[eigene Übersetzung des englischen Textes in Militant International Review, Nr. 55, Januar/Februar 1994, S. 21-25]
Die Haupterrungenschaft des GATT-Abkommens, so Lynn Walsh, war die Bewahrung des Status quo – vorerst.
Das lange hinausgezögerte GATT-Abkommen, das am 4. Dezember in Genf zwischen Vertreter*innen der USA und der Europäischen Union geschlossen wurde, wurde von den führenden kapitalistischen Vertreter*innen als großer Triumph für den Freihandel gefeiert. „Heute war ein Meilenstein in der Geschichte des Welthandels“, verkündete EU-Handelskommissar Leon Brittan. Noch unverblümter formulierte es Präsident Clinton: „Wir stehen nun kurz vor einem historischen Sieg in unseren Bemühungen, ausländische Märkte für amerikanische Produkte zu öffnen.“
Es gibt jedoch eine große Kluft zwischen der triumphalen Propaganda und den tatsächlich vereinbarten Protokollen (die die Grundlage für das später in diesem Jahr zu ratifizierende GATT-Abkommen liefern werden). In Wirklichkeit war die Haupterrungenschaft in Genf, den Status quo zu bewahren. „Nichts ändert sich mit dem GATT-Abkommen“, kommentierte der Wirtschaftsberater eines Finanzhauses in der Londoner City, „aber ohne dieses eines wäre alles anders“.
Als sich die GATT-Verhandlungen über eine Frist nach der anderen hinaus hinzogen, gab es wachsende Furcht unter den Vertreter*innen des Kapitalismus vor einer Eskalation des beginnenden Handelskriegs zwischen den drei wichtigsten kapitalistischen Blöcken, den USA, der EU und Japan. Vorläufig hat sich die dunkle Wolke verzogen. Aber wie ein Ökonom der Citibank kommentierte: „Das Abkommen wird die längerfristigen Trends im Welthandel nicht umkehren.“
Clinton lobte „einen historischen Sieg in unseren Bemühungen, ausländische Märkte für amerikanische Produkte zu öffnen“.
Tatsächlich wurde der Trend zu regionalen Handelsblöcken, der in den 1980er Jahren an Fahrt gewann, durch die Zustimmung des US-Kongresses zur Nordatlantischen Freihandelszone (NAFTA) noch verstärkt. Auch dies wurde als Triumph des Freihandels gefeiert, ein Eindruck, der durch den vehementen Widerstand von Kongressabgeordneten verstärkt wurde, die partikuläre Wirtschaftsinteressen vertreten und protektionistische Maßnahmen fordern. Hätten sie es geschafft, NAFTA zu verhindern oder zu verzögern, hätte die protektionistische Lobby möglicherweise auch ein GATT-Abkommen blockiert oder verzögert.
In einigen Teilen der internationalen Großkonzerne löste die Befürchtung, dass die NAFTA scheitern und die GATT-Verhandlungen ins Stocken geraten könnten, fast apokalyptische Szenarien eines weltweiten Konjunktureinbruchs und eines offenen Handelskrieges aus. Auch wenn diese Befürchtungen zum jetzigen Zeitpunkt übertrieben sind, weisen die Vorahnungen vieler seriöser kapitalistischer Kommentator*innen auf die sehr realen Keime einer globalen Krise hin, die in Zukunft ausbrechen wird.
Die Tatsache, dass eine Niederlage für NAFTA protektionistische Tendenzen gefördert hätte, verwandelt NAFTA jedoch nicht zu einer Erweiterung des Freihandels. Jagdish Bhagwati, Chef-Wirtschaftsberater des GATT-Generaldirektors, hat kürzlich als Privatmeinung die Wahrheit ausgesprochen: „Heute wird die Begeisterung für regionale Freihandelszonen als großer Schritt in Richtung Freihandel dargestellt. Aber es ist offensichtlich, dass die Hauptmotivation protektionistisch ist: Mexiko wird zum Vorzugsmarkt Amerikas, während Japan und die EU benachteiligt werden.“ („Foreign Affairs“, 1993)
Nach sieben Jahren Uruguay-Runde erzielten die GATT-Verhandlungsführer*innen sehr gemischte Ergebnisse. Die Zölle auf verarbeitete Güter, die derzeit durchschnittlich etwa fünf Prozent betragen (im Vergleich zu 40 Prozent unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg), wurden um durchschnittlich ein weiteres Drittel gesenkt. In vielen anderen Fragen war es jedoch viel schwieriger, eine Einigung zu erzielen.
Die Möglichkeit einer Einigung wird durch die Beziehungen zwischen den drei großen Blöcken bestimmt, die Weltproduktion und -handel dominieren, was durch die Rivalitäten zwischen den Staaten der Europäischen Union kompliziert wird. Die von den GATT-Verhandlungen abgedeckten Themen lassen sich in drei Hauptbereiche unterteilen:
(1) Themen, bei denen die großen Drei ein gemeinsames Interesse an einer weiteren Liberalisierung des Handels haben, insbesondere im Hinblick auf die Öffnung der unterentwickelten Länder, wo sie kaum Schwierigkeiten haben, den über hundert am GATT teilnehmenden Staaten eine Einigung aufzuzwingen;
(2) Themen wie Landwirtschaft und Textilien, bei denen die großen Drei gegensätzliche Interessen haben, aber verschiedene Kompromisse erzielen konnten; und
(3) Themen, bei denen es immer noch einen scharfen Konflikt zwischen den großen Drei gibt, wie beispielsweise im audiovisuellen Handel, bei Finanzdienstleistungen, im Seetransport und bei Subventionen für die Luftfahrtindustrie, wo eine Einigung verschoben wurde und weitere Diskussionen – und wahrscheinlich Konflikte – im Laufe des nächsten Jahres zu erwarten sind.
(1) Öffnung der Dritten Welt
Mindestens zwei Drittel der Gewinne aus den Liberalisierungsmaßnahmen der Uruguay-Runde werden den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern zugutekommen. Die großen Drei zögerten nicht, die verschiedenen Schutzmaßnahmen der Länder der Dritten Welt zum Schutz ihrer Landwirtschaft und ihrer Grundstoffindustrien, die während des Nachkriegsaufschwungs eine begrenzte wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht hatten, aufzuheben. Die sogenannten Strukturanpassungsprogramme, die den hoch verschuldeten Ländern in den 1980er Jahren auferlegt wurden, brachen viele der Schutzzäune auf und öffneten die Länder der Dritten Welt für eine verstärkte Kapital- und Handelsdurchdringung durch die 500 multinationalen Konzerne, die mehr als die Hälfte des Welthandels ausmachen.
Die neuen GATT-Regeln werden die verstärkte Unterordnung der Volkswirtschaften der Dritten Welt legalisieren. Zum Beispiel wird unter dem neuen Regime für geistige Eigentumsrechte die Bäuer*innen der Dritten Welt verpflichtet sein, für die Verwendung von Hybridsaatgut jährliche Lizenzgebühren an multinationale Konzerne zu zahlen. Diese Maßnahme hat kürzlich eine Massenbewegung von über einer halben Million Bäuer*innen in Indien ausgelöst, die gegen die großen US-Saatgutkonzerne protestierten.
Die Nichteinhaltung der neuen Regeln durch Staaten der Dritten Welt wird zweifellos zu weiteren Vergeltungsmaßnahmen führen, insbesondere durch die USA. Länder, die sich weigern, ihre Märkte für US-Banken und Versicherungsgesellschaften zu öffnen oder für die USA akzeptable Patentschutzgesetze zu erlassen, werden mit Handelssanktionen gemäß den US-Handelsgesetzen „Section 301” bedroht, die in jüngster Zeit über 30 Mal gegen unterentwickelte Länder geltend gemacht wurden. Die Hauptnutznießer*innen dieser Maßnahmen werden die großen Konzerne mit Sitz in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern sein, die ihre Gewinne durch eine verstärkte Ausbeutung der Arbeitskräfte, natürlichen Ressourcen und Märkte der Dritten Welt aufschwellen werden.
(2) Landwirtschaftliches Gemogel
Das Hauptthema, das eine GATT-Einigung im letzten Jahr verhindert hat, war die Landwirtschaft. Die Landwirtschaft wird in den USA, der Europäischen Union und Japan stark subventioniert, ein grundlegend protektionistisches Arrangement, bei dem Steuerzahler*innen und Verbraucher*innen in den Industrieländern eine Handvoll hauptsächlich kapitalistischer Landwirt*innen auf Kosten von Millionen von hauptsächlich bäuerlichen Landwirt*innen in Ländern der Dritten Welt subventionieren.
Auf Initiative der US-Regierung, die strebte, den phänomenalen Anstieg der Agrarsubventionen zu drosseln und den Rückgang der Agrarexporte (insbesondere von Getreide und Soja-Futtermitteln) umzukehren, wurde die Landwirtschaft im Rahmen der Uruguay-Runde erstmals in die GATT-Regeln aufgenommen.
Die USA wurden dabei stark von der sogenannten Cairns-Ländergruppe unterstützt, die Kanada, Neuseeland, Brasilien etc. umfasst, die große Agrarexporteur*innen sind. Aber die USA stieß sowohl mit Japan zusammen – dessen konservative Regierungen der Liberaldemokratischen Partei seit langem die Reisbäuer*innen subventionieren, deren Stimmen sie benötigen –, als auch mit der Europäischen Union, die historisch mit der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) verbunden ist, in deren Rahmen einheimische Landwirt*innen geschützt und stark subventioniert werden.
In dem verzweifelten Bestreben, den Zugang für Industriegüterexporte in die USA aufrechtzuerhalten, willigte die japanische Regierung ein, ihren heimischen Markt für Reisimporte und verarbeitete Lebensmittel zu öffnen. Innerhalb der EU waren sowohl Deutschland als auch Großbritannien, die ebenfalls mit steigenden Kosten für GAP-Subventionen konfrontiert waren, bereit, Änderungen an der GAP zuzulassen. Die französische Regierung, die stets gewalttätige Proteste ihrer unberechenbaren Landwirt*innen fürchtet, war weit weniger bereit, Reformen zuzulassen.
Im letzten Jahr schlossen die Unterhändler*innen der USA und der EU das Blair-House-Abkommen ab. Dieses sah eine schrittweise Reduzierung der GAP-Subventionen und eine Erhöhung der Quoten für Getreideimporte aus den USA vor. Außerdem akzeptierte es den Grundsatz einer schrittweisen Umstellung von Preisstützungen (die eine Senkung der Verbraucher*innenpreise ermöglichen) auf Einkommensstützungen (eine Form der sozialen Sicherheit für Landwirt*innen). Das Abkommen schien den Weg für eine Einigung im Rahmen des GATT frei zu machen.
Fast unmittelbar danach wurde das Abkommen jedoch von führenden französischen Politiker*innen abgelehnt, die sich für die bevorstehenden Wahlen positionieren wollten. Jacques Delors selbst versuchte mit Blick auf die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen erfolglos, Druck auf den EU-Agrarkommissar MacSharry auszuüben, um das Blair-House-Abkommen zu sabotieren. Trotz des die genauen Bedingungen des Abkommens verhüllenden Geheimnisses löste die Nachricht von der Einigung Unruhen unter französischen Landwirt*innen aus. Ob das Abkommen mit den bestehenden GAP-Regeln vereinbar war, war zweifelhaft. Noch wichtiger war, dass die Einhaltung des Abkommens durch die französische Regierung fraglich blieb, trotz des starken Drucks seitens Deutschlands, Großbritanniens und anderer EU-Regierungen, nicht auszuscheren. Alarmiert durch die politischen Schockwellen, die durch die Protestaktionen der französischen Landwirt*innen ausgelöst wurden, machten andere EU-Regierungen, die Angst hatten, dass Arbeiter*innen in anderen Ländern den Landwirt*innen nacheifern könnten, Frankreich offenbar Zugeständnisse. Diese wurden in die Verhandlungsposition der EU aufgenommen, die Leon Brittan gegenüber den US-Unterhändler*innen in Genf verteidigte.
Angesichts der gemeinsamen Front der Europäischen Union und nachdem das NAFTA-Abkommen den Kongress sicher passiert hatte, ging die US-Regierung schließlich einen Kompromiss auf der Grundlage des abgeschwächte Blair-House-Abkommens ein. Darin gibt es eine Verpflichtung, die inländischen Subventionen um 20 Prozent und das Volumen der Exportsubventionen um 21 Prozent über einen Zeitraum von sechs Jahren zu kürzen. Jedoch wurde durch Mogelei mit dem „Basisjahr”, dem gegenüber die Kürzungen vorgenommen werden, und die Verabschiedung einer „Friedensklausel”, die neun Jahre lang jedes Anfechten der Vereinbarung verhindert, der Schlag für die EU-Landwirt*innen abgemildert. Während „Le Monde“ das Abkommen als „so schwer zu lesen wie die Eingeweide einer Ziege” bezeichnete, verkündete Balladur einen großen Sieg. Die französischen Landwirt*innen sind jedoch nicht überzeugt und werden zweifellos wieder aktiv werden, wenn die Kürzungen ihre Einkommen beeinträchtigen.
Der EU-Kompromiss zur GATT-Agrarpolitik ist obendrein ein sicheres Rezept für erneute Konflikte zwischen den Ländern der Europäischen Union. Balladur hat andere EU-Staats- und Regierungschefs gewarnt, dass das Blair-House-Abkommen die Untergrenze für französische Zugeständnisse bleibe. Jegliche weiteren Produktionskürzungen, die von französischen Landwirt*innen verlangt werden, müssten aus EU-Mitteln kompensiert werden. Während der Verhandlungen in Genf kommentierte ein EU-Diplomat: „Die Franzosen haben erkannt, dass sie aus den Amerikanern so viel herausgepresst haben, wie sie erwarten konnten, und nun versuchen sie, dasselbe mit ihren europäischen Partnern zu tun.“ („Financial Times“, 8. Dezember 1993).
Französische Ansprüche auf zusätzliche Ausgleichszahlungen dürften jedoch die im Rahmen des siebenjährigen Delors-II-Haushaltspakets, das auf dem EU-Gipfel in Edinburgh im Dezember 1992 vereinbart wurde, verfügbaren Mittel übersteigen. Seitdem hat die deutsche Regierung bereits EU-Mittel in Anspruch genommen, um deutsche Landwirt*innen für die Auswirkungen der D-Mark-Aufwertung zu entschädigen. Das lässt wenig Spielraum im Rahmen des Haushaltsabkommens von 1992.
Die Vorteile für die normalen Verbraucher*innen in Europa werden sehr gering sein. Die Kosten der GAP für eine vierköpfige Familie werden derzeit auf 16 bis 20 Pfund pro Woche geschätzt, zur Hälfte durch Steuern zur Finanzierung der GAP, zur Hälfte durch höhere Lebensmittelpreise. GATT-Offizielle behaupten, dass als Ergebnis der GAP-Reformen die wöchentlichen Kosten für eine durchschnittliche Familie um 12 Pfund gesenkt werden könnten. Aber die Verbraucher*innenvereinigung glaubt, dass diese Zahl übertrieben sei und dass die wirklichen Einsparungen viel weniger sein würden.
(3) Vertagtes Paradies
Um ein GATT-Abkommen vor Ablauf von Präsident Clintons Frist für die „Fast-Track”-Zustimmung des Kongresses abzuschließen, haben die USA und die EU die Einigung über mehrere hoch umstrittene Fragen verschoben oder sogar aus dem GATT ausgeschlossen. „Wir haben uns darauf geeinigt, nicht einig zu sein”, kommentierte der US-Handelsbeauftragte Micky Kantor, „aber unsere Differenzen bleiben”. Wie das „Wall Street Journal“ kommentierte: „Das Abkommen lässt Raum für künftige Auseinandersetzungen” (15. Dezember 1993).
Während die führenden US-Unterhändler*innen ihre Aufmerksamkeit auf die angeblich unfairen Beschränkungen Frankreichs für die Einfuhr von US-„Kulturgütern” (d. h. Filmen, Videos usw.) richteten, waren es die USA, die manövrierten, um eine Einigung über Textilien, Finanzdienstleistungen und Seeverkehrsdienste um 18 Monate zu verschieben.
Die Uruguay-Runde bringt den Textilhandel zum ersten Mal unter das GATT. Die USA versuchten, die zehnjährige Auslaufphase des bestehenden Multifaserabkommens (MFA) auf 15 Jahre zu verlängern. Clinton fordert nun eine weitere Öffnung der indischen, pakistanischen und anderer Märkte für US-Bekleidungsimporte, bevor er einer Textil-Einigung zustimmt.
Die USA haben auch eine Vereinbarung über Finanzdienstleistungen um weitere 18 Monate verschoben und sich geweigert, die verbleibenden Hindernisse für den Eintritt internationaler Unternehmen in den US-amerikanischen Banken- und Versicherungsmarkt zu beseitigen. Die USA (die eine große Handelsflotte haben) lehnten auch die Liberalisierung der Seeschifffahrt, der Häfen und der Hilfsdienste ab.
Die Clinton-Regierung kritisiert unter dem Druck der großen US-Flugzeughersteller*innen, die wegen der Kürzungen der Rüstungsausgaben vor einer Krise stehen, seit langem die Subventionen der Europäischen Union für die Herstellung von Airbus-Flugzeugen. Das Genfer Abkommen wurde jedoch ohne eine Einigung über Flugzeugsubventionen geschlossen – abgesehen von der Vereinbarung, dass Subventionen, die 5 % des Endwerts des Flugzeugs übersteigen, einen „ernsthaften Nachteil” darstellen und einer besonderen Rechtfertigung bedürfen.
Der größte Streit, der kurz vor Abschluss des Abkommens aufflammte, war zu audiovisuellen Produkten. Ein paar Tage lang schien es, als könnte das Beharren der französischen Regierung auf einer Abgabe auf ausländische Filme und dem Subventionieren der französischen Filmproduktion zum Scheitern der gesamten Verhandlungen führen. In letzter Minute wurde das gesamte Thema jedoch aus dem GATT ausgeschlossen. „Eine anhaltende Uneinigkeit hier“, so kommentierte „The Times“, „dürfte ein weiteres US-Eindringen in den EU-Marktes nicht verhindern, da US-Unternehmen sich im Binnenmarkt werden niederlassen können. Amerikas 3,8 Milliarden Dollar-Handelsüberschuss gegenüber Europa im audiovisuellen Bereich dürfte sich kaum verringern.“ (15. Dezember 1993).
Das Genfer Abkommen enthält die Zusage, eine neue multilaterale Handelsorganisation (MTO) mit Befugnissen zur Überwachung der GATT-Abkommen zu gründen. Von den GATT-Mitgliedern wird erwartet, dass sie ihre nationalen Handelsgesetze mit der MTO in Einklang bringen. Micky Kantor, der US-Handelsbeauftragte, hat jedoch deutlich gemacht, dass sich die USA das Recht vorbehalten, einseitige Vergeltungsmaßnahmen gegen Dumping und andere angeblich diskriminierende Praktiken zu ergreifen. Innerhalb der Europäischen Union hat Frankreich auf strengere „Handelsverteidigungsregeln“ gedrängt.
Der Weltkapitalismus hat das Paradies des „vollkommen liberalen Handels” bei weitem nicht erreicht. „Erhebliche Unsicherheiten bezüglich der Handelspolitik der größten Akteur*innen, der USA und der EU bleiben, wobei erstere allzu bereitwillig zu einseitigen Instrumenten des „gesteuerten Handels” greifen und letztere zunehmend diesem Beispiel folgen”. („Financial Times“-Leitartikel, 16. Dezember 1993).
Die Abenddämmerung einer Ära
Es wurden verschiedene Zahlen für die Zugewinne genannt, die sich aus dem GATT-Abkommen ergeben werden. Laut dem GATT-Sekretariat wird der Welthandel bis zum Jahr 2005 um 270 Milliarden Dollar ansteigen. Selbst wenn diese Zugewinne tatsächlich eintreten sollten, würden sie, auf die Weltbevölkerung verteilt, nur 40 Dollar (27 Pfund) pro Kopf und Jahr ausmachen.
Hinter den optimistischen Prognosen der führenden kapitalistischen Vertreter*innen steht die vereinfachende Annahme, dass die Liberalisierung automatisch den Handel ankurbeln und das Wachstum des Handels automatisch die Produktion ankurbeln werde. Während des langen Wirtschaftsaufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg war das Wachstum des Handels in der Tat ein dynamischer Wachstumsimpuls. Im gesamten Zeitraum von 1950 bis 1991 stieg das Volumen der weltweiten Exporte um das Zwölffache, während die weltweite Produktion um das Sechsfache wuchs. Das Volumen der weltweiten Exporte von verarbeiteten Waren, bei denen die Zollsenkungen am größten waren, stieg jedoch um das 23-fache, während die Produktion um das Achtfache wuchs.
Der Handel ist keine unabhängige wirtschaftliche Variable.
Der Handel ist jedoch keine unabhängige wirtschaftliche Variable. Das Wachstum des Handels entsprang einer Kombination aus sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für ein profitables kapitalistisches Wachstum günstig waren. Die Phase des außergewöhnlichen Wachstums kam mit dem Konjunktureinbruch von 1974-75, der eine neue Phase chronischer Stagnation einleitete, zum Ende. Trotz des „Booms” der 1980er Jahre erleben alle fortgeschrittenen kapitalistischen Volkswirtschaften ein langsames Wachstum, stagnierende Investitionen, Massenarbeitslosigkeit und eine lähmende Anhäufung von Staatshaushaltsdefiziten und privaten Schulden.
Auf der Bühne der Weltwirtschaft sind einige der wichtigsten Grundlagen für ein nachhaltiges Exportwachstum zusammengebrochen. Das auf dem Dollar/Gold-Standard basierende System stabiler Wechselkurse wurde Mitte der 1970er Jahre ebenfalls abgeschafft und durch schwankende Wechselkurse ersetzt. Der massive tägliche Fluss liquider Mittel über die Devisenmärkte der Welt (der mittlerweile 880 Milliarden Dollar pro Tag übersteigt) kann zu wilden Schwankungen des relativen Werts nationaler Währungen unabhängig vom Produktivitätsniveau und der Handelsbilanz führen. Dies verzerrt Handelsströme drastisch.
Der hohe Wert des Dollars beispielsweise untergrub in der ersten Phase des „Reagan-Booms” die US-Exporte (die teurer wurden) und zog massive Importe (die nun billiger waren) vor allem aus Japan nach sich. Dies beschleunigte den relativen Niedergang des US-Kapitalismus, der zuvor das Freihandelssystem des GATT aufrechterhalten hatte. Unter dem zunehmenden Druck sektoraler kapitalistischer Interessen bewegten sich die aufeinanderfolgenden US-Regierungen immer mehr in Richtung eines „gesteuerten Handels”.
Der offene Handelskrieg wurde vorerst verschoben.
Eine ganze Reihe nichttarifärer Handelshemmnisse wurde gegen Importe errichtet, insbesondere gegen hochwertige Hightech-Produkte aus Japan und anderen südostasiatischen Produzent*innen Der Kongress verabschiedete außerdem Gesetze, die den Präsidenten ermächtigen, Vergeltungsmaßnahmen gegen eine beliebige Anzahl von Ländern zu ergreifen, denen Dumping oder die Beschränkung von US-Importen vorgeworfen wird. Auch wenn diese Maßnahmen dem Wortlaut der GATT-Regeln entsprechen, verstoßen die meisten von ihnen eindeutig gegen deren Geist.
Mit der Gründung der NAFTA hat die USA auch der Entwicklung von drei regionalen Handelsblöcken eine neue Wendung gegeben. Obwohl als Fortschritt für die Grundsätze des Freihandels verteidigt, zielt die NAFTA darauf ab, einen privilegierten Raum zu schaffen, in dem US-Kapital die Freiheit hat, natürliche Ressourcen und billige Arbeitskräfte auszubeuten. Clinton hat dieses Ziel, die von den USA dominierte Handelszone auf Südamerika und, wenn möglich, auf den Pazifikraum auszuweiten, nicht verschleiert. Obendrein wird das NAFTA-Handelsregime, das auf die Bedürfnisse der US-amerikanischen multinationalen Unternehmen zugeschnitten ist, von den USA als Modell und Hebel in internationalen Verhandlungen wie dem GATT genutzt.
In den GATT-Verhandlungen selbst „basierte die Verhandlungsposition der USA auf der unverhohlenen Verfolgung wirtschaftlicher Vorteile“ („Financial Times“- Leitartikel vom 15. Dezember). Der „Guardian“-Kommentator Will Hutton fasste die Situation gut zusammen: „Die Uruguay-Runde stellt eher den letzten Atemzug der Nachkriegsbemühungen um eine schrittweise Liberalisierung der Weltwirtschaftsordnung dar als den Beginn einer neuen Ära.” (15. Dezember 1993).
In Wirklichkeit schwelt seit der Weltwirtschaftskrise von 1974-75 ein beginnender Handelskrieg. Der langgezogene Charakter der Verhandlungen der Uruguay-Runde und der begrenzte Charakter der Einigung machen dies klar. Zunächst wurde ein offener Handelskrieg verschoben. Vor allem die großen multinationalen Unternehmen sind darauf angewiesen, frei zu investieren und weltweit zu handeln. Doch selbst die riesigen Konzerne sind in nationalen Volkswirtschaften verwurzelt, die trotz der enormen „Globalisierung“ von Investitionen und Handel immer noch die Grundeinheiten des kapitalistischen Systems sind. Die unüberwindbaren nationalen Interessen und die Unvermeidbarkeit nationaler Rivalitäten und Konflikte, insbesondere in einer Periode von Stagnation und Niedergang, bedeuten, dass die nationalen Regierungen früher oder später zu einer Politik übergehen müssen, den Nachbarn zum Bettler zu machen.
Die Stärkung der beiden Haupt-Handelsblöcke NAFTA und Europäische Union und die damit einhergehende Herausbildung eines von japanischem Kapitalismus dominierten Ostasien-Blocks sind in Wirklichkeit ein Vorbereitungsprozess, der einen offenen Konflikt in der Zukunft ankündigt. Aber ein Rückzug der kapitalistischen Staaten hinter Schutzmauern und erneute Versuche, ähnlich wie in den 1930er Jahren, autarke Volkswirtschaften zu fördern, werden jedoch keinen Ausweg für den Kapitalismus bieten. Die größeren, stärkeren Volkswirtschaften könnten auf Kosten der schwächeren Volkswirtschaften etwas Zeit und Handlungsspielraum gewinnen. Eine systematische Hinwendung zu solchen Maßnahmen, den Nachbarn zum Bettler zu machen, würde jedoch die Weltwirtschaftskrise verschärfen – und massive soziale Umwälzungen und Bewegungen der Arbeiter*innenklasse und der ausgebeuteten Bäuer*innenschaft provozieren. Der Aufstand in Mexiko, der teilweise durch das NAFTA-Abkommen ausgelöst wurde, die Massenbewegung der indischen Bäuer*innen und die Protestdemonstrationen der französischen Bäuer*innen, die zu Massenstreiks im öffentlichen Dienst quer durch Europa führten, sind nur der Anfang.
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