Leo Trotzki: Brief an Jan Frankel

[26. November 1933, eigene Rückübersetzung der englischen Übersetzung, „Einmischung in die SP“]

Lieber Freund,

besten Dank für Ihren Brief, der in jeder Hinsicht ausgezeichnet war. Wenn wir eine Monatszeitschrift hätten, könnte er mit wenigen Änderungen als Depesche veröffentlicht werden. Hoffentlich kommen wir noch so weit. … Auch nach genauester Lektüre des Briefes konnte ich nicht eine Zeile entdecken, der ich nicht zustimmen würde. Das gilt für die Übergangsstadien zum Faschismus ebenso wie für die Notwendigkeit einer viel konkreteren, lebendigeren Intervention in und um die [französische] Sozialistische Partei.

Dass der Parteiapparat nun versuchen wird, gegen jede sich bildende Keimzelle in der Partei vorzugehen, ist völlig klar. Ob das langfristig erfolgreich sein wird, ist zweifelhaft. Zu stark sind die Widersprüche in der Partei und im Umfeld der Partei, und mit der ersten Spaltung werden sie noch lange nicht gelöst sein. Die Tatsache, dass die Gruppierung Frossard in der Partei verbleibt, liefert genügend Hefe für die Gärung. Folglich denke ich, dass die Politik der Fraktionsbildung eine gewisse Aussicht auf Erfolg hat, vor allem, wenn man in der ersten Phase sehr vorsichtig vorgeht, d.h. keinen Schritt vorwärts macht, ohne vorher das Terrain gut zu testen.

Die Abwehr der wirklichen oder vermeintlichen Angriffe von Seiten der Patriotischen Jugend usw. scheint mir noch eine erfolgversprechende Angelegenheit zu sein. Nur muss auch diese Arbeit ganz konkret formuliert und an die Psychologie der jungen Arbeiter angepasst werden. Meines Erachtens sollten örtliche Stäbe organisiert werden, deren Aufgabe in erster Linie in der Beobachtung der gegnerischen Organisationen besteht. Diese Aufgabe sollte die jungen Arbeiter neben ihrer ideologischen Schulung in der aktiven Arbeit halten. Vielleicht sollte man auch einen Eid ausarbeiten, der zum Ausdruck bringt, dass wir revolutionären Arbeiter nicht zulassen werden, dass die Faschisten, Royalisten usw. ihre Köpfe erheben, die Arbeiterorganisationen unterdrücken usw.

Sie beklagen sich über die Genossen, die sofort mit der Parole für die Vierte Internationale unter der Jugend begonnen haben. Das war natürlich nicht richtig. Ich habe mir sagen lassen, dass Craipeau diesen Fehler auch gemacht hat. Andererseits scheint er ein wirklich aktives revolutionäres Temperament zu besitzen und die Fähigkeit, junge Arbeiter und Intellektuelle zu beeinflussen und zu begeistern. Da es ausgeschlossen ist, dass Sie – zumindest in der nächsten Periode – eine aktive Rolle innerhalb der Sozialistischen Partei spielen, könnten Sie vielleicht die Arbeit enger mit Craipeau teilen. Aber die praktischen und persönlichen Möglichkeiten sind für Sie viel klarer als für mich.

Ich werde mit größtem Interesse auf die Fortsetzung Ihres Briefes warten. Hoffentlich wird der zweite Teil nicht so lange auf sich warten lassen wie der erste.

Es wäre sehr wichtig, die Rede von Walcher vor der Sozialistischen Partei zu stenografieren, zumindest die charakteristischsten Punkte. Sie wissen sicher, dass die SAP allmählich in eine Grundsatzdiskussion mit uns hineingerutscht ist. Wir müssen diese Diskussion so gründlich wie möglich führen. Und da diese Leute im Umgang mit uns (und vor allem in dem, was sie schreiben) viel vorsichtiger sind als mit den Sozialdemokraten, ist es sehr wichtig, sie „beim Wort zu nehmen“.

Mit wärmsten Grüßen.

Ihr

Onken [Leo Trotzki]


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