August Bebel: Aus Norddeutschland

[Nr. 960, Korrespondenz, Die Gleichheit, Wien, II. Jahrgang, Nr. 52, 29. Dezember 1888, S. 5]

:: Aus Norddeutschland. Die Braunschweiger Polizei hat in letzter Stunde den deutschen Tischlern auch noch eine hübsche Weihnachtsfreude bereitet; sie verbot in letzter Stunde den für den 26. d. M. angesetzten allgemeinen deutschen Tischler- (Schreiner) Kongress, welcher sich mit der Lohnfrage beschäftigen sollte. Das erst am gestrigen Tage erlassene Verbot ist eine Perfidie, denn viele der Delegierten erfuhren dasselbe nicht mehr rechtzeitig und traten die Reise nutzlos an; Andere hatten sich schon ihre Rundreisebilletts gelöst, die nunmehr für sie wertlos geworden sind. Das späte Verbot sieht ganz darnach aus, als sei eine schwere finanzielle Schädigung der Beteiligten beabsichtigt gewesen.

Vor Weihnachten finden in Sachsen in der Regel die Gemeinderats-Ergänzungswahlen statt. Dieselben sind diesmal in einer ganzen Reihe von kleinen Städten und Ortschaften zu Gunsten der Sozialdemokratie ausgefallen.

In mehreren Orten gehören sogar die aus der Reihe der Ansässigen (Grundbesitzer) Gewählten zur Partei. In den größeren und großen Städten verhindert das Zensuswahlsystem einen Erfolg der Partei. Der Ausfall der Gemeindewahlen legt Zeugnis ab von einem erheblichen Umschwung in der Stimmung der Bevölkerung; in Orten, wo voriges Jahr die Sozialdemokraten unterlagen, haben sie diesmal mit erheblicher Mehrheit gesiegt.

In Reichenbach ist bei der Neuwahl des Vorstandes für den 5000 Mitglieder zählenden Konsumverein die ganze Verwaltung in die Hände der Sozialdemokraten gefallen, darüber großes Jammern im Lager der „Ordnungsparteien“.

Der Maurer Schoch in Magdeburg hatte eine Petition an den Reichstag in Umlauf gesetzt, worin gegen die Einführung des Marken-Quittungsbuches als eines verdeckten Arbeitsbuches protestiert und erklärt wurde: lieber auf die Alters- und Invalidenversicherung zu verzichten als dieselbe mit dem geplanten Quittungsbuch zu erhalten. Die Petition hatte 100.000 Unterschriften gefunden und etwa noch 20.000 sind direkt an den Reichstag gesandt worden.

Der Abhaltung und dem Verlauf des österreichischen Arbeitertages wird in den sozialistischen Kreisen Deutschlands mit lebhaftem Interesse entgegengesehen. Es wird mit allgemeiner Freude begrüßt, das die österreichischen Gesinnungsgenossen sich zu gemeinsamer Beratung vereinigen, um die volle Einigkeit herzustellen und eine zielbewusste Agitation zu beginnen. Wir wünschen den Verhandlungen des österreichischen Arbeitertages den allerbesten Erfolg.


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