[eigene Übersetzung des englischen Textes, erschienen auf der CWI-Website am 27. August 2012 und in Socialism Today, Nr. 161, September 2012, verglichen mit einer alten Übersetzung]
Der globale Kapitalismus versinkt in der wirtschaftlichen Depression. Ein keynesianisches Traktat für unsere Zeit von Paul Krugman schlägt einen Ausweg vor.
Besprechung von Paul Krugman, End This Depression Now!, WW Norton & Co, 2012.
Laut Paul Krugman befindet sich die US-Wirtschaft mit ihrem schwachen Wachstum und der beständig hohen Arbeitslosigkeit in der Depression. Zwar ist die Lage nicht so ernst wie zur Zeit der „Großen Depression“ in den 1930er Jahren, aber „es ist im Wesentlichen gleichwohl dieselbe Lage, die John Maynard Keynes in den 1930er Jahren als ,eine chronische Erkrankung mit unterdurchschnittlicher Investitionstätigkeit über einen beträchtlichen Zeitraum ohne spürbare Tendenz entweder in Richtung Erholung oder des völligen Zusammenbruchs‘ beschrieb.“
Krugman beklagt die enormen Verluste in der Wirtschaft, die dauerhafte Aushöhlung der Produktionskapazitäten und die soziale Katastrophe durch anhaltende Massenarbeitslosigkeit. Mit der Bankenrettung, die nach dem Zusammenbruch von „Lehman Brothers“ im Jahre 2008 über die TARP (Troubled Asset Relief Program [Unterstützungsprogramm für Vermögenswerte in Schwierigkeiten, Programm, über das die US-Regierung Anteile an Finanzinstitutionen aufkauft]) organisiert wurde, konnte ein Kollaps des Finanzsystems verhindert werden – wenngleich mit extrem günstigen Bedingungen für die Banken und Spekulant*innen. Das Wirtschaftsförderungspaket von Präsident Barack Obama, das keynesianische Züge trägt, verhinderte zwar einen katastrophalen wirtschaftlichen Einbruch, blieb aus Sicht von Krugman aber zu begrenzt, um für nachhaltiges Wachstum zu sorgen.
Laut Krugman haben die führenden Politiker*innen es nicht vermocht, die Lehren aus den 1930er Jahren zu ziehen. Durch eine Kombination aus verzerrter Ideologie und wirtschaftlichem Eigeninteresse übten sie Druck aus, um im Jahr 2010 zu einer Defizit-Verringerungs-Politik zurückzukehren. Dies untergrub die auf Wirtschaftsstimulierung ausgerichtete Fiskalpolitik. Obama fehle die „Rooseveltsche Entschlossenheit“, die Franklin D. Roosevelt während der „Großen Depression“ an den Tag legte. Krugman erkennt an, dass Obama mit einer erbitterten Opposition aus dem republikanisch beherrschten Kongress konfrontiert ist. Er kritisiert aber das Versagen des Präsidenten, sich nicht für ein noch umfassenderes Wirtschaftsförderungspaket eingesetzt zu haben. Obama sei gescheitert, die öffentliche Meinung wirksam für ein derartiges Eingreifen zu gewinnen. Das Ergebnis davon ist die gegenwärtige beklagenswerte Lage der US-Wirtschaft.
Nun hat Krugman eine Abhandlung für die „New York Times“ geschrieben. Ihr Titel weist darauf hin, dass sie eher eine Kampagnenbroschüre als eine wissenschaftliche Analyse ist. Sie ist prägnant, polemisch, an manchen Stellen satirisch und setzt sich unverhohlen für keynesianische Politik ein, die aus seiner Sicht die Rezession rasch beenden und nachhaltiges Wachstum erzeugen könne.
Krugman ist ein prominenter Wirtschaftswissenschaftler in den USA, aber am besten für seine informativen und polemischen Kolumnen in der „New York Times“ bekannt. Er ist der prominenteste der keynesianischen Ökonom*innen (zu denen Leute wie Joseph Stiglitz gehören). Sie befürworten mehr staatliche Eingriffe zur Stimulierung der Wirtschaft und sind sehr kritisch gegenüber der Voodoo-Ökonomie der extremen Verfechter*innen des freien Marktes, wie sie gegenwärtig vom republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney, und besonders von seinem Vizepräsidentenkandidaten Paul Ryan verfolgt wird.
Die Analyse der Krise, die die USA und die Weltwirtschaft seit Ende des Jahres 2007 befallen hat, nimmt einen großen Teil von Krugmans Buch ein. Sie ist kurz und knapp gehalten, ohne den üblichen Fachjargon und soweit vernünftig – aber letztlich oberflächlich. Es ist eine altbekannte Geschichte: Der riesige, auf Krediten basierende Boom nach 2001 (sowohl in den USA als auch in der ganzen kapitalistischen Welt) führte zu einer Immobilienblase – besonders in den Ländern, die dem US-amerikanischen und angelsächsischen Modell folgten. Der Finanzsektor und besonders das Schattenbanken-System wurden immer vorherrschender. Die Verbriefung von Schulden und die umfangreiche Ausweitung der Finanzderivate sollten Risiken minimieren oder – nach den Träumen von manchen Leute – sogar ausschließen.
Wie der Investor Warren Buffett (und die „Socialism Today“) vorausgesagt hatte, wurden die Derivate jedoch zu Instrumenten der Massenvernichtung. Beim Platzen der Immobilienblase vergrößerten sie deren Auswirkungen. Und ohne staatliches Eingreifen in den USA und andernorts, um die Banken zu retten, wäre es zu einem weltweiten Kollaps des Finanzsystems gekommen.
Krugmans Erklärung ist jedoch begrenzt. Er argumentiert, die führenden Politiker*innen hätten die Lehren aus den 1930er Jahren einfach „vergessen“ und einen Großteil der regulierenden Beschränkungen, die für die Finanzinstitutionen galten, einfach aufgehoben (das begann unter Ronald Reagan, ging aber viel weiter unter Bill Clinton). Zweifellos hat die Aufhebung des „Glass-Steagall Act“ (1933), der die Trennung der Einlagenbanken von den spekulativ tätigen Finanzhäusern durchgesetzt hatte, die Beschleunigung der „Finanzialisierung“ [Ausweitung des Finanzsektors] erleichtert und nicht verursacht. Diesem Trend lag die Abwendung der Kapitalist*innen von Investitionen im Produktions- und die Hinwendung zu immer mehr Investitionen im Finanzsektor zugrunde. Kurzfristige Profite durch Finanzspekulation, die dazu tendierten, die Profite in der Hand des reichsten einen Prozent – oder, genauer, der reichsten 0,01 Prozent der Bevölkerung – zu konzentrieren, wurden der vorherrschende wirtschaftliche Trend. Die Ideologie des ultrafreien Marktes wurde gefördert, um diese Verschiebung zu legitimieren.
Die „Finanzialisierung“ veränderte die Struktur der US-Wirtschaft und anderer fortgeschrittener kapitalistischer Länder. Sie konzentrierten sich immer mehr auf Dienstleistungen, kurbelten die Verbrauchernachfrage durch die Ausweitung günstiger Kredite und den Boom auf dem Wohnungsmarkt wie auch bei den Finanzanlagen an und verlagerten die Produktion in Niedriglohn-Wirtschaften wie China. Krugman hat nichts oder nur sehr wenig zu diesen strukturellen Veränderungen in der US- und der globalen Wirtschaft zu sagen. Dies spiegelt die charakteristische Schwäche der keynesianischen Herangehensweise wider. Er glaubt, dass die heutigen Problemen rasch durch eine Veränderung in der makroökonomischen Politik überwunden werden könnten.
Er sieht die gegenwärtige Depression als „unnötig“ an: „das hätte nicht passieren müssen“. Seine Erklärung ist, dass „wir unter einem Software-Krach gelitten haben […]. Der Punkt ist, dass das Problem nicht beim wirtschaftlichen Motor liegt, der so kraftvoll ist wie eh und je. Stattdessen reden wir über etwas, was im Grunde ein technisches Problem ist, ein Problem der Organisation und Koordination – ein ,kolossales Kuddelmuddel‘, wie Keynes es nennt. Löse dieses technische Problem und die Wirtschaft wird ins Leben zurück brausen“.
Das spiegelt Krugmans Illusion, die keynesianische Illusion, wider, dass die kapitalistische Wirtschaft gemanagt werden könne, dass Ungleichgewichte durch das Eingreifen der Regierung mit der richtigen Politik überwunden werden könnten; dass die führenden kapitalistischen Vertreter*innen und Politiker*innen durch rationale Argumente davon überzeugt werden könnten, die richtige Politik zu verfolgen. Wenn überhaupt, dann ist Krugman noch naiver als Keynes selbst, der die Schwierigkeit erkannte, Kapitalist*innen von staatlichem Eingreifen zu überzeugen – außer in einer Kriegssituation, die ihre Existenz bedrohen würde.
„Alles hängt von der Nachfrage ab“
Krugman beschreibt sich selbst als „irgendwie einen Neo-Keynesianer“, der „sich häufig alten keynesianischen Ideen zuwendet“. Er folgt dem keynesianischen Denken, das das „Saysche Gesetz“ zurückweist, die Idee, dass die Nachfrage – im Laufe der Zeit – immer dem Angebot entsprechen werde. Nach den klassischen politischen Ökonom*innen aus der Frühphase des Kapitalismus spiegelte das wider, dass der Markt immer ein Gleichgewicht erreichen werde. Diese Doktrin trat in den 1990er Jahren wieder in den Vordergrund, als die Ökonom*innen des freien Marktes (einschließlich Alan Greenspan, einmal Chef der US-amerikanischen Notenbank „Federal Reserve“) die absurde Idee von der Perfektionierung der Märkte vertraten. Manche Enthusiast*innen behaupteten sogar, dass der Konjunkturzyklus ein Phänomen der Vergangenheit sei. Nach dem Zusammenbruch von „Lehman Brothers“ im Jahr 2008 musste sogar Greenspan eingestehen, dass er falsch gelegen hatte – obwohl er später zu seinen Vorstellungen der ultrafreien Märkte zurückkehrte.
Krugman folgt Keynes auch mit dem Argument, dass „alles von der Nachfrage abhängt“: Der Hauptfaktor in der gegenwärtigen Depression sei die mangelnde gesamtwirtschaftliche Nachfrage (worunter die gesamte zahlungskräftige Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen verstanden wird, einschließlich der nach Kapitalgütern). „2008“, schreibt Krugman, „fanden wir uns plötzlich in einer keynesianischen Welt wieder […], damit meine ich, dass wir uns in einer Welt wiederfanden, in der der Mangel an ausreichender Nachfrage zum größten ökonomischen Problem geworden war“. Diese Lage, argumentiert er, verlange eine aktivistische Regierungspolitik.
Natürlich war der Zusammenbruch der Nachfrage, der auf die Finanzkrise folgte, der unmittelbare Grund für den wirtschaftlichen Abschwung. Haushalte waren massiv verschuldet und wurden vom Zusammenbruch der Immobilienpreise sowie dem steilen Anstieg der Arbeitslosigkeit getroffen. Viele (vor allem kleine und mittlere) Unternehmen waren von der Kreditklemme und dem Kollaps bei der Verbrauchernachfrage getroffen. Großkonzerne mit enormen Geldreserven waren auf der Basis schrumpfender Märkte nicht bereit, in neue Kapazitäten zu investieren. Sowohl der Haushalts- als auch der Unternehmenssektor waren in einer klassischen „Schuldenfalle“ gefangen. Verzweifelt versuchten sie ihre Schulden zu verringern, indem sie mehr sparten als sie investierten oder für Waren und Dienstleistungen ausgaben.
Das keynesianische Argument lautet, dass In dieser Lage der Staat einschreiten und die Nachfrage ankurbeln müsse. Eine Senkung der Zinsen (sogar auf Null) sei nicht genug. Der Staat müsse Nachfrage in die Wirtschaft pumpen, indem er für die Finanzierung öffentlicher Schulden Geld leiht – oder Geld druckt. Eine Verbesserung des sozialen Netzes (z.B. durch Anhebung der Arbeitslosenunterstützung) und Arbeitsbeschaffungsprogramme (etwa über Infrastruktur-Projekte) könnten so die Arbeitslosigkeit reduzieren und zu steigender Nachfrage führen.
Krugman stimmt den von der US-Regierung und Notenbank [Federal Reserve, „Fed“] in den Jahren 2008 und 2009 durchgeführten Maßnahmen zu. Damals senkte die „Fed“ die Zinsen fast gegen Null und pumpte durch die sogenannte Politik der „quantitativen Lockerung“ Kredite in die Wirtschaft. Krugman stimmt auch den Rettungen der Banken und der Schattenbankeninstitutionen durch die TARP (im Umfang von 700 Milliarden US-Dollar) unter George W. Bush zu. Jedoch kommentiert er korrekterweise, dass sie zu äußerst nachsichtig Bedingungen gerettet wurden. Im Unterschied dazu wurde die zugesagte Hilfe für „Unter-Wasser“-Hypothekenschuldner*innen (Hauskäufer*innen, deren Hypotheken höher waren als der Marktwert ihrer Häuser), weitgehend nicht verwirklicht. Krugman unterstützt insbesondere Obamas Wirtschaftsförderungspaket im Umfang von 787 Milliarden US-Dollar, steht dem seiner Meinung nach aber viel zu begrenzten Charakter desselben jedoch sehr kritisch gegenüber. (Fast 40 Prozent davon hat die Form von Steuererleichterungen statt von erhöhten Staatsausgaben.)
Krugmans Hauptkritik ist, dass das Programm viel zu klein gewesen sei und seit 2010 zu großen Teilen bereits aufgegeben wurde. Darum, argumentiert er, habe sich die Rezession fortgesetzt und die Arbeitslosigkeit bleibe auf so hohem Niveau. (Krugmans Kritik an Roosevelts New-Deal- Wirtschaftsförderung ist, dass sie auch zu klein gewesen sei, was dann zu einer weiteren Rezession im Jahre 1937 führte.)
Wenn Obama mit seiner Wirtschaftsförderung weitergemacht hätte – insbesondere durch öffentliche Arbeiten, die Millionen Arbeitsplätze geschaffen hätten – dann wäre die US-Rezession womöglich nicht so dramatisch gewesen. Indem Krugman den Faktor „Nachfrage“ als den entscheidenden Punkt isoliert, kann er jedoch nicht zur Wurzel des Problems vordringen. Die keynesianische Idee ist, dass ein Spurt staatlicher Ausgaben als Starthilfe der Wirtschaft wirke, Arbeitsplätze schaffe, die Investitionen ankurbele und so weiter, „bis der private Sektor wieder in der Lage ist, die Wirtschaft wieder vorwärts zu tragen“. Aber abgesehen von der kapitalistischen Feindschaft gegenüber der größeren Rolle des Staates ist auch bei weitem nicht gesichert, dass eine kurzfristige Wirtschaftsförderung dieses Typs tatsächlich die Investitionen und Produktion bei den großen Konzernen wiederbeleben würde.
Der Anteil der Kapitalinvestitionen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den USA und anderen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern ging trotz des größer gewordenen Anteils der Profite am Volkseinkommen seit den frühen 1980er Jahren zurück. Die Stagnation der Kapitalinvestitionen setzte sich trotz des hohen Niveaus der Nachfrageseite (getragen von Krediten/Verschuldung) in den 1990er und 2000er Jahren in den USA fort.
Keynes glaubte, dass es wegen der sogenannten „Liquiditätspräferenz“ der Kapitalist*innen zu einem bestimmten Zeitpunkt zum Zusammenbruch des „Gleichgewichts des Marktes“ kommen würde. Mit anderen Worten: Sie würden mehr sparen als investieren, weil sie bevorzugen würden, ihr Geld zu horten als produktiv zu investieren. Keynes erklärte dies durch den Faktor „Vertrauen“, eine subjektive Erklärung. In Wirklichkeit ist der Mangel an Vertrauen in der Einschätzung eines viel objektiveren Faktors begründet: der Aussicht, angemessenen Profit zu machen.
So war es auch die „Liquiditätspräferenz“ der Großkonzerne, die hinter der Hinwendung zu spekulativer Finanztätigkeit in den frühen 1980er Jahren steckte. Krugmans Analyse spiegelt die Schwäche der keynesianischen Theorie wider: Sie legt den Fokus auf empirische, makroökonomische Politik und kommt mit den ihr zugrunde liegenden Kräften nicht klar, besonders für die Profitabilitätsentwicklung. Verblüffenderweise bezieht sich Krugman nicht auf Profite oder Profitabilität. Die Wörter kommen nicht einmal im Register des Buches vor (aber das ist bei keynesianischen Sachbüchern nicht ungewöhnlich). Er beschreibt zwar sehr anschaulich die wachsende Ungleichheit in den USA, macht aber keinen Versuch, diese mit der zunehmenden Ausbeutung der Arbeiter*innenklasse in Zusammenhang zu bringen, aus deren Arbeitskraft der ganze Profit abgeleitet ist.
Eine politische Klemme?
„Indem wir auf altehrwürdige ökonomische Prinzipien zurückgreifen, deren Gültigkeit von den jüngsten Ereignissen gerade wieder unter Beweis gestellt wurde, können wir mehr oder weniger schnell wieder zu Vollbeschäftigung kommen; möglicherweise in weniger als zwei Jahren. Alles, was die Erholung blockiert, ist der Mangel an intellektueller Klarheit und politischem Willen“. Dies ist ein Punkt, den Krugman mehrmals in seinem Buch wiederholt. Mit den „altehrwürdigen Prinzipien“ ist keynesianische Politik gemeint.
Wie Keynes vor ihm argumentiert auch Krugman, dass seine Politik moderat sei. Er schlägt „Maßnahmen“ vor, „die hauptsächlich versuchen würden, die Wirtschaft anzukurbeln statt zu versuchen, sie zu transformieren […]“. Wie Keynes macht er klar, dass er die grundlegende Struktur des Kapitalismus nicht in Frage stellt. Er warnt, dass ein sich lang hinziehender Wirtschaftseinbruch eine Gefahr „für die demokratischen Werte und Institutionen bedeutet“ – eine Umschreibung für Aufstände und Klassenkonflikte.
Trotz seiner beißenden Kritik an republikanischen Politiker*innen, Konzernchef*innen und akademischen Befürworter*innen der Politik des ultrafreien Marktes, scheint Krugman häufig überrascht über deren Haltung zu sein. Er betrachtet es als ein Versagen ihrerseits, die Zusammenhänge zu verstehen und mit der Realität klarzukommen. Er hofft , dass der Druck einer aufgeklärten öffentlichen Meinung ihre Position verändern könne. „Die Quellen für unser Leiden sind im Gesamtbild relativ trivial. Sie können schnell und ziemlich leicht gelöst werden, wenn genügend Menschen in Machtpositionen die Realitäten begreifen würden“.
Doch weist der Autor selbst wiederholt auf die Eigeninteressen (oder, wie US-Amerikaner*innen sagen: „besonderen Interessen“) derer hin, die die Politik des freien Marktes bevorzugen. Das gesellschaftliche Gewicht der großen Konzerne hat in den letzten 30 Jahren deutlich zugenommen. Es gab eine riesige Konzentration des Reichtums in den Händen des oberen einen Prozents (oder sogar eines kleinen Teils dieses oberen einen Prozents). Mit Geld kann man, wie Krugman sagt, Einfluss kaufen, und die Großkonzerne üben einen enormen Einfluss sowohl auf die Demokrat*innen als auch auf die Republikaner*innen aus.
Weshalb lehnen viele auf der Rechten zum Beispiel vehement die Geldpolitik der „Federal Reserve“ unter Ben Bernanke ab? Praktisch ist die „quantitative Lockerung“ eine Form von Keynesianismus für Banker*innen. Viele der führenden Finanzinstitutionen wären ohne die durch die „Fed“ bereitgestellte günstigen Liquidität längst zusammengebrochen. Dennoch sind insbesondere die Finanzkapitalist*innen besessen vom Schreckgespenst der Inflation – auch wenn diese keine unmittelbare Bedrohung ist. (Das ist so wegen der weltweit vorhandenen Überkapazitäten, die das Preisniveau insgesamt niedrig halten, und weil die Banken in den meisten Fällen auf ihren Geldreserven sitzen statt diese ins Wirtschaftssystem zu lenken.) Die Finanziers unterstützen eine Politik, die die Gläubiger*innen und nicht die Schuldner*innen bevorzugt. Die Geldverleiher*innen verabscheuen niedrige Zinsen und Inflation, die die realen, inflationsbereinigten Zinsen herabsetzt.)
Krugman zitiert einen Kommentar von Keynes selbst: Dass die Doktrin des freien Marktes, sagte Keynes, „den uneingeschränkten Tätigkeiten der einzelnen Kapitalisten eine gewisse Rechtfertigung gewährte, zog ihr die Unterstützung der herrschenden sozialen Macht [der Kapitalist*innen] zu, die hinter der Obrigkeit stand“ [John Maynard Keynes, Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, Kapitel 3.III, München und Leipzig 1936, S. 28]. In den USA machen Sprecher*innen der Großkonzerne und republikanische Politiker*innen kein Geheimnis daraus, dass sie jegliche Form staatlicher Intervention zur Überwindung der Rezession als Anfang vom Ende betrachten, das die Gefahr des „Sozialismus“ erzeugt.
Krugman liefert viele der Zutaten, die für eine Analyse der politisch-ökonomischen Lage in den USA nötig sind. Allerdings kann er selbst keine solche Analyse liefern. Als „Liberaler“ kann er die rechte Ideologie, die Einzelinteressen der Konzerne und die sich nach rechts bewegenden führenden Vertreter*innen der Republikanischen Partei nicht als Erscheinungsformen von Klasseninteressen erkennen, als Ideologie/Politik, die die Interessen eines mächtigen Teils der Kapitalist*innenklasse – vor allem des Finanzkapitals – vertritt.
Krugmans Lösung
Krugman gelingt es, ohne große Schwierigkeiten zu zeigen, dass die Politik der Defizitreduzierung, der sich die kapitalistischen Regierungen zugewandt haben, sobald es im Jahr 2010 zu einer gewissen Erholung kam, die Lage verschlimmert hat. Seine Bemerkungen im Kapitel über Europa, „Eurodämmerung“ (nach Wagner), wurden von der anhaltenden Rezession in der ganzen EU und der Eurozone weiter bestätigt. Er zeigt, dass es sich bei der Politik der „expansiven Kürzungspolitik“, die auf der Idee beruht, dass Defizitreduzierung „Vertrauen“ in die Wirtschaft fördern und somit Investitionen und Wachstum fördern wird, schlichtweg um Hokuspokus handelt. Witzig spricht Krugman von den „Austerianern“ [engl. „austerity“, „Spar-“ bzw. Kürzungspolitik], den führenden Politiker*innen und Ökonom*innen, die Kürzungspolitik vertreten und stark von den freien Markt-Ökonom*innen, der Österreichischen [engl. „Austrian“] Schule wie Friedrich Hayek und Ludwig von Mises beeinflusst sind.
Krugman argumentiert, dass die zusätzlich angehäuften fünf Billionen US-Dollar Schulden keine übermäßige Belastung für die Wirtschaft sein müssen. Sie erfordern etwa 125 Milliarden Dollar an Zinszahlungen, etwa ein Prozent des BIP. Einleuchtenderweise könnte der US-Kapitalismus auch einen deutlich höheres Schuldenniveau aushalten – vorausgesetzt, es gäbe ein BIP-Wachstum, das es über eine (selbst über eine sehr lange) Periode stetig verringern würde. Das politische Problem dabei ist, dass die Kapitalist*innenklasse in den USA, die seit den 1980er Jahren eine Senkung ihrer Steuerlast genossen hat, es unnachgiebig ablehnt, höhere Steuern zu zahlen, um öffentliche Investitionen zu finanzieren.
Krugman kritisiert zu Recht das Wirtschaftsförderungspaket von Obama (auch das sehr begrenzte zweite Paket) als zu wenig zu spät. Aber angesichts des Weckrufs im Titel seines Buches bleiben Krugmans Vorschläge überraschend beschränkt und vage. Er befürwortet eine große Ausweitung der „quantitativen Lockerung“, bei der die „Fed“ eine viel größere Palette an Wertpapieren (auch Firmenanleihen und Hypotheken) aufkauft, um mehr Geld in die Wirtschaft zu pumpen. Er argumentiert, dass die Wiederherstellung der Bundesunterstützung für die Bundesstaaten und Städte in den nächsten zwei bis drei Jahren drei Millionen neue Arbeitsplätze schaffen könne. Eine effektive Hilfe bei den Hypothekenkrediten, wie Obama sie zwar versprochen, aber nie umgesetzt hat, könnte die Verbraucher*innennachfrage anregen. Krugman ruft zu mehr öffentlichen Ausgaben und öffentlichen Arbeiten (Instandsetzung und Erneuerung von Infrastruktur) auf, bleibt aber überraschend vage. Er erkennt an, dass Obama einer massiven politischen Opposition im Kongress gegenüberstand – selbst aus Teilen der Demokratischen Partei – und vielleicht will Krugman einfach kein Risiko durch das Vorschlagen konkreter Maßnahmen eingehen.
Keine historische Perspektive
Krugmans Analyse mangelt es an historischer Perspektive. Er erkennt an, dass Roosevelt New Deal nicht in vollem Umfang erfolgreich war und 1937 einer neuen Rezession Platz machen musste. Seiner Ansicht nach war er nicht umfangreich genug und wurde nicht lange genug durchgeführt. Er argumentiert jedoch, dass die riesige Steigerung öffentlicher Ausgaben als Reaktion auf den Beginn des Zweiten Weltkriegs im Jahre 1939 die USA aus der Rezession zog. Noch bevor die USA in den Krieg eingetreten waren, hatten die Aufrüstung und eine gestiegene weltweite Nachfrage nach US-Waren die Wirtschaft angetrieben.
Der Krieg wurde mit Schulden finanziert, doch im Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegsperiode konnten die Staatsschulden ziemlich rasch abbezahlt werden. Laut Krugman zeigt dies, dass historisch hohe Schuldenstände kein Problem darstellen müssen, so lange es ein dauerhaftes Wachstum des BIP gibt. „Was der drohende Krieg machte, war, die Stimmen des Haushaltskonservatismus schließlich zum Schweigen zu bringen, was die Tür für die wirtschaftliche Erholung öffnete […]“. Liberale Keynesianer*innen können allerdings kaum einen Krieg für die Lösung wirtschaftlicher Probleme befürworten!
Im Scherz schlägt Krugman vor, dass „was wir jetzt wirklich brauchen [eine] fingierte Bedrohung durch eine außerirdische Invasion ist, die zu massiver Ausgabensteigerung zur Verteidigung gegen den außerirdischen Feind führt“. Das ist sehr aufschlussreich. Krugmans Scherz zeigt, dass er den einzigartigen historischen Charakter des Zweiten Weltkriegs und der Aufschwungphase der Nachkriegsära nicht erfassen kann – oder die gegenwärtige geschichtliche Konstellation.
„Tatsache ist, dass wir nach dem Zweiten Weltkrieg fast zwei ganzen Generationen lang mehr oder weniger angemessene Beschäftigung und ein erträgliches Maß an Ungleichheit hatten, und dass wir dies wieder hinkriegen können“, so Krugman. Doch eine keynesianische Politik kann die für einen anhaltenden Wirtschaftsaufschwung erforderlichen Bedingungen nicht wiederherzustellen. Die Struktur des Kapitalismus (wenn auch nicht sein wesentlicher Charakter) hat sich gewandelt, ebenso wie die globalen wirtschaftlichen Beziehungen. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und der anderen stalinistischen Staaten (von bürokratischen Regimen beherrschte Planwirtschaften) nach 1989 entfernten ein Gegengewicht zum Kapitalismus. Es gab eine Schwächung und einen politischen Orientierungsverlust der Gewerkschaften und der traditionellen Arbeiter*innenorganisationen. Dies ermutigte die Kapitalist*innen unter der Führung der herrschenden Klasse in den USA, einen Angriff auf den Lebensstand und die Rechte der Arbeiter*innenklasse zu starten und auf die „Perfektionierung“ des Marktes zu drängen. In den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern wurde der Finanzsektor zur dominierenden Kraft. Die Lage heute ist völlig anders als in der Periode nach dem Zweiten Weltkrieg.
Ein Programm für öffentliche Arbeiten?
Ist keynesianische Politik jetzt ausgeschlossen? Zweifellos denken manche so. „Im gegenwärtigen Marktumfeld“, sagt ein Analyst der Deutschen Bank, „ist kein Raum für die Verwendung einer expansiven Fiskalpolitik keynesianischen Typs, um in Ländern mit niedrigen Wachstumsraten die Nachfrage anzukurbeln – die Märkte würden eine derartige Strategie einfach nicht akzeptieren“ („International Herald Tribune“, 10. Januar 2012). Globale Finanzmärkte sind heute weit umfangreicher als zu Keynes’ Zeiten, oder selbst vor der „neoliberalen Revolution“ der 1980er Jahre. Im Jahr 1980 entsprachen die Finanzanlagen (in Wirklichkeit Kredite/Schuldverschreibungen) der Jahresproduktion der Weltwirtschaft. 2006 betrugen solche Vermögenswerte das Vierfache der Welt-Jahresproduktion. Dieses Ausmaß gibt den Spekulant*innen, den sogenannten „Wächter*innen des Anleihemarktes“, die Macht, um gegen jede Regierung zu spekulieren , die eine ihnen nicht genehme Politik durchführt.
Obendrein werden die Anleihenhändler*innen durch die Ideologie des ultrafreien Marktes bestärkt, die nun auch das Denken der kapitalistischen Regierungen und internationalen Einrichtungen wie etwa der OECD bestimmt. Trotz der Vertiefung der gegenwärtigen Weltrezession glauben sie wirklich, dass entfesselte Märkte Wachstum erzeugen – und Massenarbeitslosigkeit und Verarmung ganzer Teile der Arbeiter*innenklasse dieses Wachstum nicht beeinträchtigen würden.
Die Art von Politik, die Krugman befürwortet, könnte – wenn sie wirksam umgesetzt würde – den Abschwung in den USA und andernorts abfedern. Die zugrundeliegenden Probleme der kapitalistischen Akkumulation würde sie aber nicht überwinden können. So oder so: Viele Keynesianer*innen fühlen, dass es schon zu spät ist. So schreibt beispielsweise der Keynes-Biograph Robert Skidelsky: „Schließlich beginnt sich die Meinung [zu Gunsten keynesianischer Politik] zu ändern – aber zu langsam und zu spät, um die Welt vor Jahren von Stagnation zu bewahren.“ („The New Republic“, 12. Juli).
Und doch können sich die Dinge ändern. Die kapitalistische Krise wird gesellschaftliche Explosionen und Ausbrüche von Klassenkonflikten hervorrufen. In den USA würden – sollte Romney die Präsidentschaftswahl gewinnen und die von Ryan befürwortete Politik umsetzen – sie wahrscheinlich einen noch schlimmeren wirtschaftlichen Einbruch hervorrufen. (Es ist möglich, dass sogar die Präsidentschaft unter Romney und Ryan durch den Druck der Konzerne gezwungen würde, ihre verrückten Ideen zu mildern zugunsten einer pragmatischeren Politik.)
Explosive Bewegungen der Arbeiter*innenklasse und tiefe soziale Krisen werden unter bestimmten Umständen die kapitalistischen Regierungen dazu drängen, Maßnahmen keynesianischen Typs zu ergreifen, um eine noch tödlichere Bedrohung für ihr System zu verhindern. Keynes selbst sagte, dass seine Politik dazu bestimmt sei, Revolution zu vermeiden. Wenn es um die Frage geht, ihr System zu retten, wird die Kapitalist*innenklasse der Arbeiter*innenklasse – zumindest zeitweise – Zugeständnisse machen. Um die Massenarbeitslosigkeit zu verringern, werden sie durchaus Programme öffentlicher Arbeiten beschließen. Sie werden gezwungen sein, das soziale Netz zu reparieren. Aber eine solche Politik kann nur ein vorübergehendes Hilfsmittel sein. Sie wird keine Rückkehr zu einer langfristigen nachhaltigen keynesianischen Politik des Nachkriegsaufschwungs sein, als der Staat seinen Eingriff in die Wirtschaft vergrößerte und eine umfassende soziale Wohlfahrtsinfrastruktur entwickelte. Keynesianische Politik kann für die herrschende Klasse Zeit gewinnen, aber sie kann die Krise des Kapitalismus nicht lösen.
Wie sollten wir als Sozialist*innen ein Wirtschaftsförderungspaket oder ein Programm öffentlicher Arbeiten ansehen? Angesichts der Massenarbeitslosigkeit und der Aussicht auf eine lang gezogene wirtschaftliche Stagnation sollten die führenden Vertreter*innen der Arbeiter*innenorganisationen in der Tat zu einem massiven Programm öffentlicher Arbeiten aufrufen, um Arbeitsplätze zu schaffen und Wirtschaftswachstum anzuregen.
Um wirksam zu sein, müsste ein Programm öffentlicher Arbeiten einen viel größeren Umfang als das von Krugman vorgeschlagene haben. Es würde die Sanierung und die Ausweitung neuer Infrastruktur bedeuten, vor allem Wohnungen, Schulen, Krankenhäuser, kommunale Einrichtungen etc. Die Arbeiter*innen müssten einen auskömmlichen Lohn und volle gewerkschaftliche Rechte erhalten.
Eine wirksame Wirtschaftsförderung würde eine große Steigerung der Ausgaben für Soziales erfordern, die Steigerung von Renten und anderen Sozialleistungen. Steuersätze für Reiche und Großkonzerne müssten merklich gesteigert werden, mit einer Sonderabgabe auf nicht investierte Geldreserven von Großkonzernen. Wirksame Maßnahmen gegen Steuerflucht und Steuerhinterziehung müssten ergriffen werden.
Man muss jedoch im Vorfeld anerkennen, dass die Kapitalist*innen sich vehement einer größeren Rolle des Staates und erhöhter Besteuerung widersetzen werden. Ein Programm zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Stimulierung von Wachstum würde die Mobilisierung der Arbeiter*innenklasse erfordern. Obendrein wäre erhöhte Besteuerung allein nicht ausreichend, um die Wirtschaft zu entwickeln. Die dramatische Anhebung der Lebensstandards der Bevölkerungsmehrheit würde durch gesteigerte Produktion geschaffene Ressourcen (zusätzlichen realen Wohlstand) erfordern.
Die Banken und Finanzhäuser müssten verstaatlicht (nicht gerettet und auf öffentlichen Kosten gestützt) und unter demokratische Arbeiter*innenkontrolle und -verwaltung geleitet werden. Dies würde die für die Entwicklung aller Bereiche der Wirtschaft erforderlichen Kredite sicherstellen. Es müsste Kapitalkontrollen geben, um jede Kapitalflucht zu verhindern. Solche Maßnahmen würden zweifellos den erbitterten Widerstand der Kapitalist*innenklasse hervorrufen. Ein staatliches Eingreifen zugunsten der Arbeiter*innenklasse, würde unvermeidlich die Frage der Übernahme der Kommandohöhen der Wirtschaft aufwerfen, um so die Grundlage eines demokratischen Plans für die (von gewählten Vertreter*innen der Arbeiter*innen und der Gesellschaft insgesamt geleitete) Produktion zu bilden.
Jede Regierung, die eine solche Politik umsetzt, bräuchte eine internationale Perspektive und müsste mit den Arbeiter*innenbewegungen in anderen Ländern zusammenarbeiten, um auf internationaler Ebene eine sozialistische Planung zu entwickeln.
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