Leo Trotzki: Brief an Max Shachtman

[25. November 1933, eigene Übersetzung des russischen Textes, Korrekturen von russischen Muttersprachler*innen wären sehr willkommen]

25. November 1933

Werter Genosse Shachtman

Ich bin Ihnen gegenüber schuldig, aber ich verdiene Nachsicht. Sarah [Weber] hat Ihnen wahrscheinlich geschrieben, dass ich unwohl war. Ich unterzog mich einen Monat völlig der Erholung und so weiter. Aber selbst jetzt habe ich große Schwierigkeiten hinsichtlich der von Ihnen aufgeworfenen politischen Fragen. Als Sie und Swabeck in Europa und in Prinkipo waren, war es noch möglich, sich in ausführlichen Gesprächen eine Meinung hinsichtlich der Lage in der Liga und des Auswegs zu bilden. Danach vergingen einige Monate. Zunächst schien sich die Situation dramatisch zum Besseren gewendet zu haben. Jetzt brach, wie ich aus Ihrem Brief ersehe, erneut eine Verschlechterung herein. Wo liegen die Gründe dafür?

Der Plan, der vor einem halben Jahr die Sympathie der europäischen Genossen, darunter auch meine, eroberte, bestand in folgendem: Die Konferenz wird verschoben, da sie für sich keinen Ausweg aus der Lage bieten kann; alle Kräfte werden auf den Massenkampf unter dem Banner der neuen Orientierung gerichtet; das Zentralkomitee wird nach Chicago in eine neue Atmosphäre verlegt, um sich und der New Yorker Organisation die Hände frei zu machen. Die Initiative für diesen Plan ging hauptsächlich von der Mehrheit des ZK aus. Nachdem die Minderheit zugestimmt hatte, diesen Plan zu unterstützen, schienen mir die Erfolgschancen sehr hoch zu sein. Jetzt schreiben Sie, dass die Mehrheit des ZK den Umzug nach Chicago verschiebt, aber auf der Beschleunigung der Konferenz beharrt. Dieser Plan steht in direktem Gegensatz zu dem früheren. Was ist der Grund für diese Änderung? Um sich eine Meinung zu bilden, muss man die Umstände näher kennen. Ich habe Genossen Swabeck privat gebeten, mich über die Lage zu informieren. Der vorliegende Brief hat gleichfalls völlig privaten und vorläufigen Charakter. Natürlich bedauere ich den ungünstigen Umschwung der Sache sehr, aber ich sehe mich gezwungen, vorläufig kein Urteil in der Sache abzugeben.

Bis heute hat man nichts mehr von der „New International“ gehört. Wie soll man das verstehen? Nur eine weitere Finanzkrise? Wie ich mich selbst überzeugen konnte, sind unsere amerikanischen Freunde nicht sehr gut in Buchführung: Sie beginnen mit einem Paukenschlag und stellen dann zufällig fest, dass ihre Kasse leer ist. Oder gibt es vielleicht andere Gründe dafür?

Mit wärmsten Grüßen.

Ihr,

L. Trotzki


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