[Nach Die Sammlung, herausgegeben von Klaus Mann, 2. Jahrgang 1935, Heft X, S. 521-530]
– Meinen Sie nicht, dass unsere NRA Ihren Sowjets den Boden bereitet?
Aus Coopers Mund kam diese Frage für Troschin unerwartet. Der Dampfer schlingerte stark, und Troschin fühlte sich nicht auf der Höhe. Die kaum merkliche Ironie in Coopers Tonfall ärgerte ihn leicht. Nicht ohne Gereiztheit erwiderte er:
– Wenn Ihr beschließt, bei euch Sowjets einzuführen, dann empfehle ich euch, dafür einen besonderen Standard auszuarbeiten: unserer wird für euch nicht passen.
Die beiden Ingenieure verband, wenn nicht Freundschaft, so doch ein kameradschaftliches Verhältnis schon während des Krieges, als Troschin, ein waschechter Moskauer, als Emigrant in den Chicagoer Fabriken arbeitete. Cooper, ein ebenso waschechter Yankee, stand bereits das vierte Jahr im Sowjetdienst. Augenblicklich reisten sie zusammen nach Amerika im Auftrag, Bestellungen vorzunehmen. Jeder schätzte an dem anderen Wissen, Erfahrung und Talent, sah aber auch dessen Nachteile: Troschin war für Cooper ein technischer Schwärmer und ein wenig auch ein Dilettant, Cooper in Troschins Augen ein unverbesserlicher Empiriker. Selten stritten sie sich, doch niemals auch betraten sie das Gebiet der Politik, teils aus Takt, teils aus Vorsicht. Während der ersten drei Tage der gemeinsamen Überfahrt verliefen ihre Gespräche im alten Ton: abwechselnd mit ihren Dampfereindrücken besprachen sie die bevorstehenden Bestellungen, Cooper beschuldigte Troschin zum hundertsten Male barbarischen Hangs zum „Gigantismus“, Troschin erwiderte in derselben Tonart, dem amerikanischen technischen Denken seien die Schwingen von der Krise arg bestutzt worden. Erst am vierten Tag stellte Cooper, nachdem er seine auf die Reise mitgenommene Broschüre über die NRA ausgelesen hatte, die überraschende Frage über die amerikanischen Sowjets. Vielleicht hatte ihm das Nahen der heimatlichen Ufer die Zunge gelöst.
– Amerikanische Sowjets, fuhr Troschin nun schon besänftigter fort, werden sich von den russischen nicht weniger unterscheiden als die Vereinigten Staaten unter Roosevelt vom Russland Nikolaus II. Wenn man, Sie gestatten, überhaupt annehmen will, dass in Amerika einmal Sowjets entstehen werden.
– Machen wir zusammen diese fantastische Annahme. Wie stellen Sie sich die Entstehung der Sowjets bei uns vor, Troschin? Und wie werden sie aussehen? Und wie sollen wir Yankee – schauen Sie dabei bitte mich an – uns wohl auf dies Prokrustesbett legen?
– Sowjetamerika würde das Licht der Welt nicht anders erblicken können als das unabhängige und demokratische Amerika, nämlich durch eine Revolution. Dabei werdet Ihr allerhand Geschirr zerschlagen: das liegt in eurem Temperament. Ich glaube, Sie persönlich, Cooper, werden sich recht energisch an der Rauferei beteiligen, wenn ich auch nicht ganz sicher bin, auf welcher Seite.
– Ihre Bemerkung, Troschin, ist ein unerhört frecher Wink. Ich ein Mensch ohne Prinzipien?
– Oh, wozu so streng … Sie halten sich natürlich für einen unerschütterlichen Individualisten. Aber Sie haben mit wahnsinniger Energie (von Talent ganz zu schweigen) in der Sowjetindustrie gearbeitet, nicht als Spez, sondern als Sportsmann; ich gedenke, Sie, wie Sie sehen, mit dem Namen eines Enthusiasten gar nicht zu kränken. Niemand kann wissen, welche Rolle Ihr Temperament und Ihr Empirismus beim Hereinbrechen großer Ereignisse spielen werden. So viel ist sicher: zusammen mit den anderen werden Sie Geschirr zerschlagen. Dennoch werden die Unkosten eurer Revolution, wenn auch nicht absolut, so doch prozentual, im Vergleich zu denen bei uns, ganz geringfügig sein. Das wundert Sie? Aber der Bürgerkrieg, mein Lieber, wird nicht von den oberen fünf bis zehn Prozent geführt, die in ihren Händen neunzig Prozent des Nationaleigentums vereinigen, dazu sind sie zu wenig und lieben sie zu sehr den Komfort, – ihre Konterrevolutionsarmee könnten sie nur aus Kleineigentümern zusammenstellen. Eure Farmer und kleinen Leute der Stadt können aber auch die Revolution unterstützen, wenn diese nur imstande ist, ihnen eine rettende Perspektive aufzutun. Die heutige Krise hat in sämtlichen Mittelschichten unerhört gewütet und die Farmer, die in den letzten zehn Jahren schon genug ausgepowert wurden, gänzlich ruiniert. Schwerlich ist von Seiten dieser Klassen, die leider Gottes nichts mehr zu verlieren haben, großer politischer Widerstand gegen die Revolution zu erwarten, vorausgesetzt selbstverständlich, dass das neue Regime ihnen gegenüber eine vernünftige und weitblickende Wirtschaftspolitik betreibt. Indem sie lediglich die Kommandohöhen – Banken und Hauptzweige von Industrie und Transport – mit Beschlag belegt, wird die Sowjetregierung den Farmern, sowie den Kleinindustriellen und kleinen Kaufleuten eine unbestimmt lange Frist lassen zum Nachdenken und zur endgültigen Entscheidung. Das Weitere wird von den Erfolgen der sozialisierten Industrie abhängen. Hier erhoffe ich von Ihnen wahre Wunder, Cooper. Die „Technokratie“ ist nur unter einem Sowjetregime zu verwirklichen wenn die Scheidewände des Privateigentums gefallen sind. Die kühnsten Standardisierungs- und Rationalisierungspläne der Hoover-Kommission werden ein Kinderspiel sein verglichen mit den neuen Möglichkeiten. Die nationale Industrie wird nach dem Fließbandsystem aufgebaut werden: das eben ist der Plan, vom Einzelbetrieb auf die Gesamtwirtschaft übertragen. Die Produktionskosten werden nicht nur auf die Hälfte, sondern auf ein Fünftel und weniger zurückgehen. Die Kaufkraft des Farmerdollars wird rapid steigen. Für den Anfang reicht das. Aber die Sowjets werden nicht versäumen, auch eigene landwirtschaftliche Musterbetriebe von Riesenausmaßen zu schaffen als Schule der freiwilligen Kollektivierung. Eure Farmer sind ausgezeichnete Rechner, wenn nicht gar Statistiker. Ein jeder wird dann nach einiger Zeit die Bilanz ziehen, die er braucht: entweder weiter ein isoliertes Glied bleiben oder sich in die Gesamtkette einfügen? Ferner werden die Sowjets in ihrem Industrieplan für alle lebensfähigen Mittel- und Kleinbetriebe ausreichend Raum lassen: diese werden vom Staat, von den lokalen Sowjets und den Genossenschaften feste Aufträge, den nötigen Kredit und Rohstoffe erhalten. Allmählich und ohne Zwang werden sie in den Kreislauf der vergesellschafteten Wirtschaft einbezogen worden. Die pädagogischen Methoden der Beeinflussung des Kleinbürgertums, die in unserem zurückgebliebenen Lande mit seiner vorwiegend halb armen und analphabetischen Bauernschaft über die Kraft der Sowjets gingen, werden in den Vereinigten Staaten durchaus anwendbar sein. Die sich daraus ergebenden Vorteile braucht man nicht auszumalen: die Entwicklung wird fließenderen Charakter bekommen, die Mehrausgaben für soziale Konflikte werden sinken, der Kulturnenner wird steigen.
– Ich glaube, Sie vergessen unsere angelsächsische Religiosität, die Hauptstütze des sozialen Konservatismus?
– Man kann eine Aufgabe nicht mit einander widersprechenden Größen lösen, Cooper. Wollen Sie als Perspektive amerikanische Sowjets voraussetzen, so müssen Sie davon ausgehen, dass die Spannung der sozialen Krise, wie es schon so manches Mal in der Geschichte der Fall war, alle psychologischen Bremsen an Stärke übertrifft: die einen zerbrechen die anderen erfahren eine den Umständen entsprechende Umgestaltung. Vergessen Sie nicht, im Evangelium stehen Aphorismen, die wie Dynamit sind.
– Und was wollen Sie, gestatten Sie, dass ich mich erkundige, mit den Spitzen unserer kapitalistischen Welt anfangen?
– Da verlasse ich mich auf Ihre Findigkeit, Cooper. Denen, die sich mit dem neuen Regime absolut nicht vertragen wollen, räumen Sie wahrscheinlich eine malerische Insel, lebenslängliche Rente und das Recht, sich nach Belieben einzurichten, ein.
– Sie sind sehr großzügig, Troschin!
– Das ist meine Schwäche, Cooper.
– Aber Sie scheinen nicht die Möglichkeit einer Militärintervention in Betracht zu ziehen, die die „Unkosten“ der Sowjetrevolution doch beträchtlich erhöhen würde. Glauben Sie denn, Sie Optimist, dass Japan, Großbritannien und andere kapitalistischen Länder die Sowjetumwälzung in Amerika schweigend hinnehmen werden?
– Es wird ihnen nichts anderes übrig bleiben, Cooper. Wenn Sie, wenigstens theoretisch, eine Verschärfung der sozialen Krise annehmen, die bis zur Aufrichtung von Sowjets in den Vereinigten Staaten, der mächtigsten Feste des Kapitals, führt, dann müssen Sie ähnliche Prozesse auch in den anderen Ländern annehmen. Das halb feudale Japan wird höchstwahrscheinlich aus der Reihe treten. Dieselbe Prognose ist auch für Großbritannien zu stellen … Jedenfalls ist schon der bloße Gedanke an eine Entsendung der kgl. britischen Flotte gegen Sowjetamerika absurd. Eine Landung in der Südhälfte des Kontinents? Ein hoffnungsloses Unternehmen, das über eine zweitrangige Kriegsepisode nicht hinauskäme! Einige Monate, vielleicht auch nur Wochen nach Errichtung des Sowjetregimes bei euch, – prägen Sie sich das gut ein, Cooper – werden die zentral- und südamerikanischen Staaten von eurem Bund angezogen sein wie Eisenfeilspan vom Magneten. Dasselbe Schicksal würde Kanada ereilen. Die Bewegung der Volksmassen in diesen Ländern wäre so unwiderstehlich, dass der allergrößte Befreiungsprozess in ganz kurzer Frist und mit ganz geringfügigen Opfern vollzogen werden würde. Ich wette, am ersten Jahrestag der Entstehung des ersten amerikanischen Sowjets wird euer Kontinent sich in die Vereinigten Sowjetstaaten von Nord-, Mittel- und Südamerika verwandeln. Die Monroedoktrin wird zum ersten Mal einen vollendeten, wenn auch von ihrem Urheber nicht vorhergesehenen Ausdruck erhalten. Was die Hauptstadt betrifft, Cooper, so wird man sie nach Panama verlegen müssen.
– Was Sie nicht sagen…. Aber Sie haben mir nicht geantwortet, bereitet Roosevelt das Kommen der Sowjets vor oder nicht?
– Sie sind zu einsichtig, Cooper, um so zu fragen. Die NRA will mit den Schwierigkeiten fertig werden, nicht um die Grundlagen der kapitalistischen Ordnung zu zerstören, sondern umgekehrt, um sie zu befestigen. Nicht durch den blauen Adler können die Sowjets entstehen, sondern aus seinen unvermeidlichen Schwierigkeiten. Die „link“esten Professoren eures „Gehirntrusts“ sind keine Revolutionäre, sondern bloß erschrockene Konservative. Euer Präsident hasst „Systeme“ und „allgemeine Ideen“. Indes, das Sowjetregime ist das Gestalt gewordene System, die allgemeine Idee in Aktion.
– Gut. Sie haben glücklich die Verfassung der neuen Welt von Alaska bis Kap Horn umgemodelt, unsere internationale Lage gesichert und unsere Hauptstadt verlegt. Bevor ich Ihnen für diese Herkulesarbeit danke, wüsste ich doch gern, ob ich, Ingenieur Cooper, mit meiner Vorliebe für Roastbeefs, Zigarren und Autos, nach all dem etwa auf Hungerration gesetzt werden, Schuhe von verschiedener Größe tragen, in ein und derselben mir vorgesetzten Zeitung ein und dieselben Standardphrasen lesen, im Sowjet die mir von oben Anbefohlenen wählen, für bereits ohne mich angenommene Beschlüsse stimmen, meine wirklichen Gedanken für mich behalten und aus Angst vor Verbannung den mir vom Schicksal vorgeschriebenen Führer alltäglich loben soll. Ist dem so, dann tausche ich lieber gegen das Recht, dies Land zu verlassen, um mich auf die Insel des Stillen Ozeans zu verkriechen, die Sie gnädig der aussterbenden Rasse der Individualisten überlassen werden.
– Verkriechen Sie sich nicht zu rasch, Cooper, Sie werden dort auf Ihrer Insel vor Gram umkommen. Wieso sollten Sie auf Hungerration gesetzt werden, wenn Sie heute gezwungen sind, die Saatfläche und den Produktionsumfang künstlich zu beschränken? In Russland galt es, in nun schon bald zwei Jahrzehnten die Hauptproduktionszweige neu zu schaffen. Bei euch in Amerika hingegen liegen mächtige technische Mittel infolge der Krise brach und verlangen nach Anwendung. Die Erfolge des Planwerks wurden und werden bei uns auf Kosten des täglichen Massenbedarfs erzielt; bei euch dagegen hat schon dieser wirtschaftliche Erneuerungsplan von Anbeginn an auszugehen von einer raschen Zunahme des allgemeinen Verbrauchs. Nirgends hat die Erkundung des Binnenmarkts – durch die Banken, Trusts, Privatbetriebe, Kaufleute, Handelsreisenden, Farmer – eine solche Entfaltung erlebt wie in den Vereinigten Staaten. Die Sowjetregierung wird mit der Abschaffung des Geschäftsgeheimnisses beginnen; sie wird die Methoden der kapitalistischen Kalkulation vereinheitlichen und verallgemeinern, zu den Methoden des gesamtwirtschaftlichen Rechnens und Planes machen. Andererseits wird der zivilisierte und anspruchsvolle Verbraucher Unaufmerksamkeit ihm gegenüber nicht dulden. Die Paarung demokratischer Genossenschaften, eines staatlichen Handelsnetzes und von Privathandel wird ein geschmeidiges System schaffen, das die Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung sichern wird. Ihr Roastbeef, Cooper, ist Ihnen ohne Umstände garantiert.
– Gegen Quittung mit dreifacher Unterschrift?
– Nein, gegen Bargeld. Ihrem Dollar, beachten Sie das, ist bei Regulierung der Sowjetwirtschaft eine maßgebende Rolle beschieden. Es ist von Grund auf falsch, die Plan- der Geldwirtschaft gegenüberzustellen. „Regulierbares“ Geld – Ihre radikalen Professoren mögen mir verzeihen – ist eine akademische Fiktion, die unausbleiblich zur Erschütterung der inneren Proportionen in allen Wirtschaftszweigen führen muss, wobei die Zerrüttung molekularen Charakter annimmt und die tiefsten und intimsten Tausch- und Produktionsprozesse verzerrt.
– Aber in der Sowjetunion?
– Bei uns, ach, wird aus der bitteren Not eine offizielle Tugend gemacht. Das Fehlen eines stabilen Rubels, d.h. eines Goldrubels, ist mit die Hauptursache vieler Missstände und Gebrechen unserer Wirtschaft. Eine wirkliche Regulierung des Arbeitslohnes, der Lebensmittelpreise und der Warenqualität ist ohne festes Geldsystem undenkbar. Der schwankende Rubel in der Planwirtschaft ist dasselbe wie ungenaue Modelle in der Serienproduktion. Natürlich, wenn das sozialistische Regime auf Grund einer großen Erfahrung lernt, durch bloße Verwaltungstechnik das wirtschaftliche Gleichgewicht zu sichern, so verliert das Geld die Bedeutung des Ausgleichers und Regulators und verwandelt sich in einfache Quittungen, etwa wie Straßenbahnfahrscheine und Theaterbillette; bei weiterer Zunahme des sozialistischen Reichtums entfällt sogar die Notwendigkeit selbst dieser Quittungen: wenn von allem für alle genug da ist, bedarf es über den individuellen Verbrauch keiner Kontrolle mehr. Amerika wird auf dieses Niveau zweifellos eher kommen als alle anderen. Doch anders als durch die Sicherung einer vorherigen dynamischen Harmonie aller sozialen Funktionen kann man die geldlose Wirtschaft nicht erreichen. Einfach durch administrative Ergüsse und aufmunternde Reden im Radio ist diese grandiose Aufgabe nicht zu lösen. Die Planwirtschaft bedarf in ihren Anfangsstadien, d.h. mehrere Jahre lang, einer festen Geldeinheit noch mehr als der liberale Kapitalismus. Wer mit der Regulierung der Geldeinheit zwecks Regulierung der Gesamtwirtschaft beginnt, der gleicht stark einem Menschen, der gleichzeitig beide Beine in die Luft heben wollte.
– Sie spielen wohl auf unsere gegenwärtige Geldpolitik an, Troschin?
– Ich spiele auf gar nichts an. Ich will bloß sagen, dass Sowjetamerika über eine genügend starke Goldunterlage für einen unerschütterlichen Dollar verfügen wird. Welch unschätzbarer Vorteil! Sie, Cooper, kennen unseren Wachstumskoeffizienten: zwanzig bis dreißig Prozent im Jahr! Sie kennen aber auch die schwache Seite dieser noch nicht dagewesenen Dynamik: dem technisch-produktionsmäßigen Resultat entspricht bei weitem nicht der ökonomische Nutzeffekt. Eine der Ursachen für dies Missverhältnis ist die zwangsmäßige Unterordnung unseres Geldsystems unter den administrativen Subjektivismus. Sie werden von diesem Übel verschont bleiben. Der Dollar der amerikanischen Sowjets wird auf allen vier Hufen beschlagen sein. Euer Wachstumskoeffizient wird nicht nur technisch, sondern auch ökonomisch den unseren weit übertreffen. Die Folgen sind klar: das materielle und folglich auch kulturelle Niveau der Bevölkerung wird jährlich um Dutzende von Prozenten empor schnellen.
– Troschin, und wenn Sie mich beglücken mit drei, meinetwegen vier standardisierten Konfektionshosen und einer Zwangssubskription auf die Gesammelten Werke von Foster….
– Sie kommen wieder auf die nicht beneidenswerte Lage unseres Massenverbrauchers. Muss ich dagegen streiten? Die Ursachen des Mangels und der niedrigen Qualität der Bedarfsartikel habe ich bereits angeführt: das Bettelerbe des alten Regimes, die niedrige Kulturstufe der Bauernschaft, die Notwendigkeit, Produktionsmittel auf Kosten der Verbrauchsfonds zu schaffen, die chronische Geldinflation und – last but not least – der Bürokratismus.
– Sagen sie schon: ein ungeheuerlicher Bürokratismus, Troschin.
– Ja, Cooper, ein ungeheuerlicher Bürokratismus. Aber Ihr habt es in keiner Weise nötig, ihn nachzuahmen. Der Mangel an lebensnotwendigen Gütern erzeugt bei uns den Kampf aller gegen alle um das überzählige Pfund Brot, um den Meter Stoff, Die Bürokratie tritt auf als Versöhner, als allmächtiger Schiedsrichter. Aber Ihr seid unvergleichlich reicher und werdet dem Land ohne Mühe alles Nötige sichern können. Bedürfnisse, Geschmack und Gewohnheiten eurer Bevölkerung sind nicht von der Art, dass eine Bürokratie unkontrolliert über das Nationaleinkommen verfügen könnte. Die Organisierung der sozialistischen Gesellschaft als des Mittels zur bestmöglichen Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse wird eure gesamte Bevölkerung erfassen und in ihr die Gruppierung neuer, einander leidenschaftlich bekämpfender Richtungen und Parteien hervorrufen …
– Sie sind ein schlechter Bolschewik, Troschin. Sie sprechen von Parteienkampf unter einem Sowjetregime. Das Nahen des kapitalistischen Gestades gereicht Ihnen zum Schaden. In meinen Augen arten sie aus. Sind Sie für die Demokratie oder für die Diktatur?
– Ich bin für die Sowjetdemokratie, Cooper. Sowjets sind eine plastische und geschmeidige Regierungsform, darin besteht einer ihrer Vorzüge; aber gerade darum können Sowjets keine Wunder vollbringen, sie widerspiegeln nur den Druck des sozialen Milieus. Die Bürokratisierung unserer Sowjets, Ergebnis des politischen Monopols einer Partei, die wiederum sich in einen bürokratischen Apparat verwandelt hat, ist das Resultat der außerordentlichen Entwicklungsschwierigkeiten des sozialistischen Pioniers in einem armen und zurückgebliebenen Land. Seinerseits wirkt das bürokratische Regime verheerend zurück auf unsere Wirtschaft, Literatur, Kunst, unsere gesamte Kultur. Amerikanische Sowjets stelle ich mir im höchsten Grade vollblütig vor. Diktatur? Gewiss, für Anhänger des kapitalistischen Systems wird in den Sowjets kein Platz sein. Es fällt nicht leicht, muss ich schon zugeben, sich Henry Ford als Vorsitzenden des Detroiter Sowjet vorzustellen. Aber auf dem Boden des Sowjetregimes ist ein breiter Kampf der Interessen, Programme und Gruppierungen nicht nur möglich, sondern auch unvermeidlich.
Der Einjahres-, Fünfjahres-, Zehnjahresplan der Wirtschaft, das Volksbildungssystem, die Anlegung der Haupteisenbahnlinien, die Umgestaltung der Farmwirtschaft, die Zugänglichmachung der höchsten technischen und kulturellen Errungenschaften für Südamerika, das Problem der Stratosphärenverbindungen, das Problem der Hebung der Rasse – jede dieser Aufgaben wird einen Wettstreit von Lehren und Schulen hervorrufen, Kampf der Gruppierungen bei den Sowjetwahlen, leidenschaftliche Polemik in Zeitungen und Versammlungen.
– Das riecht nach Pressefreiheit, Troschin. Nehmen Sie sich in Acht!
– Sie glauben wohl, Cooper, das Pressemonopol in den Händen der herrschenden bürokratischen Spitzen der UdSSR sei die Norm? Nein, das ist nur eine vorübergehende Verunstaltung, welche geschichtlichen Umstände sie auch hervorgerufen haben mögen.
– Aber die Konzentrierung aller Druckereien, Papierfabriken, Transportmittel in der Hand des Staates wird auch bei uns automatisch die gesamte Presse der Regierung ausliefern, die natürlich nicht versäumen wird, das Dogma ihrer Unfehlbarkeit aufzustellen.
– Die Verstaatlichung der Presse ist eine rein negative Maßnahme Sie bedeutet lediglich, dass das Privatkapital nicht länger mehr darüber entscheiden kann, was für Blätter herauszubringen sind: fortschrittliche oder reaktionäre, „trockene“ oder „nasse“, puritanische oder pornographische. Wie die vergesellschafteten Pressemittel verteilt und benutzt werden sollen, diese wichtige Frage wäre von euren Sowjets neu zu lösen. Zur Richtschnur mag der Stimmenanteil bei den Sowjetwahlen dienen. Jede Gruppierung von Bürgern wird das Recht haben auf die Pressemöglichkeiten, die ihrer Zahl entspricht. Dasselbe Prinzip wird auf die Versammlungssäle, das Radio usw. anzuwenden sein. Die Geistesgemeinschaft und nicht das individuelle Scheckbuch wird über die Frage von Richtung und Gesinnung eines Blattes bestimmen. Sie werden sagen, bei so einer Regelung werden neue Geistesströmungen, eine neue philosophische oder ästhetische Schule, die in der Menge noch keine Stütze haben, für sich weder Papier noch Setzer finden. Kein uninteressantes Argument! Aber es besagt doch nur, dass jede neue Idee unter jedem Regime ihr Recht aufs Dasein zu beweisen hat und haben wird. Unter dem Sowjetregime wird das jedenfalls leichter sein als heute. Das reiche Sowjetamerika wird grandiose Fonds für Entdeckungen, Erfindungen, Experimente auf allen Gebieten des menschlichen, materiellen und geistigen Schaffens bereitstellen können. Weder kühne Architekten und Bildhauer, noch neuernde Dichter oder vermessene Philosophen werden sich gekränkt zu fühlen brauchen. Und ich glaube – das verheimliche ich Ihnen nicht, Cooper – die Yankee werden in der kommenden Epoche berufen sein, ein neues Wort auch auf den Gebieten zu sprechen, wo sie bis in die letzte Zeit Schüler Europas waren. Nicht umsonst habe ich vier Jahre in eurem Land verbracht, vornehmlich in euren Fabriken, um nicht beurteilen zu können, was für einen Ruck vorwärts die Menschheit eurer Technik zu verdanken hat. Nichts anderes als Verachtung kann ich für den heuchlerisch-hochnäsigen Ton übrig haben, in dem gewisse Kreise Europas vom „Amerikanismus“ zu reden pflegen, besonders heute in der Krise. In gewissem Sinne stehe ich sogar nicht an zu sagen, dass erst der Amerikanismus endgültig den Trennungsstrich zwischen Mittelalter und Neuzeit der Menschheit gezogen hat. Aber Ihr bezwangt die Natur so stürmisch und leidenschaftlich, dass euch weder Zeit blieb, die Methoden eures theoretischen Denkens zu erneuern, noch eine eigene Kunst hervorzubringen. Ihr wurdet groß und reich nach den Gesetzen des einfachen Syllogismus. Die ununterbrochenen materiellen Fortschritte schufen bei euch auf der alten puritanischen Hefe die Religion des praktischen Rationalismus. Dadurch bliebt Ihr unempfänglich für Hegel, Marx, im Grunde auch für Darwin. Sie stutzen, Cooper? Indessen drückt die Verbrennung der darwinschen Lehrbücher durch die Baptistenprediger von Tennessee nur in vergröberter Form den Abscheu der meisten Amerikaner vor der Evolutionstheorie aus. Hier handelt es sich nicht um vereinzelte religiöse Übergriffe, sondern um eine allgemeine Denkweise. Die atheistischen Yankee sind vom Rationalismus nicht weniger durchdrungen als die Quäker. Allerdings enthält euer Rationalismus nichts unerbittliches, cartesianisches, jakobinisches: er ist begrenzt und gemildert durch euren Empirismus und eure Moral. Doch auf diese Art bleibt eure philosophische Methode noch weit hinter eurer Technik und eurer historischen Berufung zurück. Ihr stoßt im Grunde erst heute wirklich auf die sozialen Gegensätze, die hinter dem Rücken der Menschen aufeinanderprallen. Ihr besiegtet die Natur mit den von eurem Genie erschaffenen Werkzeugen, aber von diesen euren eigenen Werkzeugen ließt Ihr euch auf die Knie zwingen. Die unerträgliche Not, die aller Voraussicht zuwider aus dem unerhörten Reichtum erwuchs, lehrt euch die Wahrheit, dass der aristotelische Syllogismus die Entwicklungsgesetze der Gesellschaft nicht erfasst. Ihr seid endlich bei der Dialektik in die Schule gegangen, und zwar mit aller Entschiedenheit: ein Zurück zur Methodologie des XVII. und XVIII. Jahrhunderts ist für euch bereits ausgeschlossen. Lassen Sie sich das nicht leid tun, Cooper! Das Pfropfreis Dialektik auf dem starken Stamm eures Denkens verspricht vortreffliche Früchte. Ich genieße sie schon im Voraus. Im Reich des verallgemeinernden Denkens, der Poesie, wie überhaupt aller Künste seid Ihr im nächsten Jahrzehnt zu hohen Leistungen berufen. Sie werden auf der Höhe eurer Technik stehen, die überdies selbst noch nicht die ganze Fülle der ihr innewohnenden unermesslichen Möglichkeiten erfahren hat. Während die romantischen Esel des Nationalsozialismus die Rasse des Teutoburger Waldes in ihrer ganzen Urreinheit, oder richtiger Urdreck, wiederherzustellen wähnen, werdet Ihr Amerikaner als Herren von Wirtschaft und Kultur wahrhaft wissenschaftliche Methoden auch auf dem Gebiet der Erzeugung der menschlichen Generationen anwenden: eurem Rassentiegel wird in hundert Jahren der neue Mensch entsteigen, der dieses Namens endlich würdig ist.
– Das hoffen Sie wahrhaftig, Troschin?
– Ich hoffe mehr: im dritten Jahr der Sowjetherrschaft werdet Ihr aufhören, Kaugummi zu kauen. Wahrlich, ich sage Ihnen: Andrew Jackson wird ins Himmelreich kommen, falls er will. Aber wie sollte er nicht wollen.
– Sie sind großzügig mit unserer Zukunft, Troschin. Aber bilden Sie sich in Ihrer Überhebung nicht ein, mich überzeugt zu haben. In Ihnen steckt ein Poet, der den guten Ingenieur verdirbt. Sie werden in Worten zu leicht fertig mit der Gefahr des Sowjetbürokratismus, Troschin … Aber hören Sie, der Gong ruft zum Mittagessen. Morgen werde ich Sie zerschmettern. Von Ihrer gepriesenen Dialektik soll kein Härchen übrig bleiben.
(Übersetzung von Walter Steen [Rudolf Klement])
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