Clara Zetkin: Proletarische und bürgerliche Frauenbewegung

[„Die Gleichheit. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen”, 10. Jahrgang, Nr. 24, 21. November 1900, S. 185 f.]

Die Verhandlungen der sozialdemokratischen Frauenkonferenz zu Mainz, die Verhandlungen der vierten Generalversammlung des „Bundes deutscher Frauenvereine“ zu Dresden haben falsche Deutungen und überschwängliche Hoffnungen auf Seiten derer hervorgerufen, welche dem Traumbild der „einen, ungeteilten Frauenbewegung“ nachjagen, die in göttergleicher Unparteilichkeit über den politischen Parteien und sozialen Kämpfen thront.

Wie liegen in Wirklichkeit die Dinge?

Die sozialdemokratische Frauenkonferenz hat erklärt, dass für ihre grundsätzliche Auffassung der geschichtlichen Entwicklung, wie für ihre dadurch bedingte Stellung zur bürgerlichen Frauenbewegung die Resolution des Gothaer Parteitags maßgebend sei. Die Sozialistinnen haben sich damit entschieden wie je auf den Boden der Klassengegensätze gestellt, die innerhalb der Frauenwelt ebenso schroff und unüberbrückbar vorhanden sind, wie innerhalb der Männerwelt. Sie haben ihre Überzeugung bekundet, dass bürgerliche und proletarische Frauenbewegung zwei wesensungleiche soziale Strömungen sind. Nach wie vor schätzen sie die Frauenrechtelei als eine Nur-Reformbewegung ein, die wohl die Gesellschaft zu Gunsten der Rechte des weiblichen Geschlechts verbessern will, die aber den Kampf für die Aufhebung des Vorrechts der Kapitalistenklasse zu Gunsten der Befreiung des Proletariats abweist. Nach wie vor betonen sie, dass die proletarische Frauenbewegung ihrem Wesen nach eine revolutionäre Bewegung ist, ein Teil der allgemeinen sozialistischen Bewegung, welche mit der Beseitigung der kapitalistischen Ausbeutung und Beherrschung der Arbeiterklasse das Ende jeder Ausbeutung und Beherrschung eines Menschen durch einen anderen Menschen anstrebt. Kurz, die sozialistischen Frauen ließen keinen Zweifel darüber, dass sie in der alten reinlichen Scheidung der Grundsätze der bürgerlichen Frauenbewegung gegenüberstehen.

Was das Zusammenarbeiten einzelner Sozialistinnen mit einzelnen bürgerlichen Frauen anbelangt, so hat die Frauenkonferenz nichts Neues festgelegt. Sie hat die Auffassung darin gelten lassen, die schon bisher gegolten hat. Das gelegentliche Hand-in-Hand-Wirken einzelner Genossinnen und Frauenrechtlerinnen ist Privatsache, die dem persönlichen Geschmack und Taktgefühl überlassen bleibt, und die nach der Wichtigkeit der Umstände zu beurteilen ist. Dass ein solches Zusammenarbeiten nicht unter allen Verhältnissen gutzuheißen ist, versteht sich am Rande. Es darf nicht zu einer Zersplitterung und Vergeudung unserer Kräfte und zur Vernachlässigung unserer Hauptaufgabe führen, sondern muss dieselbe mittelbar fördern. Es soll unter Wahrung unserer sozialistischen Auffassung geschehen. Wo immer wir Reformarbeit leisten, da müssen wir sie als Sozialisten und nicht als Nur-Reformler betreiben. Die Genossinnen haben das auf der Konferenz mit allem Nachdruck hervorgehoben.

Die Frage eines Zusammengehens bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung von Fall zu Fall hat die Konferenz überhaupt nicht erörtert. Was etliche „radikale“ Frauenrechtlerinnen auf der Generalversammlung betreffs unserer diesbezüglichen Beschlüsse behaupteten, beruht auf einem Irrtum, dem vermutlich der Wunsch Gevatter gestanden hat.

Was die Sozialistinnen nicht getan, das taten jedoch die Frauenrechtlerinnen. Sie nahmen Stellung zu der Frage, die von den „Radikalen“ durch den Antrag Lischnewska aufgerollt wurde. (Siehe diesen, wie den Gegenantrag Lange-Freudenberg in Nr. 22 der „Gleichheit“.) Die Debatten darüber verschlangen den größten Teil der Zeit der Generalversammlung und führten zu einem heftigen Aufeinanderplatzen der „Gemäßigten“ und „Radikalen“. Sehen wir von dem mancherlei Richtigen und vielerlei Falschen ab, das über Sozialdemokratie, sozialistische Frauenbewegung, politische und unpolitische Arbeiterinnenbewegung etc. von denen um Frl. Lange wie von denen um Frau Cauer geredet wurde, ebenso von den tönenden Worten, die oft an die Stelle fester Begriffe traten, so stellt sich der Gegensatz wie folgt dar. Die „Radikalen“ verkehrten die taktische in eine grundsätzliche Frage und befürworteten prinzipiell, unter allen Umständen eine Verständigung zwischen der bürgerlichen und proletarischen Frauenbewegung. Die „Gemäßigten“ dagegen fassten die taktische Frage sachgemäß als das auf, was sie ist und empfahlen in dem Antrag Lange-Freudenberg eine Verständigung von Fall zu Fall. Wenn die „Jungen“ den Fall des Antrags Lischnewska bejammern und die Annahme der Gegenresolution als „einen Schlag ins Wasser“ bezeichnen, als „Worte, aber kein Prinzip“, so bestätigen sie überflüssigerweise neuerlich, wie kunterbunt ihre Anschauungen sind. Der Antrag Lange-Freudenberg „blickt der Tatsache ins Gesicht“, dass eine grundsätzliche Gemeinschaft zwischen Frauenrechtlerinnen und Sozialistinnen ausgeschlossen ist, dass dagegen in taktischer Beziehung in einzelnen Fällen unter bestimmten Verhältnissen eine Verständigung im Bereich der Möglichkeit liegt. Die „Radikalen“ dagegen drücken sich in einem dichten Phrasen- und Begriffsnebel um die Tatsachen herum. Sie wollen „prinzipiell“ alles umfassen, es bleibt ihnen daher nichts in den Händen. Immerhin dürfen sie für sich das Verdienst beanspruchen, die konservativen, zagen „Alten“ vorwärts getrieben zu haben.

Welche taktische Haltung ist der sozialdemokratischen Frauenbewegung durch ihren Charakter als Klassenkampfbewegung geboten?

Die Klassensklaverei des Proletariats stellt sie in einen unverwischbaren prinzipiellen Gegensatz der Frauenrechtelei gegenüber, die Geschlechtssklaverei der Frau aber schafft auf rechtlichem und politischem Gebiete eine Reihe Berührungspunkte mit ihr. Weitere Berührungspunkte würden geschaffen, wenn die Frauenrechtelei sich mit ihrem Wirken aus dem engen, steinigen Gärtchen der Wohltätigkeitsbestrebungen entschieden auf das weite, fruchtbare Feld sozialer Reformarbeit begeben wollte. Im Kampfe für die privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Gleichstellung der Geschlechter, im Kampfe für Reformen zu Gunsten des Proletariats, in erster Linie aber der Arbeiterinnen, ist eine sich wechselseitig stützende und fördernde Parallelaktion der proletarischen und bürgerlichen Frauenbewegung auf Grund einer Verständigung von Macht zu Macht wohl denkbar. Wir sagen ausdrücklich eine Parallelaktion und nicht eine gemeinsame Aktion. Denn die grundsätzliche Bewertung aller Reformen seitens der Sozialistinnen und der Frauenrechtlerinnen schließt ein enges Zusammengehen aus. Den Frauenrechtlerinnen sind die Reformen Selbstzweck, uns sind sie Mittel zum Zweck, das Proletariat, insbesondere aber das weibliche Proletariat, zu heben und geschickter zum Kampfe für Beseitigung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu machen. Wir möchten die Frauenrechtlerin sehen, die wegen der schönen Augen einer „prinzipiellen Verständigung“ mit uns diesen Standpunkt in einer Versammlung zu vertreten wagte! Sie verdiente als ein Unikum in Spiritus aufbewahrt zu werden. Uns dagegen legt gerade eine Parallelaktion mit bürgerlichen Elementen die Verpflichtung zu schärfster Betonung unserer grundsätzlichen Anschauung auf. Es gilt, jeder Trübung des Klassenbewusstseins im weiblichen Proletariat entgegenzuwirken, die andernfalls eintreten könnte.

Aber freilich: leicht beieinander wohnen im luftleeren Räume der Spekulation die Gedanken von einer Parallelaktion der Frauenrechtlerinnen und Sozialistinnen. Hart im Räume stoßen sich dagegen die Tatsachen. Die deutsche Frauenrechtelei hat sich bisher so unklar, halb, schwach und ängstlich erwiesen, dass sie weder in der Richtung frauenrechtlerischer Forderungen, noch in der sozialer Reformen ihre Ziele weit genug zu stecken wagte, dass eine Verständigung mit uns von Fall zu Fall möglich gewesen wäre. Jede solche Verständigung wäre für uns ein Rückschritt gewesen. Ob von nun an gelegentlich die Möglichkeit zu einer vereinbarten Aktion vorliegen wird, das hängt mithin vor Allem davon ab, ob die Frauenrechtlerinnen die Erkenntnis und den Mut gewinnen, entschieden vorwärts zu schreiten, ihre Ziele weiter zu stecken, bis dahin, wo unsere Feldzeichen im Kampfe für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts und die Hebung des Proletariats wehen. Wir glauben nicht, dass in absehbarer Zeit die Bäume „der Verständigung von Fall zu Fall“ bis in den Himmel wachsen werden. Die komische Hartnäckigkeit der Vogelstraußpolitik, mit der die „Gemäßigten“ ihren Kopf in den Sand von Wortklaubereien über Namen steckten, mit der sie sich an die harmlose Bezeichnung „Arbeiterinnenbewegung“ klammerten, lässt einen Rückschluss auf die „Taten“ zu, die zu erwarten sind. Wie die Dinge liegen, stellt sich der Beschluss der frauenrechtlerischen Generalversammlung als ein Wechsel auf die Zukunft dar, und die Vergangenheit der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung drängt die Frage auf: Wird dieser Wechsel wohl je eingelöst werden?

Unsere Agitation für den gesetzlichen Arbeiterinnenschutz bringt eine Probe auf das Exempel. Sie gibt den Frauenrechtlerinnen beste Gelegenheit, ihre Sympathie für die „Arbeiterinnenbewegung“ dadurch zu betätigen, dass sie in der bürgerlichen Welt eine kraftvolle und umfassende Aktion für unsere Forderungen entfalten. Es wird sich zeigen, ob die Damen nicht bloß arbeiterinnenfreundlich den Mund spitzen können, sondern ob sie auch arbeiterinnenfreundlich pfeifen wollen.


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