Leo Trotzki: Brief an Natalia Sedowa

[12. September 1933, eigene Übersetzung der französischen Übersetzung]

12. September 1933

Nata, Liebling, ich habe heute deinen dritten (eingeschriebenen) Brief erhalten, den, in dem du darauf bestehst, zwischen dem 15. und 18. wieder hierher zu kommen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Du bringst ernsthafte Argumente vor; andererseits befürchte ich, dass du nicht bald eine zweite Gelegenheit finden wirst. Unser Arzt reist am 16. ab. Wenn du ihn treffen willst, musst du bis dahin schon zu Hause sein. Das gilt aber nur für den Fall, dass du dich sowieso entscheidest, nicht bis Ende des Monats dort zu bleiben. Der Arzt tut alles, was er kann, aber er kann nicht mehr tun als das, was Guétier, Alexandrow und die deutschen Professoren getan hatten. Ich habe die gleichen Symptome wie in den Jahren 1923-1926, die, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, in den Jahren 1927-1933 völlig verschwunden waren. Gemäß einer Vereinbarung, die ich mit dem Arzt getroffen habe, möchte ich drei Tage in völliger Ruhe verbringen, ohne Termine, Gespräche, Diktieren etc. Denke bitte nicht, Natalotschka, dass mein Zustand „schlecht“ ist, aber die Temperatur macht sich von Zeit zu Zeit bemerkbar; man muss auf das entscheidende Mittel zurückgreifen, von dem wir zusammen gesprochen haben, d. h. auf absolute Ruhe. Heute kam ein Amerikaner zu mir, ein Sympathisant; er war letztes Jahr mit einem anderen, Solow, zu uns gekommen … Wir haben drei Stunden lang gesprochen. Heute Abend wird Gourbil kommen, glaube ich. Aber danach ist Schluss. Ab morgen früh ist Ruhe.

Jeanne und Vera kümmern sich sehr um mich, ich brauche nichts und habe keine Beschwerden … Du bist nur nicht hier, Natalotschka; aber immer, wenn ich ohne dich traurig bin, tröste ich mich mit dem Gedanken, dass du dich ausruhst und ein wenig zu Kräften kommst … Naville war zwei Tage hier, wir haben viel geredet und diskutiert, aber wir sind als gute Freunde auseinander gegangen; er ist, nach meiner Meinung, viel besser geworden. Sag Denise, dass ich mich sehr gefreut habe, Naville zu sehen, und dass ich mit den Ergebnissen des Gesprächs zufrieden geblieben bin… Ich habe mit dem Arzt über S. Konst.s Hypothese gesprochen, dass bei mir das Schwitzen und andere Dinge von den Nerven kommen. Natürlich erhöhen die „Nerven“ die Temperatur und „bringen einen zum Schwitzen“. Aber es muss trotzdem einen organischen Prozess geben; die Nerven allein geben keine Temperatur, das war die gemeinsame Meinung aller Ärzte, in Moskau wie in Berlin …

Guten Morgen, Natalotschka, dieser Brief ist gestern nicht abgeschickt worden, es war zu spät, er wird heute Morgen abgeschickt. Ich habe Adalin genommen, gut geschlafen, mich ausgeruht; heute werde ich liegen bleiben und lesen … Pass auf dich auf, Natalotschka, ich umarme dich ganz fest.

Dein

L.


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