[eigene Übersetzung des englischen Textes in Socialism Today Nr. 136, März 2010]
Griechenland erschüttert die Grundlagen der Eurozone
Die Wirtschaftskrise in Griechenland sendet Schockwellen durch die finanzielle und politische Infrastruktur Europas. Die drohende Zahlungsunfähigkeit hat die fieberhaften Spekulationen auf den Anleihemärkten angeheizt. Das einzige Thema, bei dem sich die EU und das griechische politische Establishment einig sind, ist, dass die Arbeiter*innenklasse durch harte Einschnitte zahlen muss. Dies wiederum führt zu sozialen Unruhen. Lynn Walsh berichtet über die größte Herausforderung für die Eurozone seit der Einführung der Euro-Währung.
Griechenland, derzeit das schwächste Glied in einer Reihe von schwachen Gliedern der Eurozone, hat eine schwere Krise für die gemeinsame Währung ausgelöst. Die Euro-Krise wird zudem schwerwiegende Auswirkungen nicht nur auf die Euro-Zone, sondern auf den europäischen Kapitalismus insgesamt haben. Das Gespenst einer Zahlungsunfähigkeit Griechenlands treibt die Kosten für die Kreditaufnahme anderer hoch verschuldeter Länder wie Spanien, Portugal, Italien und Irland in die Höhe. Ein griechischer Zahlungsausfall würde (obwohl Griechenland nur 2,5% des BIP der Eurozone ausmacht) die Frage nach der Gangbarkeit des Euro als gemeinsame Währung aufwerfen.
Ein Auseinanderbrechen der Eurozone, das von einigen Strateg*innen des Kapitalismus ernsthaft in Erwägung gezogen wird, würde auch eine Erschütterung des Welt-Finanz- und Währungssystems auslösen. Zunächst einmal könnte ein griechischer Zahlungsausfall den Zusammenbruch einiger europäischer Banken verursachen, die griechische Staatsanleihen (im Gesamtwert von ca. 300 Mrd. Euro) halten. Das würde eine neue Phase der Krise im globalen Banken- und Finanzsystem auslösen. Griechenland ist der Auslöser, der die der gemeinsamen Währung innewohnenden Widersprüche offenbart.
Als das globale Banken- und Finanzsystem 2008 vor dem Zusammenbruch stand, sprangen die kapitalistischen Großmächte mit Kapitalspritzen und Garantien in Höhe von schätzungsweise 18 Billionen Dollar ein. Sie verstaatlichten faktisch die Verluste der spekulativen Investmentbanken. Auf Kosten der Allgemeinheit retteten sie Banken und andere spekulative Vehikel vor den Folgen ihrer eigenen rücksichtslosen Zockerei auf den globalen Märkten. Jetzt jedoch weigern sich die großen EU-Mächte, für nur 300 Milliarden Euro griechischer Schulden zu bürgen. Sie versprechen „Solidarität“ mit Griechenland, was die Finanzmärkten beschwichtigen soll, dass sie einen Zahlungsausfall nicht zulassen würden. Bislang haben sie sich jedoch geweigert, ein konkretes Paket finanzieller Unterstützung vorzulegen. Gleichzeitig fordern sie von der griechischen Regierung immer brutalere Kürzungen – Kürzungen, die der griechischen Arbeiter*innenklasse aufgezwungen werden sollen. Das derzeitige Haushaltsdefizit auf 3% des BIP (die „Norm“ der EU-Wirtschafts- und Währungsunion) zu senken, würde ein Kürzung im BIP um 12 bis 15% erfordern. Das hätte die Wirkung eines größeren Einbruchs in der Wirtschaft.
Die von den EU-Mächten unter der Führung des deutschen Kapitalismus geforderten „Reformen“ wurden passenderweise als „Tsunami von Angriffen“ bezeichnet. Kürzungen in der jetzt vorgeschlagenen Größenordnung würden die sozialen Dienste zerfleischen und zu enormen Steuererhöhungen führen, angefangen bei der Mehrwertsteuer. Außerdem werden diese fälschlich „Reformen“ genannten Maßnahmen von einer „sozialistischen“ (PASOK) Regierung von Georg Papandreou vorgeschlagen. Der Tsunami stieß jedoch bereits auf „Flüsse der Wut“ mit einer Reihe massiver, landesweiter Streiks und Proteste.
„Die Bürokraten in Brüssel wollen … Blut auf den Straßen von Athen sehen“, schrieb eine Massenzeitung. „Wir sind im Krieg mit der Regierung“, kommentierte ein ehemaliger linker Abgeordneter, „denn sie ist klar im Krieg mit uns“. „Warum soll ich als Arbeiter für die Fehler in der Politik bezahlen?“, fragte ein Lehrer auf einer Demonstration des öffentlichen Dienstes. „Der Arbeiter kann nicht der Sündenbock sein. Wir müssen uns also selbst verteidigen“.
Ein paar kapitalistische Kommentator*innen warnen jedoch, dass Kürzungen in dem Umfang, wie sie jetzt in Griechenland vorgeschlagen werden, eine explosive soziale und politische Reaktion auslösen würden, nicht nur in Griechenland, sondern in ganz Europa. „Wenn man den Gürtel so eng schnallt, wie es die Märkte anscheinend wollen, wird man eine politische Reaktion bekommen, die nicht handhabbar ist“, kommentierte Joseph Stiglitz, ein Wirtschaftswissenschaftler, der keynesianische Politiken befürwortet. „Dies sind Demokratien – keine Diktaturen“. (Cost of Debt Puts Strain on Europe’s Weakest Links [Schuldenkosten belasten Europas schwächste Glieder], „International Herald Tribune“, 6. Februar)
Die Ereignisse in Griechenland, die ein Echo in Spanien, Portugal, Irland und anderswo finden werden, markieren eine neue Periode sozialer Revolten und politischer Kämpfe, die in ganz Europa nachhallen werden.
Griechenland ist einer der schwächsten der europäischen kapitalistischen Staaten. Seine aufgelaufene Staatsverschuldung beläuft sich auf fast 300 Milliarden Euro, etwa 112% des BIP – und es wird erwartet, dass sie bis 2013 auf 130% ansteigt, wenn es nicht zu drastischen Ausgabenkürzungen in Verbindung mit Steuererhöhungen kommt. Obendrein mag die derzeitige Verschuldung möglicherweise noch höher sein, als sie in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erscheint, da verschiedene komplexe Finanzinstrumente eingesetzt werden, um die tatsächliche Höhe zu verschleiern. Der riesige Schuldenberg wurde durch die grobe Misswirtschaft der aufeinanderfolgenden Regierungen angehäuft und ist sicherlich nicht der griechischen Arbeiter*innenklasse zugute gekommen. So gibt es beispielsweise eine massive Steuerhinterziehung bei den Reichen und sogar bei der wohlhabenden Mittelschicht. Nur die Arbeiter*innen, bei denen die Steuern an der Quelle einbehalten werden, zahlen tatsächlich die offiziellen Steuersätze. Man schätzt, dass der Regierung durch Steuerhinterziehung jährlich 30-40 Milliarden Euro verloren gehen. Die Korruption ist in der gesamten staatlichen Bürokratie weit verbreitet.
Griechenland wurde von der globalen Rezession hart getroffen: Im vergangenen Jahr fiel das BIP um 1,1%, und für 2010 wird mit einem Fall um 1% gerechnet. Die schwere Wirtschaftskrise hat zu Massenarbeitslosigkeit geführt, insbesondere unter der Jugend.
Die griechische Staatsverschuldung wurde über einen langen Zeitraum angehäuft und war kein Geheimnis. Die Schuldenkrise wurde jedoch im Dezember ausgelöst, als die Ratingagentur Fitch die griechischen Anleihen von A-minus auf BBB herabstufte. Dies stieß den Zinssatz, den die griechische Regierung für ihre Anleihen zahlen musste, auf fast 7% nach oben. Er lag damit 3,8% über dem von deutschen Staatsanleihen. Die „Wächter*innen des Anleihemarktes“, die großen globalen Anleihehändler*innen, begannen, das Gespenst eines Zahlungsausfalls der griechischen Regierung heraufzubeschwören. Dies führte unweigerlich zu ähnlichen Zweifeln an den Finanzmärkten über andere hoch verschuldete Wirtschaften, insbesondere Spanien, Portugal und Italien.
Die Euro-Zwangsjacke
Die Wirtschaften der Eurozone wurden von dem globalen Abschwung schwer getroffen. Vom Höchststand bis zum Tiefpunkt gab es einen Fall von -5% (im Vergleich beispielsweise zu einem Fall von 3,8% in der US-Wirtschaft). Die jüngsten Zahlen für das vierte Quartal 2009 zeigen ein vernachlässigbares Wachstum in den größten Wirtschaften, Deutschland und Frankreich, bei einem anhaltend negatives Wachstum in den Peripherieländern: Portugal, Italien, Griechenland und Spanien, die wenig schmeichelhaft als PIGS [die Anfangsbuchstaben der Länder, zugleich wörtlich „SCHWEINE“ – d. Übers.] – oder PIIGS, wenn man Irland einbezieht – bezeichnet werden.
Der Abschwung in der Eurozone wurde durch die gemeinsame Währung noch verschärft. Die Aufwertung des Euro während des Abschwungs (vor allem aufgrund der Abwertung des US-Dollars) hat die Exportpreise der Euro-Länder erhöht, als es einen scharfen Fall in der Weltnachfrage nach Exporten gab. Gleichzeitig bedroht die Divergenz zwischen den Wirtschaften der Eurozone nun den Euro selbst mit einer tiefen Krise. Deutschland, die Niederlande und Frankreich beispielsweise waren in der Lage, schuldenfinanzierte Konjunkturpakete zu schnüren. Die schuldengeplagten PIGS jedoch haben diesen Luxus nicht, da die „Märkte“ (d. h. Banken und Spekulant*innen) nicht bereit sind, Keynesianismus in den schwächeren Wirtschaften zu tolerieren.
Gleichzeitig kettet der Euro Wirtschaften mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen (z. B. Deutschland, die Niederlande) mit Wirtschaften mit hohen Leistungsbilanzdefiziten zusammen (die Leistungsbilanz ist die Handelsbilanz plus laufende Zahlungen, wie z. B. zurückfließende Profite). Bei getrennten Währungen würden die Währungen der Überschussländer tendenziell aufwerten, während die Währungen der Defizitländer abwerten würden. Das würde die Ungleichgewichte tendenziell korrigieren. Dies ist in der Eurozone nicht möglich, die alle über einen Leisten schlägt.
Portugal, Italien, Griechenland und Spanien sind alle in unterschiedlichem Maße stark verschuldet, sei es im öffentlichen Sektor, im Unternehmenssektor oder bei den privaten Haushalten. Griechenland hat derzeit ein Haushaltsdefizit von 12,7% und eine angehäufte Staatsverschuldung von 112 Milliarden Euro. Das Wachstum in Spanien und Irland während der Boomzeit war zudem stark von Immobilienblasen abhängig, die inzwischen geplatzt sind. Die peripheren Wirtschaften nutzten die niedrigen Zinssätze in der Eurozone und billige Kredite, um ihr schuldengetriebenes Wachstum zu finanzieren. Obwohl jede Regierung ihre eigenen Anleihen ausgab, ermöglichte ihnen die anscheinende „Sicherheit“ des Euro, Geld zu niedrigeren Zinssätzen als sonst zu leihen. Als eigenständige Wirtschaften hätten die Regierungen, egal welcher Couleur, die Zinssätze erhöhen können, um das Wachstum von Blasen zu bremsen. In der Eurozone legte die Europäische Zentralbank (EZB) jedoch einen gemeinsamen, niedrigen Zinssatz fest, der insbesondere für größere Wirtschaften wie Deutschland geeignet war. Die während des vorangegangenen Aufschwungs vorherrschenden niedrigen Zinssätze und der hohe Euro, die Exportüberschussländer wie Deutschland, die Niederlande und Frankreich begünstigten, förderten verschwenderische Ausgaben und Kreditaufnahmen in den schwächeren Wirtschaften.
„Die Krise in der Peripherie der Eurozone ist kein Zufall: Sie ist systemimmanent“. (Martin Wolf, „Financial Times“, 6. Januar)
Unter der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) und dem Stabilitätspakt der EU sind die laufenden Defizite auf 3% des BIP und die Staatsverschuldung auf 60% begrenzt. Als Griechenland 2001 der Eurozone beitrat, wurde weithin vermutet, dass die Regierung die Bücher gefälscht habe, um die „Konvergenzkriterien“ zu erfüllen. Mit dem Ausbruch der Krise sahen sich die EU-Kommission, die EZB und schließlich auch die Hauptmächte der Eurozone (Deutschland und Frankreich) jedoch gezwungen, viel höhere Niveaus des Defizits und der Staatsverschuldung zu akzeptieren, nicht zuletzt weil sie selbst die Normen überschritten.
Dies verdeutlicht den Grundwiderspruch der Eurozone: Die 16 Länder nehmen an einer Währungsunion teil, jedoch ohne die grundlegenden Elemente einer politischen Union. Es gibt keine zentralisierte Wirtschaftsmacht, die in der Lage wäre, die verschiedenen nationalen Wirtschaften innerhalb der für eine stabile Euro-Währung erforderlichen Normen zu halten. Die EU-Kommission und die EZB ermahnten die nationalen Regierungen regelmäßig, weil sie gegen die Regeln verstießen, waren aber praktisch machtlos, deren Ausgaben einzudämmen. Es gibt in der Eurozone keine Institutionen mit Machtbefugnissen ähnlichen denen des Internationalen Währungsfonds (IWF). Wenn der IWF zur Unterstützung einer schwächelnden Währung gerufen wird, verfügt er über drakonische Überwachungsbefugnisse und hat drakonische Bedingungen für Kredite gestellt. Aus diesem Grund befürworten Merkel, Brown und andere jetzt die Intervention des IWF in Griechenland. Indem sie sich an den IWF wenden, würden die EZB und die Eurozone jedoch ihre eigene Schwäche signalisieren. In der Tat könnte ein solcher Schritt den Euro weiter untergraben.
Nun jedoch, angesichts der Aussicht auf ein Auseinanderbrechen der Eurozone, verlangen die wichtigsten Wirtschaften, insbesondere Deutschland, von Griechenland und den anderen peripheren Wirtschaften drastische Einschnitte. Dies ist der Preis, den sie für die Verhinderung eines Zahlungsausfalls der griechischen und anderer Regierungen zu fordern versuchen werden.
Die Hauptmächte der Eurozone, besonders Deutschland, sind abgeneigt, ein Rettungspaket für Griechenland zu präzisieren. Sie beschränkten ihre Unterstützung auf vage Versprechen der „Solidarität“, in der Hoffnung, dass dies die Finanzmärkte beruhigen werde. Wie die „International Herald Tribune“ (6. Februar) kommentiert: „Es ist immer noch ein Wer-zuerst-kneift-Spiel zwischen souveränen Staaten, bei dem Griechenland auf Hilfe zählt und andere Länder sie zurückhalten, bis Athen einen hohen Preis für seine Verschwendung und die Manipulation der Statistiken zahlt“.
„Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Griechenland erlaubt wird, zahlungsunfähig zu werden“, kommentierte der Wirtschaftswissenschaftler Antonio Missoroli. „Aber niemand will das laut sagen. Das würde den Druck von der griechischen Regierung nehmen. Es ist also ein fragiler Balanceakt: Wie viel Druck kann man auf Griechenland ausüben und wie viel kann es ertragen?“ Ein anderer Kommentator, Simon Tilford, sagte, dass „die EU das griechische politische Establishment demütigen und es dazu bringen will, schwierige Entscheidungen zu treffen“. („International Herald Tribune“, 6. Februar)
Dies ist ein gefährliches Spiel. Eine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands könnte unter dem Druck der Finanzmärkte einen Dominoeffekt in der gesamten Eurozone auslösen. Doch selbst nach dem europäischen Gipfel am 10./11. Februar forderte das darauf folgende Treffen der europäischen Finanzminister am 15. Februar noch größere Kürzungen. Und das, obwohl die griechische Regierung versprochen hatte, ihr Defizit bis Ende dieses Jahres um vier Prozentpunkte auf 8,7% des BIP zu senken – an sich schon eine brutale und politisch brisante Reduzierung.
Ein Ausweg für Griechenland?
Vor dem Beitritt zum Euro hätte Griechenland die Möglichkeit gehabt, seine Währung (die Drachme) abzuwerten. Eine schwächere Währung würde eine Verbilligung der griechischen Exporte auf den Weltmärkten bedeuten. Das könnte die Ausfuhren ankurbeln und das Handelsdefizit verringern. Der britische Kapitalismus bekam beispielsweise einen gewissen Vorteil durch den Fall des Pfunds in der letzten Periode, der den Abschwung geringfügig abfederte (andernfalls wäre der Wirtschaftseinbruch noch schlimmer gewesen).
In diesem Stadium würde ein Austritt aus dem Euro jedoch keine einfache Lösung für den griechischen Kapitalismus bieten. Eine Rückkehr zur Drachme, die unweigerlich schwächer wäre als der Euro oder andere wichtige europäische Währungen, würde den Tourismus nach Griechenland zweifellos ankurbeln. Doch selbst wenn es eine Verbilligung der Exporte durch die Abwertung gäbe, würde ein beträchtliches Wachstum der Exporte von einem breiteren europäischen Erholung abhängen, da der Großteil der griechischen Exporte in andere europäische Länder geht. Bislang war der griechische Kapitalismus nicht exportorientiert: 70% des BIP machen Konsumausgaben aus, die in hohem Maße von der Verschuldung abhängen. Zwei wichtige Branchen, Bauwirtschaft und Schifffahrt, befinden sich als Ergebnis des Zusammenbruchs der Immobilienblase und des weltweiten Abschwungs in der Krise.
Griechenland würde auch vor anderen Problemen stehen. In Erwartung einer Rückkehr zur Drachme würden wohlhabende Griech*innen ihre Ersparnisse auf Euro-Konten in anderen Ländern der Eurozone übertragen, um eine Abwertung zu vermeiden. Dies geschieht möglicherweise bereits in gewissem Umfang. Obendrein würden die griechischen Schulden, in erster Linie die Staatsschulden, aber auch viele Hypotheken, Unternehmens- und Privatschulden, nach wie vor auf Euro lauten, und ihre Tilgung würde mit einer abgewerteten Drachme teurer werden.
Angesichts des riesigen Umfangs der griechischen Staatsverschuldung würde Griechenland immer noch ein Rettungspaket benötigen. Klar wären weder die EZB noch die Hauptmächte der Eurozone für ein Eingreifen zuständig. Außerhalb der Eurozone wäre Griechenland gezwungen, sich an den IWF zu wenden, der versuchen könnte, noch härtere Bedingungen für Kredite zur Verhinderung eines Zusammenbruch der griechischen Staatsfinanzen aufzuerlegen.
Von einem wirtschaftlichen Standpunkt aus werden drakonische Kürzungen, ob von den Institutionen der Eurozone oder dem IWF aufgezwungen, die Krise nicht lösen. Lässt man für einen Moment die sozialen und politischen Folgen beiseite, werden brutale Kürzungen jede Möglichkeit einer Erholung der griechischen Wirtschaft untergraben. Kürzungen in dem jetzt geforderten Ausmaß werden den Wirtschaftseinbruch wahrscheinlich verlängern und in den nächsten Jahren zu einem noch schwereren Abschwung führen.
Griechenland und den anderen schwächeren europäischen Wirtschaften wird nicht die Option eines keynesianischen Pakets zugestanden, d.h. defizitfinanzierte Konjunkturpakete begleitet von zusätzlichen Liquiditätsspritzen (durch quantitative Lockerung – Gelddrucken – usw.). Ein Investmentbankökonom kommentierte: „Wenn die Peripherieländer eine keynesianische Herangehensweise wählen würden, würden sie von den Märkten geschlachtet werden“. (Investor Headwinds Lash Euro Solidarity [Investorengegenwinde prügeln Euro-Solidarität], „Financial Times“, 9. Februar)
In diesem Stadium scheint es wahrscheinlich, dass die Regierung Papandreou versuchen wird, in der Eurozone zu bleiben. Sie rechnet damit, dass die EZB und die wichtigsten Regierungen der Eurozone gezwungen sein werden, Griechenland zu retten, da ein griechischer Zahlungsausfall verheerende Auswirkungen auf die Gangbarkeit des Euro hätte. Jedoch werden weder die Hauptmächte noch die griechischen Regierung die Ereignisse unter Kontrolle haben.
Auf dem europäischen Gipfel am 10./11. Februar gab es öffentliche Versprechungen für Unterstützung für Griechenland. Die Botschaft war, dass sie einen Zahlungsausfall Griechenlands nicht zulassen würden. Es gab jedoch kein konkretes finanzielles Unterstützungspaket. Dieses war von der Merkel-Regierung blockiert worden. In den letzten Tagen gab EZB-Präsident Trichet neue Erklärungen ab, in denen er versprach, griechische Anleihen zu verteidigen. Die Finanzmärkte, d.h. die großen Spekulant*innen, die mit Staatsanleihen handeln, sind jedoch nicht überzeugt. Die griechische Regierung ist gezwungen, immer höhere Zinsen für ihre Anleihen zu zahlen. Das wird die Anhäufung der Staatsschulden noch verschlimmern.
Die Möglichkeiten eines Austritts oder Ausschlusses
Angesichts des Widerspruchs zwischen dem Funktionieren einer gemeinsamen Währung und der Rivalität zwischen 16 Nationalstaaten ist ein Auseinanderbrechen des Euro zu einem bestimmten Zeitpunkt unvermeidlich. Der Zeitrahmen ist natürlich schwieriger vorherzusagen, ebenso wie die Linien, entlang denen die Eurozone zerbrechen wird. Die Krise kann durchaus langgezogen sein.
Der Euro kann eine Zeit lang überleben, und sei es nur, weil das Auseinanderbrechen der Eurozone eine massive wirtschaftliche und politische Krise für den europäischen Kapitalismus auslösen würde. Ein Auseinanderbrechen könnte mit dem Austritt (oder sogar dem Ausschluss) einer der schwächeren Wirtschaften (mit Griechenland und anderen PIGS als Hauptkandidat*innen) beginnen. Bis vor kurzem wurde ein Austritt oder Ausschluss von den EU-Regierungen und Kommissionsbürokrat*innen als „unvorstellbar“ angesehen. Die Möglichkeit eines Austritts ist jedoch im Vertrag von Lissabon vorgesehen, und die EZB hat kürzlich die Auswirkungen eines Austritts/Ausschlusses untersucht.
Es könnte jedoch sein, dass nicht eine der schwächeren Wirtschaften als erste austritt. Eine Möglichkeit ist, dass eine deutsche Regierung, die mit einer Gegenreaktion der Bevölkerung gegen die Rettung schwächerer, „verschwenderischer“ Wirtschaften konfrontiert ist, die Eurozone verlässt. „Connelly Global Advisers, ein Beratungsunternehmen, regt an, dass Deutschland anstelle von Griechenland und anderen Ländern den Euro verlassen könnte. Berlin würde zu seiner starken D-Mark zurückkehren, und der abgewertete Rest-Euro würde den verbleibenden Ländern das Ventil bieten, das ihnen fehlt. Das ist eine extreme Anregung, aber unter so vielen extremen Szenarien scheinen die Alternativen nicht viel besser zu sein“. (Lex: A Sov Story [Der Titel scheint ein Wortspiel aus „souverän“ und „sob story“, „rührselige Geschichte“ zu sein – d. Übers.], „Financial Times“, 6. Februar) Deutschland könnte obendrein von anderen Ländern wie den Niederlanden und Belgien in eine neue D-Mark-Zone (eine neue Version des Europäischen Wechselkursmechanismus anstelle einer gemeinsamen Währung) begleitet werden.
Das Tempo der Entwicklungen in Bezug auf den Euro wird auch von der Entwicklung der europäischen und der Weltwirtschaft abhängen. Eine Erholung der großen kapitalistischen Wirtschaften könnte die Lebensdauer des Euro verlängern. Dabei könnte eine Abwertung des Euro gegenüber dem Dollar und anderen Währungen (einschließlich des chinesischen Yuan/Renminbi, der an den Dollar gekoppelt ist) helfen. Ironischerweise ist diese Abwertung die Folge der Schuldenkrise der PIGS. Bislang ist der Euro gegenüber dem Dollar etwa um 15% zurückgegangen (5% davon seit Anfang 2010). Dies ist eine Korrektur der Überbewertung des Euro, die durch die Abwertung des Dollars aus Konkurrenzgründen verursacht wurde. Während das US-Finanzministerium behauptete, es unterstütze eine Politik des „starken Dollars“, förderte es einen Rückgang, der das US-Handelsdefizit verringerte. Ein schwächerer Euro wird den Exporten großer Hersteller wie Deutschland zugute kommen, aber da die meisten Exporte Griechenlands innerhalb Europas getätigt werden, wird das Land außer beim Tourismus keine großen Vorteile daraus ziehen.
Aber ein nachhaltiger Aufschwung des europäischen Kapitalismus ist keineswegs gesichert. Die europäischen Hauptwirtschaften erlebten Mitte 2009 eine gewisse Erholung, hauptsächlich wegen der verschiedenen Konjunkturpakete (insbesondere der Programme zur Erneuerung der Fahrzeugflotte [„Abwrackprämien“]). Im letzten Quartal 2009 geriet das Wachstum jedoch ins Stocken und ist in den schwächeren Wirtschaften immer noch negativ. Eine Periode der Stagnation (mit hoher Arbeitslosigkeit und einer schwachen Konjunktur) oder speziell ein Abschwung würde den Druck auf den Euro zweifellos erhöhen. Die Strateg*innen des europäischen Kapitalismus sind sehr zögerlich, den Euro aufzugeben. Auf der anderen Seite vertreten jedoch derzeit nur wenige die Meinung, dass der Euro stetig zu einer wirtschaftlichen und politischen Union Europas führen werde.
In einer kürzlich erschienenen Kolumne in der New York Times macht Paul Krugman einige aufschlussreiche Bemerkungen über den Euro (The Making of a Euro Mess [Die Entstehung eines Euro-Schlamassels, 15. Februar): „Damit der Euro funktioniert, muss sich Europa viel weiter in Richtung politische Union bewegen, damit die europäischen Nationen anfangen, mehr wie amerikanische Bundesstaaten zu funktionieren“. In den USA, die ein Bundesstaat sind, kommen bei einem Abschwung automatische fiskalische Stabilisatoren ins Spiel. So verursachte beispielsweise der Zusammenbruch des Immobilienbooms nach 2007 eine schwere Rezession in Floridas Wirtschaft. Die Bundesregierung zahlte jedoch weiterhin Sozialversicherungen (Renten) und Medicare-Zahlungen an die Menschen in diesem Bundesstaat aus. Gleichzeitig verringerte der Einkommensrückgang die Steuerbeiträge an den Bund. obendrein enthielt Obamas „Konjunkturprogramm“ finanzielle Unterstützung für die Bundesstaaten. Diese Art von Stabilisatoren wirken in der Eurozone nicht. „Aber“, schreibt Krugman, ‚das wird [auch] in nächster Zeit nicht passieren‘.
Tatsächlich werden eine anhaltende Wirtschaftskrise und politische Umwälzungen die Konflikte zwischen den Nationalstaaten innerhalb der Eurozone verschärfen (besonders durch ein Verstärken des Nationalismus), was das Auseinanderbrechen des Euro irgendwann in der Zukunft unvermeidlich machen wird.
Kasten: Wächter*innen der Anleihenmärkte
Griechenland ist unter starken Druck der „Finanzmärkte“, d. h. der großen Investmentbanken, Anleihehändler*innen und anderer Spekulant*innen, gekommen. Sie prangern täglich die Verschwendung der griechischen Regierung an und schüren die Angst vor einem Zahlungsausfall bei griechischen, spanischen und portugiesischen Staatsanleihen. Ihre wirkliche Sorge gilt jedoch nicht der finanzpolitischen Rechtschaffenheit verschiedener EU-Regierungen oder der Stabilität des Euro, sondern ihren eigenen kurzfristigen Profiten. „Die Märkte schauen nicht darauf, was für die langfristige Gangbarkeit des Euro gut ist“, kommentiert Joseph Stiglitz, „sie schauen darauf, was in den nächsten 24 Stunden passieren wird“. (zitiert von Larry Elliott, „The Guardian“, 9. Februar)
Die Lage ist vergleichbar mit der Krise des Europäischen Wechselkursmechanismus im Jahr 1992. Damals nahmen Spekulant*innen die schwächeren Währungen aufs Korn, insbesondere das britische Pfund und die italienische Lira, und wetteten auf einen Wertverlust dieser Währungen gegenüber anderen Währungen, während sie gleichzeitig diese Währungen durch ihre Devisenhandelsaktivitäten unterminierten. Schließlich zwangen sie das Pfund und die Lira aus dem Wechselkursmechanismus, während es ihnen nicht gelang, den französischen Franc (der von der Regierung Chirac stark unterstützt wurde) zu untergraben.
Nun können die großen Händler*innen durch den Boykott der Auktionen von Staatsanleihen und die Herabstufung von Anleihen durch Rating-Agenturen die Zinssätze, die Regierungen wie Griechenland zahlen müssen, in die Höhe treiben. Natürlich erhöhen höhere Anleiherenditen die Profitabilität der Händler*innen erheblich. Banken und Händler*innen sind immer noch reichlich mit billigen Krediten versorgt, nicht zuletzt aufgrund der quantitativen Lockerungsmaßnahmen der EZB (die sozusagen Geld drucken, um Wertpapiere von den Banken zu kaufen). Die Banken können sich bei der EZB Geld zu einem Zinssatz von etwa 1% leihen und damit griechische Staatsanleihen kaufen, die einen Zinssatz von fast 7% abwerfen! Wie können sie da nicht enorme Profite machen?
Trotz ihres Geschreis über einen Zahlungsausfall sind sie außerdem zuversichtlich, dass die EZB und die Regierungen der Eurozone Griechenland notfalls retten werden. Obendrein wetten Spekulant*innen auch gegen eine Abwertung des Euro und profitieren durch Leerverkäufe. Es wird geschätzt, dass Spekulant*innen, die an der Chicago Mercantile Exchange handeln, in letzter Zeit mehr als 7,5 Milliarden Dollar mit Wetten gegen den Euro gewonnen haben.
Diese hochprofitable Tätigkeit hindert die Spekulant*innen jedoch in keiner Weise daran, die „Ungangbarkeit“ verschiedener Staatsanleihen oder die „Instabilität“ des Euro anzuprangern. Kürzlich wurde jedoch aufgedeckt, dass Händler*innen an der Wall Street (und wahrscheinlich auch anderswo ansässige) bis zum Hals in der Vermittlung dubioser Kredite für die griechische Regierung und zweifellos auch für andere stecken. So hat die griechische Regierung zwischen 2001 und 2004 mehr als 4 Mrd. € (5,44 Mrd. $, 3,47 Mrd. £) durch eine Reihe komplexer Finanzmanöver aufgenommen, die von den großen Investmentbanken organisiert wurden – gegen hohe Gebühren. Bei diesen Geschäften ging es um groß angelegte Zins- und Währungstauschgeschäfte, die nicht als Schulden in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verbucht werden mussten. (Wall Street Helped Greece Hide Debts [Die Wall Street half Griechenland, Schulden zu verstecken], „International Herald Tribune“, 15. Februar) Diese komplexen Finanzinstrumente wurden zur „Schönfärberei“ der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verwendet. „Die Banken nutzten eifrig aus, was für sie höchst lukrative Symbiose mit ausgabefreudigen Regierungen war“. Bei anderen Geschäften verpfändete die griechische Regierung auf fast unglaubliche Weise die Flughäfen und Autobahnen des Landes, indem sie auf den Finanzmärkten Geld für die Verpfändung von Landegebühren usw. aufnahm.
Diese finanziellen Tricks offenbaren sowohl den Leichtsinn der aufeinander folgenden griechischen Regierungen als auch das skrupellose Profitstreben der Spekulant*innen.
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