[9. November 1933, eigene Übersetzung des englischen Textes, „Das Schicksal des Menschen ist ein wahres Kunstwerk“]
Mr. Clifton Fadiman Simon and Schuster, Inc.
New York, N.Y., USA
Sehr geehrter Mr. Fadiman:
Sie haben mich gefragt, welche Bücher es meiner Meinung nach wert sind, in Amerika veröffentlicht zu werden. Ich würde sagen, mehr als jedes andere, der Roman des jungen französischen Autors André Malraux, La Condition Humaine [So lebt der Mensch], veröffentlicht von der Librairie Gallimard, 43 Rue de Beaune, Paris.
Dieser Roman will nicht nur ein literarisches Kunstwerk sein. Er befasst sich mit den großen Problemen des menschlichen Schicksals. Vor dem Hintergrund der sozialen und kulturellen Krise, die die ganze Welt erfasst, stellen sich die Fragen, die die Menschheit seit jeher bewegen und große Künstler inspirieren – Leben und Tod, Liebe und Heldentum, Individuum und Gesellschaft – mit neuer Schärfe für den kreativen Geist. Nur aus dieser Quelle kann sich die zeitgenössische Kunst, die sich auf der Suche nach rein formalen Eroberungen verausgabt hat, verjüngen.
Letztlich ist Malraux ein Individualist und Pessimist. So über die Welt und das Leben zu denken, ist mir psychologisch fremd, um nicht zu sagen abstoßend. Aber in Malraux‘ Pessimismus, der bis zur Verzweiflung reicht, gibt es ein Element des Heroismus. Malraux holt seine internationalen Helden von der Bühne der Revolution. Der Schauplatz seiner persönlichen Dramen ist Shanghai im Jahr 1927. Der Autor ist mit der chinesischen Revolution aus seiner eigenem Erfahrung gut vertraut. Aber dieser Roman ist weder Ethnografie noch Geschichte. Es ist ein Roman des menschlichen Schicksals und der persönlichen Leidenschaften, dem die Revolution die größte Spannung verleiht. Der Individualist und Pessimist erhebt sich größtenteils über Individualismus und Pessimismus. Nur ein Ziel, das größer ist als der Einzelne, ein Ziel, für das der Mensch bereit ist, sein Leben aufzugeben, gibt der menschlichen Existenz einen Sinn. Das ist die eigentliche Bedeutung dieses Romans, dem philosophische Didaktik fremd ist und der von Anfang bis Ende ein wahres Kunstwerk ist.
Gerade in den Vereinigten Staaten, wo die furchtbare Krise der Bedingungen des Alltagslebens jede rein empirische Betrachtungsweise des Lebens unerbittlich untergräbt, sollte Malraux‘ Roman, wie mir scheint, viele Leser haben.
Mit freundlichen Grüßen,
L. Trotzki
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