Lynn Walsh: China – Hinter dem neuen Image

(eigene Übersetzung des englischen Textes in Militant Nr. 819, 17. Oktober 1986, S. 10)

Der Besuch der Queen in China symbolisiert einen tiefgreifenden Wandel in der Haltung der Kapitalist*innen. Früher zeichneten die Medien ein Bild von einer reglementierten Bevölkerung, politischer Gedankenkontrolle und unerbittlicher „kommunistischer“ Entsagung. Jetzt präsentieren sie ein neues China, belebt durch einen blühenden Markt, mit politischer „Liberalisierung“ und einer schnellen Übernahme eines westlichen Lebensstils durch wachsende Teile der Bevölkerung.

Hinter diesem rosigen neuen Bild, das ebenso oberflächlich ist wie das frühere düstere Porträt, verbirgt sich ein Heißhunger auf chinesische Profite, der durch die weitreichenden Wirtschaftsreformen unter Deng Xiaoping neu geweckt wurde.

Seit 1978/79 hat die Führung eine Reihe von Reformen eingeleitet. Auf dem Lande durften die Haushalte ihre eigene Landwirtschaft betreiben, ihre Überschüsse auf dem Markt verkaufen und ihre eigenen Produktions- und Handelsunternehmen führen. In der Industrie wurde dem Management viel mehr Spielraum für Initiative eingeräumt, und viele Kontrollen für Privatunternehmen wurden aufgehoben.

Vor allem hat China eine Politik der „offenen Tür“ gegenüber der kapitalistischen Welt angenommen, indem es ausländisches Kapital hereinließ, viel mehr Kredite bei westlichen Banken aufnahm und moderne Ausrüstung und Technologie importierte. Dies wurde notwendigerweise von einer „Liberalisierung“ begleitet, die den Manager*innen, Technokrat*innen und Geschäftsleuten, die für die Durchführung solcher Reformen erforderlich sind, mehr Initiative einräumte.

Die Anziehungskraft der riesigen potentiellen Profite wurde kürzlich in der rechten Zeitschrift „Economic Affairs“ (Juni/Juli 1986) zusammengefasst: „Wenn man annimmt, dass jeder der Milliarde Chinesen nur einen Dollar mehr konsumiert, Waren im Wert von einem Dollar mehr produziert oder einen Dollar mehr spart, werden die Ergebnisse atemberaubend sein.“

Sie warnen davor, dass es viele Hindernisse und Risiken geben könnte. Aber „Handel oder Investitionen auf der Grundlage eines riesigen Marktes bieten riesige Möglichkeiten“.

Einige der Wortführer*innen des Kapitalismus, die von ihren ersten Eindrücken von Dengs Reformen mitgerissen wurden, haben sogar die Frage nach einer möglichen Restauration des Kapitalismus aufgeworfen. Gleichzeitig haben ein paar Schriftsteller*innen, die immer noch maoistisches Gedankengut vertreten, sowohl in China als auch im Westen das Schreckgespenst einer Rückkehr Chinas auf den „kapitalistischen Weg“ heraufbeschworen.

In Wirklichkeit ähnelt Dengs Versuch, die Wirtschaft durch „Marktmethoden“ anzukurbeln, ähnlichen Reformen in Russland und Osteuropa, auch wenn sich die chinesische Führung vielleicht etwas plötzlicher und schärfer in diese Richtung bewegt hat.

Periodische Schwankungen in der Politik sind das unvermeidliche Ergebnis des Versuchs einer auf eine privilegierte Elite gestützten bürokratischen Führung, eine verstaatlichte, zentral geplante Wirtschaft (mit einem immer noch vorherrschenden Agrarsektor) zu leiten, die mehr als 400 Millionen Menschen beschäftigt und die Bedürfnisse von mehr als 1000 Millionen Menschen befriedigen muss. Trotz aller Umwälzungen hat die Planwirtschaft mit allen Einschränkungen, die durch die wirtschaftliche Rückständigkeit Chinas aufgezwungen sind, ihre Überlegenheit gegenüber kapitalistischen Verhältnissen bewiesen. Indien war 1949 auf einem vergleichbaren Niveau. Aber China hat Indien in vielen lebenswichtigen Produktionsfeldern übertroffen, und aufgrund der viel weniger ungleichen Verteilung des Reichtums ist der Lebensstandard in Bezug auf Nahrung, Wohnung und Einkommen für die große Mehrheit der chinesischen Arbeiter*innen und Bäuer*innen unvergleichlich höher.

Allein aus diesem Grund muss die chinesische Revolution, die Millionen von Werktätigen aktiv einbezog und den Großgrundbesitz und den Kapitalismus entscheidend zerschlug, als ein monumentales Ereignis gelten, das in seiner historischen Bedeutung nur noch von der russischen Oktoberrevolution übertroffen wird.

Doch die Isolation in einem verarmten Land, das jahrhundertelang unter der barbarischen Ausbeutung sowohl durch die chinesischen Herrscher*innen als auch durch räuberische Imperialist*innen gelitten hatte, bedeutete, dass die soziale Umgestaltung eine verzerrte Form annahm. Von Anfang an war das neue Regime unter Mao Zedong nach dem Vorbild von Stalins Russland aufgebaut. Da die Arbeiter*innenklasse von der Führung ausgeschlossen war und die führende Vertreter*innen der Roten Armee sich auf die Bäuer*innenmassen stützten, wurde die Macht in den Händen einer privilegierten bürokratischen Schicht konzentriert.

Widersprüche

Selbst unter der bewussten sozialistischen Leitung der Arbeiter*innenklasse wären die Probleme der Entwicklung nicht zu vernachlässigen gewesen. Wie sollte angesichts der Knappheit an Ressourcen die Gewichtung zwischen Landwirtschaft und Industrie, zwischen Investitionen und Konsum, zwischen dem Bau von Fabriken und der Produktion von Konsumgütern, zwischen der Schaffung von mehr Gleichheit und dem Schaffen von Anreizen für Facharbeiter*innen und Spezialist*innen aussehen?

Hinzu kommt das entscheidende Problem der Beziehungen zum kapitalistischen Weltmarkt, das für die Modernisierung unverzichtbar ist, aber alle Gefahren der kapitalistischen Durchdringung birgt.

Doch in den Händen eines undemokratischen Apparates haben diese Probleme einen nicht enden wollenden Strom von politischen Widersprüchen erzeugt. Der Versuch bis zu den gegenwärtigen Reformen, die Probleme im Rahmen nationaler Grenzen zu lösen, selbst demjenigen Chinas, hat alle Konflikte verschärft. Deshalb hat sich die chinesische Führung unter Mao und danach in ihrem Bemühen, die wirtschaftliche und soziale Basis ihrer Macht zu konsolidieren, von einem Mittel zum anderen gedreht und gewendet.

In weitaus stärkerem Maße als im stalinistischen Russland waren die Konflikte um die Politik obendrein mit dem Kampf zwischen rivalisierenden Fraktionen oder Koalitionen von Fraktionen innerhalb der Bürokratie verbunden. Aus diesem Grund wurde die Führung durch eine Reihe von krampfhaften Umwälzungen zerrissen.

Die explosivste und berüchtigtste von ihnen war die sogenannte „Kulturrevolution“, die 1966 begonnen wurde. Dieser heftige politische Krampfanfall hat weder etwas Grundlegendes verändert noch das kulturelle Niveau angehoben. Aber die Fraktionsturbulenzen und ihre blutigen Nachwirkungen haben die chinesische Gesellschaft tiefgreifend zerrüttet.

Die derzeitige Vorherrschaft der Deng-Führung ist in der Tat der Gipfelpunkt einer langwierigen, sehr uneinheitlichen Reaktion auf die Kulturrevolution, und Dengs Politik muss in diesem Kontext gesehen werden. Die Kulturrevolution begann im Wesentlichen als eine von Mao eingeleitete Säuberungsaktion gegen Spitzenpolitiker*innen wie Liu Shaoqi, Deng Xiaoping und die Gruppe, die den Apparat zu dieser Zeit beherrschte. Sie hatten Mao nach dem Scheitern seines „Großen Sprungs nach vorn“ (1958-60) von der direkten Macht ausgeschlossen. Die persönliche bonapartistische Macht Maos war nicht mehr mit den Interessen einer konsolidierten, reifen Bürokratie vereinbar.

Doch als Mao Student*innen, Bäuer*innenjugend und Arbeitslose unter radikalen „antibürokratischen“ Losungen zu den Roten Garden mobilisierte, setzte er ein brodelndes Reservoir an Unzufriedenheit frei.

Alle Fraktionen in der Führung versuchten, die rebellische Jugend für ihre eigenen Zwecke zu manipulieren. Doch einmal in Aktion, ging die radikalisierte Jugend weit über Maos Ziel hinaus, seine Rival*innen zu verdrängen. Die spontane, aber politisch krude Bewegung deckte die Privilegien und die Korruption der Bürokratie auf.

Rotgardist*innen, die Bürokrat*innen aus ihren Häusern holten, fanden wertvolle Antiquitäten, luxuriöse Gärten, Bedientenwohnungen, teure importierte Kleidung, Parfüms und Spirituosen und andere Luxusgüter. Später, als die radikalen mit der „Viererbande“ verbundenen Führer*innen gestürzt wurden, stellte man fest, dass sie einen ähnlichen Lebensstil genossen, der weit von den Lebensbedingungen der großen Mehrheit entfernt war.

Die Forderung der Rotgardist*innen nach einer demokratischen Kontrolle von unten bedrohte jedoch die Existenz der Bürokratie selbst.

Mao selbst war gezwungen, die Flut einzudämmen. Indem er einen Kompromiss mit seinen Rival*innen schloss, gab Mao mit seiner Autorität den Einsatz von Armee und Miliz zur Unterwerfung der Roten Garden frei. In vielen Regionen führten die Fraktionsauseinandersetzungen zu gewalttätigen, bewaffneten Zusammenstößen, und Zehntausende, wenn nicht gar Millionen, kamen bei der blutigen Niederschlagung der Bewegung ums Leben.

In der Zeit nach der Kulturrevolution, bis zu Dengs neuer Vormachtstellung, lag die Parteiführung in den Händen einer instabilen Koalition von Fraktionen, mit Zhou Enlai als ausgleichender Schlüsselfigur. Die Wirtschaftspolitik schwankte zwischen Reformen, die den Schwerpunkt auf Modernisierung, Technologieimporte und Anreize für Manager*innen und Unternehmer*innen legten, und der Rückkehr zu einer strengeren Kontrolle der Wirtschaft und des Staatsapparats, die von der obersten Führung in Beijing von oben ausgeübt wurde.

Die Führung war jedoch nach wie vor von einem Kampf um die Kontrolle des Apparats zwischen den „linksradikalen“ Neulingen, die während der Kulturrevolution in Stellung gebracht worden waren, und den Bürokrat*innen der „alten Garde“ geprägt. Schritt für Schritt eroberte die alte Garde um Zhou Enlai und Deng die Kontrolle zurück.

Lebenslange Haftstrafen

Lin Biao wurde 1971 verdrängt. Nach Maos Tod im Jahr 1976 wurde die „linke“ Viererbande um Maos Witwe Jiang Qing vor Gericht gestellt und zu lebenslanger Haft verurteilt. Es gab keinen grummelnden Massenprotest, was die von ihnen behauptete Massenunterstützung nach der Kulturrevolution Lügen straft.

Nach einer Übergangsperiode unter dem „Kompromiss“-Führer Hua Guofeng stellte Deng die Macht der alten Bürokrat*innengarde wieder her.

In seinem Kampf um die Kontrolle wandte Deng mit großer Vorsicht eine ähnliche Taktik wie Mao an. Beginnend mit dem Tiananmen-Zwischenfall im Jahr 1977, als Zehntausende dem ersten Todestag Zhou Enlais gedachten, förderte Deng den Massendruck auf seine Rivalen. Dies führte zur sogenannten „Demokratiebewegung“, die zum Teil von der Deng-Fraktion orchestriert wurde, aber auch spontan die wirklichen Beschwerden junger Arbeiter*innen, entwurzelter Jugendlicher vom Lande und arbeitsloser Schulabgänger*innen zum Ausdruck brachte.

An der Bewegung waren sehr unterschiedliche soziale Kräfte mit weitgehend unausgegorenen Forderungen beteiligt. Es gab Unterstützung für die Stabilität und den Wohlstand, die anscheinend von Dengs Reformpolitik versprochen wurden. Doch zu Dengs „vier (wirtschaftlichen) Modernisierungen“ fügte die Bewegung eine „fünfte Modernisierung“ hinzu, die Demokratie. Einige der Beteiligten vertraten zweifelsohne liberal-kapitalistische Ideen, andere wiederum tasteten sich an die Idee der sozialistischen Demokratie heran.

Auch wenn sie bei weitem kein klares Programm für den Sturz der Bürokratie und die Errichtung einer Arbeiter*innendemokratie vorweisen konnten, stellten einige der Strömungen eine unübersehbare Bedrohung für die Bürokratie dar. Nachdem Deng die Protestbewegung für seine Zwecke genutzt hatte, ging er dazu über, sie zu unterdrücken, indem er einige ihrer führenden Vertreter*innen inhaftierte und ihre Veröffentlichungen verbot.

Solche Ausdrucksformen des Massenprotests sind trotz ihrer Begrenztheiten ein wichtiger Hinweis auf die Zukunft, wenn eine neue Generation, die sich auf eine gestärkte Arbeiter*innenklasse und ein viel höheres kulturelles Niveau stützt, die herrschende Bürokratie Chinas herausfordern wird. Eine engere Verbindung mit dem Weltmarkt wird außerdem bedeuten, dass die Bewegungen der Arbeiter*innenklasse auf internationaler Ebene in Zukunft weitaus mehr Auswirkungen auf China haben werden.

Im Moment ist die Deng-Führung noch im Aufwind. Doch die enthusiastischen Kommentator*innen im Umfeld der Queen, die Deng als Mann mit originellen Lösungen preisen, vergessen, dass der 82-jährige Veteran dort anknüpft, wo sein alter Chef Liu Shaoqi vor der Kulturrevolution aufgehört hat, und ähnliche Reformen auf die heutigen Verhältnisse anwendet.

Deng repräsentiert keine grundlegend neue Etappe der chinesischen Revolution – lediglich eine neue Episode in der Karriere der Bürokratie, wenn auch eine, die viele Auswirkungen auf Chinas Proletariat haben wird.

Nächste Woche: die Bedeutung der Wirtschaftsreformen.

Für chinesische Namen folgt der Artikel dem offizielle Pinyin-System der Volksrepublik bei der Romanisierung, das derzeit in Gebrauch ist, und nicht das alte, traditionell in Großbritannien verwendete System: Beijing (Peking), Mao Zedong (Mao Tse-tung). Zhou Enlai (Chou En-lai). Lin Biao (Lin Piao). Liu Shaoqi (Liu Shao-ch ‚i). Jiang Qing (Chiang Ch’ing – „Madame Mao“). Deng Xiaoping (Teng Hsiao-p’ing). Hua Guofeng (Hua Kuo-feng). Tiananmenplatz (T’ien An Men). etc.


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