[28. Dezember 1932, eigene Rückübersetzung des englischen Textes]
An die Leitung der deutschen linken Opposition
Werte Genossen,
die Krise in der deutschen Sektion, die vom Genosse Well und seiner Gruppe heraufbeschworen wurde, macht die folgende Mitteilung notwendig, um die Angelegenheit zu klären.
Als ich Genosse Senin in Kopenhagen traf, erklärte er, dass Genosse Well sich darüber beschwert, dass ich nur mit seinen Gegnern korrespondiere und nicht mit ihm. Ich war von dieser Nachricht völlig überrascht, da die zahlreichen Unterbrechungen unserer Korrespondenz immer vom Genossen Well ausgingen und jedes Mal auftraten, wenn ich eine kritische Bemerkung machte oder in der einen oder anderen Frage nicht mit ihm übereinstimmte. Im Einvernehmen mit dem Genossen Senin richtete ich daraufhin einen Brief an den Genossen Well, um das „Missverständnis“ in der Frage der Korrespondenz auszuräumen. Der Zweck des Briefes war, zur Entschärfung der Konflikte innerhalb der deutschen Linksopposition beizutragen, die meiner Meinung nach zumeist vom Genossen Well mit unzureichender Begründung heraufbeschworen wurden.
Ich schlug in meinem Brief vor, eine ruhige, harmonische Aktionskonferenz einzuberufen, ohne die jüngst von Well formulierten Meinungsverschiedenheiten auch nur zu ahnen. Dass eine auf Prinzipien beruhende Politik die beste ist, wie Lenin sagte und Well zitierte, ist richtig. Außerdem hat sich Lenin immer auf die Notwendigkeit einer prinzipientreuen Politik gestützt. Aber Lenin hat uns auch gelehrt, andere, zweitrangige Differenzen in einer kritischen Zeit beiseite zu schieben. Aus Wells Briefen, Gesprächen und vielen Artikeln habe ich jedenfalls längst erkannt, dass er in vielen Fragen eine schwankende Position einnimmt. Ich habe oft darauf bestanden, dass Genosse Well seine Bedenken, Antworten usw. auf präzise Weise formuliert. Er hat dies nie getan. Ich habe die Fragen des Thermidor und der Doppelherrschaft in Form eines Briefes und eines Dialogs (veröffentlicht in unserer deutschen Presse) dargelegt. Well ging nie auf diese Fragen ein. Da sie eine Bedeutung haben, die die ganze Zukunft betreffen kann, muss ich aus seinem beharrlichen Schweigen schließen, dass er über das Stadium des Zweifels noch nicht hinausgekommen ist. Und die politische Erfahrung hat mir hundertmal gezeigt, dass Genossen, die schwanken, solange sie leben, doch mehr oder weniger „mitkommen“.
Dass sich das Schwanken Wells zu einer Explosion verdichtet hat, hat mich umso mehr überrascht, als Genosse Senin, der ungefähr den gleichen Standpunkt vertritt, mir in Kopenhagen völlige Übereinstimmung versichert hat und wir im Verlauf einer zweistündigen Diskussion praktisch alle wichtigen Fragen durchgegangen sind. Seitdem bin ich aufgrund meiner gesamten Erfahrung mit Well (Landau-Frage, französische Frage, Mill-Frage, spanische Frage) zu der Überzeugung gelangt, dass er leider viel zu sehr dazu neigt, rein persönliche Faktoren über politische und prinzipielle Faktoren zu stellen. Ich habe versucht, ihm vorzuschlagen, dass er in dieser akuten Lage die Tätigkeit der deutschen Opposition und die Harmonie der kommenden Konferenz nicht durch unzureichend durchdachte Ideen und voreilige Aktionen stören sollte. Seitdem habe ich aber festgestellt, dass Wells Schwanken in den letzten drei Jahren, offensichtlich unter dem Einfluss der „Erfolge“ der KPD, jene pathologische Form angenommen hat, die wir als Drang zur Kapitulation bezeichnen müssen. Alle Symptome, „Ideen“ und Ausdrucksformen wiederholen in stereotyper Form die analogen pathologischen Symptome vieler anderer von 1923 bis 1932. Natürlich kam deshalb mein Vorschlag, eine einheitliche Konferenz einzuberufen, nicht mehr in Frage. Im Gegenteil, es ist der entschlossenste Kampf erforderlich. Was Well jetzt in Frage stellt, ist nichts anderes als die Existenzberechtigung der Linken Opposition. Er, Well, meint, dass alles auch ohne Bolschewiki-Leninisten gut genug laufen wird und dass zwischen Stalin und dem Kreml und Trotzki und Barnaul kleine Missverständnisse bestehen, weil alle seine, Wells, Ideen nicht verstehen. Wegen der gleichen Missverständnisse tötete die GPU Butow, Bljumkin, Silow, Rabinowitsch und andere.
Eigentlich glaube ich nicht, dass auf dieser Grundlage eine fruchtbare „Diskussion“ entstehen kann, da, wie ich bereits sagte, Well nur wiederholt, was Sinowjew, Radek und andere in der Vergangenheit in einem bestimmten Stadium ihrer Rückwärtsentwicklung gründlicher formuliert haben. Aber diese Stimmung kann natürlich in den Reihen der Linken Opposition nicht geduldet werden. Ob Genosse Well persönlich eines Besseren belehrt wird und eine Wende vollzieht, weiß ich nicht. Ich für meinen Teil würde eine solche Wende nur begrüßen. Was die deutsche Opposition aber braucht, ist eine Führung, die sich aus Arbeitern zusammensetzt, die in ihren Überzeugungen fest sind, und nicht den wechselnden Stimmungen ewiger politischer Nomaden unterworfen ist. Das, so scheint mir, hat die jüngste Erfahrung jedenfalls bewiesen.
Mit besten kommunistischen Grüßen,
Leo Trotzki
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