutigen Geschichte der Menschheit kann eine vergleichbare Bewegung der unterdrückten Klassen aufzeigen. Doch die Arbeiter*innenklasse hat zwar durch die Tat gezeigt, dass sie die heroischste und aufopferndste Klasse und eine durch die Prozesse der Industrie selbst im gemeinsamen Kampf vereinigte Klasse ist. Aber das Proletariat schaffte es nur für ein paar Jahre in Russland, zwischen 1917 und 1923, die Macht zu übernehmen und in einer Arbeiter*innendemokratie innezuhaben.
Die Dämmerung und der Niedergang des Kapitalismus stößt das Proletariat in den Kampf, um die Gesellschaft zu verändern. Eine außerordentlich günstige revolutionäre Lage nach der anderen, eine Revolution nach der anderen haben in Niederlagen geendet. Noch schlimmer waren die Siege der Konterrevolution trotz der potenziellen Macht der Arbeiter*innenklasse. Die Enttäuschung der Revolution und die Erfolge der faschistischen und der bonapartistischen Militär-und-Polizei-Konterrevolution lagen vollständig an der Politik der reformistischen und stalinistischen Führungen.
Trotzki behandelte in seinen letzten Schriften die Frage von „Klasse, Partei und Führung“ auf eine Weise, die in der marxistischen Literatur nie übertroffen wurde. Sie fasste die Ideen aller großen marxistischen Lehrer*innen in dieser Frage zusammen. Ohne eine revolutionäre Partei und eine revolutionäre Führung kann die proletarische Revolution nicht siegen und die Arbeiter*innenklasse nicht die Macht erringen.
Nach den Schriften von Trotzki zu dieser Fragen haben während einer Reihe von Jahrzehnten selbst die, die nicht einmal die verschwommensten Vorstellungen der dialektischen Methode von Lenin und Trotzki haben, diesen Punkt – formell – verstanden. Von Mandel über Healy und Lambert hin zu Posadas und schließlich auch Tony Cliff bauen sie eifrig nach ihrem eigenen Bilde Phantome einer solchen Partei auf. Eine ist krasser sektiererisch als die andere.
Es ist eine interessante Tatsache, dass alle von ihnen 1974 – und natürlich in den vergangenen Jahrzehnten – Wort für Wort die Ideen von „Was tun“ wiederholen (besonders die Fehler, die Lenin in dieser frühen Schrift machte und später zurücknahm). Das ist als ob die Geschichte der letzten 50 Jahre ungeschehen gemacht werden könnte und richtige Agitation (meistens machen sie falsche) in den Fabriken und Betrieben zur Schaffung einer revolutionären Massenpartei führen würde.
Jede dieser kleinbürgerlichen Tendenzen betrachtet (insgeheim, aber manchmal auch offen) die Arbeiter*innenklasse mit Verachtung, als eine unwissende Masse, die nur auf den Ruf dieser selbsternannten Messiasse wartet. Keine von ihnen erklärt die wirklichen Prozesse der Geschichte und versucht auf dieser Grundlage, ihre Kräfte so zu orientieren, dass sie in die aktiven Massen eindringen. Sie sind so weit wie möglich von der materialistischen marxistischen Methode entfernt. Sie haben nichts aus der Erfahrung der Arbeiter*innenklasse seit dem Zweiten Weltkrieg gelernt. Die Lehren der unmittelbaren Nachkriegsperiode – der revolutionärsten Periode international seit 1917-21 […].
Sie haben den Prozess des Erwachens des Proletariats zu politischer Aktivität nicht verstanden, der von dem der Studierenden und des Kleinbürger*innentums sehr verschieden ist. Das Kleinbürger*innentum ist eine sehr sprunghafte und quecksilberartige Klasse, ohne die Stabilität, Ausdauer und Hartnäckigkeit der Arbeiter*innen. Es kann innerhalb von Monaten und manchmal von Wochen erstaunlich schnelle und weitreichende Schwenkungen hin zu revolutionären und konterrevolutionären Parteien machen. Das passiert, wenn ihre halb geschützte wirtschaftliche Grundlage zusammenbricht oder ihr Lebensstandard drastisch gesenkt wird. Die Masse der Kleinbürger*innen schwankt in einer Zeit des wirtschaftlichen Drucks zwischen Unterstützung der Bourgeoisie und seiner Parteien und manchmal des Proletariats und seiner Parteien. Es ist wankelmütig und empfänglich für Veränderungen wie die Bewegung von Quecksilber.
Vielleicht ist es in dieser Hinsicht kein Zufall, dass als sensibles Barometer der Änderungen der Stimmung der Gesellschaft Studierende in vielen Ländern – für eine kurze Zeit – in beachtlicher Zahl zu vielen der Mode-Sekten übergingen. Für eine Weile konkurrierte die Idee, „die Vorhut“ zu sein, mit den anderen Interessengebieten der Studierenden.
Die Bewegung der Studierenden war ein Vorbote der kommenden revolutionären Welle und der Tatsache, dass der Schoß des Kapitalismus mit Revolutionen schwanger geht. Die besten Studierenden können für das Banner des Marxismus gewonnen werden und eine herausragende Rolle in der revolutionären Bewegung spielen, aber nicht in den Sekten, in denen ihre Tätigkeit unfruchtbar sein wird. Die Sekten vergiften sie mit allen Krankheiten des Ultralinkstums und sie wiederum verstärken die schlimmsten Aspekte des Sektierer*innentums der Sekten. Sie handeln in ihren eigenen Ländern wie von den Massen Emigrierte.
Auf der anderen Seite werden die besten Studierenden ebenso von den Arbeiter*innen lernen wie sie ihnen etwas beibringen. Dies kann nur konstruktiv getan werden, wenn sie mit der Arbeiter*innenmassenbewegungverbunden sind, mit all ihren Fehlern und Mängeln, aber mit ihrer lebendigen Verbindung mit den Arbeiter*innen.
Eine Bewegung, die wie die Sekten ihre Hauptbasis unter den Studierenden und anderen kleinbürgerlichen Schichten der Bevölkerung hat, kann nie Erfolg haben, eine Massenbasisinnerhalb der Arbeiter*innenklasse anzuziehen. Selbst eine kleine Gruppe von Arbeiter*innen würde ohne den Sauerstoff, den ihr der Kontakt mit der Massenbewegung liefert, in einer schalen Atmosphäre ersticken und von allen Krankheiten des Ultralinkstums – und Opportunismus – angesteckt werden.
Keine dieser Strömungen hat eine Neueinschätzung der Geschichte des 20. Jahrhunderts gemacht. In keinen einzigen Fall ist geschichtlich in den industrialisierten Ländern eine revolutionäre Bewegung entstanden außer aus der alten revolutionären Bewegung – die aufgehört hatte, revolutionär zu sein – oder aus der alten Bewegung, selbst wenn sie von Anfang an reformistisch gewesen war.
In gewissem Sinne kam selbst die Bolschewistische Partei aus der alten Sozialdemokratie. Sie war bis 1912 eine Fraktion der russischen Sozialdemokratie. Ihre Geschichte bis zu dieser Periode bestand aus unermüdlichen Versuchen der Vereinigung mit den Menschewiki – in der selben Partei! Sie wuchs zwar mit dem Wachstum der Sozialdemokratie in der revolutionären Epoche des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts und entstand mit der zufälligen Spaltung von 1903, aber sie erwuchs aus der Sozialdemokratie.
Tatsächlich betrachtete Lenin die Bolschewiki bis 1914 als russische Fraktion, die das Gegenstück zu der Kautskys in Deutschland war. „Was tun“, dessen Fehler Kautsky zum geistigen Vater haben – die Idee, dass das Proletariat nur zu einem trade-unionistischen Bewusstsein fähig sei und dass nur „Intellektuelle von außen“ der unwissenden und rückständigen Arbeiter*innenklasse sozialistisches Bewusstsein bringen könnten –, wurde lange vor der Spaltung, selbst dem Beginn der Spaltung als Broschüre für die vereinigte Sozialdemokratie geschrieben. Das Modell für eine Partei in diesem Material war die deutsche Sozialdemokratische Partei und ihre Methoden, die auf den russischen Boden übertragen und natürlich auf die russischen Bedingungen angewandt werden sollten.
(Man sollte hier darauf hinweisen, dass es hier, wie in allem, was Lenin schrieb, eine ungeheure Masse an wertvollem Material gibt, aber sich vorzustellen, dass man durch die Wiederholung von Lenins Formeln für die Arbeit und Agitation einen magischen Teppich erhält, auf dem eine revolutionäre Partei automatisch herbei schweben wird, bedeutet, die konkrete Methode von Lenin und die Geschichte des Bolschewismus und der Arbeiter*innenklasse im 20 Jahrhundert nicht zu verstehen.)
In den meisten Ländern kamen die Kräfte, die in ihrer ersten Phase die Kommunistische Internationale bildeten, aus den alten Organisationen der Sozialdemokratie (was in früheren Dokumenten erklärt wurde).
Dies war selbst auf der Grundlage der Russischen Revolution so. Es spiegelte die Anziehungskraft und die große Autorität der Revolution und ihrer Führer*innen wider. Seitdem haben Jahrzehnte von Opportunismus und von Verbrechen der stalinistischen Führer*innen die großen Traditionen des Marxismus-Leninismus mit einer dicken Wand aus Schleim bedeckt. Zusätzlich waren die großen geschichtlichen Ereignisse dieser Epoche Niederlagen für die Arbeiter*innen (allerdings wegen der Führung) und Siege in bastardisierter stalinistischer Form. Selbst der Sieg der Sowjetunion im Krieg, der geschichtlich die größte Bedeutung hatte, indem er das gesamte internationale System des Kapitalismus schwächte, stärkte trotzdem für eine Periode die stalinistische Bürokratie weiter. Dazu kam die Abschaffung von Kapitalismus und Großgrundbesitz in Osteuropa und China.
Es gab einen geschichtlichen Umweg durch Mao, Tito und Castro. Diese sozialistischen Abweichungen wurden bis heute nur durch unsere Tendenz angemessen erklärt. Aber die Wirkung war, die Verdunkelung der grundlegenden Ideen des Marxismus weiter zu verstärken.
Die Fehler der sogenannten Vierten Internationale können nur durch diese Isolation dieser Bewegungen von der Arbeiter*innenklasse erklärt werden und der Tatsache, dass selbst die fortgeschrittenen Arbeiter*innen und die Intellektuellen, die nach Ideen suchten, die Anziehungskraft von Maoismus und Castroismus als starken Magneten erlebten. In der Tat ist es überhaupt kein Zufall, dass auch die Führer*innen dieser Strömungen dem Druck dieser Bewegungen mit bäuerlicher Basis nachgaben. Sie konnten diesem ungeheuren geschichtlichen Hurrikan nicht standhalten und stützen auch heute noch ihre Ideen, Methoden und Taktiken eklektisch darauf. In Wirklichkeit sind sie den Stalinist*innen und Reformist*innen bei der völligen Zurückweisung der Taktiken und Methoden des Marxismus, Lenins und Trotzkis gefolgt.
Selbst heute noch ist die Wirkung dieses merkwürdigen geschichtlichen Umwegs die Auslöschung – in den Augen der Massen – der Autorität des Trotzkismus – das heißt des Marxismus der gegenwärtigen Epoche. Die abgrundtiefen Fehler und die Degeneration der Cliquen lag an ihrer Unfähigkeit, die Traditionen und Ideen des Marxismus trotz der stalinistischen, reformistischen und kapitalistischen Flutwelle im Boom aufrechtzuerhalten. Diese Degeneration machte es ihnen unmöglich, das von den ungünstigen Flutwellen böse zugerichtete Schiff der Revolution schwimmfähig zu halten, bis günstigere Flutwellen es vorwärts treiben würden.
So warfen sie sich vor jeder kleinbürgerlichen Tendenz und Idee ehrfurchtsvoll nieder. Sie passten sich dem Castroismus, Maoismus und Titoismus nicht nur als Programm für rückständige, sondern auch für fortgeschrittene Länder an. (Daher ihre jämmerlichen Possen in der Portugiesischen Revolution.)
Als letztes Wort im modernen Denken haben sie Methoden und Ideen vorgebracht, die schon von Marx auseinandergenommen worden waren. Vormarxistische Ideen des Terrorismus, die wirklich mit der Politik des Bakunismus verbunden sind, ein ultralinkes Gegenstück zum Stalinismus der Dritten Periode [1928-33], Stadtguerilla, Orientierung auf das Lumpenproletariat, sofortige direkte Aktionen. Eine ganze Reihe von Ideen und Methoden, die Marx und Engels und später „endgültig“ Lenin und Trotzki gewissenhaft und gründlich widerlegt hatten, wurden als unmittelbare Wundermittelchen gegen die Probleme wiederbelebt, vor denen die Arbeiter*innenklasse steht.
Das liegt am Fehlen einer marxistischen Organisation und Theorie mit Autorität. Die jungen – und oft nicht so jungen – kleinbürgerlichen Radikalen, die zu revolutionären Ideen erwachen, wollen einfache Antworten und eine narrensichere Abkürzung zur Revolution.
Jahrzehnte von kapitalistischem Wirtschaftsaufschwung in den industrialisierten Ländern auf der einen Seite und die Verzerrung der Revolution in den rückständigen Ländern auf der anderen Seite drückten mit einem ungeheuren Gewicht auf eine junge und schwache Tendenz. Es erforderte die Flexibilität der dialektischen Methode, auf der einen Seite die grundlegenden Traditionen des Bolschewismus aufrechtzuerhalten und sich auf der anderen Seite auf das neue Phänomen des Stalinismus zu orientieren (obwohl alle Probleme in Russland im Keime vorhanden waren und es nur eine Erweiterung von Trotzkis Methode – die Berücksichtigung aller beteiligten Faktoren – erforderte, um sie zu verstehen). Weil diese Tendenzen das nicht schafften, sind sie als ernsthafter Faktor in der Bewegung der Arbeiter*innenklasse zusammengebrochen.
Nur eine unnachgiebige Beibehaltung der theoretischen Ideen, wie es Lenin und Trotzki in den schwarzen Jahren der Reaktion machten, hätte die marxistische Tendenz verhältnismäßig unversehrt halten und auf das unvermeidliche neue Vorrücken vorbereiten können. In den Jahren vor dem Krieg war es selbst unter viel weniger schwierigen Umständen für das theoretische Genie Trotzki mit seiner großen Autorität nicht leicht, in einer ungünstigen geschichtliche Lage die Kräfte zusammenzuhalten. Unter dem Druck der Isolation und der feindlichen Strömungen und Klassen gab es eine ganze Reihe von Spaltungen. Aber der Kader wurde aufrechterhalten und gestärkt. Vor allem wurden die grundlegenden Ideen des Leninismus immer gestärkt und unter neuen Blickwinkeln gezeigt. Auf diese Weise hoffte Trotzki, für die Zukunft vorzubereiten. Die Knirpse und Epigonen, die die Führung der Bewegung an sich rissen, gaben diese ernste und gründliche Methode auf – und gaben im Lauf eines Zeitraums folglich alles auf außer dem Anspruch, Marxist*innen zu sein.
Sie verbeugten sich auf die demütigendste Weise vor den vollendeten Tatsachen und verwandelten sich in berufsmäßige, unbezahlte und ignorierte Anwält*innen und Berater*innen aller stalinistischen Führer*innen in den stalinistischen Ländern. Sie verloren ihr politisches Gleichgewicht und glauben, dass „neue“ Methoden und Politiken – weg von den „konservativen“ und „altmodischen“ Methoden und „Formeln“ von Lenin und Trotzki – ihnen einen Weg zur schnellen Gewinnung von Massenunterstützung zeigen würden.
Die Tatsache, dass die von Marx, Lenin und Trotzki ausgearbeiteten Grundprinzipien der ganzen unmittelbaren Politik zugrunde lag, die sie übernahmen, wurde von diesen Helden der „neuen Methoden“ und „neuen Politiken“ nicht verstanden. Wie die Bourgeoisie, die Stalinist*innen und Reformist*innen beteten sie am Altar der vollendeten „Tatsachen“. Sie passten sich rein empirisch den unmittelbaren Wirklichkeitenan und gingen so für die Bewegung verloren. Die enttäuschende Wirklichkeit ließ sie alle Perspektiven der Revolution in den industrialisierten Ländern aufgeben. Ihre „Kader“, die zahlenmäßig schwach genug waren, degenerierten politisch wegen dem Mangel an Perspektiven und Verständnis des revolutionären Prozesses.
Die Führungen der Kommunistischen und Sozialdemokratischen Parteien vollendeten ihre Degeneration unter dem Druck von zwei Generationen von theoretischem Bankrott und dem Druck des Kapitalismus und der reformistischen Mächte, unter dem Druck des Wirtschaftsaufschwung. Aber unter den besonderen Bedingungen behieltensiedie Unterstützung der Massen – und in der Tat die Organisationen der Klasse, Gewerkschaften und Parteien – vergrößerten ihre Macht mehr als in irgend einer anderen Zeit in der Geschichte.
Mandel & Co hatten nicht die Unterstützung der Massen, aber sie verloren das, was dafür für eine Weile entschädigen kann, das kostbare Erbe der revolutionären Theorie. Wenn die Ideen richtig sind, dann können die Massen schließlich mit richtiger Politik, Taktik und Strategie gewonnen werden und werden unausweichlich gewonnen werden.
Unsere Tendenz behielt den Schatz des Marxismus gewissenhaft bei, den wir von Lenin und Trotzki geerbt hatten. Dies brachte uns unvermeidlich immer wieder in Konflikt mit diesen Tendenzen. Da sie die Argumente nicht beantworten konnten, griffen sie zur Methode der Ausschlüsse. Darin hatten sie geschichtlich recht. Marxismus und kleinbürgerlicher Empirismus und Impressionismus können nicht auf unbestimmte Zeit in der selben Organisation zusammen existieren. Vielleicht die beste dieser Strömungen ist die [US-]SWP, die es schafft, zu richtigen oder fast richtigen Schlussfolgerungen zu kommen – etwa 10 oder 20 Jahre verzögert. Aber eine Wendung wie die Stalinist*innen auf diese Weise ohne Erklärung oder Schlussfolgerungen zu machen, bereitet den Boden für weitere Fehler. Solch eine Methode ist die schlimmste für die Schulung von Kadern. Es ist das Gegenteil der Methode von Lenin und Trotzki für die Schaffung einer revolutionären Partei, revolutionärer Traditionen und revolutionärer Theorie. „Richtige“ Schlussfolgerungen, die heimlich das Gegenteil dessen vertreten, was gestern gesagt wurde, sind ein Mittel, die Kader irrezuführen und zu verwirren.1 Nicht umsonst erklärte Lenin, dass es ohne revolutionäre Theorie keine revolutionäre Bewegung geben könne. Den Kurs auf diese Weise zu verändern, was die hauptsächliche Gemeinsamkeit all dieser ultralinken und opportunistischen Tendenzen ist, sorgt dafür, dass sie von einem falschen Kurs zum entgegengesetzten Fehler stolpern. Sie sind eine Karikatur der Vorkriegsstalinist*innen, die in dieser Beziehung den selben Prozess zeigten. Aber die Stalinist*innen hatten die Massen, oder einen großen Teil der Massen, unter ihrer Kontrolle. Sie sind tote Tendenzen, die nur am Rand der Arbeiter*innen- und Gewerkschaftsbewegung tätig sein können.
Wenn wir entschlossen allen diesen kleinbürgerlichen Cliquen und Sekten den Rücken zugekehrt haben, wo werden dann die Kräfte der neuen Internationale herkommen? Die Geschichte der Kommunistischen Internationale liefert die Antwort. Die Massenkräfte des Marxismus werden aus den alten Organisationen des Proletariats kommen.
Mit der revolutionären Welle, die in den industrialisierten und halbindustrialisierten Ländern begonnen hat, wird eine Differenzierung in den Massenorganisationen des Proletariats hervorgerufen werden. Der Beginn der Revolution in Portugal und Griechenland und bald noch tiefgreifender in Spanien stellt eine entscheidende Periode der Schwächung der Reaktion im europäischen und internationalen Maßstab dar.
Die Krise in der Politik in Großbritannien, Japan, Westeuropa und Amerika wird wiederum Krisen in den Organisationen des Proletariats hervorrufen.
Dies wird in den Kommunistischen Parteien so sein, aber besonders in der Sozialdemokratie. Schon, fast als Laborexperiment gab es das Ausspeien des äußersten rechten Flügels in Australien, Japan, Holland, Luxemburg, Dänemark und Italien.
Dies stellt den Beginn des Prozesses der Differenzierung aller, oder fast aller Parteien der Sozialdemokratie auf der Grundlage der Ereignisse dar, mit einem schnelleren oder langsameren Tempo. Aber ohne das aktive Eingreifen des Marxismus innerhalb dieser Parteienkann der Prozess in den Wüstensand des Linksreformismus, Halbzentrismus und Zentrismus geraten. Der Prozess kann sich als Teufelskreis wiederholen – wobei die Sozialdemokratie für eine Periode „normal“ wird; oder es gibt sterile und unzeitgemäße Abspaltungen, wie es sie in der Nachkriegsperiode gegeben hat, die in Sterilität enden.
Aber die stalinistischen Massen-, und selbst die kleinen Parteien, sind dem selben Prozess unterworfen, trotz ihrer härteren bürokratischen Struktur; auch sie sind in einer revolutionären Epoche und werden nicht in der Lage sein, ihre Reihen intakt zu halten … Sie sind nicht länger die monolithischen Parteien der Vergangenheit. Sie werden sich immer wieder spalten und zentristische und halbzentristische Tendenzen ausstoßen.
Die Erfahrung von Italien ist in dieser Beziehung lehrreich. Der rechte Flügel der Sozialistischen Partei spaltete sich ab, aber es gab keinen marxistischen Kern, um daraus Vorteil zu ziehen. Die SP spaltete und spaltete sich erneut. Die Gelegenheit wurde vertan und der Rumpf der PSIUP wurde von der Kommunistischen Partei übernommen; die Sozialistische Partei bewegte sich nach links, wurde von der KP ins Schlepptau genommen – und bewegte sich dann wieder nach rechts. Die Kommunistische Partei hatte viele Spaltungen, die sich organisatorisch in eine zentristische (oder im Fall der Manifesto-Gruppe anarchistische) und politisch eine linksreformistische Richtung bewegte. Eine ganze Galaxie von kleinen ultralinken und maoistischen und anarchistischen Gruppen ist entstanden. In diesem Sinne legten sie Zeugnis vom Fehlen einer gangbaren marxistischen Strömung ab.
Dies ist der Spiegel der unausweichlichen Prozesse in der Zukunft. Unter den Hammerschlägen von Revolution und revolutionären Lagen werden sowohl Sozialdemokratie als auch Kommunistische Partei unausweichlich eine Reihe von Krisen erleben.
Mit dem Ausspeien des rechten Flügels wird die Sozialdemokratie dann in einem Prozess der Gärung und Diskussion sein. Um ihre Mitglieder zu halten, werden sie Pseudo-Bewegungen nach links und noch linkere Gesten in Worten machen müssen. Dies wird ein ungeheuer fruchtbares Feld für die Ideen des Marxismus liefern.
Die stalinistischen Parteien werden auch ungeheurem Druck ausgesetzt sein und ähnliche Tendenzen werden aufzutreten beginnen.
Sowohl in den KPen als auch SPen werden Prozesse wie die in der Vorkriegssozialdemokratie stattzufinden beginnen: die Bildung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei und später der SAP in Deutschland, der ILP in Großbritannien und ähnliche Phänomene.
Die Prozesse in der Jugend innerhalb der Sozialistischen Partei, die immer ein wichtiges Vorzeichen für künftige Prozesse sind, sind eine Vorwegnahme des künftigen explosiven Erwachsens der Mitgliedschaft der Sozialistischen – und dann der Kommunistischen Parteien.
Die acht oder möglicherweise zehn Sektionen unserer Bewegung sind auch ein Vorbote künftiger Prozesse und der Organisation von Gruppierungen innerhalb der Sozialistischen Parteien – und auch der Kommunistischen Parteien.
Aus den Reihen der Massenorganisationen werden die künftigen Kader des Trotzkismus kommen. Wenn wir beginnen, nennenswerte Gruppen zu bekommen werden vielleicht auch aus den Organisationen des „Trotzkismus“ jüngere Elemente gewonnen werden. Wie die Erfahrung beweist, werden sie noch mehr Umlernen müssen als die frischen Mitglieder der Sozialdemokratie wegen der falschen Schulung durch die Sekten. Es ist möglich, dass selbst von den Maoist*innen jüngere Elementen, Arbeiter*innen umlernen und assimiliert werden können.
Die Kader werden hauptsächlich aus der Jugend, aber auch aus den Gewerkschaften und, wenn sich die Krise entwickelt, aus der SP und KP kommen.
Aber am Beginn der revolutionären Ereignisse werden die Organisationen der KP und SP an der Spitze des Proletariats stehen.
Wir haben die frische Lehre von Portugal, und können jetzt im Voraus Griechenland hinzufügen, dass die KP zunächst ungeheuer gestärkt entstehen wird – organisatorisch. Morgen wird es eine Bewegung in Spanien in einem noch größeren Umfang geben. Die SP und KP werden die Unterstützung der überwältigenden Mehrheit der Arbeiter*innen haben.
Unsere Tendenz sagte diesen Prozess vor Jahrzehnten in Spanien und Portugal voraus. Die Revolution in Portugal zeigte die Richtigkeit unserer Analyse und Methode.
In der unmittelbaren Vorkriegsperiode schaute Trotzki zuversichtlich auf die überwältigende revolutionäre Welle – deren Wellental von einer noch größeren Welle der Radikalisierung und Revolution gefolgt werden würde. Dies wurde in der Nachkriegsperiode von den stalinistischen Parteien gemildert – und noch mehr durch den Nachkriegs-Wirtschaftsaufschwung.
Die revolutionären Vorkriegsbewegungen der Arbeiter*innen wurden durch die faschistische Reaktion erstickt. Jetzt ist der Faschismus als Massenkraft außerordentlich schwach. Militär- und Polizeistaaten sind in Portugal und Griechenland zusammengebrochen. Morgen wird Franco-Spanien, das jetzt ein bonapartistischer Militär- und Polizeistaat ist, zusammenbrechen, entweder durch eine vorbeugende Bewegung von oben wie in Portugal oder durch eine Revolution von unten.
Jetzt wird im internationalen Maßstab eine Welle der Revolution oder radikalen Massenaktion der anderen folgen.
Es wird Wellentäler der Reaktion geben, denen erneut eine höhere Welle der radikalen Aktion folgen wird; dies wird eine „permanente Revolution“ sein, die in den führenden kapitalistischen Ländern vonstatten gehen wird, vor allem in Europa. Die Massen, besonders die Arbeiter*innenklasse, sind nicht dumm: sie werden ihre Organisationen immer wieder testen, sie werden lernen und die Lehren der Erfahrungen und großen Ereignisse verinnerlichen.
Das nächste Jahrzehnt ist eine Periode, wie sie Trotzki erwartet hat. Die spanische Revolution von 1931-37 wird ein Modell für ganz Europa sein.
Aber an den Rändern der Massenorganisationen wird man nichts erreichen. Die Tendenz wird nur innerhalb und als Teil der Massenorganisationen wachsen. Vor dem Hintergrund einer solchen Perspektive kann unsere Tendenz schnell wachsen. Die sehr beschränkten Erfolge, die wir international gemacht haben, sind Saaten für die Zukunft, die im Treibhaus der Revolution ein schnelles und stürmisches Wachstum haben können. Junge Kader, in vielen Fällen was ihr Alter und ihren Kontakt mit revolutionären Ideen betrifft, können in solch einer Atmosphäre schnell lernen und wachsen. Eine Generation von Erfahrung kann in ein halbes Jahrzehnt zusammengedrückt werden. Das Trara der selbsternannten „Vierten Internationalen“ bei der Schaffung „revolutionärer“ Parteien hat nicht die geringste Hoffnung auf Erfolg. Die Geschichte wird sie nicht einmal zur Kenntnis nehmen, höchstens als Fußnote, wie die Maoist*innen und Guerillaist*innen, die in den industrialisierten – und was das betrifft auch – exkolonialen Ländern so viel Schaden angerichtet haben.
Vor dem Krieg verschwanden die großen bucharinistisch-brandlerianisch-lovestonianischen Parteien und Fraktionen, ohne irgend etwas zurückzulassen. Ein paar waren Massenparteien, aber auf der Grundlage von falschen Theorien und Perspektiven sind sie verschwunden und nur ihre Namen bleiben übrig.
Sobald die Bewegung wirklich beginnt, wird das auch das Schicksal der maoistischen und sich als Vierte Internationale bezeichnenden Sekten sein. Wir müssen ihre Ideen bekämpfen, besonders in unserem internen Material, aber es ist viel wichtiger, unsere Aufmerksamkeit den Ideen und Prozessen in der Massenbewegung zuzuwenden. Trotzki schrieb, dass es Jahrzehnte erfordere, eine revolutionäre Führung aufzubauen. Aber jedes Jahr in der kommenden Periode wird einem Jahrzehnt in der Vergangenheit entsprechen. Wenn wir lernen und uns die Lehren der bevorstehenden großen Ereignisse aneignen, können wir einen internationalen Kader schaffen.
Junge Kader werden in der Aktion gestählt werden. In dieser Beziehung hat die britische Sektion eine Verantwortung und Pflicht, weil sie mehr führende Kader und Ressourcen besitzt. Sie muss an allen Sektionen teilnehmen und ihnen helfen und dabei natürlich sorgfältig in den besten Traditionen der Kommunistischen Internationale und Lenins und Trotzkis handeln. Die Veröffentlichung der Hauptdokumente der Tendenz in sechs Sprachen muss unternommen werden. Wir brauchen ein gedrucktes Internationales Bulletin in möglichst kurzer Zeit in anderen Sprachen. Das Bulletin muss für theoretisches Material, für Polemik und für Schulung verwendet werden. Wir müssen die gedruckten Artikel, Perspektiven und Material der anderen Sektionen veröffentlichen. Theorie und kontroverses Material müssen veröffentlicht und diskutiert werden als Mittel zur Schulung der gesamten Mitgliedschaft international. Einiges Material muss übersetzt und in Großbritannien gedruckt werden.
Unsere Aufgaben ist angenehm, aber schwierig: die Organisation neuer Parteien und einer neuen Internationale. Dies kann nur auf der Grundlage einer richtigen Theorie und richtiger Perspektiven konkret gemacht werden. Viele Fehler werden international gemacht werden, aber durch gemeinsames Korrigieren und gemeinsame Erfahrung werden wir sie korrigieren und die gesamte Bewegung auf ein höheres Niveau heben.
Auf dieser Grundlage werden wir Parteien schaffen, die sich auf die wirkliche Erfahrung der Massen stützen und die in der kommenden Periode der Revolutionen zum Sieg führen werden.
1 Die amerikanische Socialist Workers Party führte damals innerhalb des Vereinigten Sekretariats eine Fraktionskampf, in dem sie z.B. bei der Notwendigkeit einer politischen Revolution in China und der Ablehnung des Guerillaismus richtige Positionen vertraten. Nachdem die alte Generation der Parteiführung aber abgetreten war, warf Anfang der achtziger Jahre die neue Generation um Jack Barnes die trotzkistische Tradition offen über Bord
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