Roger Silverman: Einleitung zur Neuauflage von 1978 von Ted Grants „Die Bedrohung des Faschismus – Was er ist und wie wir ihn bekämpfen“

[eigene Übersetzung aus der Broschüre von 1978]

Die Neuveröffentlichung von Ted Grants klassischer Broschüre Die Bedrohung des Faschismus kommt zum richtigen Zeitpunkt. Sie wurde 1948 geschrieben, als die Überbleibsel von Sir Oswald Mosleys Schwarzhemden versuchten, ihre stark mitgenommenen Kräfte in den harten Tagen der ,Austeritätspolitik’ der Labour-Nachkriegsregierung umzugruppieren. Ihre Neuveröffentlichung heute fällt mit dem Wiederauftauchen des Faschismus als Thema für die britische Arbeiter*innenbewegung zusammen. Die National Front und andere faschistische Splittergruppen wie die National Party und das British Movement haben ihre Schweinerüssel heute höher erhoben und sind selbstsicherer als jemals seit Mosleys Tagen. Bei den Kommunalwahlen 1977 gewann die NF 120.000 Stimmen im Großraum London allein. Faschistische Aktivitäten haben sich auch nicht auf die Wahlebene beschränkt. Sie sind arrogant durch Wohngebiete von Immigrant*innen stolziert, in bewussten Versuchen, gewaltsame Zusammenstöße hervorzurufen. Jeden Tag gibt es landauf, landab neue Fälle von faschistischen Brutalitäten. Immigrant*innen wurden geschlagen, getreten, mit Messern gestochen, mit Knüppeln geschlagen und durch Schaufensterscheiben geschmissen. Säure- und Nervengasbehälter wurden ihnen ins Gesicht geschmissen und es gab Brandanschläge auf ihre Wohnungen und Vereine. In vereinzelten Fällen wurden auch Gewerkschaftsaktivist*innen bösartig angegriffen.

Parallel zu diesem hässlichen Rückfall in frühere Ausdrucksformen der Reaktion gehen die mörderischen Tätigkeiten des MSI in Italien und die ersten Fälle von faschistischen Gewalttaten in anderen Ländern, besonders in Frankreich, wo gewaltsame Angriffe auf nordafrikanische Arbeiter*innen stattgefunden haben. Das Ausmaß dieser Angriffe sollte nicht übertrieben werden, aber trotzdem stellen sie eine finstere Bedrohung für die Zukunft dar. Es wäre für die Arbeiter*innenbewegung verderblich, sie zu ignorieren.

Gleichzeitig haben politisch bewusste Aktivist*innen innerhalb der Arbeiter*innenorganisationen über die Lehren aus der schrecklichen Niederlage nachgedacht, die die chilenischen Arbeiter*innen 1973 erlitten, die blutigste in der Kette der Niederlagen in Lateinamerika, die von Brasilien 1964 bis Argentinien 1976 reicht.

Der Kampf der Arbeiter*innenklasse, die kapitalistische Herrschaft zu stürzen und den Weg für die Schaffung einer klassenlosen Gesellschaft zu bereiten, erfordert die äußerste theoretische Klarheit beim Verständnis der Hindernisse, die in ihrem Weg stehen. Das politische Bewusstsein kann nur abgestumpft werden durch das hemmungslose Gefasel kleinbürgerlicher Rebellen, wie zum Beispiel des Mitglieds der [deutschen] RAF, das seiner Mutter Lebewohl sagte, weil er sich „durch die faschistische Gesellschaft erstickt“ fühlte und „den Revolutionären beitreten“ wollte. Alle westdeutsche Arbeiter*innen würde zurecht Leute für Verrückte halten, die nicht zwischen Hitler und Schmidt, zwischen dem Leben unter der Nazi-Tyrannei und dem Leben unter der sozialliberalen Koalition unterscheiden können.

Marxist*innen verwenden Worte nicht leichtfertig oder verwenden ,Faschismus’ als Schimpfwort für alles, nicht aus Pedanterie, sondern weil eine erfolgreiche Heilung von einer genauen Diagnose abhängt.

Keine herrschende Klasse in der Geschichte war jemals bei der Verteidigung ihrer Macht zimperlich. Aber wie Ted Grant in seiner Broschüre zeigt, ist Faschismus mehr als bloße Unterdrückung. Es ist ein besonderes Werkzeug des Kapitalismus im Zeitalter seines Niedergangs. Diese schreckliche Epoche von Krieg und Revolution, Holocaust und Völkermord produzierte die ersten Regime in der Geschichte, die von kleinbürgerlichen Massenbewegungen abhingen. Der Kapitalismus versuchte in seiner Todeskrise, das Wachstum der Arbeiter*innenbewegung zu kontern, indem er Schlägerbanden schuf, die zum Töten von Vertrauensleuten, zum Sprengen von Streikpostenketten und Arbeiter*innenversammlungen und zum In-die-Luft-Sprengen von Gewerkschaftszentralen mobilisiert wurden. Die Schwarzhundertschaften in Russland und die Freikorps in Deutschland wurden nur als Hilfstruppen für die offiziellen staatlichen Unterdrückungsorgane verwendet. Aber selbst sie waren nicht stark genug, die Gewerkschaften zu zerschlagen und jeden Ausdruck unabhängiger Tätigkeit durch die Arbeiter*innenklasse auszulöschen. Es erforderte die Mobilisierung einer Massenbewegung, um das wirkliche Ziel des Faschismus auch nur vorübergehend zu erreichen: die Zerstörung des Embryos der künftigen Sozialismus im Kapitalismus, der in den Traditionen der Arbeiter*innenbewegung verkörpert ist.

Ted Grant erklärt plastisch, wie der Kapitalismus in Italien und Deutschland triumphierte. Mussolinis Gurgelaufschlitzer wurden von den Kapitalist*innen als Antwort auf die Welle von Streiks und Besetzungen bewaffnet. Unter Polizeischutz zerschlugen die Fascisti systematisch die Arbeiter*innenbewegung. Nach dem Verrat an der deutschen Revolution von 1918 halfen auch Hitlers Desperados dem Staat, die Arbeiter*innen zu terrorisieren. An der Spitze der wachsenden paramilitärischen Bewegungen und ausgerüstet mit unbeschränkten militärischen und Propagandaressourcen, wurden Hitler und Mussolini für die herrschende Klasse unverzichtbar. Beide übten solche Macht aus, dass sie schließlich den Staat übernahmen und selbst die traditionellen bürgerlichen Parteien demontierten, ohne auf ernsthaften Widerstand zu stoßen. Jedes Element von Demokratie wurde mit chirurgischer Genauigkeit entfernt. Das Finanzkapital wurde schließlich vom Ärgernis Arbeiter*innenbewegung befreit, aber um den Preis, die direkte Kontrolle über den Staat willkürlichen Diktatoren zu überlassen.

Der kapitalistische Staat

Jede Staatsmaschine kann auf „bewaffnete Einheiten von Menschen“ reduziert werden. Selbst der demokratischste Staat ist eine Maschine, die aus Polizei, Armee, Richter*innen, Gefängniswärter*innen, Steuereintreiber*innen, einer ständigen Bürokratie besteht, die der Bewahrung des bestehenden Zustands dienen. Aber die herrschende Klasse achtet eifersüchtig auf ihre Rechte. Die Kapitalist*innen erkennen den Staat grummelnd als notwendiges Übel an. Aber sie kontrollieren streng seine Machtbefugnisse. Er darf sich nicht übernehmen und in ihre Herrschaft eingreifen. Sie wollen eine billige Regierung. Papierkrieg, Extravaganz, Korruption, Verschwendung, Vetternwirtschaft und andere unausweichliche Folgen des Bürokratismus wirken zusammen, ihnen ihre Profite zu verringern. Deshalb haben sie ein komplexes System von Kontrollen und Gegengewichten, öffentlicher Verantwortung, Gewaltenteilung etc. entwickelt, das zusammen die parlamentarische Demokratie ausmacht.

In der modernen Epoche kann der Kapitalismus nur mit Ächzen und Stöhnen überleben, indem er sich immer stärker auf den Staat stützt, um sein Eigentum gegen Feinde zu Hause und im Ausland zu verteidigen, bankrotte Firmen zu sanieren, Forschung zu finanzieren, Dienstleistungen bereitzustellen etc. Aber die Kapitalist*innen sind immer noch alarmiert wegen dem Wachstum des Monsters Staat und heulen nach dem Stutzen der Bürokratie.

Aber sie haben nicht immer die Macht, ihre politischen und Verwaltungsdiener zur Rechenschaft zu ziehen. In Notstands- und besonders Revolutionsperioden, wenn die kämpfenden Klassen sich annähernd im Gleichgewicht befinden, kann sich der Staat über die Beschränkungen seiner Herren erheben. Wo eine dekadente herrschende Klasse einem niedergehenden Gesellschaftssystem vorsteht, leidet sie unter Krisen, in denen ihr Ansehen in Misskredit gerät. Sie ist altersschwach, korrupt, in mit einander ringende Fraktionen gespalten. In diesen Lagen kann eine disziplinierte Partei der aufsteigenden Klasse den Weg zu einer neuen Gesellschaft führen. Aber wenn sie dieser Aufgabe nicht gewachsen ist, sind die mit einander ringenden Klassen in einer Sackgasse. Die „bewaffneten Einheiten von Menschen“ können als unabhängige Schlichter handeln, die die zueinander im Gegensatz stehenden Fraktionen und Klassen gegeneinander ausspielen und zwischen ihnen manövrieren, während sie letztlich die bestehenden Eigentumsformen verteidigen. Dies ist Bonapartismus – eine Militär- und Polizeidiktatur.

Eine Militärdiktatur mit enger Basis kann nicht für lange die Flut der Geschichte in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern mit ihrer mächtigen Arbeiter*innenbewegung eindämmen. De Gaulles milder Bonapartismus war ohnmächtig, als es zu den revolutionären Ereignissen vom Mai 1968 kam und selbst die griechische Junta war jämmerlich unfähig, die Gesellschaft zu stabilisieren. Das Paradoxe an der Lage ist, dass der Kapitalismus nur überleben kann, indem er die Arbeiter*innen in Sklav*innen verwandelt, und das kann nicht von oben verordnet werden. Aber unter den gegenwärtigen Bedingungen hat er keine Hoffnung, zu einer neue Massenbewegung Zuflucht zu nehmen, die von mystischem Fanatismus besessen ist und nach Rache an den Arbeiter*innen dürstet, die allein die in Jahren voller Oper aufgebauten Organisationen beseitigen könnte.

Hitler, Mussolini und andere Faschist*innen hatten Geld vom Großkapital und die Komplizenschaft der Polizei. Aber sie hatten auch Ressourcen, die schwieriger zu erlangen sind: große Privatarmeen, die sich aus den Schichten der Bevölkerung rekrutierten, die in der Mitte zwischen den beiden entscheidenden Gesellschaftsklassen stehen. Der Faschismus hat es nie geschafft, sich eine Basis in den Gewerkschaften zu schaffen. Auf der anderen Seite verachten die Großkapitalist*innen sie als zeternde Großsprecher. Sie stellen sie an, wie Manager von Tanzhallen Rausschmeißer oder Saalordner einstellen und sich bald in deren Händen befinden.

Der Faschismus nährt sich von den Vorurteilen der zwischen den Monopolen zerquetschten Kleinunternehmer; der von den Banken ausgebluteten Bauern; der von der parlamentarischen Heuchelei ermüdeten Intellektuellen; der arbeitslosen Jugend, die ein Ventil für ihre Energien sucht; Verarmten, Ganoven und Gangstern … Aus diesem Rohmaterial macht er einen menschlichen Rammbock, indem er sie mit radikaler Demagogie gegen Großkonzerne, magischen Beschwörungen über nationalen Ruhm, rassistischem Gift etc. irreführt.

Diese Schichten sind weitgehend die natürlichen Verbündeten der Arbeiter*innen. Sie sind unter dem Kapitalismus dem Untergang geweiht. In ihrer hoffnungslosen Lage schauen sie instinktiv zuerst zur Arbeiter*innenbewegung als der natürlichen Kraft für Veränderung. Wenn die konservative Führung der Arbeiter*innenbewegung ihnen keine Aktion bietet, verfallen sie in Verzweiflung und sind leichte Beute für die Demagogie irgendeines Abenteurers. Sie haben nicht die eingefleischte Loyalität der Arbeiter*innen zur Arbeiter*innenbewegung und deshalb kann gerade ihre Unzufriedenheit von der herrschenden Klasse ausgebeutet werden. Aber erst haben die Arbeiter*innenparteien die Chance, sie zu gewinnen. In Russland war eine kleine Arbeiter*innenpartei mit einer revolutionären Führung in der Lage, Millionen Kleinbäuer*innen mit sich zu ziehen. Im Kontrast dazu brachte die deutsche Revolution ,verantwortungsvolle’ Arbeiter*innenführer*innen an die Macht, die die Notwendigkeit der Befriedigung der Mittelschichten als Alibi benutzten, deren Vorurteilen nachzugeben. Das Ergebnis war, dass die Mittelschichten sich in Raserei schließlich um die Sturmtruppen der Nazis scharten, die wenigsten den Eindruck machten, dass sie es ernst meinten, und die stärkste Arbeiter*innenklasse Europas wurde versklavt, ohne dass Hitler einen Schuss abgeben musste.

Die Nazis waren die direkten Abkömmlinge der freiwilligen konterrevolutionären Söldner, der Freikorps, die das Hakenkreuz als Symbol trugen und tatsächlich 1918-23 von den sozialdemokratischen Führern organisiert, bewaffnet und finanziert wurden, um Arbeiter*innen zu entwaffnen und zu massakrieren und so ,Ordnung wiederherzustellen’.

Man kann Faschismus nicht wie einen Wasserhahn auf- und zudrehen. Wie Trotzki erklärte, ist eine der notwendigen Bedingungen für seine Existenz „die Verzweiflung des Kleinbürger*innentums, sein Sehnen nach Veränderung, die Massenneurose des Kleinbürger*innentums, seine Bereitschaft, an Wunder zu glauben, seine Bereitschaft zu Gewaltmaßnahmen; und das Wachstum seiner Feindseligkeit gegenüber dem Proletariat, das seine Erwartungen enttäuscht hat.“

Nachdem der Faschismus siegreich ist, verliert er seine Massenbasis. In Deutschland zum Beispiel wurde die SA, die die Mörder- und Schlägerarmee der Nazis war, aber aus pervertierten ,Idealist*innen’ bestand, die ernsthaft die Monopole aufbrechen und das ,Establishment’ entfernen wollten, entwaffnet und in der wilden ,Nacht der langen Messer’ 1934 liquidiert, ein Jahr nach Hitlers Machtübernahme. Dies war der Preis für die Unterstützung der Generäle. Die Söldner wurden also abserviert, sobald ihre Drecksarbeit gemacht war. Die Mittelschicht erlebte, wie die Monopole blühten wie nie. Aber dann war es zu spät.

Der faschistische Apparat der Polizeifolter und Konzentrationslager ist intakt. Aller Widerstand ist gebrochen. Aber das Massennetzwerk der Spion*innen und Informant*innen ist verschwunden. Das Regime degeneriert in einen bonapartistischen Polizeistaat, der durch die Trägheit als Folge der katastrophalen Niederlage überlebt.

Es ist charakteristisch für den Faschismus, dass die geschichtliche Erinnerung der Klasse fast unleserlich gemacht wird. Es braucht eine Generation oder mehr, bis die Arbeiter*innen den Klassenkampf wieder aufnehmen, im Untergrund Gewerkschaften aufbauen, den Sozialismus neu lernen. Daher die Langlebigkeit de Faschismus in Spanien und Portugal, wo der Zusammenbruch nicht wie in Deutschland und Italien durch die militärische Niederlage beschleunigt wurde.

Den Kapitalist*innen wird Billigarbeit gesichert, aber sie zahlen einen schweren Preis, indem sie die Kontrolle an eine gierige und wahnsinnige Clique übergeben. Sie sind von der Verantwortungslosigkeit der Faschist*innen alarmiert, aber machtlos einzugreifen. Wenn die Kapitalist*innen die Macht nicht durch ihre traditionellen Kanäle ausüben können, ziehen sie es vor, sie an Generäle zu übergeben, die durch Familienverbindungen, Heirat, gemeinsame Ausbildung, Investitionen in Industrie und Banken, gemeinsame Klubs und Restaurants etc. Tausend und eine Verbindung zu den Kapitalist*innen haben; aber aus dem gleichen Grund können sie nicht die gleiche Hingabe erzeugen wie die Mob-Demagog*innen des Faschismus. Im Extremfall versuchen die Kapitalist*innen, die Generäle zu verwenden, um die Kontrolle wiederherzustellen. Sie schafften es 1943, Mussolini durch Marschall Badoglio zu ersetzen, mit dem Auftrag, vor den Alliierten zu kapitulieren. Die ,Generalsverschwörung’ von 1944 gegen Hitler war auch das Ergebnis von nichts Edelmütigerem als der nackten finanziellen Kalkulation der deutschen Kapitalist*innen, dass Hitler ihr Vermögen gefährdet.

Spanien degenerierte auch in einen morschen korrupten Polizeistaat. Unter Juan Carlos ist es das instabilste und unfähigste bonapartistische Regime geworden.

Militärdiktaturen

Selbst eine Militärdiktatur braucht mindestens passive Unterstützung. Das Thema wurde Anfang 1974 in der ,Times’ erklärt. Angesichts des Bergarbeiter*innenstreiks, der Wahlniederlage der Tories, der Minderheitsregierung und des Konflikts in Nordirland und mit dem chilenischen Putsch frisch im Gedächtnis diskutierte die herrschende Klasse ernsthaft die Durchführbarkeit eines britischen Putsches. Erst argumentierte ein Strategieexperte, dass die Armee die Ressourcen hätte, um die Macht leicht zu übernehmen. Als Antwort erinnerte sie ein Professor der Universität Sussex – und solche Leute werden dafür bezahlt, die Politik der heißblütigeren Elemente innerhalb der herrschenden Klasse zu zügeln und zu mäßigen –, dass logistische Erwägungen nicht genug sind, dass der Kornilowputsch den bolschewistischen Aufstand hervorrief, dass der deutsche Kapp nach Berlin marschierte und von einem Generalstreik begrüßt wurde und nicht einmal einen Stenografen finden konnte, der seine Erlasse aufgeschrieben hätte. Die Diskussion wurde mit einem Artikel beendet, der erklärte, dass einem Putsch in Großbritannien eine lange Periode von Kämpfen vorhergehen würde, in der die Armee gerufen würde, um der Polizei beim Fertigwerden mit Massenstreikposten, Lebensmittelaufständen etc. zu helfen. Gelegentlich würde der Generalstab am Kabinettstisch einen Vertreter bekommen, um seine Meinung zu politischen Maßnahmen zu sagen und schließlich würde das Militär die Geduld mit den parlamentarischen Nettigkeiten der Politiker verlieren und sie beiseite fegen. Das ist in der Tat der Ursprung der meisten Militärregimes.

Griechenland

Was passiert, wenn das Militär die Macht übernimmt, ohne sich zuerst selbst eine gewisse gesellschaftliche Grundlage zu sichern, wurde ausdrucksvoll in Griechenland gezeigt. Der König, die monarchistischen Generäle, Karamanlis und andere ernsthafte Vertreter*innen der herrschenden Klasse waren mit Recht wütend, als die Obristen in Verbindung mit der CIA überstürzt ihrem sorgfältig vorbereiteten Plan zuvorkamen, die ersten Stufen einer Volksfrontregierung durchzustehen und erst später mit einen NATO-Mechanismus für Eventualfälle einen Putsch zu beginnen. Warum war das so? Sie waren nicht über Nacht Demokrat*innen geworden. Aber als Strateg*innen des Kapitalismus hatten sie einen breiteren Blickwinkel. Sie waren wütend über die unangemessene Hast der reaktionären Obristen, die durch so absurde Maßnahmen wie dem Verbot von langen Haaren und Miniröcken all ihren Vorurteilen freien Lauf ließen. Sie erkannten, dass die Gesellschaft zu komplex ist, um von schäumenden Oberfeldwebeln geleitet zu werden, die mit den Füßen stampfen und dem Volk ,Stillgestanden’ befehlen. Gerade die Brutalität der Diktatur, die die Arbeiter*innen vorübergehend betäubte, würde nun ganz Griechenland nach links kippen.

Die sieben instabilen Jahre der Junta zeigten, wie Recht sie hatten. Griechenland taumelte von einer Krise in die nächste. Es verwandelte sich von einer Monarchie in eine Regentschaft und weiter in eine Republik. Da sie die Arbeiter*innen nicht zähmen konnte, rollte die Junta fieberhaft Banknoten aus der Druckerpresse, um sie zu befriedigen. 1973 sah Studierendenunruhen, dann eine Matrosenmeuterei, dann praktisch einen Aufstand der polytechnischen Schulen und schließlich einen neuen Putsch! Der verhasste Polizeichef Ioannidis stieß Papadopoulos mit der Schulter zur Seite und sagte die versprochenen Wahlen ab. Wie die spanische Polizei 1975-76 handelte er nicht aus Hingebung zu einem Ideal, sondern aus reiner Rattenpanik. Dann kam das verzweifelte Abenteuer des Putsches auf Zypern. Das Regime fand sich in einen Krieg mit den Türken verwickelt. Das unrühmliche Ende der Junta unterstreicht deren Instabilität. Die Marionettenminister von Ioannidis warteten nicht einmal darauf, ihre Rücktritte einzureichen, sondern packten einfach ihre Koffer und flohen und murmelten dabei: „Wir sind eine lächerliche Regierung“. Alles, was die Junta langfristig erreichte, war eine langgezogene Periode einer vorrevolutionären Krise einzuleiten, die von 1974 bis heute dauerte.

Chile

Im Kontrast dazu bereiteten die chilenischen Generäle in Absprache mit den Kapitalist*innen von Chile und den USA sorgfältig den Boden für ihren Putsch. Als General Vaux kurz vor den Wahlen 1970 einen Putsch zu inszenieren versuchte, wies ihn das US-Außenministerium an, zu warten. Allende war drei Jahre lang Präsident in Chile, verstaatlichte wesentliche Teile der Wirtschaft und teilte Reformen aus, die tief in die lebenswichtigen Bereiche des Kapitalismus einschnitten. Die Kapitalist*innen bissen sich auf die Lippen und verschworen sich für ihre Rache. Sie hatten Allende ein feierliches Versprechen abgenommen, an ihrem Staat – Streitkräften und Justiz – oder ihrer Presse nicht herumzumachen. So konnten sie es sich leisten, Zeit zu schinden, während die CIA ,destabilisierte’ und Patria y Libertad die Wirtschaft sabotierte. Allende wagte keine sozialistischen Maßnahmen als Antwort. Die Reaktion rieb die Nasen der Mittelschicht im Chaos, das das Ergebnis war. Als die Generäle die Macht übernahmen, hatten sie die Duldung, wenn nicht gar Sympathie, breiter Gesellschaftsschichten. Dies gab ihnen größeres Selbstvertrauen und Aktionsfreiheit als ihren griechischen Gegenstücken, die aus Angst vor den Arbeiter*innen ständig über ihre Schultern schauten. Gerade die Tatsache, dass die Revolution 1970-73 so weit gegangen war, zwang die Generäle, um so wütendere Unterdrückungsmaßnahmen einzuführen.

Ist Chile dann ein faschistischer Staat? Pinochet und seine Kumpanen sind faschistischer Abschaum, die feierlich erklären, sie wollten ,das Krebsgeschwür des Marxismus entfernen’. Aber das war Papadopoulos auch, der auch schwor, ,Griechenland vom Kommunismus zu heilen’. Er scheiterte jämmerlich! Die Zerstörung der einzigen produktiven Klasse kann nicht einfach auf den Befehl von ein paar faschistischen Offizieren gemacht werden. Wenn die Inflation bis auf 700% steigt, fühlt sich die Mittelschicht betrogen. Sie verachten die Junta. Selbst die christdemokratische Führung, die den Putsch herbeirief, hat das Regime angeprangert. Inzwischen wurde Chile heute, nur vier Jahre nach dem Putsch, von der ersten Streikwelle erschüttert. Was für ein beredtes Zeugnis für die Macht und das Heldentum der Arbeiter*innenklasse!

Pinochet und seine Bande haben faschistische Ambitionen aber nicht die Massenbasis, um sie durchzuführen. Die Arbeiter*innenbewegung wurde nicht zerstört, sondern nur auf den Kopf geschlagen. Sie kann sich von solchen Schlägen viel schneller erholen. Die Konterrevolution war grausam, aber sie regnete nur von oben herunter. Ihre nicht differenzierende Wildheit enthüllt ihre zugrunde liegende Schwäche. Ohne ein Netzwerk von Spitzel*innen, das in jeden Häuserblock, in jede Fabrik eindringt, kann selbst das blutdürstigste Regime die Uhr nicht um eine Generation zurückdrehen, wie es die von Mussolini, Salazar, Hitler oder Franco machten.

Militant sagte 1967 voraus, das die griechische Junta nicht mehr als 5-7 Jahre dauern würde. Dasselbe gilt für das chilenische Regime. Es hat ohne Unterscheidung getötet und willkürlich Bücher verbrannt – und Bücher über den Kubismus dem Feuer überantwortet aus Angst, dass sie Castros verderblichen Einfluss verbreiten würden! Es musste an die Fabrikmanager*innen appellieren, als Spion*innen tätig zu sein, und an Schulrektor*innen, über ihre Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern zu berichten. Solch einem Regime fehlen die menschlichen Ressourcen, um eine ganze Epoche zu gestalten.

Auf der anderen Seite ist es unterdrückerischer als ein klassisches bonapartistisches Regime. Das Abschlachten drückt die verzweifelte Stellung des Kapitalismus aus. Diese Regime kann es sich nicht leisten, mit Bedacht zwischen den Klassen zu manövrieren. Es ist eine Schutzbande, die im Interesse der Monopole tätig ist.

Faschistische Regime sind auf alle Arten von Wegen an die Macht gekommen. In Deutschland übernahm es die Macht, ohne einen Schuss abzufeuern, und fuhr dann systematisch mit der Auslöschung der aktiven Schicht der Arbeiter*innenklasse fort. In Spanien begann es mit einer Militärrevolte, der ein Bürgerkrieg und danach Hinrichtungen folgten, die zusammen zum Abschlachten einer Million Arbeiter*innen führten. In Portugal war es ein relativ unblutiger Putsch, der dann durch eine Politik von wahlloser Folter herrschte. Was sie gemeinsam hatten, war, dass sie die Geschichte um Jahrzehnte zurückwarfen.

Im Kontrast dazu kann selbst das blutdürstigste Regime heute, wie Chile oder Indonesien, nicht auf mehr als eine vorübergehende Atempause der Stabilität zählen. Das Kräfteverhältnis international ist so weit zur Revolution verschoben, das sich nirgendwo auf der Welt eine stabile faschistische Tyrannei festigen kann. Und dies ist der letzte Zweck von politischer Klassifizierung. Der Widerspruch zwischen Faschismus und Bonapartismus reduziert sich selbst auf die brennende Frage – wie stark sind unsere Feinde? Was sind die Aussichten für ihren Sturz?

Was werden die Auswirkungen der chilenischen Junta sein? Wie die griechische Diktatur wird sie zerfallen. Aber die Massen werden nicht einfach da wieder anfangen, wo sie in den Tagen der Unidad Popular aufgehört haben. Damals waren die Aktivist*innen wegen der drohenden Katastrophe alarmiert, stellten die Parteiprogramme in Frage, bauten die ,Cordones’ (Arbeiter*innenräte) auf, stapelten Waffen in den Fabriken. Soldaten, Matrosen, selbst Unteroffiziere versuchten, sich zu organisieren. Aber das politische Niveau der Arbeiter*innen wurde durch das Abschlachten so vieler Aktivist*innen gesenkt und die quälende Armut wird dazu führen, dass sich viele an die Unidad Popular mit Nostalgie als Goldenes Zeitalter erinnern.

Die Masse der Arbeiter*innen wird ihr ihre Versäumnisse vergeben, selbst wenn die politisch bewusstesten die Lehren von 1970-73 gelernt haben werden. Faschismus ist eine Bremse der Geschichte und selbst durch den Versuch der Verwirklichung eines faschistischen Programms hat die Junta vorübergehend den Zusammenhalt der Arbeiter*innen zerstört. Nur wenn die Wirtschaft sich wiederbelebt, werden sich die Arbeiter*innen wieder als Klasse fühlen und sich über ihr Elend zu einer revolutionären Perspektive erheben.

Geändertes Kräfteverhältnis

Die Reaktion heute kann nicht weiter gehen als in Chile. So blutig es auch ist, kein Militärregime kann heute lange dauern – auch wenn es aus genau diesem Grund die Gelegenheit nutzen kann, Millionen Arbeiter*innenaktivist*innen abzuschlachten. Der Nachkriegsboom in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern hat die traditionellen Reserven des Kapitalismus reduziert. Vor dem Krieg konnte die herrschende Klasse zahllose Streikbrecher*innen aus der Mittelschicht anwerben. Aber jetzt sind Bäuer*innen und Kleinunternehmer*innen weitgehend vernichtet; die Angestellten sind organisiert. Die Studierenden schauen nach links. Die Arbeiter*innenklasse in Deutschland ist von 40% 1933 auf 75% heute gewachsen. Die Bäuer*innenschaft ist auf 8% geschrumpft. Nach drei Jahrzehnten ohne ernsthafte Niederlage sind die Arbeiter*innen unermesslich gestärkt. Die sozialen Reserven des Kapitalismus sind gerade durch den Nachkriegsboom tödlich untergraben worden. Die Gesellschaft ist in so groteskem Ausmaß in die Lager von Lohnarbeit und Kapital polarisiert, dass sie wie ein Modell für die allgemeinen gesellschaftlichen Trends aussieht, die im ,Kommunistischen Manifest’ skizziert sind.

Immigrant*innen

Gleichzeitig war eine der wichtigsten gesellschaftlichen Auswirkungen des Booms, abgesehen davon, dass zu Hause Millionen Menschen aus den Zwischenschichten der Gesellschaft in Tätigkeit in der Industrie hineingezogen wurden, dass das boomende Großbritannien und Europa Millionen von Immigrant*innen aus der Karibik, vom indischen Subkontinent, Süd- und Osteuropa, Nordafrika etc. aufsaugte. Der Kapitalismus verzerrte nicht nur die Wirtschaften ganzer Länder, indem er sie von einem Anbauprodukt abhängig machte; er kommandierte ganze Bevölkerungen als Futter für spezialisierte Arbeit in die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder, zum Beispiel Mauritierinnen und Filipinas, die für britische Krankenhäuser angeworben wurden.

Dies sicherte der herrschenden Klasse ein ständiges Angebot an billiger Arbeit. Aber es gab ihr auch die Chance, eine Armee von superunterdrückten Arbeiter*innen zu rekrutieren, denen man viele der Rechte verweigern konnte, die man den einheimischen Arbeiter*innen mit ihrer langen Tradition an Gewerkschaftsorganisation zugestehen musste. So haben wir das Einwanderungsgesetz (Immigration Act, 1971) und selbst die Rückführung überflüssiger Arbeitskräfte in die Heimat in Zeiten der Rezession. Zum Beispiel gingen während der Wirtschaftskrise 1974-76 870.000 Arbeitsmigrant*innen aus den EG-Ländern wieder heim nach Südeuropa.

Rassismus

Eine notwendige Hilfswaffe, um bei der Absicherung dieser Politik der Diskriminierung zu helfen, und ihnen im Notfall „auf ihren Weg“ zurück nach Hause zu helfen, ist das Hochpeitschen rassistischer und chauvinistischer Vorurteile. Die Kapitalist*innen konnten so ihren beliebten Kunstgriff des ,Teile und Herrsche’ wieder zurück nach Hause importieren, den sie so erfolgreich bei der Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft in den Kolonien angewandt hatten, vor allem im britischen Empire, in Indien, auf Zypern, in Palästina, in den afrikanischen Kolonien, Irland etc.

In jedem Fall wurde das Vorhandensein gesellschaftlicher Schichten, die keine nationale Treue zu ihren eigenen Staaten haben, die ein kosmopolitisches und ,wurzelloses’ Erscheinungsbild haben, von der herrschenden Klasse immer als eine Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt angesehen.

Der Montagsclub zum Beispiel veröffentlichte einen Artikel, in dem er eine Ideologie feierte, „die alle Klassen der Nation, reich und arm, zur Verteidigung ihrer Traditionen und Kultur vereinigen würde“, und warnte vor den schädlichen Einflüssen auf die traditionelle Kultur und Gesellschaft durch eine wichtige politisch motivierte fremde Gemeinschaft im Herzen der Nation… Eine fremde Gemeinschaft schuldet keine Treue und hat keine Verbindung zu ihrem Gastland und stellt in der Tat eine ,Antination’ innerhalb der Grenzen dar.“ (Monday World)

Es hat viele frühere Wellen von Einwanderung von Arbeitskräften in die kapitalistische Gesellschaft während früherer Boomperioden gegeben – zum Beispiel flohen irische Bäuer*innen vor dem Hunger oder Jüd*innen vor Pogromen in Osteuropa (die eine ähnliche Rolle spielten wie die nach Ostafrika eingewanderten Asiat*innen heute.)

Diese Teile waren Angriffen ausgesetzt. Die antiirischen Krawalle im 19. Jahrhundert, die antisemitischen Kampagnen in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts (an denen führende Tories wie Winston Churchill eifrig teilnahmen, sogar so weit, dass er die Entlarvung einer „weltweiten jüdischen Verschwörung“ in den gefälschten „Protokollen der Weisen von Zion“ feierte) erreichten ihre Höhepunkt in den mosleyistischen Pogromen der dreißiger Jahre.

Es wäre jedoch falsch, den Kapitalismus eines innewohnenden Rassismus zu beschuldigen. Die Kapitalist*innen sind nicht mehr chronisch rassistisch als sie chronisch patriotisch, christlich oder monogam sind. Kapitalismus hat nur ein Vorurteil – für Profit. Was also immer die persönlichen kleinen Sünden von Enoch Powell sind, als Gesundheitsminister der Tory-Regierung in den fünfziger und frühen sechziger Jahren war er der begeistertste Anwerbebeamte für den Import billiger Arbeitskräfte aus Westindien zur Ausbeutung in Krankenhäusern Großbritanniens.

Während Perioden von Arbeitskräftemangel und überquellenden Auftragsbüchern tritt Rassismus in den Hintergrund und bleibt auf der Ebene von bevormundendem Chauvinismus, der aus den alten Tagen imperialer Größe geerbt ist. Während der Periode des Nachkriegsbooms gab es den Faschismus als ernsthafte Kraft nicht. Sir Oswald Mosley lebte in herrlicher Abgeschiedenheit in Paris und nahm gelegentlich an nostalgischen Zusammenkünften beim Dinner mit seinem alten Freund, dem Herzog von Windsor teil, die beide zweifellos von dem Tag träumte, an dem sie nach England zurückgerufen würden. Am verrückten Rand der Tory-Partei gab es die Liga der Empire-Loyalisten [League of Empire Loyalists], deren Exekutivkomitee mit verwitweten Herzoginnen und Generalmajoren glänzte. Die offenen Nazigrüppchen waren nicht mehr als Cliquen von Perversen und Psychotiker*innen, die sich ihren Fantasien hingaben, wenn sie mit Hakenkreuzen und Schaftstiefeln vor Spiegeln paradierten und auf Tonband Hitlerreden hörten. Dies war zum Beispiel einer der unschuldigeren Zeitvertreibe der Moors-Mörder. Aus dieser Senkgrube sind die gegenwärtigen Führer der National Front, Tyndall und Webster, gekrochen. Die Qualifikation ihrer Mentors Colin Jordan zum Führer wurde beschädigt, als er dabei erwischt wurde, wie er im Supermarkt drei rote Damenschlüpfer klaute. Es sind entlarvende Episoden wie diese, die einen Einblick in die kranke Natur der Gruppen geben, die offen für die Sache des Nazismus eintraten.

In den letzten 10 Jahren wurde das Rassenthema von der herrschenden Klasse systematisch kultiviert, die einen kalten Blick auf die Gefahren wirft, die in dieser Phase von der schrittweisen Bewegung der Aktivist*innen in der Arbeiter*innenbewegung nach links ausgehen. Sie hat jedoch gelernt, dieses Hilfsmittel mit äußerster Vorsicht und Rücksicht auf die Umstände des Augenblicks zu gebrauchen. Sie hat klug jeden Rückzug, jede Enttäuschung, jede Pause im Klassenkampf ausgebeutet. Und sie hat gelernt, diese Themen wieder zurück in den Kühlraum zu stellen, wenn die Bewegung einen neuen Aufschwung nahm.

Rassismus ist letztlich nur eine besonders ekelhafte und gehässige Verfeinerung des Nationalismus. Wann immer die Arbeiter*innenbewegung in einem Moment von Stress und Unsicherheit träge, passiv, schlafend ist, werden unausweichlich bürgerlich-nationalistische Vorurteile nach vorne kommen. Nationalismus rückt vor und zieht sich zurück umgekehrt zur Tätigkeit der Arbeiter*innenbewegung. In keinem Land war der Rassismus reifer als im kaiserlichen Russland, dem Land der Pogrome. Und doch vereinigten sich im Oktober 1917 die hundert Nationalitäten des zaristischen Reiches unter dem Banner von Hammer und Sichel, um die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zu bilden. Heute sind nach einem halben Jahrhundert stalinistischer bürokratischer Herrschaft in jeder dieser Völkerschaften separatistische Tendenzen stärker denn je. In Spanien haben 40 Jahre Faschismus den baskischen und katalanischen Nationalismus verstärkt. Der Zusammenbruch der Volksfront auf Sri Lanka hat den Weg für einen beispiellosen Anstieg kommunalistischer Gewalt bereitet. In Nordirland hat das Sektierertum umgekehrt zu den Wechselfällen des Klassenkampfes zu- und abgenommen. Schottischer Nationalismus ist wegen dem Versagen der Labour-Regierung bei der Lösung auch nur eines Problems zum ersten Mal seit Jahrzehnten eine Kraft geworden. Auch Rassenvorurteile können sich nur in dem Ausmaß verbreiten, in dem die Traditionen der Arbeiter*innenbewegung getrübt und mundtot gemacht werden.

Powellismus

Powells erste Bombe ging 1968 hoch, zu einer Zeit der Enttäuschung, als die Unterstützung für Labour nach den berauschenden Erfolgen bei den Wahlen von ’64 und ’66 bei Nachwahlen und in Umfragen auf 25% bis 28% gefallen war. Als die Gewerkschaften in Opposition zur Labour-Führung gingen und als die Gelegenheit da war, die Atmosphäre des Desillusionierung auszubeuten, traf die kapitalistische Klasse die bewusste Entscheidung, eine Dosis rassistisches Gift in den gesellschaftlichen Blutkreislauf zu spritzen. In den nächsten vier Jahren wurde Powell zu einem populären Volksheld erhoben, jede seiner Äußerungen prangte in den Schlagzeilen. Das hörte erst auf, als dieser unberechenbare und instabile Demagoge die Todsünde beging, 1974 für Labour zu stimmen.

Powells Ausbruch fand in kleinerem Maßstab ein Echo unter rückständigeren Schichten der Arbeiter*innenklasse, obwohl das von den Medien bei weitem übertrieben wurde. Fleischausträger*innen und andere Straßenverkäufer*innen waren immer empfänglich für das Hochpeitschen reaktionärer Vorurteile. Aber sogar die paar Hafenarbeiter*innen, die zur Unterstützung Powells demonstrierten, hätten nicht einfach durch die stärker werdende fromme Heuchelei verführt werden können, mit der seine Worte von allen von der Times bis zur BBC, dem Erzbischof von Canterbury, den Tories und Labour-Größen begrüßt wurden. Sie wollten Antworten auf ihre völlig gerechtfertigten Ängste um ihre Arbeitsplätze.

Der Aufstieg des Rassismus wurde gestoppt, als die Gewerkschaften zu Klassenfragen in Aktion traten und ihre Kräfte gegen die gewerkschaftsfeindliche Regierungsvorlage ,An der Stelle von Konflikt’ und in mehreren größeren Streiks mobilisierte. Selbst der Überraschungssieg der Tory-Partei bei den Parlamentswahlen 1970 demoralisierte die Arbeiter*innenbewegung nicht, sondern spornte sie zur größten Mobilisierung der Klasse seit einem halben Jahrhundert an.

Aber in der ersten kurzen Pause im Klassenkampf, als die Arbeiter*innenbewegung nach den Anstrengungen des Bergarbeiter*innenstreiks von 1972 Atem schöpfte, in dem die ganze Arbeiter*innenbewegung die andauerndste Solidarität gezeigt hatte, verlor die herrschende Klasse keine Zeit, einen anderen hässlichen Versuch in der Frage der Asiat*innen aus Uganda zu machen, die angeblich drauf und dran waren, ,das Land zu verschlingen’. Dies brachte unmittelbar die entsprechende Ernte in Form von Misshandlungen und Brandbombenattentaten auf Immigrant*innen.

Innerhalb von Monaten schnitt jedoch eine neue Aufwallung des Klassenkampfes diesen Prozess ab. Ein Massenstreik nach dem anderen hämmerte unablässig auf die Tory-Regierung ein, bis der zweite Bergarbeiter*innenstreik im Februar 1974 zu ihrem Sturz führte.

Nach diesem Sieg litt die Arbeiter*innenbewegung dreieinhalb Jahre lang unter dem Schock der Weltwirtschaftskrise, der Massenarbeitslosigkeit, der heftigen Kürzungen bei den Reallöhnen und im Soziallohn. Die vorherige Stimmung des Vertrauens, die sich in bestimmten Schichten fast zu einer syndikalistischen Euphorie steigerte, machten bald einer plötzlichen Flaute Platz. Es lag nicht daran, dass die Bewegung nicht die Ressourcen zum Kämpfen gehabt hätte. Es war eine Frage der Loyalität gegenüber der Labour-Regierung und eine Bereitschaft, ihr ,Zeit zu geben’ und auch einer völligen Verwirrung in ihren Reihen, wohin sie nach einer Führung schauen sollten. Die Führer*innen der Labour Party hatten ihre radikalen Posen aufgegeben, die sie in der Schlussphase der Periode der Tory-Regierung angenommen hatten, und konnten nichts als Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiter*innen und einen empörenden Missbrauch der Loyalität ihrer Unterstützer*innen anbieten. Aber der unfreundlichste Schlag von allen kam von den ,linken’ Führer*innen, deren Autorität durch den Kampf gegen die Tory-Regierung verstärkt worden war – Abgeordnete der Tribune-Gruppe wie Michael Foot, der der Haupthandlanger der Regierung für den Umgang mit den Gewerkschaften wurde, und noch mehr die Gewerkschaftsführer*innen, die in den Kämpfen gegen die Tory-Regierung ungeheure Autorität erlangt hatten, Figuren wie Hugh Scanlon, Lawrence Daly und besonders Jack Jones, der der Hauptarchitekt des sogenannten ,Sozialvertrags’ war.

Obwohl die Streikzahlen drei Jahre lang auf einem winzigen Niveau waren und die Arbeiter*innenbewegung sich in Lohnsenkungen fügte, verstand die herrschende Klasse, dass eine riesige Flutwelle von Streiks beginnen würde, sobald der Damm gebrochen war. Gleichzeitig beobachtete sie alarmiert die Schlussfolgerungen, zu denen Aktivist*innen der Arbeiter*innenorganisationen kamen. Die Vorhut der Bewegung nahm schnell die politischen Lehren dieser Ereignisse in sich auf. Der Marxismus gewann Boden in der Wahlkreisorganisationen [der Labour Party]. Im ganzen Land wurde erstmals konsequent die Frage der Nichtwiederaufstellung von Labour-Parlamentsabgeordneten gestellt, eine Frage, für die vor allem Lewisham Nordost symbolisch wurde. Deshalb begann die herrschende Klasse eine Kampagne der Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Labour Party und der Gewerkschaften, die seit dem Beginn des Jahrhunderts ohne Beispiel war. Immer wieder gab es Anordnungen des Obersten Gerichts, wie Stimmen von Gewerkschaften bei Konferenzen gezählt, wie Hauptamtliche ernannt, nach welchen Methoden Wahlen abgehalten werden sollten, die Vorschriften der GMC-Vertretung etc. Gleichzeitig mischte sich die Presse mit hysterischen Kampagnen ein, um zu versuchen, zu bestimmen, wer bei Wahlen Labour-Kandidat*in sein solle, wer als Hauptamtliche*r in der Parteizentrale eingestellt werden solle, und sogar, wer zur Basis der Partei gehören dürfen solle. Es sind nicht nur die besonderen Aktivitäten sogenannter ,trotzkistischer Infiltratoren’, die sie fürchten, sondern die allgemeine Gefahr, dass die Bewegung angemessene Maßnahmen ergreifen würde, um sich gegen die falsche Vertretung durch Tory-Infiltrator*innen wie Reg Prentice zu schützen, die die Labour-Parlamentsfraktion so lange bestimmt haben.

Die herrschende Klasse zog eifrig ihren Nutzen aus der Ebbe im Klassenkampf, um die Aufmerksamkeit auf offensichtliche Sündenböcke abzulenken und einen Brennpunkt für die Reaktion zu liefern. Im Frühjahr 1976 wurde plötzlich wie auf ein vorher vereinbartes Signal eine heftige Pressekampagne gestartet, die rassistische Vorurteile schüren sollte. Diesmal waren es nicht Horden von Asiat*innen aus Uganda, sondern ein paar hundert Asiat*innen aus Malawi, die angeblich drauf und dran waren, ,das Land zu überfluten’, die anscheinend alle in ,Fünf-Sterne-Luxushotels auf Kosten der Steuerzahler’ lebten. Gleichzeitig wurde der merkwürdige ,Hawley-Bericht’ veröffentlicht, der reißerische Bilder von Fluten von illegalen Immigrant*innen malte, die in alle Häfen strömten. Eine freigebige Würzung dieser Berichte mit gepfefferten Berichten über ,schwarze Straßenräuber’ und ,Sozialschmarotzer’ erzeugten ein perfektes Kochrezept.

Es hatte eine unmittelbare Auswirkung in Morden an asiatischen Jugendlichen in Ost-London und Southall und bösartigen Angriffen im ganzen Land. Auf der Wahlebene spiegelte sich der Erfolg dieser Kampagne in der Zunahme an Stimmen für die National Front und andere faschistische Parteien bei Kommunalwahlen und Parlamentsnachwahlen wider.

Immigrant*innenjugend

Aber eine Sache, mit der die Kapitalist*innen nicht gerechnet hatten, war die Kampffähigkeit der neuen Generation der Immigrant*innenjugend, die nicht bereit waren, ihren Kopf dankbar vor dem ,Mutterland’ zu neigen, wie es ihre Eltern getan hatten. Immigrant*innenarbeiter*innen sind in der Wirklichkeit des Klassenkampfes Neulinge, haben aber um so besser die Notwendigkeit gelernt, sich zu organisieren. Während der gewerkschaftliche Organisationsgrad bei der Arbeiter*innenklasse insgesamt bei 50% ist, liegt die Zahl bei Immigrant*innenarbeiter*innen bei 60%. Sie haben sich als die besten Kämpfer*innen bei Streikposten erwiesen. Eine ganze Reihe von heldenhaften Streiks bei besonders ausbeuterischen Betrieben hat das gezeigt, bei Mansfield Hosiery, STC, Imperial Typewriters und vielen mehr. Noch bedeutsamer ist der Kampfgeist, den schwarze Arbeiter*innen Seite an Seite mit weißen Arbeiter*innen in landesweiten Streiks wie denen der Bauarbeiter*innen und Krankenhausbeschäftigten 1973 gezeigt haben. Aber der Geist der einstmals rückständigen Immigrant*innenarbeiter*innen wurde am besten von den Streikposten bei Grunwick gezeigt. Die Grunwick-Arbeiter*innen, die überwiegend Asiatinnen waren, hatten kaum etwas von Gewerkschaften gehört, bevor sie in den Streik traten. Heute haben sie auf dem harten Weg die wirkliche Rolle und Funktion der Polizei, der Gerichte, der Presse, der Tory-Partei und der Gewerkschaftsbürokratie gelernt und erkannt, wo sie unerschöpfliche Reserven an Unterstützung und Solidarität von ihren natürlichen Verbündeten finden können. Die Grunwick-Streikenden haben so ein leuchtendes Beispiel für die ganze Gewerkschaftsbewegung gegeben.

Besonders in den letzten paar Jahren wurde die jüngere Generation der Immigrant*innen zunehmend politisiert. Die politische Wirklichkeit hat sie gezwungen, ihre Augen zu öffnen. Sie sind gezwungen, darüber nachzudenken, in wessen Interesse es ist, dass die Presse rassistische Lügen vergießt, dass die Polizei sie verfolgt und schikaniert, dass die ganze Staatsmaschinerie zum Schutz der National Front vor der Wut der Immigrant*innen-Community mobilisiert wird. Und sie sind gezwungen, ihre vertrauenswürdigsten Verbündeten im Kampf ums nackte Überleben zu suchen. Der Aufstieg der Indischen Jugendvereinigung (Indian Youth Association) und der PNP Jugendbewegung (UK) zeigen das hohe politische Niveau der Immigrant*innenjugend heute an.

Der Southall-Mord stellte einen Wendepunkt in diesem Prozess dar. Er erzeugte einen regelrechten Aufstand dieser Jugend. Tagelang war Southall ein abgeriegeltes Gebiet. ,Wach’gruppen sprossen in vielen Immigrant*innengebieten hervor. Seit dieser Zeit waren Immigrant*innenjugendliche bereit, auf die Provokationen der Faschist*innen in direkten Zusammenstößen zu antworten.

In Wood Green, Lewisham, Brick Lane … standen Immigrant*innen in der vordersten Front der Gegendemonstrationen, die die Faschist*innen zumindest teilweise in die Flucht schlugen. Diese Zusammenstöße waren völlig anders als frühere Geplänkel wie der am Red Lion Square 1974. Wie Militant damals sagte, starb Kevin Gately als Märtyrer im Kampf gegen faschistischen Schläger und Polizeigewalt, aber auch als Märtyrer des leichtfertigen Abenteurertums einer romantischen Sekte von Studierenden, die sich einbildete, dass der Faschismus durch Einzelkämpfe mit Gruppen von ,Racheengeln’ statt durch die Mobilisierung der Arbeiter*innenbewegung gestoppt werden könne. Wir bestanden immer darauf, dass die faschistische Bedrohung nur durch Massenaktion in den Traditionen von Cable Street ausgerottet werden könne, wo eine halbe Million Arbeiter*innen im Oktober 1936 Mosley den Weg versperrte.

Der Kapitalismus erzeugt täglich eine Spur in Form von menschlichen Wracks, verelendeten und in den Bankrott getriebenen Kleinunternehmer*innen. Wir können sie nicht alle von ihren fremdenfeindlichen Neurosen und Wahnvorstellungen heilen. Nur die Schaffung einer neuen Gesellschaft, die harmonische und vernünftige menschliche Beziehungen zur Grundlage hat, kann solche Perversionen ausrotten. Alles was wir tun können, ist, den Kapitalismus daran zu hindern, sie zu einem Kampfverband zu organisieren, sie daran hindern, im Kleinbürger*innentum die Raserei hochzupeitschen, ihre Vorurteile zu verstärken, diese Sadist*innen zu mobilisieren und zu bewaffnen. Wir können sie von der Straße herunterbekommen. Wenn sie in der Privatheit ihrer eigenen Wohnungen sind, sind sie verhältnismäßig harmlos.

Das Kleinbürger*innentum ist seiner ganzen Natur nach schwankend. Sie sind leicht beschwingt und genauso leicht entmutigt. Wie Ted Grant zeigt, gaben Hitler und Goebbels selbst zu, dass die Nazis am Anfang leicht hätten zerschlagen werden können. Eine kleinbürgerliche Bewegung muss den Schwung von ständigen Erfolgen behalten, oder sie verpufft schnell. Ihrer ganzen Natur nach hat sie nicht das Stehvermögen und die Ausdauer, um dem Druck von Massenfeindschaft standzuhalten. Eine scharfe Lehre ist genug, um sie in schnellen Niedergang und Zerfall zu stoßen. Mosleys Schwarzhemden erholten sich nie von dem Schock von Cable Street, der ihren Stoß in die Dunkelheit begann. Die neonazistische deutsche NPD erhielten Ende der sechziger Jahre ebenfalls einen tödlichen Stoß, als sich 20.000 Gewerkschafter*innen zu ihrer Konferenz versammelten und ihre Delegierten in die Flucht schlugen. Die neofaschistische CDS in Portugal erlitt das selbe Schicksal 1974-75 und der Prozess der Reaktion wurde verzögert.

Die National Front

Trotz ihrem ordinären Geprahle, dass sie ,Großbritanniens am schnellsten wachsende Partei’ seien und ihrer Entscheidung, bei der nächsten Wahl über 300 Kandidat*innen aufzustellen, bleibt es eine Tatsache, dass die NF es selbst bei landesweiten Mobilisierungen mit freien Busfahrten für die Teilnehmer*innen niemals geschafft hat, mehr als 1000 Anhänger*innen auf die Straße zu bringen. Das ist das klarestmögliche Anzeichen, dass sie bloß eine Mülltonne für die Proteststimmen von frustrierten Abtrünnigen aus den Lagern der beiden großen Parteien darstellt, die ihre Vorurteile innerhalb der Wahlkabine geheim halten. Die NF kann niemals das Verlangen ihrer Führer*innen erfüllen und eine kämpfende paramilitärische Massenkraft werden, die in der Lage ist, die Gewerkschaftsbewegung anzugehen.

Warum haben sich die Großsprecher*innen der NF als so nervös erwiesen, ihre wirkliche Kraft auf den Straßen zu zeigen? Nicht wegen der Tätigkeiten der ultralinken Gruppen am Rand der Arbeiter*innenbewegung, nicht wegen der Proteste von Scharen von Pfaffen und Gutmenschen, die am Rand die Hände ringen, noch nicht einmal wegen der Mobilisierung massiver Teile der Arbeiter*innenbewegung in diesem Stadium. An erster Stelle stand die Mobilisierung der örtlichen Immigrant*innenjugend zusammen mit den politisch bewusstesten Aktivist*innen der Arbeiter*innenbewegung, die die Führung übernommen und der organisierten Arbeiter*innenklasse den Weg gezeigt haben.

Wir weisen die frommen Proteste der Liberalen und rechten Labour-Führer*innen wie Merlyn Rees gegen diese völlig gerechtfertigten Versuche von Immigrant*innen und Aktivist*innen der Arbeiter*innenbewegung, ihre Gemeinden gegen diese Einschüchterer*innen zu verteidigen, vollkommen zurück. Es ist auch nicht besser, wenn Marxist*innen die Hände erheben und jammern, sie ,hätten auf die Arbeiter*innenbewegung warten sollen’. Das hieße, die Lehre der dreißiger Jahre vollkommen falsch zu verstehen. Cable Street war kein magisches Ereignis, das vom Himmel herabfiel, sondern das Ergebnis einer Reihe kleinerer Vorfälle, in denen die Vorhut der Arbeiter*innenklasse breit war, im Kampf zur Entlarvung des Charakters des Faschismus Leib und Leben zu riskieren. Selbst in Cable Street spielte die örtliche jüdische Bevölkerung eine führende Rolle dabei, auf die Straßen zu gehen. Sie wurden von Hunderttausenden Gewerkschafter*innen unterstützt. Aber damals standen die schwerfälligen offiziellen Gremien der Labour Party und des Gewerkschaftsdachverbandes beiseite. Große Schichten der Labour-Arbeiter*innen kamen zur Cable Street trotz Morrisons Appell, wegzubleiben. Die kleineren Arbeiter*innenparteien am Rand der Arbeiter*innenbewegung steckten auch ihre Energien in diesen großartigen Ausdruck proletarischer Solidarität – die Independent Labour Party und die Kommunistische Partei (die damals noch die Notwendigkeit anerkannte, den Faschist*innen physisch den Weg zu versperren, und nicht wie heute moralistische Appelle an sie machte.) Man braucht gar nicht erst zu sagen, dass man diese Parteien, die die Unterstützung von Zehntausenden von Industriearbeiter*innen hatten, nicht mit den kleinbürgerlichen Sekten von heute vergleichen kann. Cable Street gehörte zu den größten Demonstrationen, die je in Großbritannien abgehalten wurden und örtliche Vorfälle in Lewisham und anderswo sind in keiner Weise vergleichbar.

Wie man die National Front bekämpft

Die LPYS und die Unterstützer*innen von Militant spielten eine entscheidende Rolle in Lewisham und bei anderen Demonstrationen. Die Antirassismus-Kampagne der LPYS 1973-74 hatte ihren Höhepunkt in der Demonstration von etwa 3000 Gewerkschafter*innen in Bradford – die trotz ihrer geringeren Größe ein Modell dafür war, wie man Rassismus wirksam bekämpft – und in Walthamstow im Januar 1974, als die LPYS erfolgreich mobilisierte, um die Gefahr zu bekämpfen, dass Labour-Treffen von Faschist*innen gesprengt würden. Auch in Lewisham und anderswo konnte die LPYS 1977 den Energien der unorganisierten schwarzen Jugend Führung geben, während die Sekten in Verwirrung und Unordnung waren.

Die Sekten haben versucht, auf den Zug der Reaktion der Immigrant*innen gegen faschistische Provokationen aufzuspringen und die kapitalistische Presse war nur zu scharf darauf, die Aufmerksamkeit auf ihre Aktivitäten zu lenken und diese Zusammenstöße als private Bandenkriege zwischen rivalisierenden ,Extremisten’gruppen darzustellen, die „Jacke wie Hose“ sind, als politisches Gegenstück zu Fußball-Hooligans. In Wirklichkeit fanden die Aktivitäten dieser Sekten völlig am Rande statt. Für diese Eindringlinge ist es ein verzweifelter Kampf, die Schwarzen von ihren natürlichen Verbündeten zu isolieren, der Arbeiter*innenbewegung. Deshalb bestehen sie darauf, die Rolle der organisierten Arbeiter*innenbewegung an sich zu reißen und ihre eigenen kleinen Kräfte als den einzigen Schutz der Immigrant*innen gegen den Faschismus darzustellen. Schließlich besteht die einzige Existenzgrundlage für diese Splittergruppen darin, dass sie die ersten unbeholfenen Schritte der bisher unorganisierten Schichten, die frisch in den Klassenkampf treten – Frauen, Schwarze, Studierende etc. – überwachen und versuchen, sie gegen die Arbeiter*innenbewegung zu vergiften, indem sie auf die konservative Rolle der Bürokratie abheben, die bisher so wenig gemacht hat, sie in ihre Reihen zu holen. Diese Schichten sind lebenswichtige Hilfstruppen für die kampferprobten schweren Bataillone der Arbeiter*innenbewegung und in Zeiten der Revolution zum größten Heldentum und zur größten Aufopferung fähig, und in bestimmten Augenblicken den traditionellen organisierten Arbeiter*innen sogar weit voraus. Nur indem die Sekten ihnen einreden, dass sie die schwerfällige Maschine der Arbeiter*innenbewegung nie in Bewegung bekommen können, können sie irgend eine Hoffnung haben, eine soziale Basis für ihre eigenen Organisationen zusammenzukratzen.

Vergeblich! Für die Immigrant*innen selbst sind die Fragen zu ernst, um durch leichtfertiges Geplapper über ,Zwischenfallzentren’, ,Wachen’ und ,schwarze Selbstverteidigung’ gelöst zu werden. Nichts wäre verächtlicher gegenüber den Immigrant*innen, als ihnen hochnäsige Zugeständnisse über ihr ,Recht’ zu machen, sich selbst zu verteidigen. Sozialist*innen sind natürlich für das Recht aller Individuen und Communities auf Selbstverteidigung gegen die Angriffe von Fanatiker*innen. Aber das Problem endet hier nicht. In Nordirland haben wir die erdrückende Widerlegung dieser Idee. Ganze paramilitärische Armeen, die mit den ausgefeiltesten Waffen versehen sind, haben sich als unfähig erwiesen, ihre jeweilige Community wirklich zu schützen. Es ist nicht unsere Aufgabe, den Schwarzen bloß ihre ,Rechte’ zuzugestehen, wir müssen eine Führung auf der Grundlage der konzentrierten geschichtlichen Erfahrung der Arbeiter*innenklasseanbieten. Marxist*innen müssen auf dem Thema herumreiten, dass es nur eine Kraft in der Gesellschaft gibt, die stark genug ist, die Lebensgrundlage und in der Tat die Leben der Arbeiter*innen zu schützen, die stark genug ist, letztlich das Gesellschaftssystem wegzuspülen, das Rassismus und Faschismus produziert – die Gewerkschafts- und Arbeiter*innenbewegung mit mehr als 11 Millionen ,Soldat*innen’ in ihren Reihen.

Es stimmt, dass die Arbeiter*innenklasse nicht aus Heiligen besteht. Arbeiter*innen werden mitten im Dreck und Schleim des Kapitalismus geboren, Arbeiter*innen sind der täglichen Gehirnwäsche der Medien ausgesetzt, die jedes rückständige Vorurteil bezüglich Rasse, Frauen, Glücksspiel, Fluchen etc. verstärken. Aber die Arbeiter*innenbewegung ist die Verkörperung alles dessen, was in der Gesellschaft am fortschrittlichsten ist, der Embryo des Sozialismus in der Gebärmutter der alten Barbarei, ein lebendiges Zeugnis der Tatsache, dass die Arbeiter*innen keine Alternative haben, als sich über die Spaltungen von Berufsgruppe, Nationalität, Geschlecht oder Rasse zu erheben und den auf Streikposten gelernten Lehren organisatorische Dauerhaftigkeit zu geben.

Marxist*innen können das Ausmaß rassistischer Vorurteile innerhalb der Arbeiter*innenklasse nicht dadurch bestimmen, dass sie Momentaufnahmen von Meinungsumfragen oder Wahlergebnisse heranziehen. Sie betrachten die Frage dialektisch, in Bezug auf die Ebben und Fluten des Klassenkampfs.

Die jüngsten rassistischen Angriffe haben der Arbeiter*innenbewegung einen Schauer des Abscheus über den Rücken gejagt. Nach der Katastrophe der dreißiger Jahre verstehen die organisierten Arbeiter*innen instinktiv bis ins Knochenmark hinein, dass man dem Faschismus nie wieder den Sieg erlauben darf. Diese hässlichen Angriffe haben wie eine Impfung gegen einen tödlichen Bazillus gewirkt, die den Widerstand der Antikörper aufbauen und die Bewegung gegen die Gefahr künftiger viel heftigerer Angriffe einer faschistischen Massenbewegung immunisieren.

Deshalb gewannen die Ideen der Marxist*innen darüber, wie man den Faschismus bekämpfen muss, innerhalb der Arbeiter*innenbewegung in den letzten ein bis zwei Jahren gewaltigen Respekt und Ansehen. Die auf der Labour-Party-Konferenz von 1976 verabschiedete Resolution zu Rassismus wurde von LPYS-Mitgliedern eingebracht und begründet und mit überwältigender Mehrheit verabschiedet. Auf die Initiative der LPYS rief der Vorstand der Labour Party gemeinsam mit dem Gewerkschaftsdachverband zu einer Massendemonstration von 30.000 Arbeiter*innen gegen den Rassismus auf. Das ist mehr als das, wozu die Labour Party in den dreißiger Jahren auf nationaler Ebene gegen Mosley zu tun bereit war. Die dumme Taktik des Vogel Strauß, den Kopf in den Sand zu stecken und zu hoffen, dass die Faschist*innen einfach verschwinden würden, wenn wir ihnen keine ,Publizität’ geben – eine Haltung, die sich für die Arbeiter*innenparteien in Italien und Deutschland als selbstmörderisch erwies – diese Haltung wird zwar immer noch von rechten Labour-Führer*innen wie Marlyn Rees zum Ausdruck gebracht, herrscht aber in der Labour Party nicht mehr vor. Auch in den meisten Gewerkschaften wurden Initiativen ergriffen, Flugblätter zu verteilen und Bildungskampagnen zu diesen Fragen zu machen. Auf dieser frühen Stufe im Kampf zur Verteidigung der Arbeiter*innenbewegung gegen den Faschismus sind das gute Vorzeichen.

Dies ist jedoch nicht das, was wir mit einer wirklichen Kampagne meinen. Das Unkraut des Rassismus muss ausgerissen werden, bevor es wächst. Der einzige Weg, es zu zerstören, besteht darin, die volle Macht der Autorität der Gewerkschaftsbewegung zu verwenden, Betriebsversammlungen während der Arbeitszeit abzuhalten, Warnstreiks zu organisieren und falls nötig später sogar einen Warn-Generalstreik, um in der ganzen Arbeiter*innenklasse deutlich zu machen, wie todernst die Sache ist. Die Faschist*innen sind die Fünfte Kolonne der Bosse. Man darf ihnen nicht erlauben, dass sie einen Fuß in die Betriebe kriegen, wo ihre einzige Wirkung sein wird, dass sie Arbeiter*innen gegen Arbeiter*innen wenden. Sie müssen aus den Gewerkschaften und aus den Betrieben entfernt werden, um sie zu neutralisieren. Darüber hinaus darf niemandem, der auch nur leicht von rassistischen Vorurteilen befleckt ist, erlaubt werden, in der Arbeiter*innenbewegung Funktionen innezuhaben, sei es als Abgeordnete, als Gemeinderät*innen, Gewerkschaftsfunktionär*innen, Vertrauensleute etc. Andernfalls würde die Aufgabe behindert, Arbeiter*innen aller Rassen in die Bewegung zu integrieren.

Selbst die beschränkte Reaktion der Bewegung bisher hat zusammen mit dem Widerstand der Immigrant*innen die herrschende Klasse in Panik gestürzt. Es ist bemerkenswert, dass die früher freundliche Propaganda der Presse gegenüber der NF, die sie als Partei von ,Patrioten’ und Anhänger*innen von ,Recht und Ordnung’ darstellte, nach den Southall-Ereignissen plötzlich aufhörte, noch klarer nach dem Zusammenstoß in Lewisham. Die Nazi-Herkunft von Tyndall und Webster kam erst danach ans Tageslicht. Ähnlich änderten sich über Nacht die frommen Heucheleien über ,Redefreiheit’, die bis zum 13. August 1977 vorherrschten, in Appelle für ein Verbot der ,provozierenden Märsche’.

Es war die Warnung des Sekretärs der Nordwestregion des Gewerkschaftsdachverbandes, dass bis zu 20-30.000 Gewerkschafter*innen an der Gegendemonstration gegen den NF-Marsch in Hyde teilnehmen würden, die dazu führte, dass dieser Marsch von den Behörden ,verboten’ wurde. Aber was an dem Tag geschah war eine vollständige Bestätigung der allein von den Marxist*innen vertretenen Haltung bezüglich der Wirksamkeit von vom Staat verkündeten ,Verboten’. In diesem Fall nutzte die NF das ,Verbot’, um mit der Arbeiter*innenbewegung in schamloser Zusammenarbeit mit der Polizei Versteck zu spielen. Der Polizeichef gab zu, dass er die schließliche Route des Marsches geheim hielt, so dass die Gegendemonstrant*innen raten mussten und ihre Kräfte verstreut wurden. Was für eine Ironie für ,Großbritanniens am schnellsten wachsende Partei’! Sie kann es nur unterfangen, auf die Straße zu gehen, wenn sie die Route geheim hält. Ein Mann, der fette NF-Organisator Martin Webster, musste sich hinter 4000 Polizist*innen versteckten, um sein ,demokratisches Recht’ auszuüben, die angekündigte Route entlangzulaufen! Nein, zu erwarten, dass Polizei und Gerichte gegen die NF vorgehen, ist naiv. Wie das Gesetz über die öffentliche Ordnung (Public Order Act) von 1936 wird sich jedes Gesetz, das angeblich auf die Faschist*innen abzielt, als Bumerang gegen die demokratischen Rechte der Arbeiter*innenbewegung erweisen. Nur eine Kraft kann den Faschismus ,verbieten’ – die Arbeiter*innenbewegung, die ihnen physisch die Benutzung der Straße verweigert.

Nach dem Zusammenstoß am Red Lion Square 1974 krächzten und prahlten die NF-Führer: „Die Polizei soll aus dem Weg gehen, dass wir uns um den roten Abschaum kümmern können!“ Heute müssen sie nach Polizeischutz jammern und heulen. Das ist ein Maß dafür, wie sich das Kräfteverhältnis verändert hat.

National Front in der Krise

Wenn wir uns die kleinen faschistischen Gruppen aus menschlichem Abfall ansehen, die heute über Europa verstreut sind, sehen, wir einen einen klaren Fall von Marx’ berühmten Satz: Geschichte wiederholt sich, „das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“ Welche Chance haben sie nach dem Zusammenbruch der Diktaturen in Portugal, Griechenland und Spanien? Kräfte, die vor einer Generation die Fanfare eines ,tausendjährigen Reiches’ ertönen ließen, haben jetzt selbst das Bestreben aufgegeben, eigenständig die Macht zu übernehmen. Der MSI in Italien, der die Förderungen und Subventionen des Großkapitals und von christdemokratischen Funktionären genoss und ein großes Waffenarsenal anhäufte, um die Arbeiter*innenklasse einzuschüchtern, hat seine aussichtslosen Träume auf die Wiedererrichtung des Ruhmes von Mussolinis Reich aufgegeben. Er versucht nur, durch Bomben, Morde und Zusammenschlagen Panik und Verwirrung zu säen, auf die gleiche Weise wie die chilenische Patria y Libertad, um die Atmosphäre der Unsicherheit zu verstärken, die die Mittelschicht erfasst. Dadurch wollen sie sie in die Unterstützung für eine autoritäre Militärdiktatur jagen, die dann ,Recht und Ordnung’ bieten würde. Sie werden nur als Hilfs- und Reservewaffen beibehalten. Aber die italienische herrschende Klasse ist in den letzten 17 Jahre mehrfach bis an den Rand eines Militärputsches gegangen, wobei bis hin zu Datum, Ort und Personal alles organisiert war, nur um im letzten möglichen Moment voll Grauen zurückzuweichen. Italien 1977 ist nicht mal mit Griechenland 1967 vergleichbar. Wenn bis zu 20 Millionen Arbeiter*innen an Warn-Generalstreiks teilnehmen, würde jeder Schritt in diese Richtung eine Bürgerkriegserklärung bedeuten – und die Kapitalist*innen fühlen sich heute nicht sicher, dass sie gewinnen könnten.

Die National Front wurde vor zehn Jahren als eine Vereinigung verschiedener Splittergruppen gebildet, von den Ex-Nazis von Greater Britain Movement [Bewegung für ein größeres Britannien] und British National Party zu den Reaktionären und Betonköpfen der Liga der Empire-Loyalisten. Da es nur Platz für einen Führer pro Partei gab, musste jeder Paranoiker seine eigene Partei aufmachen, um seinen Wahnvorstellungen nachzugeben. Aber Tyndall und Webster waren die einzigen Faschisten mit einer gewissen Nase für politische Perspektiven. Sie sahen, dass es selbst für den Aufbau einer ernsthaften Splitterpartei notwendig war, die Aufmachung von Hakenkreuz, Schaftstiefeln und Hitlerkult abzuwerfen und eine Wende zum rechten Flügel der Tories zu machen. Indem sie die LEL hofierten und später geschickt den Montagsclub der Tories infiltrierten, der sich klar in Richtung auf klassische faschistische Ideen zu bewegte, machten sie große Fortschritte und schafften es vorübergehend, sich eine respektable Kleidung zuzulegen. Aber die jüngsten Ereignisse haben ihnen den Deckmantel weggerissen. Tyndall und Webster sind persönlich zu sehr mit dem Nazismus befleckt, dass sie die NF selbst in eine Massenpartei umgestalten könnten.

Es hat in der NF schon eine Spaltung gegeben. Der frühere Tory-Gemeinderat John Kingsley Read, der privat prahlte, er sei „ein größerer Nazi als alle anderen“ bildete die konkurrierende ,National Party’ als Versuch, die vernichtenden Schwächen Tyndalls auszubeuten. Diese Partei hat sich jetzt viermal gespalten. Diese Zersplitterungen sind nur die ersten von vielen, ein Vorgeschmack auf den kommenden Zerfall der NF. Der selbe Prozess hat zu einer lähmenden Spaltung in der italienischen MSI geführt.

Die NF ist gefangen zwischen der Notwendigkeit, die Schläger aufzupeitschen und ihnen den Nervenkitzel eines Kampfes zu bieten, und der Notwendigkeit, dem Kleinbürger*innentum ihre Respektabilität zu versichern. Sie wird in entgegengesetzte Richtungen getrieben werden. Dies wird ein um so intensiverer Widerspruch werden, wenn sich der Klassenkampf wiederbelebt. Unter der Tory-Regierung von 1970-74 wurde die NF in Verwirrung gestoßen, welche Haltung sie gegenüber der Streikwelle einnehmen solle. Im einen Augenblick klagte sie die Tories an, dass sie „den Klassenkampf gären lassen und die Nation spalten“ und sprachen davon, das Einfrieren der Löhne abzulehnen, um sich in den Gewerkschaften einzuschmeicheln. Im nächsten Atemzug forderten sie die Einführung des [Antistreikgesetzes] Industriebeziehungsgesetz (Industrial Relations Act), um die Gewerkschaften zu ,disziplinieren’, um das bankrotte Kleinbürger*innentum zu hofieren. In den letzten drei Jahren von verhältnismäßig großem Arbeitsfrieden konnten sie auf zwei Pferden gleichzeitig sitzen – aber bisher sind sie zumindest nicht in entgegengesetzte Richtung galoppiert. Aber die völlige Verwirrung der NF wegen Grunwick ist belustigend – gegen die schwarzen Arbeiter*innen und gegen die NAFF [National Association for Freedom, Nationale Vereinigung für die Freiheit], gegen Ward und gegen den ,Mob’, der Streikposten steht … eine faschistische Partei kann nur auf der Grundlage der Befriedigung der Vorurteile des ruinierten Kleinunternehmer*innentums gebaut werden, das traditionell die Tories unterstützt hat, und das heißt, sie werden sich für einen platten Antigewerkschaftskreuzzug entscheiden müssen. Und das wird ihnen ihre letzten kleinen Unterstützungsbasen in den Gewerkschaften abschneiden.

Die Handvoll Schläger wird zunehmend unzufrieden über die öffentlichen Behauptungen der NF sein, dass sie keine Nazis seien. Sie werden von offenen Nazibanden wie der British Movement, Column 88 und der League of St. George (deren Mitgliedschaft sich mit der der NF sowieso überschneidet) angezogen werden. Das Beispiel von Derek Day und seinen Hoxton-Straßenhändlern zeigt den Trend. Auf der anderen Seite wird die Masse des kleinbürgerlichen Mobs in der nächsten Phase viel Platz für sich in der Tory-Partei von Thatcher und Joseph finden. Gruppen wie die National Association for Freedom, die zweifellos aus sehr dubiosen Quellen finanziert wird, die ,Anti-Communism Movement’ der notorischen Streikbrecher von Witwe Lady Birdwood und andere neue Gruppierungen wie die Middle Class Association [Mittelschichtvereinigung] (geführt von einem Tory-Abgeordneten) und die National Federation of the Self-Employed [Nationale Vereinigung der Selbständigen], zeigen heute unter verhältnismäßig unschuldigen Titeln die Umrisse von etwas, was später eine faschistische Massenbewegung werden könnte.

Der Montagsclub, der eine solide Basis in der Tory-Partei hat, hat zur „Zurückweisung der liberalen Demokratie, die das Volksvermögen zur Wahlbestechung ausplündert“ aufgerufen, da „Regierung zu wichtig ist, um sie der Demokratie zu überlassen.“ Er hat Salazar als Staatsmann gepriesen, der „die hohen Werte der menschlichen Persönlichkeit und der christlichen Bestimmung des Menschen“ förderte. Die NF kündigte an, dass „der Montagsclub einen nützlichen Zweck als Sammelpunkt und Rekrutierungsfeld hat“ und der Montagsclub gab das Kompliment zurück, indem er die „beachtlichen Beiträge“ von „außerparlamentarischen Kräften auf der Rechten“ (Monday World) öffentlich begrüßte.

Bis 1964 waren die Großkonzerne in der Führung der Tory-Partei durch weitsichtige Strategen wie Churchill, Eden und Macmillan gut vertreten. Nach einem leichtsinnigen Zwischenspiel unter Sir Alec Douglas-Home kam die Heath-Ära, in der Senkrechtstarter der City und Großindustrielle die Führung übernahmen, die direkte und fügsame Marionetten der Großkonzerne waren und nach Großbritanniens langem geschichtlichen Niedergang nicht mehr den selben Spielraum für Manöver hatten. Jetzt zwang der Druck des reaktionären Mobs in den Vereinigungen die Abgeordneten, für die völlig hirnlose Führung von Thatcher zu stimmen, neben der Heath wie ein Staatsmann aussieht. Schließlich wurde er von den Bergarbeiter*innen und der Arbeiter*innenklasse allgemein ,gemäßigt’, Lehren, die Thatcher erst noch verarbeiten muss.

Auf jeden Fall hat die herrschende Klasse schwere Bedenken, Rassenthemen zu sehr hochzupeitschen. Sie wollen in diesem Stadium jede Vorstellung vermeiden, dass sich eine nordirlandartige Lage entwickeln könnte und es für Schwarze „verbotene Zonen“ etc. gibt. Neben anderen Erwägungen müssen sie die veränderte Rolle des britischen Imperialismus berücksichtigen, der jetzt von Handels- und Investitionsverbindungen mit formell unabhängigen Kolonialregimes abhängt, deren Stellung unhaltbar würde, wenn sie Verbindungen mit Großbritannien aufrecht erhielten, in dem ihre eigenen ,Blutsverwandten’ Opfer eines ,Rassenkrieges’ wären. Außenminister David Owen schrieb im ,Observer’ (9. 10. 77), dass die Labour-Regierung „aus Überzeugung und politischem Prinzip unversöhnlich Rassismus in allen seinen Formen ablehnt“ und hatte die Offenheit auch noch darauf hinzuweisen: „das ist nicht nur unsere moralische Verpflichtung; es ist die Geltendmachung unserer langfristigen nationalen Interessen. Letztes Jahr betrug der Handel mit Südafrika in beide Richtungen mehr als 600 Millionen £. Schwarzafrika nahm mehr als 1,3 Milliarden £ an britischen Exporten, doppelt so viel wie Südafrika. Nigeria hat jetzt Südafrika als unser größter einzelner Handelspartner auf diesem Kontinent ersetzt.“

Der britische Kapitalismus hat daher viel zu verlieren, wenn er weitverbreitete rassistische Gewalt zu Hause duldet. Es ist bedeutsam, dass Tyndall zugab, dass ihm Geld von einem großkapitalistischen Konsortium angeboten wurde, wenn er die Rassenfrage fallen ließe und sich auf die Antigewerkschaftshetze und die Notwendigkeit von ,Disziplin’ und ,Recht und Ordnung’ konzentriere. Dies ist ein Hinweis auf die Art von faschistischer Massenbewegung, die sich später entwickeln könnte, die sich in den Union Jack [die britische Flagge] hüllt und an nostalgische Gefühle für das Kolonialreich appelliert und die Rassenfrage auf den zweiten Platz schiebt.

Solch eine Partei könnte immer noch keine Hoffnung haben, selbst die Macht zu übernehmen. Sie könnte jedoch eine entscheidende Rolle als Hilfstruppe für die offiziellen Staatsorgane spielen und den Weg für eine militärische Machtübernahme wie die von Chile bereiten.

Nie wieder werden die Kapitalist*innen die Macht unberechenbaren Irren wie Hitler und Mussolini anvertrauen, die sich selbst an ihren Tiraden berauschen und blind für die Wirklichkeit werden. Letztes Mal endeten sie damit, dass halb Europa für die Herrschaft von Großgrundbesitz und Kapitalismus verloren ging. Es war selbst damals nie ihre ursprüngliche Absicht, diesen Leuten die Macht zu geben. Im entscheidenden Moment merkten sie, dass sie sich dahin manövriert hatten, als kleineres Übel im Vergleich zur Revolution auf die tägliche Kontrolle über ihren eigenen Staat zu verzichten. Sie werden jetzt entschlossen sein, sicherzustellen, dass ihre faschistischen Banden fest an ihrem Platz gehalten werden, in den Grenzen ihrer klassischen Funktion als inoffizielle freiwillige Hilfstruppen, als Schläger, Provokateure und Mörder.

Wenn jemals einer Militärdiktatur erlaubt würde, in Großbritannien die Macht zu übernehmen, würde sie die chilenische Junta liberal aussehen lassen. Sie würde sofort die Gelegenheit ergreifen, Hunderttausende Aktivist*innen der Gewerkschafts- und Arbeiter*innenbewegung zu liquidieren, gerade weil sie sich ihrer eigenen unsicheren Basis bewusst wäre. Aber selbst dann könnte sie unter modernen Bedingungen nie Erfolg haben, sich zu stabilisieren. Wenn im rückständigen Portugal Parteien mit Basis in der Arbeiter*innenklasse, die nur ein Drittel der Bevölkerung ausmacht, sich wie ein Phönix aus der Asche erhoben und 1975 zwei Drittel der Stimmen gewannen, wenn heute Spanien und Italien die ,unregierbarsten’ Länder Europas sind nach 22 Jahren Mussolini und 40 Jahren Franco, dann ist die Lehre klar. Der Kapitalismus überlebt zwar, aber der Klassenkampf auch und die politischen Ideen, die das Streben der ganzen Gesellschaft zur Lösung des Konflikts in einer sozialistischen Organisation der Gesellschaft ausdrücken.

Nur nach einer Reihe von vernichtenden Niederlagen könnten die Arbeiter*innen in irgend einem fortgeschrittenen kapitalistischen Land Opfer der Konterrevolution werden. Das zeigt sich in den Schwankungen der italienische herrschenden Klasse, einen Militärputsch durchzuführen, die einzige Politik, die ihr vorübergehend die Stabilität sichern würde. Das Kräfteverhältnis zwischen den zwei gegensätzlichen Giganten, der Arbeiter*innenbewegung, in der Millionen Arbeiter*innen wimmeln, die zunehmend qualifiziert und gebildet und von grenzenlosem Einfallsreichtum, Erfindergabe und Ausdauer sind, und das Kapital, das den industriellen Reichtum der Gesellschaft in der Hand von ein paar Monopolen konzentriert hat, dieses Kräfteverhältnis hat sich unwiderruflich auf die Seite der Arbeiter*innen verschoben.

Die letzten zerlumpten Überbleibsel des europäischen Vorkriegsfaschismus auf der iberischen Halbinsel wurden zerstört. Aber das bedeutet nicht, dass der Faschismus nicht mehr als ein Ausstellungsstück im Museum für politische Altertümer ist, wie Sklaverei und Königsrechte von Gottes Gnaden. Die Aktivitäten der Faschist*innen in ihrer neuen Gestalt mit einem Achselzucken abzutun wäre genauso unverantwortlich wie eine hysterische Reaktion. Der Kapitalismus wird zögernd in eine Machtprobe mit der Arbeiter*innenbewegung gezogen. In den herannahenden Klassenschlachten in Europa wird die ganze latente Macht der Arbeiter*innenbewegung auf betrieblicher Ebene in revolutionäre Energie verwandelt werden. Die Arbeiter*innen werden viele Gelegenheiten haben, die Gesellschaft zu ändern, aus unausweichlichen Rückschlägen auf dem Weg zu lernen, alternative Programme zu testen und eine Partei aufzubauen, die in der Lage ist, ihre Energien nutzbar zu machen, bevor sich die Möglichkeit herauskristallisieren wird, dass sie erneut ein Opfer der Konterrevolution werden könnte. Aber die chilenische Niederlage bleibt als düstere Warnung vor den Schrecken, die über uns hereinbrechen könnten, wenn wir nicht entschlossen handeln.

Wir bringen diese Broschüre wieder heraus, die eine brillante Einsicht in die geschichtliche Bilanz des Faschismus, in die von der britischen herrschenden Klasse ihm gegenüber eingenommene Haltung gibt. Wir sind zuversichtlich, dass sie einen wichtigen Beitrag zu der entscheidenden Diskussion leisten wird, die jetzt in Schwung kommt, dass sie helfen wird, die Arbeiter*innenbewegung für die bevorstehenden großen Kämpfe politisch zu bewaffnen.

Roger Silverman

Dezember 1977


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