[eigene Übersetzung des Artikels in The Socialist, Nr. 457, 05. Oktober 2006]
Große Profite, große Macht, große Probleme…
Große Ölkonzerne
In einem Folgeartikel zu seinem Artikel über die Geopolitik des Öls auf der Mittelseite des Socialist Nr. 456 befasst sich Lynn Walsh mit den Problemen, die durch die Macht der rücksichtslosen Ölgiganten in der Wirtschaft verursacht werden.
Der internationale Ölmarkt wird von einer Handvoll gigantischer Konzerne beherrscht: ExxonMobil, BP, Royal Dutch Shell, Chevron, ConocoPhilips und Total, die zusammen als die Großen Ölkonzerne (Big Oil) bekannt sind. Da die Ölpreise in den letzten zwei Jahren in die Höhe geschnellt sind und kürzlich einen Höchststand von rund 80 Dollar pro Barrel erreicht haben, sind ihre Einnahmen und Profite in die Höhe geschnellt, was sie noch größer macht.
Sie üben eine enorme wirtschaftliche Macht aus und verfügen in Washington, London und anderen Hauptstädten über massiven politischen Einfluss. Jedoch stehen die meisten dieser Unternehmen vor einem ernsten langfristigen Problem.
Ihre Produktion übersteigt das Entdecken neuer Reserven. Nationale Ölgesellschaften (NOCs), teilweise oder ganz staatseigene Firmen, über die die nationalen Regierungen (z. B. Saudi-Arabien, Venezuela) die Profite aus der Ölförderung einbehalten, kontrollieren heute schätzungsweise 90% der weltweiten Öl- und Gasreserven. Im Moment dominieren die Großen Ölkonzerne jedoch noch immer den internationalen Handel, den Transport und die Raffinerie von Erdöl und Erdölprodukten.
Der Preis für Rohöl stieg 2005 um 40%, was die Einnahmen und Profite der Großen Ölkonzerne in die Höhe getrieben hat. Fünf der zehn größten Konzerne der Welt sind heute Ölmultis. Vier weitere sind Automobilhersteller, von denen einige wie GM und Ford riesige Verluste machen, aber immer noch benzinschluckende Fahrzeuge herstellen. Die Profite für 2006 werden wahrscheinlich noch höher sein, wenn die Ölpreise weiter in die Höhe schießen (obwohl sie derzeit wieder fallen).
Auf der Grundlage der Ergebnisse von 2005 wurde ExxonMobil zur größten Firma der Welt, sowohl in Bezug auf die Einnahmen als auch auf die Profite, und verdrängte WalMart und Citicorp (die profitabelste Bank der Welt).
Exxon Mobil erzielte einen Umsatz von 340 Milliarden Dollar – fast 1 Milliarde Dollar pro Tag. Die Profite waren um 42% höher als 2004 und erreichten 36 Mrd. $. Die Einnahmen von ExxonMobil sind größer als das BIP von Ländern wie Schweden, Taiwan und Indonesien. Die jährlichen Profite von ExxonMobil sind größer als die Volkswirtschaften von 125 der 184 von der Weltbank in einer Rangliste geführten Länder.
Europas größter Ölkonzern (der drittgrößte weltweit), die Anglo-Dutch Shell, meldete für 2005 einen Rekordprofit von 22,9 Mrd. $ (12,9 Mrd. £). Zu Beginn dieses Jahres meldete BP ebenfalls einen Rekordprofit, der gegenüber dem Vorjahr um 25% gestiegen ist: 19,3 Mrd. $ (11 Mrd. £). Investor*innen in London äußerten jedoch ihre „Enttäuschung“ darüber, dass die Profite von BP nicht mit denen von ExxonMobil oder der Anglo-Dutch Shell mithalten konnten!
Die City-Investor*innen beschwerten sich auch über die „exzessiven“ Boni, die Lord Browne, dem Vorstandsvorsitzenden von BP, versprochen wurden. Sein Jahresgehalt ist rund 1,5 Millionen £ pro Jahr, und ihm wurden Boni in Höhe des 7,5-fachen seines Jahresgehalts versprochen, also astronomische 11 Millionen Pfund, bevor er in drei Jahren in Ruhestand geht!
Brennstoffarmut
Unterdessen wird die Zahl der Menschen in Großbritannien, die aufgrund der höheren Strom- und Gaspreise unter „Brennstoffarmut“ leiden, auf etwa 1,8 Millionen Haushalte geschätzt. Jüngste Untersuchungen von PricewaterhouseCoopers bestätigen, dass die durch den Ölpreisanstieg verursachte allgemeine Inflation vor allem das ärmste Drittel der Bevölkerung getroffen hat. Sie geben einen größeren Teil ihres Einkommens für Energie und energiepreisabhängige Güter wie Transport und Lebensmittel aus.
„Die Tendenz, dass die untersten Einkommenszehntel höhere Verbraucherpreisindex-Inflationsraten aufweisen, hat sich verstärkt, wobei die ärmsten 20% der Haushalte mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von etwa 2,8% konfrontiert sind, verglichen mit dem nationalen Durchschnitt von 2,4% und der geschätzten Rate von 2,1% für die reichsten 30% der Haushalte“, sagt der Chefökonom von PricewaterhouseCoopers.
Das Office of National Statistics [Nationale Statistische Amt] hat Zahlen vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass Rentner*innen, die hauptsächlich von Sozialleistungen abhängig sind und viel für Nebenkosten ausgeben, mit höheren Inflationsraten konfrontiert sind. Alleinstehende Rentner*innen sind mit einer Inflationsrate von 4,1% konfrontiert, während ein Rentner*innenpaar mit einer Rate von 3,3% konfrontiert ist. („Guardian“, 7. September)
Die großen Ölkonzerne strotzen so sehr vor Gewinnen, dass viele von ihnen in Großbritannien und den USA Aktien von ihren Aktionär*innen zurückgekauft haben (was den Wert der übrigen Aktien in die Höhe treibt).
In den letzten drei Jahren hat BP 40 Milliarden Dollar an seine Aktionär*innen zurückgegeben und plant, in den nächsten drei Jahren weitere 65 Milliarden Dollar (37 Milliarden £) an Aktien zurückzukaufen. Dies ist ein riesiger Betrag. Bei den derzeitigen Börsenbewertungen könnte man mit 65 Milliarden Dollar Scottish Power, ICI, Cadbury Schweppes, Reuters und Sainsbury’s kaufen.
Tony Woodley, Generalsekretär der Gewerkschaft Transport and General Workers‘ Union, hat gefordert, dass ein Teil dieses überschüssigen Geldes zur Unterstützung des Finance Assistance Scheme verwendet wird, dem Rettungsboot für die Rentenversicherung, das eingerichtet wurde, um Arbeiter*innen (teilweise) zu entschädigen, die ihre Rente durch Missmanagement privater Rentensysteme verloren haben.
Eine Labour-Regierung, die in irgendeiner Weise die arbeitenden Menschen verträte, würde die obszönen Extraprofite der Ölgesellschaften besteuern, um die erbärmliche Höhe der Altersrenten, der Sozialhilfe und anderer Leistungen zu verbessern.
Es wird für die meisten Menschen keine Überraschung sein, dass Blair, Brown und Co. diese Idee zurückgewiesen haben. Die BP-Bosse arbeiten Hand in Hand mit der Regierung Blair. Die „Financial Times“ kommentierte, dass „die Beziehungen von BP zur britischen Regierung immer noch so eng sind, dass Rivalen das Unternehmen als ‚Blair Petroleum‘ bezeichnen… Ein Whitehall-Insider sagt, es gebe ein ‚Zusammenkommen der Geister‘ zwischen Tony Blair und [Lord] Browne, der ein regelmäßiger Besucher in der Downing Street ist.“ (2. August 2002)
Vielleicht werden die Großen Ölkonzerne in Erwägung ziehen, einen Teil ihrer Extraprofite in die Forschung und Entwicklung alternativer, erneuerbarer Energieressourcen zu investieren, die den Kohlenstoffausstoß und die globale Erwärmung reduzieren könnten?
Propaganda
Kürzlich wurde jedoch enthüllt, dass ExxonMobil und andere große Ölkonzerne (zusammen mit einigen der großen Tabakkonzerne) Millionen von Dollar an verschiedene Denkfabriken und rechte Propaganda-Organisationen verteilen, die sich der Diskreditierung der Beweise für die globale Erwärmung widmen.
Allein ExxonMobil subventioniert 124 Organisationen, die „eine einheitliche Linie zum Klimawandel vertreten: dass die Wissenschaft widersprüchlich ist, die Wissenschaftler gespalten sind, Umweltschützer Scharlatane, Lügner oder Verrückte sind und dass Regierungen, die Maßnahmen zur Verhinderung der globalen Erwärmung ergreifen, die Weltwirtschaft ohne guten Grund gefährden würden. Die Erkenntnisse, die diese Organisationen nicht mögen, werden als ,Schrottwissenschaft‘ bezeichnet.“ (George Monbiot, „Guardian“, 19. September)
Die Großen Ölkonzerne vertreten eine enorm geballte wirtschaftliche Macht. Sie üben auch einen mächtigen Einfluss auf die führenden kapitalistischen Vertreter*innen aus. In den USA haben die Öl- und Gasfirmen zwischen 1990 und 2002 den führenden politischen Vertreter*innen 159 Millionen Dollar gespendet, während der Verkehrssektor (vor allem die großen Auto- und LKW-Hersteller*innen) mit 256 Millionen Dollar noch mehr beisteuerte.
Ziel dieser Konzerne ist es, die bestehende Wirtschaftsstruktur mit ihrer überwältigenden Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und Fahrzeugen mit Benzin- und Dieselmotoren aufrechtzuerhalten.
Die Großen Ölkonzerne sind eng mit dem Bush-Regime verbunden, das seine Basis ursprünglich in Texas, dem wichtigsten Ölstaat, hatte. Die Ölkonzerne sind auch ein Schlüsselelement im „militärisch-industriellen Komplex“. Ihre profitgetriebenen strategischen Ziele haben eine entscheidende Rolle bei der aggressiven, interventionistischen Politik des Bush-Regimes in Zentralasien und im Nahen Osten gespielt.
Solange die großen Ölkonzerne in Privateigentum sind und privat betrieben werden, wird es niemals eine planmäßige Entwicklung der natürlichen Ressourcen geben, die eine ernsthafte Entwicklung alternativer, erneuerbarer Energiequellen und eine Planung für die zukünftigen Bedürfnisse der Mehrheit der Bevölkerung des Planeten Erde beinhaltet.
Bedürfnisse der Gesellschaft
Die riesigen Ölkonzerne sind ruchlose Raubtiere, die ohne Rücksicht für die Umwelt und die Gesellschaft verantwortungslos die Profitmaximierung verfolgen. Kurzfristiger Profit hat Vorrang vor mittel- und langfristigen Folgen. Auf der Grundlage des anarchischen kapitalistischen Marktes werden sie nie eingedämmt werden.
Sie sollten in öffentliches Eigentum überführt werden und unter Arbeiter*innenkontrolle und -verwaltung stehen. Nur dann würden die natürlichen Ressourcen für künftige Generationen erhalten und die Bedürfnisse einer Mehrheit der Gesellschaft befriedigt werden.
Eine solche Revolution könnte nicht auf nationaler Ebene erreicht werden. Die Großen Ölkonzerne sind bereits global. Das Lösen der Energieprobleme des Planeten erfordert eine Wirtschaftsplanung auf internationaler Basis. Es zeigt die Notwendigkeit einer sozialistischen Umgestaltung international und einer global geplanten Wirtschaft.
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