Lynn Walsh: Weltwirtschaft: Der Kapitalismus steuert in einen Sturm

[eigene Übersetzung des englischen Textes in „The Socialist“ Nr. 887, 3. Februar 2016]

Jedes Jahr trifft sich die kapitalistische Elite dieser Welt zum „Weltwirtschaftsforum“ im noblen schweizerischen Ski- und Ferienort Davos. Dieses Jahr war die vorherrschende Stimmung Angst, der Grundgedanke Pessimismus. Sie fürchten, dass die Weltwirtschaft auf einem Sturm zusteuert. Und tatsächlich segelt der Weltkapitalismus schon jetzt in unruhigen Gewässern.

Von Lynn Walsh

Seit dem Wirtschaftseinbruch der Jahre 2007 bis 2010 gab es nur eine langsame, schwächliche „Erholung“. Das Wachstum verlief seither eher schwerfällig, mit der teilweisen Ausnahme der USA.

Das Weltwirtschaftswachstum (reales Bruttoinlandsprodukt) lag von 2003 bis 2012 im Durchschnitt bei vier Prozent. Diese Periode umfasste sowohl einen Boom als auch den Wirtschaftseinbruch von 2007 bis 2010. 2013 bis 2015, angeblich eine „Erholung“, betrug das globale Wachstum durchschnittlich nur 3,1 Prozent. Die entwickelten OECD-Wirtschaften hatten 2003 bis 2013 durchschnittlich Wachstum von 1,7 Prozent und 2013 bis 2015 1,7 Prozent. Das war kaum eine dramatische Erholung.

Europa und Japan stagnieren. Die „Quantitative Lockerung“, die Bereitstellung günstiger Kredite durch die Zentralbanken, schaffte es nicht, die Produktion von Waren und Bereitstellung von Dienstleistungen wiederzubeleben. Eine Austeritätspolitik mit drastischen Kürzungen der Staatsausgaben hat die Erholung zurückgehalten und zu chronischer Massenarbeitslosigkeit geführt. Bisher hat die Quantitative Lockerung nur neue Blasen bei Immobilien, Aktien und Wertpapieren erzeugt.

Billige Kredite stimulierten umfangreiche Investitionen des Westens in den Entwicklungsländern, den sogenannten „Schwellenländern“, was eine ganze Reihe von Blasen bei Immobilien, Rohstoffen und Finanzanlagen aufgebläht hat. Dies war eine der Hauptquellen für das globale Wachstum in den letzten paar Jahren.

Doch die scharfe Wachstumsabkühlung in China und der Einbruch des Ölpreises haben all das geändert. Es gibt einen massiven Abfluss von Kapital aus halb entwickelten Ländern, einschließlich China. Ihre Exporte sind eingebrochen. Russland, Brasilien und eine ganze Palette an Rohstoff-exportierenden Ländern stehen nun vor einem wirtschaftlichen Einbruch und sozialen Unruhen. Die Schwellenländer, die aufstrebenden Märkte, sind abtauchende Märkte geworden. Sie versinken wie löchrige Schlauchboote.

Jahrelang war China die Hauptlokomotive des Weltwachstums. Von 2003 bis 2012 wuchs das reale BIP um durchschnittlich 10,5 Prozent im Jahr. Dies ging jetzt 2015 auf 6,8 Prozent zurück, und selbst dies wird weithin als übertriebene Zahl betrachtet. Jetzt sind die Abkühlung und die Ängste vor einem katastrophalen Entgleisen eine Quelle der Krise.

Diese Trends spiegelten sich im Finanzsektor mit den jüngsten Schwankungen der globalen Börsen wider. In Davos bejammerten die führenden Vertreter*innen zwar diese Tendenzen. Es wurde aber klar, dass niemand von ihnen irgendeine Idee hat, wie man eine neue Krise verhindern kann.

Das Öl

In der Vergangenheit kam billiges Öl dem Kapitalismus üblicherweise zugute. Heute ist es einer der Gründe für die Krise.

Führende Öl-produzierende Länder wie Russland, Nigeria und Saudi-Arabien sind von riesigen Öl-Einnahmen abhängig geworden. Der Einbruch der Ölpreise von über einhundert Dollar pro Barrel im letzten auf dreißig Dollar pro Barrel in diesem Jahr hat ihre Staatshaushalte schwer getroffen. Das gilt auch für staatliche Subventionen für Lebensmittel, Wohlfahrt und Bildung.

Es gab auch einen Einbruch der Rohstoffpreise (vor allem bei den mineralischen Rohstoffen). Das hat die Exporteinnahmen von Ländern wie Brasilien drastisch reduziert.

Die OPEC-Produzent*innen haben sich bisher geweigert, die Fördermengen zu drosseln, um die Schwemme zu verringern und die Preise hochzutreiben. Sie nutzen billiges Öl als Waffe, mit der sie die Ölproduzent*innen mit hohen Kosten (wie zum Beispiel Schieferöl-Produzent*innen in den USA) aus dem Markt zu zwingen.

Führende Ölfirmen schrauben jetzt ihre Investitionen bei der Erkundung und Entwicklung zurück. Zehntausende Ölarbeiter*innen wurden entlassen.

Viele Öl-fördernde Unternehmen haben sich stark verschuldet, um die Erkundung und Erschließung neuer Felder zu finanzieren. Das hat zum Anwachsen eines Berges fauler Kredite geführt.

Die Schwellenländer

Die halb entwickelten Länder, die als „Schwellenländer“ bekannt sind, sind durch den jüngsten Aufruhr am schwersten getroffen worden.

Viele dieser Wirtschaften sind in erster Linie Rohstoffexporteure. Der Einbruch bei der Nachfrage, vor allem wegen der Abkühlung in China, hatte eine verheerende Wirkung.

Nach dem Wirtschaftseinbruch von 2007 bis 2010 waren die Schwellenländer zusammen mit China die wesentliche Quelle für weltweites Wachstum. Spekulatives Kapital aus den entwickelten Ländern strömte hinein. Das führte zum Aufblähen einer Reihe von Spekulationsblasen.

In den letzten Monaten hat sich das scharf umgekehrt. Spekulatives Kapital fließt jetzt zurück in die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder, vor allem in die USA, die als „sicherer Hafen“ für Finanz- und Immobilienanlagen betrachtet werden. Die meisten dieser halb entwickelten Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika stürzen jetzt in die Krise.

Die Ängste der Eliten in Davos konzentrierten sich auf den Einbruch des Ölpreises und auf die Abkühlung in China. Sie fürchten, dass die Abkühlung ein langer Abschwung werden könnte.

Zwischen 2003 und 2012 lag das reale (inflationsbereinigte) BIP Chinas bei durchschnittlich 10,5 Prozent im Jahr. 2015 fiel das BIP-Wachstum auf 6,8 Prozent. Und selbst diese Zahl gilt als übertrieben.

Früher importierte China riesige Mengen an Rohstoffen und Maschinen. Dies ging scharf zurück, und das Regime versuchte, auf Binnennachfrage und vom Schulden-finanzierten und Export-orientierten Wachstum weg zu schalten.

Weiche Landung?

Doch die Boom-Jahre hinterließen ein Erbe: eine riesige Immobilienblase, eine Finanzblase und einen Berg an Schulden. Vielen Unternehmen der verarbeitenden Industrie stehen nun vor Bankrotten, und die Banken, die Kredite gaben, sind nun mit faulen Krediten überladen.

Die führenden chinesischen Vertreter*innen behaupten, sie würden einem ausgewogeneren Wachstum zustreben, die Rolle der mit Schulden finanzierten Investitionen im Bereich der Infrastruktur, Industrie und Immobilien verringern und die Binnennachfrage steigern, indem sie die Löhne anheben und die soziale Sicherheit verbessern.

Das Regime hat immer noch enorme Ressourcen, um sich quälende Banken und taumelnde Unternehmen zu retten und Lebensstandards zu subventionieren. Aber kann es auch für eine weiche Landung der Wirtschaft sorgen? Das ist keineswegs sicher. Die Wirtschaft könnte außer Kontrolle und in einen tiefen Abschwung geraten.

Die riesige Anzahl an stattfindenden Streiks und Protesten zeigt das Potenzial für explosive Bewegungen der Arbeiter*innenklasse, armen Tagelöhner*innen und Bäuer*innen.

Jede Wirtschaftskrise ist anders. Die Wirtschaftseinbruch von 2007 bis 2010 (häufig als „Große Rezession“ bezeichnet) begann im Finanzsektor. Die riesige mit dem Immobilienmarkt verbundene Finanzblase in den USA und anderswo platzte. Das löste den Zusammenbruch einer Reihe von führenden Banken und Finanzhäusern aus.

Der finanzielle Zusammenbruch führte einen größeren Abschwung in der globalen Produktion, dem Handel und den Konsumausgaben herbei. Man hat sich von der Krise immer noch nicht komplett wieder erholt. Dieses Mal beginnt die Krise in der „realen“ Wirtschaft mit einem Abschwächung bei Investitionen, Produktion und Handel.

Großkonzerne horten Bargeld und Finanzreserven anstatt in neue Produkte und Dienstleistungen zu investieren. Man schätzt, dass sie sieben Billionen Dollar an Geldreserven haben, so Min Zhu, der stellvertretende Geschäftsführer des IWF. Widerspiegelt dies nicht einen tiefgreifenden Mangel an Zuversicht in die Aussichten für den Kapitalismus?

Die führenden kapitalistischen Vertreter*innen haben widersprüchliche, selbstzerstörerische Politikansätze vertreten. Sie haben brutale Kürzungsprogramme aufgelegt, die Staatsausgaben gekürzt. Das hat das Wachstum erdrosselt.

Eine global hohe Arbeitslosigkeit und nur schwaches Wachstum der Löhne haben dazu geführt, dass die Nachfrage aus dem Privatsektor gedrückt ist. Doch sie haben nur eine Reihe von Programmen der Quantitativen Lockerung aufgelegt, bei denen Zentralbanken billige Kredite in die Wirtschaft pumpen.

Das ist „Sozialpolitik“ für Banker*innen. Statt das Wachstum der Realwirtschaft zu stimulieren, ermöglicht die Quantitative Lockerung den Spekulant*innen, Blasen bei Immobilien und auf den Finanzmärkten (an den Börsen etc.) zu schaffen.

Wenn der Abwärtstrend – was das Wahrscheinlichste ist – anhält, wird er eine Krise im Finanzsektor auslösen. Die Drehungen in den vergangenen Wochen an den Welt-Börsen sind ein Vorgeschmack auf das Kommende.

Schlussfolgerung

In Davos hat sich die globale Elite düstere Gedanken über eine Reihe von geopolitischen Themen gemacht: eine Migrationskrise, die den Zusammenhalt der EU bedroht, der Krieg im Nahen Osten und seine terroristischen Auswirkungen international, zunehmende Spannungen zwischen den westlichen Mächten und Russland (mit dem Konflikt in der Ukraine), die Ebola-Pandemie und nun der Zika-Virus in Lateinamerika.

Was vorausgesagt werden kann, ist, dass die kapitalistische Klasse sich bemühen wird, die Kosten der Krise auf die Arbeiter*innenklasse und Teile der Mittelschicht abzuwälzen. Die Proteste von heute werden morgen ein mächtiger Massenkampf werden – ein Kampf für eine Veränderung im System.


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