[eigene Übersetzung des russischen Textes im zweiten Teilband des Buches. Korrekturen von russischen Muttersprachler*innen wären sehr willkommen]
Aufgrund von Umständen, die sich dem Einfluss des Herausgebers entziehen, wurde das Vorwort zum gesamten Band III in Buch 2 von Band III übertragen. – Redaktion 1924.
In Band III wird die Zeit der Demobilisierung, des Abbaus der rückwärtigen Einrichtungen und der ständigen Umstrukturierung der Armee unter Friedensbedingungen dargestellt. Während der Arbeiterstaat in den ersten drei Jahren auf militärischem Gebiet vor allem durch breite Maßnahmen von „heroischer“ und daher chaotischer Ordnung agieren musste, stehen in der zweiten Periode wirtschaftliche und organisatorisch-erzieherische Maßnahmen von alltäglichem Charakter im Vordergrund. Es öffnet sich eine Linie von geordneter Organisation und beharrlicher militärischer und politischer Ausbildung. Die „Aufmerksamkeit für Kleinigkeiten“ wird zu einem der Hauptlosungen des Aufbaus. Diese sich charakteristisch steigernde und präzisierende Arbeit hatte zum Ziel, uns zu einem geplanten militärischen Aufbau von großer Tragweite zu führen, d.h. mit einer Berechnung für eine Reihe von Jahren im Voraus.
Aber auf der anderen Seite gerieten Heer und Flotte in der Zeit der Überführung der Streitkräfte in den Friedenszustand in die unmittelbarste Abhängigkeit vom gesamten wirtschaftlichen Zustand des Landes, auf dem Gebirgspass vom Kriegskommunismus zur NEP. Selbstverständlich waren in den ersten drei Jahren der Sowjetmacht, d.h. in den Jahren des Bürgerkriegs, das Leben und der Kampf der Armee auf engste Weise mit der Sowjetökonomie verbunden. Aber damals hatte diese Verbindung einen ganz anderen Charakter. Man kann sagen, dass während des Krieges nicht so sehr die Armee der Wirtschaft entspricht, sondern die Wirtschaft der Armee. Die Lage veränderte sich seit dem Abschluss des Rigaer Friedens und der Liquidierung der Wrangel-Leute dramatisch. Der weitere Aufbau der staatlichen Verteidigung war nur auf der Grundlage einer sich entfaltenden Wirtschaft möglich, sonst ist sie von völliger Zerrüttung bedroht. Die erste Nachkriegszeit heilte die durch den Krieg zugefügten wirtschaftlichen Wunden nicht, sondern legte sie offen. An der Schwelle zur neuen Periode steht der Kronstädter Aufstand als ein fürchterliches Echo der unerträglichen Härten, die den Volksmassen in den vorangegangenen Bürgerkriegsjahren auferlegt worden waren. Einige Monate später bricht eine Hungersnot aus. Die herrschenden Klassen Polens und Rumäniens setzen alles daran, unsere Wiederbelebung mit Hilfe von Banditentum zu verzögern. Unter dem Einfluss der größten wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes treten die Bedürfnisse und der Bedarf der schrumpfenden Armee unweigerlich in den Hintergrund. Die Bestrebung, die Armee und die Marine „hundertprozentig“ zu versorgen, wird auf Schritt und Tritt von unserem Elend, unserem Verfall und der Nichtübereinstimmung der verschiedenen Elemente der Wirtschaft erdrückt. Wir greifen zu einer so außergewöhnlichen, überhaupt nicht „geplanten“ Maßnahme wie der materiellen Schirmherrschaft der örtlichen Exekutivkomitees und verschiedener staatlicher und öffentlicher Organisationen über einzelne Einheiten der Roten Armee. Es gibt keinen anderen Ausweg. Die Kasernen sind hungrig und kalt. Die Lage des Kommandos und des politischen Stabes der Armee wird extrem schwierig. Unter dem Einfluss des Dranges von Militärarbeitern an die wirtschaftlichen und kulturellen „Fronten“ kam es zu dieser Zeit zu einem unzweifelhaften Verfall der politischen Arbeit in der Armee.
Man kann die Bedeutung und den Charakter der militärischen Arbeit der zweiten drei Jahre, ihre Erfolge und Misserfolge nur verstehen, wenn man die Bedingungen kennt, unter denen diese Arbeit geleistet wurde. Die Armee und das Militärdepartement litten vor allem unter der exorbitanten Anzahl, unter der Schwerfälligkeit ihrer während des Krieges eilig aufgebauten Institutionen. Das Tempo der Demobilisierung hielt nicht mit der Notwendigkeit Schritt, das Land so schnell wie möglich von seiner erdrückenden militärischen Last zu befreien. Bei der Reduzierung der Armee war es schwierig, im Voraus zu entscheiden, wo man aufhören sollte. Der erreichte Grad an Sicherheit wurde erst nach und nach spürbar. Entsprechend damit fand die Verkleinerung der Armee stufenförmig statt. So kam es zu einer ständigen Reihe von Umstrukturierungen und, als grundlegende Auswirkung und Hauptunheil der Übergangszeit, zu einer extremen Fluidität des Armeepersonalbestands. Dazu muss man hinzufügen, dass sich die gesamte Wirtschaft des Landes und vor allem der Sowjetrubel im gleichen Zustand der Reorganisation, Umstrukturierung und Fluidität befanden. Die Stabilität dieses letzteren erhielt für das Leben der Armee entscheidende Bedeutung in dem Maße, in dem die wirtschaftlichen Beziehungen auf eine Geldgrundlage gestellt wurden. Die Armee lebte nach Stäben und Plänen, nach starren Normen – es war natürlich, dass das Galoppieren der Geldeinheit und die damit verbundene unvermeidliche Willkür bei der Finanzierung der Armee jede Möglichkeit nicht nur einer Plan-, sondern auch einer irgendwie geordneten Wirtschaft ausschlossen. Der im April 1923 unternommene Versuch, einen Fünfjahresplan für die Entwicklung der Land-, See- und Luftstreitkräfte aufzustellen, führte daher nicht zu unmittelbaren praktischen Resultaten.
Dennoch bekämpften bereits Verlauf der Jahre 1922-23 die Tendenzen der Wiedergeburt mit zunehmendem Erfolg die Erscheinungen des Verfalls. Die weiter oben erwähnten zu beobachtenden militärischen „liquidatorischen“ Stimmungen (Drang aus der Armee) wurden überwunden. Dies führte auch zu einer günstigen Wendung der gesamten Arbeit. Unter außerordentlich schweren Bedingungen legte das Heer solide Grundlagen für seine weitere Ausbildung, bereitete praktisch die ersten miliz-territorialen Experimente vor, der Verwaltungsapparat schrumpfte allmählich, und es wurden die Weichen gestellt, um die allgemeine militärisch-politische Bildung des unteren Kommandostabes und damit auch der einfachen Soldaten zu erhöhen – die Weichen für einen guten „getrennten-Kommandeur“.
Der Beginn der Nachkriegsperiode traf die Flotte in einer tragischen Lage. Hier war die Arbeit einer vollständigen Erneuerung notwendig. Unter schwierigsten Bedingungen wurde ein neuer junger Kern von Matrosen gebildet, ein neuer Kader von Spezialisten und Technikern wurde geschaffen.
In der gleichen Zeit wird eine neue taktische Ausrichtung des Heeres erzeugt, in Verbindung mit der Verstärkung der Feuerkraft und Gruppenstruktur der Infanterie, mit all den hieraus entfließenden Folgen für andere Arten von Waffen. Der Kommandostab wird umgeschult.
Dem Kriegsministerium gelingt es, die Aufmerksamkeit des Landes auf Fragen der Luftfahrt zu ziehen. Die Gesellschaft der Freunde der Luftflotte wird gegründet, welche der reorganisierten Verwaltung der Luftstreitkräfte zu Hilfe kommt. Der Flugzeugbau gelangt über den toten Punkt. Neues Flugpersonal wird ausgebildet. Die Aufgabe des Motorenbaus tritt in den Vordergrund.
Die Frage der chemischen Kriegsmittel rückt in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit. Dobrochim wird gegründet.
Das kriegswissenschaftliche Denken wird in dieser Periode durch unvergleichlich bessere Informationen und einen ständigen Zustrom ausländischer Militärliteratur seit der Beendigung der Blockade genährt. Der Militärverlag bringt eine Reihe von neuen Büchern, Übersetzungen, Zusammenstellungen und teilweise Originalveröffentlichungen, in Armee und Flotte in Umlauf.
Die politisch-erzieherische Arbeit in Armee und Flotte, die im Moment des Übergangs vom Kriegs- zum Friedenszustand in Verfall geraten war, wird wiederbelebt und hat in der letzten Periode bedeutende Erfolge erreicht.
Die Ausarbeitung des Fünfjahresplans, die, wie gesagt, keine unmittelbaren praktischen Resultate brachte, ist jedoch nicht spurlos an ihr vorübergegangen: Sie war an sich eine außerordentlich wertvolle Schule, die eine neue Herangehensweise an die Aufgaben des militärischen Aufbaus vermittelte; außerdem waren ihre Berechnungen sozusagen die erste grobe Annäherung und der Ausgangspunkt für die militärischen Planungsarbeiten. Es erübrigt sich zu sagen, dass nur auf dem Planweg weitere nachhaltige Erfolge möglich sind.
Einen immer größeren Platz in unserer Arbeit nahm und nimmt der Milizaufbau ein. Man darf sich die Sache aber nicht so vorstellen, als ob die Felddivisionen der Roten Armee und die Milizdivisionen als Verkörperungen zwei gegensätzliche Prinzipien erscheinen würden. In der Tat besteht die Aufgabe darin, das Schwergewicht der Roten Armee, wie sie historisch entstanden ist, allmählich und „von beiden Enden“ auf eine Milizbasis zu stellen. Dabei muss man immer zwei Umstände vor Augen halten: Wenn die Möglichkeit des Übergangs zur Miliz erst durch die Errichtung des Sowjetsystems geschaffen wurde, dann wird das Tempo des Übergangs durch den allgemeinen Stand der Kultur des Landes, der Technik, der Kommunikation, der Bildung usw. bestimmt. Die politischen Voraussetzungen für die Miliz sind bereits geschaffen, während die wirtschaftlich-kulturellen Voraussetzungen überaus rückständig sind. Die rote Kaserne schafft bei unserer Dorfrückständigkeit ein unvergleichlich höheres kulturelles Umfeld als das, welches ein Rotarmist von zu Hause gewohnt ist. Das ist der Clou der Frage. Als die Narodniki darüber jammerten, dass der Bauer gezwungen ist, im Kessel der Fabrik zu schmoren, haben wir ihnen erklärt, dass dieser Kessel eine fortschrittliche Mission erfüllt. Die Sowjetkaserne ist ein außerordentlich wertvoller Erziehungs-„Kessel“ für die Dorfjugend. Nur der wirtschaftlich-kulturelle Aufstieg des Dorfes und die Festigung seiner Verbindung mit der Stadt können die erzieherisch-kulturelle Bedeutung der roten Kaserne allmählich auf Null bringen. Aber in der nächsten Zeit muss der Milizaufbau jedoch notwendigerweise Vorbereitungscharakter haben. Jeder anschließende Schritt muss auf dem streng überprüften Erfolg der vorangegangenen Schritte aufbauen.
Die Reorganisation des letzten Jahres ist eine progressive Entwicklung des Aufbaus der vorherigen Jahre. Die weitere Verdichtung der Verwaltungsorgane, die Verjüngung des leitenden Bestandes der Armee und schließlich die administrativ-wirtschaftliche Dezentralisierung stützen sich auf der einen Seite auf die schon erlangten organisatorisch-erzieherischen Erfolge und setzen auf der anderen Seite einen weiteren angespannten Kampf zur Hebung des militärisch-kulturellen und gesamten Niveaus von Heer und Flotte voraus. Ein besser ausgestatteter, erzogener und geschulter Kämpfer – das ist das Ziel der Reorganisation und zugleich ihr objektiver Test.
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## Mit der Beendigung des Bürgerkriegs verschärft sich natürlich das Bedürfnis der leitenden militärischen Arbeiter, die große angesammelte Erfahrung des militärischen Aufbaus und Kampfes in Betracht zu ziehen und theoretisch zu verallgemeinern. Dies führt zu gedruckten und mündlichen Diskussionen, vor allem über die Frage der Wechselbeziehung zwischen Marxismus und Militärangelegenheiten. Die sich hierauf beziehenden Dokumente bilden einen wesentlichen Teil des zweiten Buches des dritten Bandes. Diese Streitereien werden nun hinter uns gelassen. Das gesunde Bedürfnis, die militärische Erfahrung, nicht nur die eigene, sondern auch die der Welt, in Betracht zu ziehen und sich zu eigen zu machen, um daraus die zweckmäßigsten Regeln für den militärischen Aufbau und das Kampfverhalten abzuleiten, ist natürlich in seiner ganzen Stärke erhalten geblieben und ist eine Haupt-Ideensprungfeder für weitere militärische Errungenschaften. Hier können wir nur zwei Worte zum Inhalt dieser schwierigen und komplizierten Frage sagen. In militärischen Angelegenheiten ist die Übereinstimmung der eingesetzten Mittel und Methoden wohl notwendiger als in jedem anderen Bereich. Auf der anderen Seite hat gerade im militärischen Bereich das Streben nach Einheitlichkeit der Methoden und Techniken häufiger als anderswo zu Dogmatismus und Schematismus geführt und führt es immer noch. Mit anderen Worten: Die formelle Einheitlichkeit wird oft auf Kosten der realen Zweckmäßigkeit erkauft. In solchen Epochen, in denen sich die Militärtechnik vergleichsweise langsam veränderte und sich die militärischen Angelegenheiten im Großen und Ganzen entlang der Linien der letzten Wende (meistens des letzten großen Krieges) bewegten, konnte der immer schädliche Schematismus dennoch nicht zu unversöhnlichen Widersprüchen und Leitungsfehlern führen. Unsere Epoche ist eine andere Sache. Die Mitte des imperialistischen Krieges unterschied sich grundlegend von seinem Beginn, und am Ende des imperialistischen Krieges wurden solche Mittel und Methoden entwickelt, die eine völlig neue Perspektive in Bezug auf den Krieg der Zukunft schaffen. Und dieser Krieg, so muss man meinen, ist nicht mehr fern. Trotz dem wirtschaftlichen Stillstand Europas wurde der militärisch-technische Fortschritt, der in den Kriegsjahren einen furchtbaren Anstoß erhielt, auch in den erschöpften und ausgebluteten europäischen Staaten nicht aufgehalten, ganz zu schweigen von den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Es genügt, daran zu erinnern, dass die Entwicklung der Luftfahrt und der Militärchemie das Wesen der Kriegsführung tiefgreifend verändert, viele ihrer traditionellen Elemente untergräbt und selbst den Begriff „Front“ untergräbt. Was ist die nächste Schlussfolgerung daraus? Dass der militärische Schematismus in unserer Zeit hundertmal gefährlicher ist als je zuvor. Dies ändert jedoch nichts an der Notwendigkeit einer einheitlichen Herangehensweise an militärische Aufgaben und an die Methoden zu ihrer Lösung. Der Kern liegt nur darin, dass diese Einheitlichkeit jetzt um den Preis einer unvergleichlich höheren theoretischen und praktischen Qualifikation auf allen Gebieten errungen werden muss.
Der Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Bedingungen und militärischen Angelegenheiten bestand immer, denn die Armee ist ein Teil der Gesellschaft. Feldherren von großem Dimensionen gaben sich über diesen Zusammenhang immer Rechenschaft. Die Leitung militärischer Operationen ist die Führung von Menschen zu bestimmten Zielen und ist schon daher völlig von Politik durchtränkt.
Jedoch unter Bedingungen relativer Stabilität gesellschaftlicher Beziehungen (sogenannte „organische“ Epochen im Gegensatz zu „kritischen“ Epochen) war das Eindringen der „Politik“ in militärische Angelegenheiten bei weitem nicht so klar, offensichtlich und scharf wie in unserer Epoche. Die gesellschaftlich-politischen Voraussetzungen wurden als ein für allemal gegeben angesehen; auf der Grundlage dieser Voraussetzungen wurden Armeen aufgebaut und Kriege begonnen. Unsere Zeit ist vor allem durch die äußerste Instabilität der gesellschaftlichen Verhältnisse, durch scharfe politische Umschwünge und Erschütterungen gekennzeichnet. Die militärische Angelegenheit ist mit der Politik am engsten und unmittelbarsten durch den Bürgerkrieg verbunden, den unsere Zeit in allen Ländern der Welt auf die Tagesordnung gesetzt hat. Ein ernsthafter Feldherr unserer Zeit kann muss einfach ein Politiker sein. Die Kriegskunst behält ihre ganze Spezifität und – in diesem Sinne – ihre Selbständigkeit; außerdem wird sie durch die wachsende Vielfalt und Wirkungskraft der Instrumente der modernen Militärtechnik äußerst komplex und verlangt folglich immer mehr rein militärisches Wissen und Können. Aber zur gleichen Zeit werden in den Kriegen der Zukunft die militärischen Angelegenheiten enger und unmittelbarer als je zuvor mit der revolutionären (oder konterrevolutionären) Politik (Aufstände, Faschismus usw.) verbunden sein. Deshalb muss bei der Ausbildung unseres roten Feldherren die Entwicklung der Fähigkeit zur synthetischen Einschätzung der Zusammenarbeit und Wechselwirkung aller Arten der modernen Waffen Hand in Hand gehen mit der Aneignung der richtigen gesellschaftlich-politischen Orientierung, die durch die Methode des Marxismus gegeben ist und alle Voraussetzungen des rein militärischen Wissens durchdringt. Die Schlussfolgerung aus dem oben Gesagten ist, dass die moderne Epoche immer höhere Anforderungen an den revolutionären Feldherren stellt. Wir müssen davon ausgehen, dass der Militarismus, bevor er endgültig dem Museum der menschlichen Barbarei übergeben wird, noch seinen Höhepunkt durchlaufen wird und im Buch des Befreiungskampfes des Proletariats neben den Namen der Theoretiker, Agitatoren, Politiker, Organisatoren auch die Namen der großen Feldherren der proletarischen Revolution eintragen wird.
Leo Trotzki, 15. Oktober 1924.
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