6. Weltkongresses des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale: Rassismus, Faschismus und die Zukunft für die Reaktion

[eigene Übersetzung, erster Entwurf geschrieben im November 1993, vorgelegt vom Internationalen Sekretariat, beschlossen im Dezember 1993]

Ein wichtiges Merkmal der gegenwärtigen Weltlage ist ein gewisses Wachstum für die Kräfte der Reaktion: Rassismus, faschistische und neofaschistische Organisationen; bösartige ethnische und nationale Konflikte in den früheren stalinistischen Staaten Osteuropas und der früheren Sowjetunion; und Kommunalismus, Stammeskonflikte etc. in Teilen der kolonialen und halbkolonialen Welt.

Die Analyse unserer Internationale zu dieser Frage muss die Fallen des Ultralinkstums vermeiden – ,faschistische und rassistische Organisationen sind drauf und dran, die Macht zu übernehmen’ – und die tödliche Selbstzufriedenheit des verknöcherten ,Marxismus’, der die Gefahr des Wachstums der Reaktion in allen ihren Formen völlig unterschätzt, die allerdings erst im Anfangsstadium ist.

Der wirkliche Marxismus ist mit einem Geist des Optimismus gesättigt. Aber das steht in keiner Weise im Widerspruch zu einer nüchternen Analyse der objektiven Lage in jedem Stadium. Das beinhaltet, den Gefahren für die Arbeiter*innenklasse und ihre Organisationen ins Auge zu sehen, sie zu analysieren und einzuschätzen. Wir sind dem Wachstum der rassistischen und faschistischen Kräfte direkt entgegengetreten, theoretisch, aber auch in der Aktion, durch die wunderbare europaweite Kampagne von JRE [Jugend gegen Rassismus in Europa].

Es gibt kaum ein Land in Westeuropa, das nicht betroffen geblieben ist. Die Hauptursachen dafür kann man in den sich verschlechternden sozialen Bedingungen finden, die sich aus der Krise des Kapitalismus ergeben und sich durch die jüngste Rezession enorm verschärft haben, und der Unfähigkeit der Führer der Arbeiter*innen- und Gewerkschaftsbewegung, eine Alternative anzubieten. Der Versuch, den Kapitalismus in der früheren Sowjetunion und Osteuropa einzuführen, führten zu einem beispiellosen Zusammenbruch der Produktivkräfte, dem Gangstertum des ,wilden Kapitalismus’, Massenverelendung, Hyperinflation und nationalem Konflikt. Das wiederum führte zur überstürzten Flucht von Millionen vor den Folgen des wiedererstehenden Kapitalismus und vor Bürgerkrieg, was zu einem massiven Zustrom von ,Asylbewerbern’ aus dem Osten neben sogenannten ,Wirtschaftsflüchtlingen’ aus dem krisengeschüttelten Afrika und Nahen Osten führte. Sie sind nicht die Ursache der Probleme Westeuropas. Tatsächlich importierte der Imperialismus bis Mitte der siebziger Jahre Arbeitskräfte in diese Länder. Diese Flüchtlinge sind die Folge und die Opfer der zunehmenden internationalen Unfähigkeit des Kapitalismus, die Gesellschaft vorwärtszubringen. Aber angesichts des völligen Versagens der Führungen der Arbeiter*innenbewegung, eine klare Erklärung und Klassenalternative anzubieten, hat das fruchtbaren Boden geschaffen, auf denen rassistische, neofaschistische und faschistische Organisationen gewachsen sind.

Flüchtlinge vor dem Horror

Das Ausmaß des Horrors, den der niedergehende Kapitalismus für die Völker der Welt bietet, zeigt sich darin, dass 1992 jeden Tag 10.000 Menschen gezwungen waren, ihre eigenen Länder zu verlassen, was die Zahl der Flüchtlinge offiziell auf 18,2 Millionen Anfang 1993 brachte. Weitere 24 Millionen wurden ,zwangsweise vertrieben’, ohne technisch gesehen Flüchtlinge zu werden: mit anderen Worten: sie sind ,Binnenflüchtlinge’.

In den frühen siebziger Jahren war die durchschnittliche Zahl der Asylsuchenden, die in Westeuropa ankamen, 30.000 pro Jahr. Ende der achtziger Jahre hatte sie schon 400.000 überschritten, aber nach dem Zusammenbruch des Stalinismus und vor allem dem Zerfall Jugoslawiens stieg das letztes Jahr auf 690.000. Das ist bloß ein kleiner Vorgeschmack auf die massive Welle von Flüchtlingen, die nach Europa fluten könnte. Aus dem Konflikt in Bosnien gingen mindestens 4 Millionen Flüchtlinge hervor, wobei die Schätzungen der Toten durch den Konflikt in Jugoslawien von 150.000 bis 400.000 reichen. Die Bourgeoisie versucht auch, die ,Festung Europa’ mit einem ,Festungsgraben’ zu verstärken, um dieser Flut standzuhalten. Das wird auch verwendet, die Unterdrückungsrolle des bürgerlichen Staats zu verstärken und ihn mit zusätzlichen Waffen zu versorgen, die gegen die Arbeiter*innenbewegung verwendet werden.

Deutschland spürte die größten Auswirkungen dieses Zustroms. Die Zahl der ,Asylsuchenden’ nahm von 121.000 1989 auf 439.000 1992 zu. Es gab letztes Jahr 54 rassistische Morde in der EG; bei weitem die meisten davon waren in Deutschland. Offiziell gab es 7.555 Angriffe auf Ausländer*innen in Deutschland seit der Vereinigung und schätzungsweise 30 rassistische/faschistische Morde. Bei den Wahlen zur Hamburger Bürgerschaft im September 1993 erreichte das Stimmenergebnis für die Rechtsextremen (Deutsche Volksunion (DVU) und Republikaner) fast 8%. Die neofaschistischen Republikaner bekamen nur 4,8% der Stimmen und die DVU bekam 2,8%, was hieß, dass sie keine Sitze bekamen. Diese Stimmabgabe für die extreme Rechte muss man jedoch vergleichen mit der Verdoppelung der Stimmen für die Grünen von 7,2% auf 13,5% und der Entstehung der Stattpartei, die 8 Sitze und 5,6% der Stimmen bekam.

Gleichzeitig kann es nicht ausgeschlossen werden, dass die Republikaner in den Bundestag kommen, wenn sie in den für Oktober 1994 angesetzten Bundestagswahlen die Fünfprozenthürde überspringen. Letztes Jahr gewannen sie 10,9% der Stimmen und 15 Sitze bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und haben insgesamt 370 Gemeinderäte. Bei den Kommunalwahlen in Frankfurt gewannen sie zehn Sitze und 9,3% der Stimmen. Gleichzeitig hat die DVU sechs Sitze in den Landesparlamenten von Bremen und Schleswig-Holstein. Manche Schätzungen erwarten große Gewinne der Republikaner allein in Bayern bei den Landtags- und Bundestagswahlen 1994. Die Zahl der ,Hardcore’-Faschist*innen in Deutschland wird offiziell auf 35.000 geschätzt. Aber diese Organisationen stellen auf dieser Stufe eine kleine Kraft in der deutschen Gesellschaft insgesamt dar.

Der französische Front National

In Frankreich auf der anderen Seite bekam der Front National bei den letzten Wahlen 12,5% und über drei Millionen Stimmen, obwohl das ein kleiner Rückgang in der Unterstützung ist und sie jetzt keine Abgeordneten haben. Darüber hinaus erhielt Le Pen 4,3 Millionen Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen von 1988. In Frankreich gibt es keine Statistik über die bösartigen rassistischen Angriffe, die ein Merkmal der französischen Gesellschaft in den letzten 10 Jahren waren, es wird aber geschätzt, dass mindestens 200 Schwarze „zwischen 1980 und 1992 in anscheinend rassistischen Angriffen“ (The Independent) getötet wurden. Die meisten geschahen durch die Polizei und nicht durch organisierte faschistische oder rassistische Angriffe.

Offizielle Regierungsumfrage haben gezeigt, dass insgesamt 70% der französischen Bevölkerung glauben „Frankreich hat zu viele Araber“. In Belgien bekam der Vlaams Blok 6,6% der Stimmen bei den letzten Wahlen und fuhr in Antwerpen 25% der Stimmen ein. Er hat sechs Senator*innen, fünf Provinzrät*innen und 23 Gemeinderät*innen.

Auch in Südeuropa gab es einen ständigen Anstieg im Wachstum des Rassismus und rassistischer Angriffe. Zum Beispiel wurden in Italien im März 1993 fünf Muslim*innen aus Kosova getötet, als ein altes Bauernhaus am Rande von Trento niedergebrannt wurde, wobei fünf Rassist*innen verdächtigt wurden. In Rom wurden drei Singhales*innen angeschossen und einer getötet. Afrikaner*innen, die zwischen den antiken Ruinen in Rom schliefen, wurde von faschistischen Banden in ,Strafexpeditionen’ brutal durch Stiche verletzt oder zusammengeschlagen. In Italien hat der offen faschistische MSI 35 Abgeordnete im nationalen Parlament, dazu kommt die Lega Nord mit 55 Abgeordneten. Der MSI sah darüber hinaus eine wesentliche Zunahme seiner Stimmenzahlen in der ersten Runde der Kommunalwahlen im November 1993. Er bekam sowohl in Rom als auch in Neapel über ein Drittel der Stimmen. Aber wie wir vorhersagten, alarmierten die Erfolge des MSI in der ersten Runde dieser Wahlen die italienischen Arbeiter*innen, die mobilisierten, um sie in der zweiten Runde zu schlagen. Trotzdem erhielt der MSI 46,9% der Stimmen in Rom und 44,4% in Neapel.

Eine diskreditierte herrschende Klasse

Ohne in irgendeiner Weise die Augen vor den Gefahren, vor denen die italienische Arbeiter*innenbewegung steht, zu verschließen, müssen wir darauf hinweisen, dass diese MSI-Erfolge nicht bedeuten, dass eine feste Basis für den Faschismus in Italien errichtet worden wäre oder dass eine Machtübernahme der Faschist*innen bevorstünde. Das deutlichste Merkmal der italienischen Wahlen ist der Zusammenbruch der Christdemokrat*innen. Sie stürzten von den 29%, die sie bei den Parlamentswahlen im April 1992 hatten, auf etwa 10%. Ihre früheren Verbündeten, besonders der PSI (Sozialist*innen), haben noch schlechter abgeschnitten und sind nahe an der Vernichtung. Die Sozialist*innen haben weniger als 2% der Stimmen erhalten und werden wahrscheinlich verschwinden, wie wir vorhersagten. Der MSI in Rom und Neapel und anderen Teilen des Südens, und (was wichtiger ist) der PDS und in manchen Regionen die RC auf der Linken füllen das Vakuum, das durch den Zusammenbruch der Christdemokrat*innen entstanden ist. Der ex-stalinistische PDS ist wahrscheinlich zur größten politischen Partei in Italien geworden und wird möglicherweise das Kernstück einer Art von Koalition, die aus den neuen Parlamentswahlen hervorgehen kann.

Die gewachsene Unterstützung für den MSI stellt keine wesentliche Stimmabgabe für die Ideen und Methoden des Faschismus dar. Sie stellt hauptsächlich einen Protest der früheren christdemokratischen Wähler*innen gegen die Korruption der diskreditierten ,herrschenden Klasse’ dar. Er ist nicht durch Korruption beschmiert, weil er nicht an der Macht war, anders als sein Vorbild Mussolini, dessen Staat von oben bis unten korrupt war. Der MSI benutzte zweifellos den Zustrom von Immigrant*innen in Verbindung mit der schnellen Verschlechterung in den sozialen Bedingungen, um seine Unterstützung zu vergrößern. Aber er entwickelte keine offen faschistischen Programme und Methoden. Tatsächlich gaben sich die Sprecher*innen große Mühe, um sich von ihrer faschistischen Vergangenheit zu distanzieren: „Ich bin keine Faschistin, ich bin Demokratin“ (Alessandra Mussolini). Das wurde natürlich mit der üblichen halbfaschistischen Demagogie gegen die ,korrupte herrschende Klasse’ und mit ,ich hasse die Bourgeoisie’ (Alessandra Mussolini) verbunden.

Italien: ein Schlüsselland

Im MSI-Wahlkampf wurde das ,respektable’ und parlamentarische Gesicht des Faschismus in den Vordergrund geschoben. Dieses Ergebnis wird die italienische Arbeiter*innenbewegung und Arbeiter*innenklasse trotzdem geschockt haben, ebenso wie im Rest von Europa. Es wird zu einer riesigen Gegenbewegung führen, in der wir durch JRE eine entscheidende Rolle spielen können. Die Bewegung der italienischen Arbeiter*innenklasse wird den MSI untergraben. Seine Wahlunterstützung kann so schnell verpuffen wie sie kürzlich zu wachsen schien. Italien ist in dieser Phase in Europa ein Schlüsselland. Die überwiegende Tendenz ist nach links; tatsächlich gibt es Merkmale einer vor-vorrevolutionären Lage, die wir in schriftlichem und mündlichem Material weiter ausarbeiten werden.

Bossis Lega Nord ist keine offen faschistische oder neofaschistische Organisation. Sie ist eine rechts,populistische’ Partei die auf dem Misstrauen der Norditaliener*innen gegenüber ,Ausländern’ aufbaut, egal ob sie aus Süditalien kommen oder es der Zustrom aus Jugoslawien oder Leute aus Nordafrika ist. In Spanien folgte der Maschinengewehrangriff auf Bürger*innen der Dominikanischen Republik auf bewaffnete Angriffe auf Araber*innen im Baskenland. In Skandinavien gab es auch ein Wachstum an rassistischen Gruppierungen und Parteien und eine ständige Steigerung der gewalttätigen Übergriffe auf ,Einwanderer’. Der Prozentanteil der Stimmen der rassistischen Fortschrittspartei in Norwegen brach jedoch von 13% und 22 Sitzen bei den Wahlen 1989 auf 6% und 11 Sitze bei den Parlamentswahlen im September ein.

In Großbritannien gewann die BNP 34% der Stimmen bei der Millwall-[Gemeinderats]Nachwahl, wodurch der erste faschistische Gemeinderat seit den siebziger Jahren gewählt wurde. Sie besitzen nirgendwo annähernd den Einfluss, weder was die zahlenmäßige Stärke noch was die Wahlunterstützung betrifft, die die rechtsextremen neofaschistischen Organisationen in Europa besitzen. Es wird jetzt geschätzt, dass es 4 bis 7 Millionen gibt, die jetzt in Europa ,extremistische und neofaschistische Gruppen’ wählen.

Der Grund für das Wachstum in neofaschistischen und ebenso offen faschistischen Aktivitäten und Organisationen liegt in der sich verschlechternden wirtschaftlichen und sozialen Lage des stagnierenden Kapitalismus. Es gibt 18 Millionen Arbeitslose in Europa und das scheint in der nächsten Periode auf über 20 Millionen zu steigen. Gleichzeitig haben wir die beispiellose Schwächung, die ,Aushöhlung’ der traditionellen Arbeiter*innenorganisationen. In Verbindung mit der Schwäche des Marxismus in diesem Stadium hat das den Rassist*innen und Faschist*innen erlaubt, in das Vakuum zu stoßen und eine gewisse Wirkung zu haben.

Die Peitsche der Konterrevolution

Es ist möglich, aus diesen Entwicklungen pessimistische Schlussfolgerungen zu ziehen. Der Zusammenbruch des Stalinismus, kann man argumentieren, hat zunächst einmal nicht zu einer Radikalisierung des Proletariats, sondern zu einem Wachstum der Reaktion geführt. Dies wäre jedoch eine völlig einseitige, undialektische Weise, die Lage einzuschätzen, die sich in der letzten Periode besonders in Europa entwickelt hat.

Parallel zum Wachstum der rechten faschistischen und neofaschistischen Organisationen gab es in vielen Fällen das Wachstum von radikalisierten Organisationen links von Sozialdemokratie und früheren stalinistischen Organisationen. Darüber hinaus haben gerade die Erfolge der rassistischen und faschistischen Organisationen, so begrenzt sie waren, wie ein Donnerschlag gewirkt, der das Proletariat und vor allem die Jugend zum Handeln aufgeweckt hat. Die massiven antirassistischen und antifaschistischen Demonstrationen, die von der bürgerlichen Presse weitgehend verheimlicht und vertuscht wurden, haben gezeigt, dass die Peitsche der Konterrevolution die Revolution vorwärtsgestoßen hat. Dies hat neue Schichten des Proletariats auf die politische Bühne gebracht.

Opposition in Deutschland

Zum Beispiel nahmen in Deutschland nach dem Attentat auf eine türkische Familie in Mölln mehr als 300.000 an massiven antirassistischen, antifaschistischen Demonstrationen in Hamburg und München teil. Es gab zahlreiche Demonstrationen, von denen ein paar von unserer Tendenz organisiert wurden, die die faschistischen und neofaschistischen Demonstrationen klein erschienen ließen.

Es ist ziemlich klar, dass Kohl eine Politik der ,gütigen Vernachlässigung’ übernahm, als die ersten mörderischen faschistischen Angriffe anfingen. Die Polizei stand auf der Seite, während sich die Welle der Angriffe entwickelte. Die deutsche Bourgeoisie sah dies als angenehme Weise, die Aufmerksamkeit von sich selbst abzulenken, während sich die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Kosten der deutschen Einheit vervielfachten. Sie kalkulierten wahrscheinlich auch, dass die faschistischen Tätigkeiten gegen ,Ausländer’ Flüchtlinge davon abhalten würden, Zutritt ins Land zu suchen.

Sie waren jedoch gezwungen, die Taktik zu ändern, sobald die heftige Gegenbewegung einsetzt. Die halbe Aufstandsstimmung der türkischen Bevölkerung, besonders der Jugend, nach der Gräueltat von Solingen zusammen mit der Selbstbewaffnung von Teilen der nach links neigenden Jugend erschreckte sie. Sie haben Maßnahmen gegen eine Reihe von kleinen, offen faschistischen Organisationen ergriffen. Gleichzeitig haben sie durch die von den rechten Sozialdemokrat*innen unterstützte Änderung des Asylrechts den Eindruck genährt, dass Deutschland sich verschlechternde wirtschaftliche Not von ,Ausländern’ verursacht werde.

Aus dem Propaganda-Blickwinkel sollten wir darauf hinweisen, dass in den achtziger Jahren Einwanderung in die Vereinigten Staaten (einschließlich der ,illegalen’) größer war als die ,Welle’, die bisher Europa betroffen hat. Der Anteil der ,Einwanderer’ an den US-Arbeitskräften stieg von 6,9% 1980 auf 9,3% 1988. Er stellt also mit nahe zehn Prozent der Arbeitskräfte die 2,8% an ,Nicht-EG-Bürgern’, die bis 1991 in Europa lebten, in den Schatten. Selbst mit der Zunahme, die seit 1991 stattgefunden hat, ist Europas ,eingewanderte Bevölkerung‘ immer noch weniger als halb so groß wie in den USA in den achtziger Jahren (als Prozentsatz der Bevölkerung). Darüber hinaus wurde der Zustrom von Einwanderer*innen zu den US-Arbeitskräften nicht nur wegen dem wachsenden Arbeitsmarkt aufgesogen, sondern manche bürgerlichen Ökonomen behaupten jetzt, dass es als ,Anreiz’ wirkte, indem es einen Teil an Arbeitskräften lieferte, der weitgehend nicht gewerkschaftlich organisiert und zur Arbeit zu niedrigeren Löhnen breit war.

Den Widerstand organisieren

Manche bürgerlichen Ökonom*innen berufen sich jetzt auf dieses Beispiel, um zu argumentieren, dass es Europas ,wirtschaftlicher Regeneration’ helfen würde, wenn man einer gewissen Zahl von Immigrant*innen erlauben würde, nach Europa zu kommen, um sie als nicht gewerkschaftlich organisierte Billigarbeiter*innen zu beschäftigen und die gegenwärtigen Rechte und Arbeitsbedingungen der Arbeiter*innenklasse zu untergraben. Das geht Hand in Hand mit der wachsenden Tendenz der europäischen Bourgeoisie, die ,Sozialcharta’ fallen zu lassen. Die britische Bourgeoisie, die schon die niedrigsten Lohnraten in Westeuropa hat, gehört natürlich zur Vorhut einer solchen Bewegung.

Diese Entwicklungen unterstreichen die entscheidende Bedeutung davon, dass wir auf eine Kampagne zur gewerkschaftlichen Organisation von Immigrant*innen als notwendiger Teil des antirassistischen Kampfes drängen. Opposition gegen Rassismus und Faschismus hat einen gesamteuropäischen Charakter angenommen. In Spanien marschierten 100.000 aus Protest gegen rassistische Morde durch das Zentrum von Madrid. In Holland marschierten auch Zehntausende und Fußballer*innen trugen schwarze und weiße Schuhbändel aus Solidarität mit der antirassistischen Bewegung. In Belgien folgten auf unsere großartige Demonstration von 50.000 in Brüssel letztes Jahr weitere antirassistische und antifaschistische Demonstrationen, bei denen Gewerkschaften sich mit unserer Organisation verbanden. In Italien stellten sich Berufsfußballer*innen in einer Fünfminutenaktion vor Fußballspielen in diesem Jahr offen dem Rassismus entgegen. Hunderttausende haben auch in Italien aus Opposition gegen die Bedrohung durch die Rechte demonstriert.

Und doch war bis zur jüngsten europäischen Streikwelle eine verbreitete Ansicht, die sich auch in unseren Reihen widerspiegelte, dass die Schwierigkeiten des Kapitalismus, Rezession, Wirtschaftsstagnation etc. zunächst nicht zu einem Wachstum der Linken, sondern der Rechten geführt haben. Das schreckliche Ausmaß rassistische Angriffe (allein in Großbritannien gab es letztes Jahr 70.000 und 12 rassistische Morde) kann diesem Eindruck Nahrung geben.

Aber die Tatsache wird völlig vergessen, dass nicht nur rassistische Organisationen gewachsen sind, sondern auch linke Formationen, einschließlich unserer eigenen. Dies wird durch die Erfahrung unserer offenen Organisationen in Großbritannien, Schweden und Irland unterstrichen. Das massive Wiedererwachen des europäischen Proletariats im Bereich gewerkschaftlicher Kämpfe in der letzten Periode wurde von unserer Organisation vorhergesagt. Große Bewegungen in Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien, denen bald gewaltige Ausbrüche in anderen Ländern Westeuropas folgen werden, werden der Trend in der nächsten Periode sein.

Eine Wiederholung der Geschichte

Während wir die Gefahr in keiner Weise unterschätzen, die durch Rassismus und Faschismus besteht, gibt es in dieser Phase keinen Vergleich mit der Lage, die in der Zwischenkriegsperiode bestand, bevor Hitler, Mussolini und Franco an die Macht kamen. Geschichtlich fand der Faschismus, wie Trotzki betonte, seine Massenbasis im verwirrten Kleinbürger*innentum und in der verstreuten Unterstützung im Lumpenproletariat.

Es ist wahr, dass es eine Enttäuschung über die traditionelle Politik und Politiker*innen in allen Schichten der Bevölkerung gibt. Diese Stimmung beeinflusst auch die Mittelschicht. Aber die Mehrheit der Mittelschicht ist in diesem Stadium nicht bereit, die von den faschistischen und neofaschistischen Parteien angebotene ,extreme Lösung’ anzunehmen. Eine Schicht des Kleinbürger*innentums, das in jedem Fall für Nationalismus allgemein empfänglicher ist als das Proletariat, kann vorübergehend zur Unterstützung offen faschistischer Politik und Organisationen verführt werden, die angeblich ,die Nation’ verteidigen.

Wenige dieser rechtsextremen Parteien sind ,chemisch reine’ faschistische Organisationen nach dem Model ihrer Vorläuferinnen vor dem Krieg. Selbst damals pendelten Hitler und Mussolini zwischen der außerparlamentarischen, paramilitärischen Phase (im Fall Hitlers München 1923) und der überwiegend parlamentarischen Phase (in der paramilitärische Aktivitäten auf einem Minimum gehalten wurden). Dies war in Deutschland nach der relativen Stabilisierung der Fall, die sich aus dem Dawes-Plan von 1924 ergab. Auf der anderen Seite wurden 1929-33 paramilitärische Methoden mit einem ,parlamentarischen Gesicht’ verbunden. Die Nazis griffen jedoch mehr und mehr zur offenen Verwendung von Gewalt gegen die Arbeiter*innenorganisationen.

Heute ist abgesehen von kleinen, weitgehend unwirksamen faschistischen Organisationen keine Organisation auf der Rechten fähig, bedeutsame Unterstützung anzuziehen und gleichzeitig die Nazis platt zu imitieren. Ihre wirkliche Politik muss mit einem ,parlamentarischen Image’ verkleidet werden. Offen rassistische Propaganda bildet den Eckpunkt ihrer Politik, während sie ihre Politik gegen die Arbeiter*innenklasse und Gewerkschaften tarnen.

Rassismus und Faschismus: eine Unterscheidung

Es ist natürlich notwendig, klar zwischen spezifisch faschistischen und neofaschistischen Organisationen und rechten Formationen mit rassistischer Politik zu unterscheiden, soweit das überhaupt möglich ist. Es ist zum Beispiel klar, dass Haiders Partei in Österreich einwanderer*innenfeindlich, rassistisch ist und einen Führer hat, der manche der Politiken des ,Dritten Reichs’ feiert etc. Aber sie stellt keine klare faschistische Formation mit einem paramilitärischen Flügel dar, dessen Ziel die Zerschlagung der organisierten Macht der Arbeiter*innenklasse und die Ersetzung der bürgerlichen Demokratie durch eine Diktatur ist.

In Frankreich auf der anderen Seite hat der Front National manche der Merkmale einer neofaschistischen Organisation. Seine bösartige rassistische Politik allein erlaubt uns nicht, ihn als ,neofaschistisch’ zu charakterisieren. Er hat ein Programm von Massen-Rückführung von Schwarzen. Er hat auch nachweislich immer wieder Gewalt gegen Schwarze und Arbeiter*innen angewandt. Sie hat einen paramilitärischen Flügel, der sowohl gegen Immigrant*innen als auch die Arbeiter*innenbewegung gerichtet ist. Dies sind ein paar der Merkmale einer neofaschistischen Organisation. Mit dem Wachstum seiner Wahlunterstützung war Le Pen jedoch gezwungen, seine ,gewalttätige’ Herkunft herunterzuspielen und sein parlamentarischen und ,Demokratisches’ Image hochzuspielen.

Wo immer er mit den Nazis verbunden zu sein scheint, leidet seine Wahlunterstützung. Zum Beispiel hatte die Schändung von 100 jüdischen Gräbern in Perpignan verheerende Auswirkungen auf den Kandidaten des Front National bei den Wahlen in dieser Stadt im Juni. Im März hatte er ein Drittel der Stimmen erhalten und gute Hoffnungen, den Bürgermeisterposten zu kriegen. Nach diesem Ausbruch des Antisemitismus wurde sein Kandidat geschlagen und kam nur auf den dritten Platz.

Ihre Unterstützungsbasis

Die Stimmen für neofaschistische und faschistische Partien kommen in ihrer Anfangsphase von enttäuschten Arbeiter*innen mit begrenzter Unterstützung auch durch die Mittelschichten. Zum Beispiel war in Großbritannien der Stadtteil, in dem die BNP ihren Gemeinderatssitz gewann, in einem der Gebiete von London, in denen die Faschist*innen in der Vergangenheit verankert waren. Bei den Gemeinderatswahlen in London im März 1937 bekam Mosleys British Union of Fascists 3000 Stimmen in Bethnal Green. In Limehouse (das Teile von Millwall umfasst, wo die BNP ihren Sitz bekam) bekamen sie 2.000 Stimmen und in Shoreditch 2.500 Stimmen. Ihr Prozentsatz der Stimmen für diese Sitze war jeweils 23%, 16% und 14%. Abgesehen von Shoreditch, wo es einen kleinen Rückgang gab, blieb das Stimmenergebnis für Labour jedoch unversehrt. Es war ein Teil der Stimmen der Tories und Liberalen, die zu den Faschist*innen gingen. Das dürften hauptsächlich Mittelschichtwähler*innen gewesen sein, während nur ein sehr kleiner Prozentsatz der Arbeiter*innen die Faschist*innen unterstützte.

Es ist offensichtlich, dass die BNP heute einen großen Teil, wenn nicht die Mehrheit ihrer Unterstützung von enttäuschten Arbeiter*innen bezieht, die unter chronischen Wohnungs- und anderen sozialen Problemen leiden. Sie wurden von der falschen Idee irregeführt, dass 12% der Bevölkerung, die aus Bangla Desh stammen, die Ursache ihrer Probleme seien. Das ist eine Folge der Vernachlässigung dieser Region unter der früheren rechten Labour-Kommunalverwaltung in Tower Hamlets und auch der rassistischen Politik der Liberalen.

Die Tatsache, dass die BNP in dieser Phase ein begrenztes Echo finden kann, ist auch eine Widerspiegelung der gegenwärtigen Schwäche der organisierten Arbeiter*innenbewegung als Instrument zur Lösung der Probleme der Arbeiter*innenklasse. Aber es zeigt auch an, dass in diesem Wahlergebnis keine stabile Basis für die BNP liegt. Ein großes Element davon ist eine ,Protestwahl’ von früheren Labour-Wähler*innen, von denen manche am Kampf gegen die Poll Tax [Kopfsteuer] beteiligt waren. Diese Unterstützung wird verpuffen, wenn die Arbeiter*innenbewegung in Aktion tritt, besonders auf der Grundlage unserer Ideen. Die heftige Reaktion auf den sehr begrenzten Einfluss der Faschist*innen in Großbritannien, der sich bei den wunderbaren Demonstrationen am 8. Mai und 16. Oktober und bei der Jagd auf Le Pen bei seinem versuchten Besuch zeigte, ist ein kleiner Vorgeschmack auf die Reaktion der Arbeiter*innenbewegung und der Arbeiter*innenklasse, wenn es scheinen sollte, dass die Faschist*innen ein großes Echo in Großbritannien finden.

Die Erfahrung der Arbeiter*innenklasse ist kollektiv. Der Horror der rassistischen Angriffe in Deutschland in Verbindung mit dem Albtraum in Bosnien hat sich auf das Bewusstsein der Arbeiter*innenklasse und besonders der Jugend ausgewirkt. Das Gefühl wir ,dürfen das hier nicht passieren lassen’ trägt zur Heftigkeit der antirassistischen Proteste bei, die unsere Organisation organisiert und angeführt hat.

Die Rolle der revolutionären Partei

Die entscheidende Rolle des subjektiven Faktors wird durch die Arbeit unserer Organisation unterstrichen, besonders in Großbritannien, Deutschland, Schweden und Belgien. Es ist eine Tatsache, dass Le Pen in Großbritannien keinen Fuß auf den Boden bekam und von JRE von Schottland bis London gejagt wurde. In Irland und Schweden spielten unsere antirassistischen/antifaschistischen Organisationen eine zentrale Rolle dabei, die faschistischen Historiker David Irving und Faurisson am Reden zu hindern.

Es ist darüber hinaus eine unbestreitbare Tatsache, dass es unsere Organisation war, die sich in Brick Lane den Faschist*innen physisch entgegengestellt hat und ihnen etwas von der Behandlung zuteil werden ließ, die sie vorher wehrlosen schwarzen und asiatischen Arbeiter*innen zufügten. Das hat in ihren Reihen eine heilsame Wirkung gehabt und gleichzeitig das Ansehen und das Prestige unserer Organisation und besonders unserer Jugend-Genoss*innen enorm erhöht. Gleichzeitig vermieden wir es, in die Falle von Einzelkämpfen zwischen uns und den Faschist*innen über die Köpfe des Proletariats hinweg zu gehen.

In diesem Stadium ist es prinzipiell keine Frage der direkten Konfrontation mit dem kapitalistischen Staat im Kampf gegen Rassismus und Faschismus. Das ist ständig die Herangehensweise ultralinker Sekten am Rande der Arbeiter*innenbewegung. Sie verbinden das mit einer anmaßenden Haltung und einem Versuch zur selbsternannten ,Führung’ in Schwarzen-, Asiat*innen- und Immigrant*innenwohngebieten. Das bringt sie unausweichlich in Konflikt mit ein paar der kämpferischsten schwarzen und asiatischen Arbeiter*innen, die in den Kampf gegen Rassismus und Faschismus gezogen werden könnten.

Die Frage der Selbstverteidigung

Das Thema der Selbstverteidigung gegen rassistische und faschistische Angriffe ist eine Schlüsselfrage, die sich im Kampf in der letzten Periode gestellt hat. Zunächst einmal beinhaltet das den Schutz unserer Kräfte und unserer Organisation, die wegen der Vorhutrolle in diesem Kampf eines der Hauptziele faschistischer Angriffe sind.

Gleichzeitig müssen wir in der Praxis eine ernsthafte, marxistische Herangehensweise zeigen, im Widerspruch zur leichtfertigen, dilettantischen Haltung der Sekten gegenüber dem Schutz von Massendemonstrationen gegen Angriffe sowohl von Faschist*innen als auch Polizei. Unsere Methode wurde in der wunderbaren Brüssel-Demonstration und auch auf den antirassistischen Märschen am 8. Mai und 16. Oktober in Großbritannien gezeigt. Ohne Frage wären ernsthafte Verletzungen, möglicherweise einschließlich einer Reihe von Toten, das Ergebnis der beispiellosen Polizeiangriffe auf die Demonstration vom 16. Oktober gewesen, wenn nicht die heldenhafte Tätigkeit unserer Ordner*innen und unserer Organisation an dem Tag gewesen wäre.

Dies ist wieder ein Vorgeschmack auf das, was im massenhaften Maßstab durch die Arbeiter*innenbewegung auf der Grundlage unserer Ideen und Methoden möglich wäre. Gleichzeitig ist es möglich, dass ein paar unserer mutigen, aber trotzdem politisch unerfahrenen jungen Kräfte von solchen Kämpfen mitgeschwemmt werden. Die Idee einer ,offensiven’ Kampagne von weitgehend physischem Charakter gegen de Faschist*innen wäre in diesem Stadium völlig falsch.

Die Kampagne gegen Rassismus und Faschismus ist im Allgemeinen zu 90 Prozent politisch (vor allem Arbeiter*innen die Gefahren des Faschismus erklären und Antworten auf die Argumente der Rassist*innen und Faschist*innen liefern) und nur zu 10 Prozent ,physisch’. Selbst dann muss unsere Herangehensweise einen wesentlich defensiven Charakter haben und immer versuchen, den Kampf zu verbreitern und die breitesten Schichten der Arbeiter*innen und Jugendlichen hineinzuziehen.

Falsche Vergleiche auf der Grundlage von Zitaten von Trotzki aus den dreißiger Jahren müssen vermieden werden. Wir sind nicht im Stadium Deutschlands oder auch nur Frankreichs zu der Zeit als Trotzki ,Wohin geht Frankreich?’ schrieb [1934/35], ganz zu schweigen von der Bürgerkriegssituation in Spanien.

In der Tat hat die Bourgeoisie keine Veranlassung, jetzt ihre faschistischen Kampfhunde gegen die Arbeiter*innenbewegung zu hetzen. Sie kann es auch nicht. Wir haben in der Vergangenheit die Gründe vollständig analysiert, warum die Bourgeoisie einem kleinbürgerlichen faschistischen Emporkömmling wie Hitler oder Mussolini nie wieder erlauben wird, die Macht zu übernehmen. Die Errichtung eines faschistischen Regimes bedeutet, dass die direkte politische Kontrolle der Bourgeoisie gelockert ist. Der faschistische Staat, der sich sowieso schnell in ein normales bürgerliches bonapartistisches Regime verwandelt, verteidigt zwar den Kapitalismus, nimmt aber auch eine gewisse Autonomie gegenüber der kapitalistischen Klasse ein, auf die er sich letztlich stützt.

Die Militär- und Polizeidiktaturen

Wie wir wissen, führte das dazu, dass Hitler den Zeiten Weltkrieg fortsetzte, lange nachdem seine Beendigung im Interesse der deutschen Bourgeoisie war. Das führte dazu, dass halb Deutschland für über 40 Jahre an den Stalinismus verloren wurde. Nie wieder wird die Bourgeoisie bereit sein, ihr Schicksal einem kleinbürgerlichen faschistischen Emporkömmling anzuvertrauen. Wenn sie nicht mehr in der Lage sind, die Klassenspannungen im Rahmen der bürgerlichen Demokratie zu halten, werden sie sich eher einer Militär- und Polizeidiktatur zuwenden, deren führende Figuren oder Figur aus den Reihen der Bourgeoisie selbst kommen.

Dies war das Muster, das sich aus der Zerschlagung der chilenischen Arbeiter*innen 1973 ergab. Das Pinochet-Regime war eine Militär- und Polizeidiktatur, die sowohl vor als auch nach dem Putsch faschistische Banden als Hilfstruppen nutzte. Es war ein bonapartistisches Regime, das praktisch ein paar der Methoden der Faschist*innen nutzte. Jedoch allein die Tatsache, dass es ein bonapartistisches Regime war und nicht völlig faschistischen Charakter hatte, bedeutete, dass es weniger stabil als Hitler und Mussolini war, zumindest in der Periode unmittelbar nach der Machtübernahme.

Das Pinochet-Regime wurde durch eine Verbindung besonderer Umstände an der Macht gehalten. Die unmittelbare Periode nach dem Putsch von 1973 fiel mit der ersten Nachkriegs-Weltrezesson zusammen. Zur schrecklichen politischen Niederlage kamen die schweren wirtschaftlichen Entbehrungen der Massen hinzu.

Chiles Wirtschaft brach als Ergebnis der wahnsinnigen monetaristischen Politik der ,Chicago Boys’ selbst während dem Aufschwung 1975-79 weiter ein. Dann kam die Rezession 1979-82.

Wirtschaftlicher Zusammenbruch nach einer schweren politischen Niederlage radikalisiert die Arbeiter*innenklasse nicht, sondern kann zum Gegenteil führen. Wirtschaftlicher Aufschwung kann das Selbstvertrauen vergrößern und zu einem Wiederaufleben der Massenbewegung führen.

Während der achtziger Jahre, einer Periode von wirtschaftlicher Erholung in Chile, erschütterte die Arbeiter*innenklasse in einer Reihe von Bewegungen die Diktatur. Aber das Fehlen des subjektiven Faktors erlaubte in Verbindung mit dem Eindruck, dass Chile dabei war, ein wirtschaftliches ,Goldenes Zeitalter’ zu erfahren, dem Pinochet-Regime eine längere Lebensspanne als erwartet werden konnte.

Die Option des Bonapartismus

Aber selbst die Option des Bonapartismus, einer Militär- und Polizeidiktatur, ist nicht etwas, wonach die Bourgeoisie willkürlich greifen kann. Im Gegenteil bedeutet die gegenwärtige Weltlage, dass Militär- und Polizeidiktaturen nicht unmittelbar auf der Tagesordnung stehen. In den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern und selbst in der kolonialen und halbkolonialen Welt wird es nicht leicht, zur Diktatur überzugehen.

Dies wird durch die Ereignisse in Nigeria unterstrichen. Während dies geschrieben wird, verstärkte die Machtübernahme durch eine weitere Militärclique für eine Periode die Generalstreiks- und die beinahe aufständische Stimmung der Massen. Selbst die Zukunft des Landes als einheitlicher Staats wurde gefährdet. Es ist unwahrscheinlich, dass dieses Regime in der Lage sein wird, lange Zeit die Macht zu halten.

Nur wenn die Bourgeoisie glaubt, dass ihre lebenswichtigen Interessen auf dem Spiel stehen, werden sie diktatorische Methoden unterstützen. So führte in Algerien die Drohung, dass ein islamisch-fundamentalistisches Regime an die Macht kommen würde (die FIS war klar dabei, die Wahlen zu gewinnen) zur Aussetzung der Wahlen, mit einem Chor der Unterstützung durch die internationale Bourgeoisie.

Illusionen in die Demokratie

Das Abtreten des Stalinismus wurde von großen Teilen der Arbeiter*innenklasse als Ergebnis von Volksbewegungen für ,Demokratie’ wahrgenommen und hat eine internationale Phase breiter demokratischer Illusionen eingeleitet. Die Bourgeoisie ist gezwungen, das zu berücksichtigen. Der Druck der öffentlichen Meinung, die wiederum durch das weltweite Kräfteverhältnis der Klassen bestimmt ist, zwingt die Bourgeoisie, Lippenbekenntnisse zur Demokratie und ,demokratischen Regierungsformen’ abzulegen.

Wie wir anderswo analysiert haben, hat der Zusammenbruch des Stalinismus das Kräfteverhältnis der Klassen im Weltmaßstab nicht entscheidend zugunsten der Bourgeoisie und gegen das Proletariat verschoben. Trotz der Schwächung der traditionellen Parteien und einer gewissen Schwächung der Gewerkschaften in den meisten fortgeschrittenen Industrieländern bleibt die Macht des Proletariats intakt. Wenn man die Lage in den früheren stalinistischen Staaten Osteuropa beiseite lässt – die ein Thema für sich ist – hat das Proletariat in der ganzen kapitalistischen Welt nicht Niederlagen im Ausmaß der Zwischenkriegsperiode erlitten. Diese Tatsache drückt der ganzen gesellschaftlichen und politischen Lage überall in der kapitalistischen Welt ihren Stempel auf.

Ein zusätzlicher Faktor, der die Herangehensweise der Bourgeoisie bestimmt, ist, dass sie nach dem Zusammenbruch des Stalinismus keine unmittelbare Herausforderung für ihre Herrschaft zu haben scheinen. Deren weltweiter Hauptvertreter [irrtümlich „protagonist“ statt „antagonist“?] ist zusammengebrochen, der Stalinismus, der auf einem Gesellschaftssystem beruhte, das dem ihren entgegengesetzt war. Das ermöglicht der Bourgeoisie einen gewissen Luxus, sich mit dem Dreschen demokratischer Phrasen zu beschäftigen.

Aber es ist das Kräfteverhältnis der Klassen, das der entscheidendste Faktor ist, der ihre Haltung in der gegenwärtigen Lage bestimmt. Es ist ziemlich auffallend, dass sich die Bourgeoisie (oder Möchtegern-Bourgeoisie wie im Fall von Russland) die Kleidung der ,Demokratie’ anziehen muss, selbst wenn sie zu diktatorischen oder halbdiktatorischen Machtbefugnissen greifen muss.

Die Erfahrung von Jelzin

Wilhelm Liebknecht charakterisierte den Reichstag des Bismarck-Regimes als ,Feigenblatt des Absolutismus’ Das selbe Phänomen kann man in Jelzins Russland heute sehen. Jelzins Putsch, der die Auflösung des diskreditierten Parlaments zum Ziel hatte, wurde trotzdem unter dem Banner der ,Wiederherstellung der Demokratie’ durchgeführt. Der klare Zweck war, die Bedingungen für eine Konzentration immer größerer Macht in den Händen von Präsident Jelzin selbst zu schaffen. Jelzins wirkliche Absichten wurden jedoch durch das Versprechen früher Wahlen für ein wiederhergestelltes Parlament im Dezember 1993 getarnt, mit dem vagen Versprechen von Präsidentschaftswahlen im Juni 1994.

Kaum hatte Jelzins Putsch Erfolg gehabt und saßen seine Gegner sicher im Gefängnis hinter Gittern, als er eine neue Verfassung ankündigte und die Verschiebung von Präsidentschaftswahlen bis zur Vollendung seiner fünfjährigen Amtszeit ankündigte. Die neue Verfassung ist entworfen, um ein mächtiges parlamentarisch-bonapartistisches Regime nach dem Vorbild de Gaulles nach seinem Putsch in Frankreich 1958 zu errichten. Sie gibt Jelzin viel größere Machtbefugnisse als die amerikanische Verfassung ihrem Präsidenten gibt. Eine langwierige Prozedur ist für eine ,Amtsenthebung’ des Präsidenten erforderlich.

Dies geschieht trotz der Tatsache, dass eine wichtige Schicht der prokapitalistischen Kräfte in der früheren Sowjetunion ständig ,das chinesische Modell’ heraufbeschworen haben. Die neugeborenen demokratischen Rechte der Arbeiter*innenklasse, so beschränkt sie sind, werden als Hindernis bei der Kampagne zur Errichtung eines stabilen Kapitalismus in der Region gesehen. Die vorgezogene Option ist ein autoritäres Regime, das rücksichtslos zum ,Markt’ drängt.

Die bloße Tatsache, dass Jelzin diesen Weg im Gefolge seines Putsches nicht einschlagen konnte, sagt viel über das Kräfteverhältnis der Klassen sowohl in der Region als auch international. Trotz der Tatsache, dass dem Proletariat wirkliche unabhängige Arbeiter*innenorganisationen fehlen und es angesichts von wirtschaftlichem Zusammenbruch und massiver Inflation, Reaktion kraftlos erscheint, muss er doch ,demokratische’ Formen annehmen. Dies zeigt, dass die latente Macht der Arbeiter*innenklasse unversehrt bleibt.

Jeder Versuch von Jelzin, ein rücksichtsloses autoritäres Einparteienregime zu errichten, hätte zweifellos einen riesigen Gegenschlag durch die Arbeiter*innenklasse hervorgerufen. Dies hätte in deren Köpfen unausweichlich eine Rückkehr zu den politischen Formen des Stalinismus heraufbeschworen. Dieser Faktor und das Vorurteil der weltweiten öffentlichen Meinung zugunsten der ,Demokratie’ bieten den bürgerlichen Kräften Einhalt. Dies hält sie davon ab, in die Richtung einer vollständigen autoritären Lösung zu gehen.

Das heißt auf keinen Fall, das Potential für rassistische, nationalistische und ethnische Reaktion in Osteuropa und der früheren Sowjetunion zu unterschätzen. Diese entstehen aus tief verwurzelten geschichtlichen Faktoren und auch dem schädlichen ideologischen Einfluss, den der Stalinismus für diese Länder bedeutet hat.

Es ist überhaupt nicht zufällig, dass im Konflikt um das Weiße Haus in Moskau die Stalinist*innen, Faschist*innen und Neofaschist*innen in der sogenannten ,rotbraunen’ Allianz gegen Jelzin einander die Hand reichen konnten. Angefangen mit Stalin selbst nutzten die Stalinist*innen offen chauvinistische, nationalistische und rassistische Waffen, einschließlich eines bösartigen Antisemitismus, um ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten. Es sollte nicht vergessen werden, dass selbst vor dem Sturz des russischen Stalinismus Pamjat und andere rassistische, nationalistische und faschistische Gruppen vom Regime geduldet wurden, während natürlich Trotzkist*innen und linke Dissident*innen rücksichtslos verfolgt wurden.

Rassismus in Osteuropa

In Osteuropa ist das Gift eher tiefer eingedrungen. In Rumänien wurden offen chauvinistische, antisemitische, sinti- und romafeindliche, schwulenfeindliche Organisationen vom Regimes und seinen Unterstützer*innen eingesetzt. In Ungarn führte Horthys Familie eine Massendemonstration zum Gedenken an das Horthy-Vorkriegsregime – unter Beteiligung offen faschistischer Organisationen unter der Leitung von Ivan Csurska. Eine frühere Demonstration gegen Csurska mit einer Beteiligung von 80.000 ließ das jedoch klein erscheinen. In der früheren Sowjetunion stellten die Faschist*innen 1991 einen Präsidentschaftskandidaten auf, Wladimir Schirinowski, der mit einem Programm, das das Versprechen von billigem Wodka beinhaltete, acht Prozent der Stimmen bekam!

Zweifellos ist der Zustand von politischer Naivität und politischer Uneinheitlichkeit, die ein auffallendes Merkmal aller früheren stalinistischen Staaten ist, einer der Faktoren, die es nationalistisch-chauvinistischen Gruppen und auch den faschistischen und neofaschistischen Organisationen erlauben, ein gewisses Echo zu finden.

In Polen spiegelt das Bestehen von unzähligen politischen Parteien, von denen viele bloß fünf Prozent der Stimmen bekommen, eine völlige ideologische Verwirrung wider. Nur sehr schrittweise, mit der jüngsten Wahl einer Regierung ,sozialdemokratischen’ Typs, findet eine gewisse Polarisierung entlang von Klassenlinien statt.

In der früheren Sowjetunion, vor allem in Russland, ist das Land vom Monolith der stalinistischen Politik in das andere Extrem gegangen. Zyniker*innen kommentieren über das Phänomen von ,ein Mensch, eine Partei’ und auch über die vielen ,Sofaparteien’ – alle Mitglieder haben auf einem Sofa Platz! Selbst diese Parteien spalten sich unausweichlich in verschiedene Fraktionen.

Beim Fehlen von Parteien mit Wurzeln in der Bevölkerung hat das Jelzin-Regime zur Auflage gemacht, dass jede Partei oder Block 100.000 Unterschriften brauchen wird, um zugelassen zu werden. Das hat wiederum alle kleineren Parteien gezwungen, Allianzen zu schließen, die bisher zu 33 Blocks für die bevorstehenden Wahlen führten. Jedoch nur 15 haben die erforderliche Zahl von Unterschriften erlangt.

Im Laufe der Zeit werden sich Parteien herausbilden, die die wachsenden Klassenspaltungen innerhalb dieser Gesellschaften widerspiegeln.

Die Aussichten für Faschist*innen in Russland

Inzwischen kann es nicht ausgeschlossen werden, dass ziemlich große nationalistische und selbst neofaschistische Gruppen und Parteien entstehen werden. In der Tat haben das die russischen Wahlen im Dezember 1993 unterstrichen, bei denen Schirinowskis Partei 22,79% der Stimmen erhielt. Dies stellt kein bewusstes Stimmen für den Faschismus dar. Schirinowskis Unterstützung bei den Wahlen war äußerst uneinheitlich. Ein Teil bestand aus Arbeiter*innen und Angehörigen der Mittelschicht, die von seinem Nationalismus, äußerster Fremdenfeindlichkeit und Versprechen zur Wiederherstellung von Russlands früheren Ruhm irregeleitet waren. Andere wurden von seinem Antisemitismus angezogen. Aber ebenso wie sie gab es verwirrte Arbeiter*innen, wahrscheinlich war das die Mehrheit, die einfach Jelzin und seinem Programm des ,schnellen Weges’ zum Markt mit Hyperinflation, Verarmung und drohender Massenarbeitslosigkeit einen Schlag versetzen wollten. Sobald ihnen der genaue Charakter von Schirinowskis Programm klar wird, wird seine Unterstützung untergraben werden. Unmittelbar nach den Wahlen hat er seine platten antijüdischen Aussagen fallengelassen und gesagt, er sei ,missverstanden’ und ,falsch zitiert’ worden.

Das soll auf keine Weise das Wachstum des russischen Nationalismus kleinreden, das seine Kampagne angeheizt hat und selbst Jelzin gezwungen hat, auf eine aggressivere Außenpolitik umzuschalten. Schirinowskis Drohung, die früheren Satellitenländer im Baltikum und Osteuropa wieder zu besetzen, sollte Unterstützung unter unzufriedenen Armeeoffizieren anziehen, von denen ein Drittel ihn gewählt haben. Jetzt hat Jelzins Außenminister Kosyrew erst gedroht, dass die russischen Truppen die baltischen Staaten nicht verlassen würden und dann seine Erklärung ,ergänzt’, um anzudeuten, dass sie es doch würden.

Nationalismus und Reaktion

Nationalismus, genau genommen bürgerlicher Nationalismus, ist auch eine Ausdrucksform der Reaktion, Er wird eine Zeitlang ein großer komplizierender Faktor in Russland, der Ukraine und ganz Osteuropa sein. Aber auf einer gewissen Stufe werden gerade die oben erwähnte Faktoren, die der Hand des russischen Autoritarismus Einhalt geboten, in den Ländern Osteuropas und der früheren Sowjetunion eine immer entscheidendere Wirkung haben. Es wird nicht möglich sein, leicht zu einem offen diktatorischen Regime überzugehen, zumindest in der unmittelbar bevorstehenden Periode. Der Bourgeoisie stehen auf dieser Stufe keine Massenbewegungen des Proletariats gegenüber, die seine Herrschaft gefährden. Solch eine Lage wird sich in der Zukunft unausweichlich entwickeln.

Aber in dieser besonderen Konjunktur ist es nicht möglich, ein offen diktatorisches Regime zu errichten.

Wir wir kommentiert haben, hat Wałesa in Polen die Drohung der ,Präsidialherrschaft’ heraufbeschworen, um ein bonapartistisches Regime zu errichten. Trotz der Frustration der pro-bürgerlichen Kräfte und ihrer Unfähigkeit, ihre wirtschaftliche Herrschaft politisch zu festigen, hat es Wałesa nicht gewagt, offen eine Diktatur zu errichten. Solch eine Entwicklung kann in der Zukunft nicht ausgeschlossen werden. Aber auf dieser Stufe könnte solch ein Versuch wegen der Kräfteverhältnis der Klassen dem polnischen Kapitalismus um die Ohren fliegen.

Wir haben die Lage in Osteuropa und der Sowjetunion zu Recht nicht mit dem Kapitalismus von Schweden, Deutschland oder den Vereinigten Staaten verglichen, sondern mit dem schwachen, krisengeschüttelten lateinamerikanischen Kapitalismus. Aber trotz der chronischen Krise von Großgrundbesitzertum und Kapitalismus, die einen schädlichen Einfluss auf den lateinamerikanischen Kontinent haben, enthüllen sich gerade hier die Schwierigkeiten beim Übergang zu einer offenen Diktatur.

Diktatur und Demokratie in Peru

Der Kontinent könnte auf einer gewissen Stufe vor einem Prozess der ,Fujimorisierung’ à la Peru stehen. Die Bourgeoisie könnte zwar unfähig zum Übergang zur nackten Diktatur sein, aber trotzdem vor wachsenden Schwierigkeiten stehen, den Druck der Massen im Rahmen der ,normalen’ bürgerlichen Demokratie einzudämmen. In dieser Lage könnten sie zwar das ,Parlament’ und die Aufmachung demokratischer Rechte beibehalten, aber immer mehr Machtbefugnisse in der Hand des Staates in Form vergrößerter Machtbefugnisse für Präsident oder Regierung versammeln. Es ist eine offene Frage, ob zum Beispiel Peru eine ,Diktatur’ oder eine ,parlamentarische Demokratie’ ist. In Wirklichkeit spiegelt es Merkmale von beiden wider. Die Richtung, in die es sich bewegt, wird wiederum vom komplizierten Kräfteverhältnis der Klassen sowohl innerhalb Perus als auch international bestimmt, wo es gegenwärtig einen Druck durch den Imperialismus, besonders den US-Imperialismus, gibt, eine offene Diktatur zu vermeiden.

Fujimori errichtete praktisch eine Militärdiktatur (das Parlament wurde suspendiert) im Krieg gegen den Leuchtenden Pfad. Trotzdem fand er es notwendig, seine Stellung zu legitimieren und ein ,Parlament’ einzurichten. Im Rest Lateinamerikas würde jeder Versuch, in die Richtung einer Militärdiktatur (mit Sicherheit einer rechten) zu gehen, einen Aufstand des Proletariats hervorrufen. In Venezuela kam der Putschversuch von der ,Linken’, von enttäuschten kleinbürgerlichen rangniederen Offizieren mit großer Unterstützung durch die Arbeiter*innen und Bäuer*innen. Wir sahen einen ähnlichen Prozess in Guatemala mit dem erzwungen Rücktritt des Präsidenten.

Selbst in Brasilien wurden von Teilen des Militärs drohende Geräusche gemacht. Aber es ist äußerst unwahrscheinlich dass die brasilianische Bourgeoisie in der nächsten Periode einen weiteren Versuch zur Errichtung einer Militärdiktatur billigen würde. Bevor sie Zuflucht zu einer so drastischen Lage nehmen, werden sie die Massen in die Schule des Reformismus schicken, einer von der PT beherrschten Regierung oder einer Regierung unter Einschluss der PT. Nur nachdem die Massen völlig desillusioniert sind, wird es den Generälen möglich sein, zurückzukehren.

Revolutionäre Explosionen

Selbst dann wird die Bourgeoisie viele Male zögern. Es ist eine Sache, eine Militärdiktatur zu errichten, es ist eine andere Sache, sie wieder völlig abzubauen, ohne eine Revolution zu riskieren. Sie hatten in den achtziger Jahren das Glück, dass eine Verbindung von wirtschaftlicher Wiederbelebung in manchen Ländern (Chile) und eine willfährige Arbeiter*innenführung einen verhältnismäßig glatten ,Übergang’ von Diktatur zur Demokratie ermöglichte.

Aber das wird nicht immer der Fall sein. Nächstes Mal könne das Szenario dem ähnlich sein, das sich in Italien 1943 entwickelte. Die bloße Ersetzung Mussolinis durch einen anderen Faschisten, Badoglio, führte zu einer revolutionären Explosion der Massen. Wir sahen in Argentinien 1972/73 eine ähnliche Entwicklung. Das Zur-Seite-Treten der Generäle setzte den Prozess der Revolution frei.

Die Einsetzung der Diktatur könnte im Verlauf der Zeit die Massen radikalisieren. Das Ableben des Stalinismus und die folgende Schwächung der Kommunistischen Parteien (und ihr praktischer Zerfall in manchen Ländern) bedeutet, dass eines der Mittel zum Zurückhalten der Massen verschwunden ist. Unter Diktaturen können die Arbeiter*innenorganisationen in radikale und revolutionäre Richtungen umgeformt werden.

Wenn ein Putschversuch gemacht würde, wäre er aller Wahrscheinlichkeit nach gegen die ,Korruption der Politiker’ gerichtet. Er würde unausweichlich die Massenunzufriedenheit über die sich verschlechternden sozialen Bedingungen widerspiegeln, und wäre wahrscheinlich gezwungen, eine nationalistische und radikale Ausdrucksweise anzunehmen. Es könnte eine andere Art Putsch als die rechten Putsche sein, die der Errichtung bürgerlicher Demokratie in Brasilien in den achtziger Jahren vorausgingen.

Die Prozesse der Zukunft

Wie wir im Dokument über die koloniale Revolution kommentiert haben, geht der Prozess in Afrika klar in Richtung auf den Sturz von Diktaturen und der Errichtung bürgerlich-demokratischer Regime, auch wenn sie einen sehr instabilen, zerbrechlichen Charakter haben. Das schließt künftige Versuche zur Errichtung von Militär- und Polizeidiktaturen nicht aus. In der Tat ist solch ein Prozess in der Zukunft unausweichlich.

Aber sobald das Joch des Militärregimes aufgehoben ist, ist es überhaupt nicht leicht, die Massen noch einmal ins Joch zu spannen. Trotzdem wird die Bourgeoisie angesichts der Gefahr für ihre Existenz selbst durch die Aufstandsbewegung der Massen, die vor dem Ende dieses Jahrzehnts in der kolonialen und halbkolonialen Welt völlig unausweichlich ist, erneut versuchen, den Weg der Diktatur zu gehen.

Es ist nicht einmal ausgeschlossen, dass in dieser oder jenen Extremlage solche Versuche in der nächsten Periode gemacht werden. Jedoch im Allgemeinen stehen wir nicht vor einem Prozess, der zur Errichtung von Diktaturen führt. Eine Zunahme des Nationalismus, ein Rückfall in Tribalismus, ethnische und Rassenkonflikte – ja, all das ist möglich und sogar wahrscheinlich, besonders auf dem ärmsten Kontinent Afrika.

Aber selbst angesichts von bösartiger Reaktion wird die Stimme des Proletariats erhoben werden und stärker werden, wenn das Zurückfallen in barbarischen Nationalismus und sein folgender Zerfall einsetzen. Selbst in Bosnien, dem schlimmsten Beispiel in ,Europa’ für grausame ethnische und Rassenspaltungen seit 1945, wo die Stimme des Proletariats völlig erstickt zu sein scheint, haben sich Klassenspaltungen herausgebildet. Zum Beispiel erhob sich in Banja Luka die Bevölkerung unter Führung serbischer Kämpfer*innen gegen die Kriegsgewinnler, die Profiteure, „die an unserem Leiden und Tod reich geworden sind“. Sie forderten, dass Karadžić in ihre Region kommt und für die Verbrechen von ihm und seinen Anhängern Rechenschaft ablegt. In Serbien sind erneut unabhängige Gewerkschaften vorgetreten, um die Herrschaft von Milošević herauszufordern.

Revolution und Konterrevolution

Die Epoche, die sich eröffnet, ist keine von unbeschränkter Reaktion. Der Prozess von Revolution und Konterrevolution kann manchmal im Tandem ablaufen. Es hängt vom Rhythmus des Klassenkampfes, der Rolle der Arbeiter*innenorganisationen und vor allem der Rolle des subjektiven Faktors ab, was von beidem vorherrscht.

Zu diesem geschichtlichen Zeitpunkt ist jedoch die Radikalisierung des Proletariats die Haupttendenz. Das wird sich nicht immer in offenen Massenbewegungen enthüllen. Aber unter der Oberfläche braut sich ungeheure Unzufriedenheit zusammen, die in der nahen Zukunft in Massenbewegungen ausbrechen kann. Die kolossalen Umwälzungen, die in Italien, Frankreich und vor allem Belgien stattfinden, sind Vorboten von zukünftigen Ereignissen in ganz Westeuropa und selbst in Osteuropa und der früheren Sowjetunion.

Sobald das Proletariat aufsteht, wird es die sehr kleinen Kräfte de Reaktion niedertreten. Die Angriffe der Rassist*innen und Faschist*innen werden zu einer riesigen Gegenbewegung führen, die sie in der nächsten Periode zur Bedeutungslosigkeit reduzieren werden. Trotzdem können die rassistischen und faschistischen Organisationen zwar Niederlagen erleiden, durch die das Thema vorübergehend in den Hintergrund versinkt, aber solange der Kapitalismus existiert, wird es immer und immer wieder auf die Tagesordnung der Arbeiter*innenorganisationen kommen. Eine Einschätzung der Gefahr der Reaktion auf jeder Entwicklungsstufe der Arbeiter*innenbewegung und auch die Ausarbeitung eines Programms zum Kampf gegen Rassismus, Faschismus und bürgerlichen Nationalismus ist eine Schlüsselfrage für unsere Internationale.


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