August Bebel: Die deutsche Fabrikinspektion im Jahre 1887*)

[Nach „Die Neue Zeit: Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie.“ – 6. 1888, Heft 12 (Oktober 1888), S. 529-539]

Der nunmehr vorliegende Generalbericht des Reichsamts des Innern über die Beaufsichtigung der Fabriken im deutschen Reich im Jahre 1887 unterscheidet sich von seinem Vorgänger durch. etwas größere Ausführlichkeit. An Stelle der 160 Seiten des vorjährigen Berichts, abgesehen von dem tabellarischen Anhang, ist ein solcher von 328 Seiten getreten, worunter nahezu 70 Seiten Abdruck vom Statuten, Polizeiverordnungen etc. enthalten. Mit dieser räumlichen Ausdehnung geht auch eine gewisse redaktionelle Verbesserung Hand in Hand. Die in den letztjährigen Zusammenstellungen häufig hervortretende Tendenz, die Zoll- und Agrarpolitik der Reichsregierung zu verherrlichen, ist diesmal vermieden, auch sind die früher öfter vorgekommenen Ausfälle der Inspektoren gegen die Sozialdemokratie und eine gewisse arbeiterfeindliche Tendenz mehr in den Hintergrund getreten. Ob dies an den Spezialberichterstattern liegt, die allmählich ihre Aufgabe besser begriffen, oder an dem Generalberichterstatter, ist schwer zu sagen. Ziehen wir die von uns im Novemberheft dieses Blattes besprochenen Berichte der sächsischen Fabrikinspektoren auf das Jahr 1887 zum Vergleich heran, so kommen wir zu der Ansicht, der Verfasser des Generalberichts habe nach Möglichkeit die Hervorhebung solcher gegen die Arbeiterklasse bzw. die Sozialdemokratie gerichteten Äußerungen und Urteile wiederzugeben vermieden. Wohl kommen einzelne solcher sehr parteiisch klingenden Urteile vor, und wir werden auf diese noch speziell zurückkommen, aber so wenig wir damit einverstanden. sind, so wenig wünschen wir eine absichtliche Unterdrückung derselben.

Wir wollen kein Hehl daraus machen, dass eine befriedigende, gegen Einwände gesicherte Zusammenstellung der Berichte, eine sehr schwierige, nahezu unmögliche Aufgabe ist, darum erklären wir uns vor wie nach entschieden für den Abdruck der Einzelberichte. Ganz besonders veranlasst uns zu diesen Verlangen ein Vergleich der sächsischen Berichte mit dem Reichsbericht, Obgleich die sächsischen Berichte im Reichsbericht bei der Zusammenstellung räumlich sehr gut weggekommen sind, ist doch sehr vieles aus ihnen weggeblieben, was für die weitesten Kreise von Interesse und in seiner Art charakteristisch ist. Andererseits haben wir allerdings auch gefunden, dass der Reichsbericht Verschiedenes aus den sächsischen Originalberichten enthält, was man in der Zusammenstellung derselben durch das sächsische Ministerium des Innern vergeblich sucht. Alles das zusammengenommen, wiederholen wir nachdrücklich unsere Forderung: Abdruck der Originalberichte. Wir könnten einer Zusammenstellung der Berichte nur insofern das Wort reden, als es sich um die Beantwortung gewisser, vom Reichskanzler gestellter Fragen handelt, wie sie z.B. in den diesjährigen. Berichten über das Lehrlingswesen behandelt und beantwortet werden.

Um die Berichte nicht zu umfänglich erscheinen zu lassen, müssten die Inspektoren angewiesen werden, nur Wesentliches zu berichten. Der Abdruck der Originalberichte würde zur Verbesserung derselben wesentlich beitragen, ein Berichterstatter würde von dem anderen lernen, Es entstünde ein Wettelfer, die besten Berichte zu liefern, Es ist auch im Generalbericht, z.B,. unter der Rubrik „Wohlfahrtseinrichtungen“, manches so herzlich Unbedeutende veröffentlicht, dass es kaum die darauf verwendete Druckerschwärze lohnt, Die krampfhaften Bemühungen mancher Inspektoren, die geringfügigste Leistung eines Unternehmers über die gewöhnliche Lohnzahlung hinaus als eine große humane Tat aufzufassen, die eine Verewigung in den Jahresberichten verdient, streift hart ans Lächerliche, Eine präzisere Abfassung der Berichte würde ohne Schaden für den Inhalt zum Vorteil des Lesers gereichen, und der Abdruck dieser Originalberichte würde zu einer reichen Quelle der Belehrung über unsere sozialen Verhältnisse werden.

Aus dem vorliegenden Generalbericht geht hervor, dass es gegenwärtig im deutschen Reich 48 Inspektionsbezirke gibt, die aber sehr ungleich in Bezug auf geografische Größe und auf Bevölkerungszahl sind. Das große Preußen hat nur 18 Inspektionsbezirke, worunter nur drei sind – Berlin, Charlottenburg mit den Kreisen Teltow-Niederbarnim, der Regierungsbezirk Arnsberg, und die Regierungsbezirke Trier und Aachen – wo den Inspektoren je ein Hilfsbeamter, einer, der Regierungsbezirk Düsseldorf, wo dem Inspektor zwei Hilfsbeamte zur Seite stehen, Preußen ist also (im Vergleich zu Sachsen, das mit seinen 14.993 Quadrat-Kilometer und 3.300.000 Einwohnern sieben Inspektoren mit vierzehn Assistenten und sechs chemischen Sachverständigen besitzt, sehr im Hintertreffen. Das zeigt am schlagendsten, wenn man die industriell hochentwickeltsten Provinzen Preußens mit Sachsen vergleicht. Danach kommen auf die Provinz Schlesien mit 40.285 Quadrat-Kilometer und 4250000 Einwohnern nur zwei Inspektoren; auf die Rheinlande mit 26.975 Quadrat-Kilometer und 4600000 Einwohnern drei Inspektoren mit drei Assistenten; auf die Provinz Sachsen mit 25.240 Quadrat-Kilometer und 2.600.000 Einwohnern zwei Inspektoren; auf Westfalen mit 20.202 Quadrat-Kilometer und 2.350.000 Einwohnern zwei Inspektoren mit einem Hilfsbeamten. Nicht minder ungünstig stellen sich im Vergleich zu Sachsen die süddeutschen Staaten, Bayern wit 75860 Quadrat-Kilometer und 5.600.000 Einwohnern hat nur vier Inspektoren, Württemberg mit 19504 Quadrat-Kilometer und 2.400.000 Einwohnern besitzt nur einen Inspektor mit einem Hilfsbeamten. Die früher bestandenen zwei Inspektionsberichte sind in einen verschmolzen worden, Baden mit 15.081 Quadrat-Kilometer und 1.750 000 Einwohnern hat ebenfalls nur einen Inspektor.

Steht auch die industrielle Entwicklung der Mehrzahl der genannten Bezirke hinter derjenigen Sachsens zum Teil erheblich zurück, so ist allein der auf einen Inspektionsbezirk entfallende Flächenraum ein so bedeutender, dass die Reisen einen großen Zeitaufwand erfordern und ist deshalb schon eine gründliche Kontrolle der zerstreut liegenden industriellen Anlagen einfach unmöglich. Aber abgesehen von der geografischen Größe der Bezirke ist auch die Zahl der revisionspflichtigen Betriebe eine so große, dass sie unmöglich ein einzelner Beamter auch nur annähernd zu kontrollieren vermag, Die Unterstützung, die einzelnen der Inspektoren in hervorragend industriell entwickelten Bezirken durch Zugabe von einem oder höchstens zwei Hilfsbeamte gewährt wurde, genügt auch noch nicht ihrem Zweck. Mehr Inspektoren und kleinere Bezirke bleibt vor wie nach unsere Forderung.

Ausgenommen von dieser Forderung können eine Anzahl der Kleinstaaten werden, welche für Ihr Gebiet mit einem Inspektor auszukommen vermögen, Im Augenblick ist keiner mehr der deutschen Staaten ohne Inspektorat, nachdem auch Lübeck dem Beispiel der Übrigen folgte.

Die höchste Zahl der Revisionen in den einzelnen Bezirken hat Sachsen (1613, 1234, 1016, 1008, 893 usw.), Berlin-Charlottenburg 1105, Baden 757, Frankfurt a. O., 663, Württemberg 650 usw. Eine Angabe über die Zahl der revisionspflichtigen Betriebe fehlt, wodurch erst sich feststellen ließe, in welchem Verhältnis die Revisionen stattgefunden haben.

Sehr gering ist die Zahl der Nachtrevisionen. Hier steht Frankfurt a. O. mit 43 an der Spitze, dann folgt Düsseldorf mit 32, Merseburg-Erfurt mit 28, Trier-Aachen mit 25 usw. Eine verhältnismäßig sehr geringe Zahl von Nachtrevisionen weist das Königreich Sachsen auf, nur zehn, wie schon in unserem früheren Bericht hervorgehoben wurde.

Die geringe Zahl der Nachtrevisionen wird damit begründet, dass Kinder gar nicht, und Frauen immer seltener, selbst in Zuckerfabriken, bei Nacht beschäftigt würden.

Über die Unterstützung der Inspektoren durch die Ortspolizeibehörden liegen nur wenig positive Angaben vor. Im Ganzen wird das Verhältnis der Inspektoren zu den Polizeibehörden als ein „befriedigendes “ oder auch „gutes“ bezeichnet, Der Grund zu diesem günstigen Urteil scheint in den meisten Inspektionsbezirken aus der Tatsache geschöpft zu werden, dass die große Mehrheit der Ortsbehörden keine Revisionen, oder fast keine vornimmt, und Inspektoren und Polizei fast nicht miteinander in Berührung kommen. Nur sehr wenige Bezirke machen davon eine erfreuliche Ausnahme.

An der Spitze steht hier Berlin, woselbst die Polizeibehörden in 1480 Betrieben, in welchen jugendliche Arbeiter beschäftigt werden, 14.688 Revisionen vornahmen. Jede der in Berlin bestehenden 3267 Fabriken sei durchschnittlich fünfmal im Jahre polizeilich revidiert worden. Nächst Berlin sind polizeiliche Revisionen besonders häufig in Hamburg (1484) und in den Aufsichtsbezirken Arnsberg und Aachen-Trier, woselbst ein besonderer Polizeibeamter für diesen Zweck angestellt wurde, vorgenommen worden.

Ans anderen Bezirken wird geklagt, dass die Kontrolle der gesetzlichen Vorschriften durch die Ortsbehörden häufig mehr oder minder zu wünschen übrig lasse, namentlich an kleineren Orten, Den richtigen Grund hierfür gibt der Bericht für Württemberg an, welcher sagt: „Wenn gerade hier die Ortsbehörde ihre Schuldigkeit nicht tut, so hängt das wohl zum Teil mit einer gewissen Abhängigkeit derselben von der vielleicht sehr einflussreichen Persönlichkeit des Unternehmers zusammen. (Die nicht selten selbst die Ortsbehörde ist, Der Verf.) Sollten die gesetzlichen Bestimmungen über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter streng durchgeführt werden, so wird dies nur mit Hilfe der staatlichen Polizeiorgane – der Landjäger – möglich sein.“ Das stimmt vollkommen. Das Richtigste aber wäre, wenn jeder Inspektor eine Anzahl Organe zur Verfügung hätte, die von ihm ihre diesbezüglichen Weisungen empfangen und auch direkt an ihn Bericht zu erstatten hätten.

Wie bisher schon üblich, so enthält auch der diesjährige Generalbericht eine Rubrik „Stand der Industrie und des Arbeitsmarktes“, die indes ziemlich mager (18 Seiten) ausgefallen ist, Aus den meisten Bezirken wird für die Mehrzahl der Industrien eine Besserung der allgemeinen Geschäftslage im Vergleich zu 1886 berichtet, die in einzelnen Zweigen sehr erheblich, in andern kaum merkbar war. „Scharfe Konkurrenz“ ist überall vorhanden. Eine andere Reihe von Betrieben klagte über fortdauernden schlechten Geschäftsgang , teilweise von der Mode beeinflusst, Als wenig befriedigend werden unter anderen bezeichnet der Geschäftsgang in der Posamentierwarenfabrikation, der Kunstwollspinnerei, der Strumpfwarenfabrikation, der Wollwarendruckerei, der Glas- und Porzellanindustrie. Als teilweise schlecht in der Maschinenfabrikation, den Kesselschmieden, der Zigarrenfabrikation, den Getreidemühlen, in den Brennerei- und den Rübenzuckerfabriken.

Allgemein sehr erhöhte Tätigkeit wird aus allen mit dem Baugewerbe zusammenhängenden Betrieben gemeldet, aus den Zementfabriken , der Kalkbrennerei, den Ziegeleien, Steinbruchbetrieben, den Sägewerken, Bautischlereien usw., Ferner aus der Großeisenindustrie, vielen Zweigen der Textilindustrie und des Bergbaues.

In einer Anzahl Berichte ist auch der schädlichen Folgen gedacht, welche die im Jahre 1887. so leichten Herzens hervorgerufenen Kriegsgerüchte erzeugten , über deren Zweck. jetzt alle Welt längst klar ist. Allseitig wird die stetige Vermehrung der Dampfanlagen hervorgehoben. Auch im Kleinbetriebe machte sich mehrfach die Einführung von Motoren bemerkbar. Insbesondere gibt der Württemberger Bericht eine diesbezügliche Statistik der Gaskraftmaschinen, welche hauptsächlich in den polygrafischen Gewerben zur Anwendung kommen.

Im Aufsichtsbezirk Minden-Münster hat man sich mit der Sisyphusarbeit beschäftigt, zu untersuchen, wie man der hausindustriellen Leinenweberei wieder aufhelfen könne, Man glaubt ausfindig gemacht zu haben, dass unter gewissen Verhältnissen der Handweber für feinere Gewebe die Konkurrenz mit dem mechanischen Webstuhl aufnehmen könne. Im Allgemeinen kommt man zu dem Schluss, dass der stetige Rückgang der Hausweberei nicht allein durch die fortdauernde Entwickelung der mechanischen Weberei veranlasst werde, sondern zum großen Teil auch auf die gänzliche Nichtbeachtung der Neuerungen zurückzuführen sei. Die Einrichtungen und Geräte seien zum Teil von den Vorfahren in unveränderter Weise übernommen worden, und noch jetzt sei Besserung äußerst schwierig, weil, wie unser berichterstattender weiser Thebaner auch einsieht, das Notwendigste dazu – die Mittel fehlen. Ja, wenn das verfluchte Geld nicht wäre, dann wären vermutlich alle unsere von der großindustriellen Konkurrenz bedrückten Kleinmeister Fabrikanten geworden, um dann auch zu Grunde zu gehen … Dass die Großen die Kleinen und, wo es keine Kleinen mehr gibt, die Großen unter sich sich aufzehren bis nur die größten Hechte übrig bleiben, ist so klar die Tendenz unserer ganzen industriellen Entwickelung, dass man nicht mehr nötig hat, darüber noch tiefsinnige Betrachtungen anzustellen. –

Über die Zahl der beschäftigten Kinder und jugendlichen Arbeiter liegen sehr wenig statistische Angaben vor. Nach der Weisung des Reichskanzlers soll eine Zählung derselben alle zwei Jahre vorgenommen werden, sie würde also in diesem Jahre wieder stattfinden. Der Bericht behauptet, dass im Allgemeinen die Beschäftigung von Kindern in der Abnahme begriffen sei, eine Zunahme zeigten neben dem Königreich Sachsen, wo dieselbe sehr bedeutend ist**), hauptsächlich die Aufsichtsbezirke Potsdam-Frankfurt a.O., Minden-Münster, Köln-Koblenz, Arnsberg, Baden, Neuss ält. Linie auf. Ob die behauptete Abnahme der Kinderarbeit richtig ist, wollen wir abwarten. Bekanntlich werden Kinder nur in gewissen Industrien, hauptsächlich in der Textilindustrie, mit Vorliebe beschäftigt und wir fürchten, dass die Zunahme der Kinderarbeit in diesen Branchen die Abnahme in andern, wo dieselbe eine Ausnahme bildet, überwiegt. In Württemberg hat sich die Tatsache herausgestellt, dass zwar die Kinderarbeit abnahm, dagegen wuchs die Zahl der Betriebe, in welchen jugendliche Arbeiter beschäftigt werden, von 761 im Jahre 1886 auf 959 im Jahre 1887, also um 30 Prozent.

Genauere Angaben über die Verletzungen der bestehenden Gesetze und Verordnungen, betreffend die Beschäftigung der Kinder und jungen Leute in Fabriken, sind im Ganzen nur spärlich vorhanden. Im Düsseldorfer Aufsichtsbezirk gab es unter 514 Anlagen, in welchen Kinder und jugendliche Arbeiter beschäftigt wurden, 105, in denen auf Grund polizeilicher Kontrolle Übertretungen zum Teil erheblicher Art festgestellt wurden, 132 junge Leute, darunter 26 Kinder, hatten zu lange Arbeitszeit, 19 wurden in der Nachtarbeit beschäftigt, 12 bei der Sonntagsarbeit, 2 an Reißwölfen, 258 wurden keine Pausen gewährt, Weiter stellte der Fabrikinspektor in 3 Fabriken mit 117 jugendlichen Arbeitern ähnliche Übertretungen fest. Hier ist der schlagende Beweis geliefert, was durch eine häufige polizeiliche Kontrolle der gesetzlichen Bestimmungen über die Beschäftigung von jugendlichen Arbeitern erreicht werden kann. Wie mag es dort aussehen, wo diese Kontrolle gänzlich fehlt oder nur ganz ausnahmsweise durch den Fabrikinspektor vorgenommen werden kann?

Im Württemberger Bericht wird hervorgehoben, wohl möge ein geschäftseifriger Meister oder Werkführer solche gesetzwidrige Arbeit dulden, meist seien es aber die im Akkord beschäftigten jugendlichen Arbeiter selbst oder deren Eltern, welche eine Überschreitung der zehnstündigen Arbeitszeit veranlassten. Ähnlich spricht sich der Bericht aus dem Köln-Koblenzer Aufsichtsbezirk aus.

Wir wollen gar nicht bestreiten, dass es leider ziemlich viel Arbeiter-Eltern gibt, deren Kinder ihnen nicht lange genug arbeiten können, um möglichst viel zu verdienen; wir glauben auch, dass es jugendliche Arbeiter gibt, welche namentlich angereizt durch das famose Akkordsystem länger arbeiten möchten, damit wird aber die Verantwortung der Unternehmer beziehentlich ihrer Meister und Werkführer um kein Jota vermindert. In jeder ordentlich geleiteten Fabrik weiß jeder Arbeiter genau, was er zu tun und zu lassen hat und nötigenfalls ist es Sache der leitenden Personen, ihm dies klar zu machen. Es macht jedenfalls einen eigentümlichen Eindruck zu sehen, wie die Inspektoren sich bemühen, die Verantwortung von den Inhabern und Leitern der Betriebe auf die Eltern, beziehentlich die jugendlichen Arbeiter selbst abzuwälzen.

Das ist wieder einer der Punkte, woraus sie erklärt, dass die Inspektoren so wenig das Vertrauen der Arbeiter besitzen und. so selten von diesen um Rat und Hilfe angerufen werden, wie das auch aus dem diesjährigen Bericht wieder hervorgeht. Ganz anders in der Schweiz. Ein Blick auf die erste Seite des schweizerischen Fabrikinspektorenberichts für 1887 belehrt uns, dass es dort gerade vorzugsweise die Arbeiter sind, welche sich in den verschiedensten Anliegen an die Inspektoren wenden. Bei uns ist es umgekehrt, und das hat, wie gezeigt, seine guten Gründe.

In Württemberg haben eine Anzahl Unternehmer ein ganz raffiniertes System ausgeklügelt, um jugendliche Arbeiter während der ganzen Dauer der Arbeitszeit von 5½ Uhr Morgens bis Abends 7 Uhr, mit Unterbrechung durch eine einstündige Mittagspause, zur Verfügung zu haben, Zu diesem Zweck sind die jugendlichen Arbeiter in drei Abteilungen geteilt. Die erste arbeitet von 5½–5½ Uhr mit Pausen von 8½-9, 12-1 und 3½-4 Uhr. Die zweite tritt ein von 7–7 Uhr mit Pausen von 9-9½, 12-1, 4-4½ Uhr. Die dritte Abteilung endlich beginnt Morgens 5½ Uhr und endet Abends 7 Uhr, hat aber Pausen von 8-8½, von 11½-2 und von 4½-5 Uhr. Der Inspektor gibt selbst zu, dass bei diesem System der Einteilung jede Kontrolle aufhört. Und was sollen die jungen Leute der dritten Abteilung, die von Morgens 5½ bis Abends 7 Uhr auf den Platze sein müssen, in den langen Pausen von 11½-2 Uhr machen?

Übertretung der gesetzlichen Bestimmungen ist hier naheliegend und ist eigentlich auch der Zweck dieses raffinierten Systems. Die frommen schwäbischen Unternehmer wetteifern in raffinierter Umgehung bestehender gesetzlicher Schutzvorschriften mit ihren gleichfalls sehr frommen. englischen Konkurrenten, die, wie uns Marx belehrt, es auch meisterlich verstehen, dem Gesetz ein Schnippchen zu schlagen. Bestände ein gesetzlich fixierter Normalarbeitstag, solche Praktiken wären unmöglich. Jetzt sind sie nur durch unterbrochene polizeiliche Überwachung oder durch eine gesetzliche Bestimmung, dass jugendliche Arbeiter incl. der gesetzlich vorgeschriebenen Pausen nicht über eine bestimmte Zeit in der Fabrik anzutreffen sein dürfen, zu verhüten. Und dahin wird’s wohl kaum kommen, wenn das Beispiel der schwäbischen Ausbeuter im übrigen Deutschland gelehrige Nachahmer findet, wie nicht zu bezweifeln ist.

Der Inspektor von. Minden-Münster wendet sich nachdrücklich gegen das Verlangen eines Teils der Unternehmer, die Verantwortung für die Beschäftigung von Kindern und jugendlichen Arbeitern auf die Meister und Werkführer abzuwälzen, wofür der Inspektor von Düsseldorf unter gewissen Einschränkungen bedauerlicherweise eintritt. Aus Schwarzburg-Rudolstadt wird Beschwerde geführt über die Beschäftigung von Kindern unter 12 Jahren in der Hausindustrie der Glasbläserei; gleiche Beschwerde führt der Aufsichtsbeamte für Reuß j. L. hinsichtlich der Beschäftigung von Kindern in der Zigarrenindustrie, Der Aufsichtsbeamte für Merseburg-Erfurt hält die Beschäftigung von jugendlichen Arbeiterinnen in gewissen Zweigen der Papierfabrikation für bedenklich.

Allgemein wird hervorgehoben, dass die Zahl der Arbeiterinnen, namentlich in der Textilindustrie, stetig im Wachsen ist, Im Aufsichtsbezirke Reuß j. L, waren 46,7%, der Arbeiterinnen – 1876 von 4015 – verheiratet. In Württemberg betrug die Zahl der verheirateten Arbeiterinnen nur 5%. Die Gesundheitsverhältnisse der weiblichen Arbeiter in den Quecksilberbelegen von Fürth sollen im verflossenen Jahr eine erhebliche Besserung erfahren haben. Unzweifelhaft sei aber, dass das weibliche Geschlecht gegenüber den Gefahren des Merkurialismus weit weniger widerstandsfähig ist als das männliche. Trotzdem habe sich die Zahl der weiblichen Beleger auf Kosten der männlichen vermehrt, und zwar weil erstere billiger arbeiteten. Warum dringt man denn nicht auf das Verbot der Beschäftigung von Arbeiterinnen oder verbietet überhaupt das Belegen mit Quecksilber? Der Kapitalist hat doch kein Privilegium, Menschenleben zu ruinieren.

Die Aufsichtsbeamten der Pfalz und Niederbayerns äußern sich sehr ungünstig über die Zustände in den Zündholzfabriken, wo meist weibliche Arbeiter beschäftigt werden, Letztere seien sehr schwer zur Beobachtung der nötigen Schutzmaßregeln zu. bringen. Der Düsseldorfer Bericht befürwortet das Verbot der Beschäftigung von Arbeiterinnen in Ziegeleien und in Schleifereien, wo sie in Männertracht tätig seien. –

Schöne Zustände herrschen in den Städten Aachen und Burtscheid, Ein „nicht unbedeutender Teil“ der 7548 Arbeiterinnen bleibe wegen der weiten Entfernung ihrer Wohnstätte von Montag bis Sonnabend Abend in der Fabrik und übernachten sie dabei vielfach in der Weise, dass sie sich angekleidet in den Stopp- und Stopfsälen auf das Tuch oder auch wohl auf lose Wolle und dergleichen legen. Schlimmer sieht es zum Teil noch im Landkreis Aachen aus.

Von diesen Schandzuständen, die auch schon A. Thun in seiner Schrift „Die Industrie am Niederrhein“ der Welt enthüllt hat, scheinen unsere katholischen Sozialreformer, die vorzugsweise doch im Rheinland ihre Heimat haben, nichts zu wissen, Hier wäre ein Feld zum Eingreifen für sie, statt mit schönen Deklamationen sich im Reichstag zu ergehen.

Eins ist bei der Hervorhebung all dieser Übelstände auffällig, dass die Aufsichtsbeamten so selten auf energisches Eingreifen, sei es auf dem Verordnungswege, sei es auf dem Wege der Gesetzgebung dringen, obgleich ihnen doch klar sein muss, dass es ohne diese Hilfe in den meisten Fällen nicht geht.

Allerlei neue Beschäftigungsarten für Frauen hat der Aufsichtsbeamte für Ober-und Mittelfranken festgestellt. Nach ihm sind Frauen auch bei der Kreissäge und an dem Dampfhammer beschäftigt und werden immer mehr in der Porzellanfabrikation als Former oder Gießer angewandt.

Erhebliches Sinken der Löhne wird aus den Aufsichtsbezirken Mittel- und Oberfranken in Folge des schlechten Geschäftsgangs berichtet. Gleiches verlautet aus Hessen, namentlich aus dem Offenbacher Kreis, und aus dem Aufsichtsbezirk Chemnitz bezüglich der Strumpfwarenfabrikation. Elend sind auch die Löhne in Hinterpommern, wo in Glashütten für stündige Arbeit eine Mark gezahlt wird. Eigentliche lohnstatistische Mitteilungen fehlen gänzlich.

Auch über die Dauer der täglichen Arbeitszeit in den verschiedenen Industrien lauten die Angaben sehr allgemein. Der Württemberger Bericht hebt hervor, dass in der Textilindustrie die Arbeitszeit durchschnittlich sehr lang sei. Eine elfstündige Arbeitszeit sei das Minimum; seiner Meinung nach sei diese als Maximum genügend, und befürwortet er dementsprechende Vereinbarungen der Interessenten durch die Berufsgenossenschaft. Ein Normalarbeitstag habe im Gebiet der Textilindustrie die meiste Berechtigung. Damit sind wir einverstanden, aber ohne gesetzlichen Zwang wird’s nicht dahin kommen.

Eine interessante Statistik über die Dauer der täglichen Arbeit in den verschiedenen Betrieben liegt aus Mittel-und Oberfranken vor. Daraus ergibt sich, dass in 60,4%, der Betriebe in Mittelfranken die Arbeitszeit 11 Stunden und länger dauert. Unter anderem hatten 77 Betriebe eine 11stündige Arbeitszeit, 54 Betriebe eine 12stündige, 15 Betriebe eine 13- bis 16stündige, 9 Betriebe eine 16- stündige. 8,3% der Betriebe hatten zwischen 10 und 11 Stunden, 31,5% 10 Stunden und weniger.

Noch ungünstiger stellt sich das Verhältnis in Oberfranken. Hier hatten 75,2 % der Betriebe 11- und mehrstündige Arbeitszeit, und zwar hatten 19 Betriebe 11 Stunden, 41 Betriebe 12 Stunden, 17 Betriebe 12-16 Stunden, 7 Betriebe über 16 Stunden, darunter 4 achtzehn Stunden. Eine über 18stündige Arbeitszeit bestand in Holzsägen und Glasschleifereien; 13-, 14- bis 16stündige Arbeitszeit hatten Bierbrauereien, Ziegeleien, Malzfabriken, Hefefabriken, Glasschleifen. 9-9½stündige Arbeitszeit bestand in den chromolithografischen Kunstanstalten, und 6-8stündige Arbeitszeit in den Fürther Quecksilberbelegen. Die Textilindustrie hatte durchschnittlich 12stündige Arbeitszeit. Auch ist die Ausnutzung der Arbeitskraft in der Textilindustrie insofern die intensivste, als Vor- und Nachmittagspausen fast allgemein fehlen.

Klagen über zu lange Arbeitszeit und den Wegfall der Pausen wurden, wie verschiedene Berichte melden, öfter angebracht und sie waren sehr gerechtfertigt. Niemand wird bestreiten können, dass die meisten der mit Überlanger Arbeitszeit hier erwähnten Gewerbe, das beweisen sie, soweit sie Aktiengesellschaften sind, sich durch hohe Dividendenzahlungen auszeichnen -– Bierbrauereien, Malzfabriken, Ziegeleien, Spinnereien etc. – was beweist, dass sie eine sehr erhebliche Beschränkung der Arbeitszeit ohne Schaden für die kapitalistischen Entbehrungslöhner vertragen können, Eine allgemeine Lohn- und Arbeitszeitstatistik wäre ein dringendes Bedürfnis, sie zeigte, wo die Reform einzusehen hätte.

Ein recht dürftiger Abschnitt im Generalbericht ist jener über die Arbeitseinstellungen. Wer nach diesen offiziellen Mitteilungen die Streikbewegung der deutschen Arbeiter beurteilen und kennen lernen wollte, würde ein sehr schiefes Bild erhalten. Uns interessiert hier vorzugsweise eine Äußerung des badischen Aufsichtsbeamten, welcher bemerkt: „Bei den gewöhnlichen Arbeitern ist das Angebot zu groß, als dass hierdurch (durch Arbeitseinstellung) Erfolg erwartet werden könnte, und die gelernten Arbeiter sind zur Zeit, besonders in flott gehenden Industrien, so gut bezahlt, dass Aufreizungen zu Arbeitseinstellungen an der einfachsten Überlegung der Arbeiter scheitern würden.“ Der badische Inspektor sieht also die Arbeitseinstellungen immer nur als Folge von Aufreizungen an. Dass die Arbeiter dazu sehr begründete Ursache haben können, erkennt er nicht an. Der Arbeiter soll eben sich ducken und schweigend warten, bis es dem Unternehmer gefällt, von den Vorteilen einer günstigen Geschäftskonjunktur ihm einige Brötchen zukommen zu lassen.

Unsere deutschen Inspektoren könnten noch sehr viel von ihren englischen Kollegen lernen.

Auch der hessische Fabrikinspektor scheint sehr geneigt zu sein, Arbeitseinstellungen als eine sozialdemokratische Eigentümlichkeit anzusehen. Bemerken wollen wir hierbei, dass die Ansicht, als habe die Polizei 19 Teilnehmer einer Arbeitseinstellung in Offenbach erst auf Grund des kleinen Belagerungszustandes in Polizeistrafe nehmen können, eine irrige ist. Der sog. kleine Belagerungszustand gibt der Polizei keine besondere Vollmacht in Bezug auf Verhängung von Polizeistrafen, die einzige ist die Ausweisung.

Einen sehr erheblichen Teil des Berichts – über 55 Seiten nimmt die Beantwortung der Fragen ein, welche der Reichskanzler zur speziellen Beantwortung stellte und die sich auf die Art der Ausbildung von Arbeitern, Vorarbeitern und Werkmeistern erstrecken, und auf das Bedürfnis, solche auszubilden. Bei der Zusammenstellung der Beantwortung solcher Fragen dürfte man doch beanspruchen, dass die gleichlautenden Antworten aneinander gereiht würden, so dass sie ein systematisch geordnetes Bild böten. Davon zeigt der Bericht nur geringe Spuren, Die Antworten laufen für und wider ziemlich kraus durcheinander und ein genaues Bild wird mir Derjenige erhalten, welcher den ziemlich breiten Ausführungen mit größter Aufmerksamkeit folgt.

Das Bedürfnis nach gelernten Arbeitern, Vorarbeitern und Werkmeistern wird von vielen Seiten bejaht, aber die Neigung, die Ausbildung in die Hand zu nehmen, ist in den meisten Industrien nur eine geringe. Man scheut vor der Mühe und den Kosten zurück, angesichts der Unmöglichkeit, den ausgelernten Arbeiter dauernd an die Arbeitsstätte zu fesseln. In den Betrieben mit streng durchgeführter Teilung der Arbeit und hochentwickelter Technik besteht das Bedürfnis nach gelernten Arbeitern am wenigsten. Hier ist jeder Arbeiter an einen eng beschränkten Kreis von Verrichtungen gebunden, die er ohne besondere Unterweisung in kurzer Zeit gründlich beherrscht. Nicht selten durchläuft nun ein Arbeiter im Laufe der Jahre eine ganze Reihe solcher Teilverrichtungen, und das verschafft ihm eine Kenntnis des Betriebs und der Fabrikation, die ihn später vollständig zum Vorarbeiter oder zum Werkmeister befähigt. Es gibt nicht wenige Betriebe, die grade auf solche, durch sich selbst emporgekommene Arbeiter den größten Wert legen und sie mit Vorliebe zu Vertrauensposten berufen. Dort wo eine gewisse manuelle Geschicklichkeit des Arbeiters verlangt wird und notwendig ist, z.B. im Maschinenbau, den Porzellan- und Fayencefabriken, der Metallverarbeitung (Bijouterie-, Bronzewarenfabriken), den Möbelfabriken usw. liegen die Dinge wesentlich anders. Diese Betriebe können ohne Arbeiter, die eine längere Lehrzeit hinter sich haben, nicht auskommen, und haben meist auch Vorkehrungen hierfür getroffen. Bemerkenswert ist, dass verschiedene Berichterstatter hervorheben, die Aufnahme von Arbeitern aus dem Kleingewerbe, die dort ihre Gehilfenqualität erlangten, genüge den vorgeschritteneren neueren technischen Bedürfnissen der Großindustrie fast nirgends mehr.

Die Mitteilungen über die Dauer der Lehrzeit, der gezahlten Entschädigung usw. lauten sehr abweichend. Der Anhang enthält eine Anzahl solcher Lehrverträge in wirklichem Abdruck mit zum Teil keineswegs mustergültigen Bestimmungen.

Eine originelle Entdeckung hat der Aufsichtsbeamte für Potsdam-Frankfurt /O. gemacht. Er behauptet, aus dem Umstande, dass die Ausbildung der Lehrlinge in den Buchdruckereien ausschließlich in den Händen der Arbeiter liege und der un mittelbaren Einwirkung der Lehrherren entzogelt sei, folge, dass die gewerbliche Unterweisung der Lehrlinge sehr lückenhaft und deren sittliches Verhalten nicht nur sehr vernachlässigt, sondern auch durch demoralisierende Einflüsse ernstlich gefährdet sei. „Daher auch in den Kreisen der Buchdrucker der fruchtbare Boden für die Sozialdemokratie.

Die deutschen Buchdrucker werden sich wohl am meisten wundern, zu hören, dass bei Ihnen ein besonders günstiger Boden für die Sozialdemokratie vorhanden sei. Interessant ist aber auch, dass der Boden hierfür nur unter demoralisierten Arbeitern zu finden sein soll. Herr Dr. v. Rüdiger, der Aufsichtsbeamte für Potsdam-Frankfurt a/O. und Verfasser jener weisen Bemerkungen, hat offenbar sich noch sehr wenig mit dem Wesen der Sozialdemokratie befasst, sonst könnte er, gelinde gesagt, zu dieser abgeschmackten Behauptung, die einem beschränkten Unternehmergehirn entsprechen mag, nicht kommen. Er erkundige. sich einmal bei einsichtigen Unternehmern seines Bezirks, die Sozialdemokraten in größerer Zahl beschäftigen, was durchschnittlich die tüchtigsten Arbeiter sind, und er wird eine andere Antwort bekommen. Er kann auch zu Fürst Bismarck in die Lehre gehen, Als dieser 1874 gefragt wurde, woher die große Zahl der sozialdemokratischen Wähler in Schleswig-Holstein käme, antwortete er: „Das liege daran, dass dort Ansiedelungen der Arbeiter nach Lage der Gesetzgebung unmöglich seien. Die Unzufriedenen seien die, die etwas gelernt hätten, und sich den Weg zum Vorwärtskommen versperrt sähen.“ Stimmt.

Aus mehreren Aufsichtsbezirken liegen statistische Nachweisungen vor über die Zahl der Lehrlinge in den verschiedenen der Fabrikinspektion unterstellten Industrien und Gewerben, so unter andern aus Berlin.

Danach kommen auf je 1000 Arbeiter Lehrlinge bei den Büchsenmachern 250, den Töpfern 232, den Uhrmachern 214, den Schlossern 203, den Buchdruckern 189, den Schmieden 186, den Tapezierern 181, den Stuckateuren 176 usw. Die kleingewerblichen Betriebe, welche durchschnittlich die meisten Lehrlinge haben, sind hierin nicht einbegriffen. Auffallend viele Lehrlinge werden neuerdings in der oberfränkischen Porzellanindustrie gefunden, einzig zu dem Zweck, die Löhne und die Preise zu drücken. Bisher haben die Porzellanarbeiter vermittelst ihrer vortrefflichen Organisation das Überwuchern der Lehrlinge verhindert und dadurch dem ganzen Geschäftszweig genügt. Die Schmutzkonkurrenz sucht durch Lehrlingszüchtung die Gehilfenorganisation zu sprengen, bringt aber, wie der Aufsichtsbeamte selbst ausspricht, dadurch das ganze Gewerbe herunter.

Bezüglich der Unfallversicherung konstatieren die Inspektoren, dass die Unfallverhütungsvorschriften der Unfall-Berufsgenossenschaften und die von diesen geübte Kontrolle ihnen wesentlich das Amt erleichtern. Man wünscht nur, dass solche Vorschriften mehr im Einvernehmen mit den Inspektoren erlassen würden. Im Aufsichtsbezirk Neuss j. L. will man die Erfahrung gemacht haben, dass die meisten Unfälle am Montag und Sonnabend vorkommen; am Montag aus Unachtsamkeit, am Sonnabend infolge von Zuwiderhandlungen gegen erhaltene Anweisung beim Putzen der Maschinen, Die Aufsichtsbeamten von Württemberg und Hamburg finden, dass namentlich die Zahl der Unfälle bei jugendlichen Personen eine unverhältnismäßig große ist. In Hamburg war dieselbe doppelt so groß, als sie nach der Zahl der beschäftigten jugendlichen Personen hätte sein dürfen.

Aus einer Anzahl Berichte werden Klagen laut, dass die Arbeiter und namentlich die Arbeiterinnen sehr widerwillig den Anordnungen in Bezug auf Kleidung und sonstige Maßregeln zum Schutz gegen Unfälle (Schutzbrillen, Respiratoren, Schwämme gegen Dämpfe) Folge leisten. In vielen Fällen liegt allerdings der Grund der Weigerung darin, dass die Arbeiter in der gewohnten raschen Ausführung ihrer Arbeiten behindert werden und Verdiensteinbuße fürchten. So zeigt sich das heutige Lohnsystem und namentlich das Akkordsystem auch in diesem Punkt dem Arbeiter feindlich. Vielfach zeigten sich auch die Arbeiter der Ventilation der Arbeitsräume abgeneigt. Kein Zweifel, dass hier wie gegen so manche Schutzmaßregel Vorurteil und mangelnde Erziehung den Grund bilden, andererseits verursachen diese Ventilationen auch nicht selten eine Zugluft, die der mangelhaft bekleidete und schlecht genährte Arbeiter nicht verträgt. Das Eine steht für uns fest und wird durch das Studium der Mitteilungen über getroffene Schutzmaßregeln gegen Unfälle, Staub, schlechte Gerüche usw. nur bestätigt, dass es auch nicht eine einzige noch so unangenehme oder gefährliche Beschäftigung gibt, welche nicht durch Aufwendung der heute schön bekannten und teilweise verwendeten Einrichtungen zu einer durchaus ungefährlichen und selbst angenehmen gemacht werden könnte. Die Frage ist nur, ob die Unternehmer die nötigen finanziellen Opfer dafür zu bringen vermögen, und das muss in sehr vielen Fällen verneint werden. Je größer der Betrieb, um so leichter lassen sich alle diese sanitären Einrichtungen und Schutzmaßregeln treffen. Ein Grund mehr für den Arbeiter, sich für die Amlebenhaltung der Zwergbetriebe nicht zu ereifern, Der Fabrikbetrieb ist dem kleingewerblichen und dem hausindustriellen Betrieb in jeder Gestalt vorzuziehen, und der große Fabrikbetrieb dem kleineren oder mittleren. Das sentimentale Geschrei über dein Untergang des Klein- und Mittelbetriebs mag sich mit Rücksicht auf die das runter notleidenden Eigentümer und von Standpunkt einer konservativen Weltanschauung rechtfertigen lassen, vom Standpunkt des höheren sozialen und ökonomischen Fortschritts, wie im Interesse der schließlichen Aufhebung der sozialen Gegensätze ist die rascheste Entwickelung zum großen und größten Betrieb nur zu begrüßen. –

„Die wirtschaftlichen und sittlichen Zustände“ der Arbeiterbevölkerung, sowie die „Wohlfahrtseinrichtungen“ der Unternehmer zum Besten der Arbeiter bilden ebenfalls eine umfängliche Rubrik im Generalbericht. Es ist eine starke Zumutung an die Inspektionen, bei der vollen Inanspruchnahme ihrer Zeit durch ihre eigentlichen Berufsaufgaben, sie zu Untersuchungen zu veranlassen, zu denen ihnen in erster Linie die Zeit, in zweiter Linie aber auch alle tatsächlichen Unterlagen fehlen. Die wirtschaftliche Lage der Arbeiterbevölkerung können sie allenfalls noch beurteilen, wenn ihnen umfänglichere statistische Lohnunterlagen vorliegen. Diese fehlen aber, wie die Berichte zeigen, nahezu gänzlich, und so kommen sie auf Grund von im Ganzen rein zufälligen und persönlichen Wahrnehmungen, die bekanntermaßen nie mehr täuschen, als wenn es sich um genaue Beurteilung der Verhältnisse im Allgemeinen handelt, zu durchaus einseitigen oder nichtssagenden und oberflächlichen Urteilen.

Wie einseitig und oberflächlich die Urteile sind und eigentlich sein müssen in Anbetracht der mangelnden Unterlagen, haben wir schon bei Besprechung der sächsischen Fabrikinspektoren-Berichte hervorgehoben, Das Material, das der Generalbericht bringt, ist keinen Pfifferling mehr wert. Ja es ist geradezu kläglich, was zum Teil die Inspektoren als „wirtschaftlich günstige“ Lage der Arbeiter betrachten, als solche bezeichnet z.B. der Aufsichtsbeamte für Mecklenburg-Schwerin die Lage der dortigen Arbeiter, wobei er hinzusetzt, dass das Jahreseinkommen eines Arbeiters von 500 Mk, ein verhältnismäßig hohes sei. Also in einem Lande, in dem der Arbeiter mit knapp 10 Mk, Wocheneinkommen in relativ sehr günstiger Lage ist, wird die wirtschaftliche Lage der gesamten Arbeiter „günstig“ bezeichnet.

Von ähnlicher „Tiefe“ der Auffassung zeugen auch eine Reihe von Urteilen über die „sittlichen“ Zustände der Arbeiter, wobei die Inspektoren erst recht auf einzelne besonders in die Augen fallende Wahrnehmungen und allenfalls auf die keinesfalls einwandfreien Urteile der Unternehmer angewiesen sind. Da wird über die Vergnügungs-, Putz- und Genusssucht der Arbeiter in Tönen geredet, als seien Dreiviertel der Arbeiter liederliche Subjekte, „Die Besserung dieser Missstände (der Vergnügungs-, Putz- und Genusssucht) ist aber vor Allem von der Hebung der Genügsamkeit und des wirtschaftlichen Sinnes der arbeitenden Bevölkerung bedingt“, heulmeiert da irgend ein nicht näher bezeichneter Berichterstatter. Wahrhaftig, das Blut kommt Einem in Wallung, wenn man eine solch‘ oberflächliche, philisterhafte Beurteilung und Raterteilung über die zahlreichste Bevölkerungsklasse, die alles Wohlleben der höheren Klassen erst ermöglicht, liest.

Von ähnlichen niedrigen Gesichtspunkten aus werden auch die „Wohlfahrtseinrichtungen“ der Unternehmer für ihre Arbeiter betrachtet. In unsern Augen setzt sich jeder Unternehmer schon von vornherein dem Verdacht zu knapper Lohnzahlung seiner Arbeiter aus, der da auf dem Wege der „Wohlfahrtseinrichtung“, also der Gnade, glaubt, diesen eine besondere Gunst erweisen zu müssen. Entweder spekuliert er mit dieser „Wohlfahrtseinrichtung“ auf die gemütliche Seite und auf die Beschränktheit seiner Arbeiter, oder er versucht, wie dies fast ausschließlich der Zweck bei dem immer mehr sich ausbreitenden Bau von Arbeiterwohnungen der Fall ist, seine Arbeiter an die Fabrik und an die Scholle zu fesseln, um sie um so sicherer in der Hand zu haben. Kurz, alle diese „Wohlfahrtseinrichtungen“ laufen in letzter Instanz nur darauf hinaus, die Arbeiter um so sicherer und gründlicher ausbeuten zu können, und dienen dabei nach Außen dazu, dem ausbeuterischen Wohltäter das Mäntelchen der Humanität und des Wohlwollens umzuhängen.

Unsere Philanthropie ist ein gutes Geschäft.“ Dieser Ausspruch des elsässischen Reichstagsabgeordneten Charles Grad, den er machte, als es sich darum handelte, die vielberühmten „Wohlfahrtseinrichtungen“ seiner Heimat, des Oberelsass und Mühlhausens vor der Untersuchungskommission über die Lage der Baumwollindustrie ins rechte Licht zu setzen, trifft den Nagel auf den Kopf.

Und was läuft nicht alles als „Wohlfahrtseinrichtung“ mit unter? Da wird z.B. aus Lübeck berichtet, dass in einer Maschinenfabrik den Lehrlingen von ihrem Tagelohn, der 50 Pf. bis 1 Mk, 10 Pf. beträgt, eine Rate zurückbehalten werde, die in einer Sparkasse angelegt, ihnen beim Austritt aus der Lehre als „Ersparnis““ behändigt wird. Allem Anschein nach handelt es sich hier darum, durch Zurückhaltung eines Teils des verdienten Lohnes dem Lehrling das Auskneifen unmöglich zu machen, und das heißt „Wohlfahrtseinrichtung“.

Der Generalberichterstatter ist bei Aufzählung all dieser „Wohlfahrtseinrichtungen“ mitunter etwas leichtfertig verfahren. So lässt er den Chemnitzer Aufsichtsbeamten aus der Kammgarnspinnerei von Stohr u. Komp. zu Klingschocher über allerlei Einrichtungen zu Gunsten der Arbeiter berichten, die tatsächlich der Leipziger Aufsichtsbeamte aus der Kammgarnspinnerei von Stöhr u, Komp. zu Klingschocher mitteilt. Ehre wem Ehre gebührt.

Über die kulturfördernde Wirkung des Massenimports von oberschlesischen und polnischen Arbeitern berichtet klagend der Aufsichtsbeamte von Merseburg-Erfurt, dass seitdem die Gegend, namentlich der Bitterfelder und Mansfelder Kreis, mit diesen Arbeitern überschwemmt worden sei, der Branntweingenuss und im Gefolge davon die Verrohung der Arbeiterbevölkerung sehr bedeutend zugenommen habe.

Daran liegt unsern freikonservativen und nationalliberalen Großrübenbauern und Zuckerbaronen sehr wenig. Das Entscheidende für diese ist, dass sie billige Arbeitskräfte haben, die sich wie Hunde behandeln lassen.

Das Vorbringen solcher Übelstände seitens unserer Fabrikinspektoren ist durchaus am Platze und ihre Hauptaufgabe; aber bei allen diesen Vorbringnissen macht sich eine schlimme Eigenschaft geltend, die sich wie ein vorher Faden durch die ganzen Berichte zieht: der Mangel an Initiative, an Selbstbewusstsein und an Unabhängigkeitsgefühl.

Der größte Teil unserer Aufsichtsbeamten ist sich seiner wahren Stellung und Aufgabe noch zu wenig oder gar nicht bewusst, Überall tritt die Rücksichtnahme auf die Stimmung in der Staatsgewalt und auf die Unternehmerkreise Einem entgegen und eine nur zu große Bereitwilligkeit, auf die Arbeiter loszuschlagen. Dass das Fabrikinspektorat ein Institut ist, eingesetzt zum Schutze und zur Wahrung der Interessen der Arbeiter, wird der Leser mich des diesjährigen Generalberichts an sehr vielen Stellen vermissen.

*) Amtliche Mitteilungen aus den Jahvesberichten der mit Beaufsichtigung der Fabriken betrauten Beamten, „XII. Jahrgang 1887. Mit Tabellen und Abbildungen. Behufs Vorlage an den Bundesrat und den Reichstag zusämmengestellt im Reichsamt des Innern, Berlin, Verlag v. W. T, Böner 1888.

**) Siehe unsere bezügl. Artikel in Heft 11 der „N. Z.“


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