[4. Dezember 1933, eigene Übersetzung der englischen Übersetzung]
1. Ohne jeden Zweifel ist die alte Kontroverse „zwischen Lenin und Trotzki“ über die Perspektiven der Russischen Revolution nur von historischem Interesse, und die Mitgliedschaft in der Linken Opposition ist in jedem Fall nicht von einer Parteinahme in der Kontroverse abhängig. Wer aber eine eindeutige Position beziehen will, muss sie im Zusammenhang mit dem konkreten Verlauf des Klassenkampfes und den revolutionären Gruppierungen in Russland zu dieser Zeit analysieren.
2. Die Epigonen haben aus den alten Auseinandersetzungen, die verschiedene Stadien durchliefen, einige allgemeine Regeln der revolutionären Strategie abgeleitet und sie in Form einer Antithese zwischen Leninismus und Trotzkismus niedergelegt. Letzteres ist jedoch nicht mehr eine Frage der Geschichte, sondern der Gegenwart und der Zukunft. Genosse L. P[orzsolt] erklärt sich (zumindest im Prinzip) mit den strategischen Prinzipien einverstanden, die die Stalinisten als „Trotzkismus“ deklariert haben, die aber in Wirklichkeit die Anwendung des Marxismus auf die Bedingungen unserer Epoche sind. Diese durch die Erfahrung geprüfte Solidarität ist viel wichtiger als die Meinungsverschiedenheit über eine längst beendete Kontroverse.
3. Wo Genosse L. P. in seinen Thesen jedoch auf die historische Kontroverse zurückgreift, macht er eine Reihe von Fehlern. „In Wirklichkeit“, schreibt er, „war der Sturz des Zarismus in der Tat das Werk der Arbeiter- und Bauernmassen.“ Darin sieht er den Beweis, dass Lenins Ansicht meiner gegenüber richtig war. In diesem Zusammenhang gab es aber keinen Streit zwischen uns. Schon in der Polemik mit Radek habe ich darauf hinzuweisen versucht, dass jede „große“ Revolution, d.h. eine echte Volksrevolution, das Werk der proletarischen (vorproletarischen) und bäuerlichen (kleinbürgerlichen) Massen war und ist. Diese These bildete die gemeinsame Grundlage in der Auseinandersetzung. Die einzige Frage war, welche Klasse die führende Position einnehmen und folglich an die Macht kommen würde. L. P. gibt zu, dass das russische Proletariat tatsächlich früher die Macht ergriffen hat als das westeuropäische Proletariat; er macht aber darauf aufmerksam, dass dies nicht in der „Revolution gegen den Zarismus, sondern in der zweiten Revolution gegen die Bourgeoisie“ geschah. Was ist damit gemeint? Unter einer bürgerlichen Revolution verstanden die russischen Marxisten, die diesen Namen verdienen, vor allem die Lösung der Agrarfrage. Dieses Konzept, das sie von den Liberalen und den Menschewiki unterscheidet, stellt einen grundlegenden Standpunkt dar, den sowohl Lenin als auch Trotzki teilen (siehe Protokoll des Vierten Parteitags). Die Tatsache, dass im Februar die besitzenden Klassen, darunter der Adel, einschließlich der Fürsten, im Interesse der Selbsterhaltung (vorübergehend) auf die Monarchie verzichteten, war eine Episode, die keine Prognose vorhersagen konnte. Nach der Abdankung Nikolaus‘ II. nahm das Landproblem, d.h. das Problem der bürgerlich-demokratischen Revolution, neben dem Kriegsproblem die vorherrschende Stellung im politischen Leben ein. Gerade auf der Grundlage dieser Revolution kam das Proletariat an die Macht.
4. Daraus folgt, dass in Ländern, in denen trotz der Rückständigkeit die Spaltung in Grundklassen (Bourgeoisie, Kleinbürgertum, Proletariat) die ganze Nation durchzieht (China, Indien), die national-emanzipatorische und bürgerlich-demokratische Revolution nicht ohne die Diktatur des Proletariats zu Ende geführt werden kann. Genau darin liegt die Kontinuität (Permanenz) zwischen der bürgerlichen und der sozialistischen Revolution. Die Revolution in China hat eine Reihe von Etappen durchlaufen; ihr Weg in Indien wird nicht weniger kompliziert und verschlungen sein. Wir werden natürlich jede Etappe verfolgen und analysieren. Aber die Aufgabe der strategischen Prognose besteht nicht darin, die konkreten Etappen und Episoden abzuleiten, sondern die Grundtendenz der revolutionären Entwicklung zu formulieren Diese Grundtendenz wird durch die Formel der permanenten Revolution angegeben, die auf drei Begriffen beruht:
a. Die nationale Bourgeoisie, die in der Anfangsphase versucht, die Revolution für sich zu nutzen (Kuomintang, Gandhi), geht im Verlauf der weiteren Entwicklung der Revolution immer auf die andere Seite der Barrikaden, zu den feudalen Klassen und den imperialistischen Unterdrückern über.
b. Das Kleinbürgertum (Bauernschaft) kann in der bürgerlichen Revolution keine führende Rolle mehr spielen und folglich auch nicht die Macht übernehmen. Daraus folgt die Ablehnung der Losung der bürgerlich-demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft.
c. Unter der Diktatur des Proletariats geht die bürgerlich-demokratische Revolution in die sozialistische Revolution über, die nur als Glied der Weltrevolution vollständig triumphieren kann.
Die Übertretung dieser Prinzipien hat in China, Indien, Japan und anderen Ländern bereits großen Schaden angerichtet.
5. Die Theorie der permanenten Revolution wird laut Genosse L.P. durch die Tatsache widerlegt, dass es der Bauernschaft in sechzehn Jahren nicht gelungen ist, die Diktatur des Proletariats zu stürzen, im Gegensatz zu den alten Befürchtungen Trotzkis. Auch dieses Argument geht an der Sache vorbei. Nicht nur vor, sondern auch nach der Oktoberrevolution hat Lenin Dutzende Male den Gedanken geäußert, dass die Sowjetmacht ohne die rasche Unterstützung des Weltproletariats gestürzt werden würde. Es ging darum, empirisch zahlreiche und widersprüchliche Faktoren einzuschätzen, die man unmöglich nach dem Kalender vorhersagen kann. Wenn sich die Sowjetmacht dank einer ganzen Reihe von Umständen sechzehn Jahre lang in einem einzigen Land gehalten hat, so ist das ebenso wenig ein Beweis gegen den internationalen Charakter der Revolution wie gegen die Tatsache, dass die Widerstandskraft der proletarischen Diktatur umso schwächer ist, je zahlreicher die Bauernschaft ist.
6. Genosse L.P. nähert sich sehr stark dem seit langem widerlegten Argument Bucharins, dass das Verhältnis zwischen Arbeitern und Bauern im internationalen Maßstab nicht günstiger ist als innerhalb der Grenzen der Sowjetunion. Das ist Scholastik. Die Frage wird nicht durch statische, sondern durch soziale Kräfte entschieden, nicht durch den durchschnittlichen Anteil der Arbeiter in der ganzen Welt, sondern durch die Reihenfolge, in der die einzelnen Länder in die Revolution hineingezogen werden. Hätte z.B. die Brandler-Führung die deutsche Revolution 1923 nicht ruiniert, wären die statistischen Verhältnisse zwischen Proletariat und Bauernschaft im Weltmaßstab natürlich unverändert geblieben, aber die Kräfte der proletarischen Revolution hätten sich vervielfacht. Sowjetdeutschland hätte Europa kopfüber in die Revolution hineingezogen. Die Umwandlung Europas in eine sozialistische Festung hätte das Kräfteverhältnis in der ganzen Welt verändert. Die rückständigen Länder wären unter den günstigsten Bedingungen in die Revolution eingetreten; die konterrevolutionären Erschütterungen wären unendlich viel weniger gefährlich gewesen.
7. Was die Frage des Sozialismus in einem Land betrifft, so bietet der Genosse L.P. eine Reihe von zweideutigen Formulierungen. Er beginnt damit, dass er unkommentiert das berühmte Zitat aus Lenins Artikel aus dem Jahr 1915 über die Möglichkeit des „Sieges des Sozialismus zunächst in einigen Ländern oder sogar in einem einzigen Land“ anführt. Bekanntlich leitete Stalin seine gesamte Theorie aus diesem Zitat ab. In der Literatur der Linken Opposition ist jedoch unwiderlegbar bewiesen, dass Lenin hier, wie in vielen anderen Fällen, mit dem „Sieg des Sozialismus“ die Machtergreifung der Arbeiterklasse, d.h. die Schaffung des sozialistischen Staates, nicht aber die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft gemeint hat. Oder hat der Genosse L.P. in diesem Punkt auch nur den geringsten Zweifel? Eine sorgfältige Lektüre dieses Zitats wird seine Zweifel ausräumen.
8. Genosse L.P. versucht, die Theorie des Sozialismus in einem Land auf eine hohle Abstraktion zu reduzieren. Wenn die Intervention aus dem Ausland und die Konterrevolution im Innern ausbleiben, wird die Technologie der Sowjets weiter wachsen, der Lebensstandard und die Kultur der Massen werden stetig steigen, und der Sozialismus kann verwirklicht werden. Aber wie Genosse L.P. zugesteht, ist diese abstrakte Möglichkeit angesichts der extremen Schärfe der Klassengegensätze im Weltmaßstab unrealisierbar. Seiner Meinung nach hat die „Rückständigkeit“ Russlands nichts mit dem Fall zu tun. Die nationale Rückständigkeit kann überwunden werden, ohne die Verschärfung des Klassenkampfes in der ganzen Welt zu überwinden.
Aber genau das ist der Punkt. Die Überwindung der Rückständigkeit dauert lange Zeit; in der Zwischenzeit gewährt die Entwicklung des weltweiten Klassenkampfes der UdSSR keine unbegrenzte Atempause. Außerdem bedeutet die Überwindung der Rückständigkeit eine enorme Belastung für die werktätigen Massen. Die Tatsache, dass die russischen Arbeiter sechzehn Jahre nach der Revolution nicht genug zu essen haben, schreckt die Arbeiter anderer Länder ab, hemmt die Entwicklung der Weltrevolution und erhöht die Gefahr für die UdSSR.
9. Wie ist die abstrakte „Möglichkeit“ des Aufbaus des Sozialismus in einem Land überhaupt zu verstehen? Wenn Russland allein auf der Welt wäre, hätte es 1917 keine Oktoberrevolution gegeben. Wenn man die Weltwirtschaft nach der Oktoberrevolution gedanklich ausklammert, dann wäre Russland, sich selbst überlassen, wieder in den Kapitalismus zurückgefallen. Denn im Rahmen der Sowjetunion hatte der Kapitalismus seine Möglichkeiten bei weitem noch nicht ausgeschöpft, auf dem Gebiet der Produktion „holt“ das Sowjetregime erst jetzt zu den kapitalistischen Ländern auf. Die Diktatur des Proletariats behauptet sich in der UdSSR, weil die Weltwirtschaft, von der der russische Kapitalismus ein Teil war, in eine Sackgasse gefahren ist. Aber tödliche Gefahr (Faschismus) bedroht die Diktatur genau aus dieser Quelle.
10. Die wirkliche Frage „ist nicht die Möglichkeit des Sozialismus in einem Land, sondern die internationale Einheit des revolutionären Klassenkampfes.“ In dieser Formel verwandelt L.P. die internationale Einheit in eine Art Abstraktion, wie er es zuvor mit dem Aufbau des Sozialismus in einem Land getan hat. Wenn man den Arbeitern beibringt, dass die Abwehr einer militärischen Intervention den vollständigen und endgültigen Sieg des Sozialismus in der UdSSR garantiert, dann verliert die Frage der Weltrevolution ihre Bedeutung, und die Außenpolitik läuft auf die Verhinderung einer Intervention hinaus. Auf diese Weise hat die stalinistische Bürokratie die Komintern ruiniert und kann den Sowjetstaat ruinieren. Die Theorie des Sozialismus in einem Land und die internationale Einheit des proletarischen Kampfes schließen sich in der Realität gegenseitig aus.
11. Die Bürokratie in der UdSSR ist weder ein moralischer noch ein technischer Faktor, sondern ein sozialer, d.h. ein Klassenfaktor. Der Kampf zwischen der sozialistischen und der kapitalistischen Tendenz nimmt in erster Linie den Charakter eines Kampfes zwischen den vom Staat vertretenen gesellschaftlichen Interessen und den persönlichen Interessen der Verbraucher, der Bauern, der Staatsangestellten und der Arbeiter selbst an. In der gegebenen Lage bedeutet die Überwindung der Klassenantagonismen die Harmonisierung der sozialen Interessen der Produktion mit dem persönlichen Interesse der Verbraucher, während in der gegenwärtigen Entwicklungsphase das persönliche Interesse immer noch die Hauptantriebskraft der Wirtschaft ist. Ist diese Harmonisierung erreicht worden? Nein! Die Zunahme des Bürokratismus spiegelt die Zunahme des Widerspruchs zwischen privaten und sozialen Interessen wider. Die Bürokratie, die die „sozialen“ Interessen vertritt, identifiziert diese in hohem Maße mit ihren eigenen Interessen. Sie unterscheidet zwischen dem Sozialen und dem Privaten in Übereinstimmung mit ihren eigenen privaten Interessen. Dies führt zu einer noch größeren Spannung zwischen den Widersprüchen und folglich zu einem weiteren Wachstum des Bürokratismus. Diesen Prozessen liegen die Rückständigkeit der UdSSR und ihre Isolierung in ihrer kapitalistischen Umgebung zugrunde.
12. Die Empiriker sagen, dass die Sowjetmacht seit sechzehn Jahren rasche Fortschritte macht und dass der Sozialismus, sollte dies so weitergehen, mit Sicherheit vollendet sein wird. Wir entgegnen darauf, dass „wenn das so weitergeht“ der Prozess unweigerlich zu einer inneren Explosion führen muss, höchstwahrscheinlich mit Hilfe eines Schocks von außen, aber möglicherweise auch ohne einen solchen. Eine militärische Intervention ist im Allgemeinen nur insofern gefährlich, als sie erstens innerhalb der Sowjetunion eine extreme Verschärfung der Widersprüche vorfindet und zweitens eine Bresche für die Intervention von billigen kapitalistischen Waren schlägt. Beide Bedingungen zeigen, dass das Problem des Sozialismus nicht gelöst ist und – insoweit es sich um eine Frage nicht im Bereich der Abstraktion, sondern in der Sphäre der Realität handelt – dass es ohne die internationale Revolution nicht gelöst werden wird.
13. Aus diesen Überlegungen ziehen einige besonders schlaue Leute den Schluss, dass wir die russischen Arbeiter ihrer „Perspektiven“ berauben. Andere gehen noch weiter und beschuldigen uns, die Nützlichkeit und Notwendigkeit des sozialistischen Aufbaus in der UdSSR zu leugnen; warum denn bauen, wenn sowieso nichts (!!) dabei herauskommt (!). Es lohnt sich kaum, auf eine solche Absurdität zu antworten. Wenn ich sage, dass der menschliche Organismus nicht leben kann, ohne frische Luft zu atmen, so leugne ich damit weder den Nutzen der Ernährung noch die Bedeutung des Magens als Verdauungsorgan.
14. Was die UdSSR und die Komintern betrifft, so ist das, was Genosse L. P. über die Abhängigkeit der Komintern von den politischen Interessen der Sowjetbürokratie sagt, im Großen und Ganzen richtig und wurde entgegen seinen Behauptungen in der Literatur der Linken Opposition wiederholt dargelegt. Dennoch erlaubt sich Genosse L. P. auch hier zweideutige Formulierungen, wenn nicht gar Fehler. So sagt er, die Sowjetbürokratie habe ihre internen Kontroversen künstlich in die Komintern verlagert. Sieht man von den kriminellen Methoden der Bürokratie ab (Abwürgen von Kritik, Betrug, Fälschung, erfundene Anschuldigungen und Käuflichkeit), so bleibt doch die Tatsache bestehen, dass die Fraktionsbildungen innerhalb der Kommunistischen Partei der Sowjetunion im Wesentlichen von internationaler Bedeutung waren. Dies ist insbesondere für die Linke Opposition wahr. Sie entwickelte sich auf der unmittelbaren Grundlage der russischen Fragen: dem Tempo der Industrialisierung und dem Regime in der Partei. Aber auch diese Fragen erlangten sofort internationale Bedeutung. Das Problem des Bürokratismus betraf die Komintern unmittelbar und direkt. In den Jahren 1924-25 drehte sich der Kampf ausschließlich um die Frage der deutschen Revolution (Lehren des Oktobers). 1926 wurde der Kampf in der Frage des Anglo-Russischen Komitees und des Piłsudski-Staatsstreichs in Polen akut. Das Jahr 1927 steht ganz unter dem Zeichen der chinesischen Revolution. Durch all diese Jahre zieht sich der Kampf um die Frage der „Arbeiter- und Bauernparteien“ für den Osten, um die Krestintern (wohin ist sie übrigens verschwunden?), usw. 1928 ist das Jahr des Kampfes um das Programm der Komintern. 1929-33: Ultralinkstum in der Wirtschaftspolitik der UdSSR, die „dritte Periode“, die spanische Revolution, das Problem des Faschismus. Die Kommunistische Rechte Opposition (KPO) hat die wichtigsten Fragen der internationalen revolutionären Strategie ignoriert, was sich heute leider sehr negativ in der SAP-Führung niederschlägt.
15. Was den Zentrismus betrifft, so macht Genosse L. P. einen großen methodischen Fehler, wenn er sich weigert, die offensichtlich „russische“ Aufteilung des kommunistischen Lagers in Linke, Zentristen und Rechte anzuerkennen. Seiner Meinung nach sind die Rechten in Russland eigentlich Liquidatoren. Im Westen hingegen ist der Anteil der Liquidatoren unter den Rechten nicht groß. „Der Kurs der besten Sektion der KPO, der über die SAP der linken Opposition sehr nahe gekommen ist … spricht deutlich genug für sich.“ All diese Überlegungen, abgesehen davon, ob sie grundsätzlich richtig sind oder nicht, widerlegen nicht, sondern stützen unsere Einordnung, insbesondere die Einteilung der Zentristen in Rechte und Linke. Damit sich die SAP den Ideen der Linken Opposition annähern konnte, mussten sich ihre Mitglieder vom linken Flügel der Sozialdemokratie abspalten, während ihre Führer mit den Brandlerianern brechen mussten. Ideologisch ist dieser Prozess jedoch noch nicht abgeschlossen.
Wenn Genosse L.P. sagen will, dass nicht alle Brandlerianer für die Revolution verloren sind, werden wir das freudig zugeben. Um den Weg der Revolution zu gehen (unter den gegenwärtigen historischen Bedingungen den Weg der neuen Internationale), müssen sie mit den rechtszentristischen und vor allem mit den zentristischen Eigenheiten und Methoden brechen (die verächtliche Haltung gegenüber der Theorie, das unzureichende Verständnis der internationalen Organisation und die Vernachlässigung von Problemen der revolutionären Strategie oder deren Verdrängung durch Fragen der Taktik usw.).
Man kann als allgemeine Regel festhalten, dass die Antipathie gegenüber dem Begriff Zentrismus und gegenüber allen weiteren Unterteilungen des Zentrismus typisch für Tendenzen ist, die entweder selbst zentristisch sind oder sich noch nicht endgültig von ihrer intellektuellen Amorphie befreit haben.
16. Der Zusammenbruch der deutschen Sozialdemokratie und der deutschen Kommunistischen Partei leitete eine ganze Periode der Degeneration, Gärung und Rekristallisation innerhalb der proletarischen Vorhut ein. Aber im gegebenen Fall bedeutet „Gärung“ nichts anderes als das Durchlaufen von Zwischen- oder zentristischen Entwicklungsetappen. Ob es sich im Einzelfall um Degeneration oder revolutionäre Rekristallisation handelt, hängt von der Richtung ab, in der sich die fragliche Bewegung vollzieht: von links nach rechts oder von rechts nach links und so weiter. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, zwischen Rechtszentrismus, Linkszentrismus usw. zu unterscheiden. Diese Begriffe sind natürlich nichts Absolutes. Aber so relativ sie auch sind, sie sind für die marxistische Orientierung im Gegensatz zu einer vulgären und empirischen Orientierung unabdingbar. Proletarische Politiker können auf sie ebenso wenig verzichten wie die Seeleute auf Karte und Kompass.
17. Nehmen wir zwei Beispiele: die Norwegische Arbeiterpartei (NAP) und die schwedische Unabhängige Kommunistische Partei. Die NAP steuert einen Kurs vom Zentrismus zum Reformismus. Um diese Entwicklung ohne innere Explosionen zu vollziehen, brauchte Tranmæl eine Maske und eine Tarnung. Diese Deckung lieferte ihm seine Verbindung zu den unabhängigen sozialistischen Parteien anderer Länder. Heute, da er sich fest im Sattel fühlt, beginnt er sich zu revanchieren, indem er diejenigen tritt, die ihm die Steigbügel gehalten haben; eine keineswegs neue Erfahrung.
Es ist ein schwerer, opportunistischer Fehler, dass die SAP- und OSP-Führer zusammen mit Tranmæl die Resolution für einen gemeinsamen Kampf für die Wiedergeburt der revolutionären (!) Bewegung unterzeichnet haben; dieser Fehler resultierte aus einer vulgär-empirischen Haltung gegenüber der Aufgabe, Kräfte zu sammeln, und einem Mangel an marxistischer Einschätzung ihrer Tendenzen und ihres Entwicklungsverlaufs.
Die Schwedische Unabhängige Kommunistische Partei entwickelt sich, soweit ich das auf der Grundlage von äußerst spärlichem Material beurteilen kann, von der Brandler-Position nach links. Es versteht sich von selbst, dass jeder revolutionäre Internationalist mit aller Kraft darauf hinwirken wird, dass diese Entwicklung zu einer Annäherung und zu gemeinsamen Bestrebungen auf der Grundlage der Prinzipien der neuen Internationale führt. Aber es ist unzulässig, Hoffnungen mit Tatsachen zu verwechseln, indem man das Heute durch ein mögliches Morgen ersetzt. Die schwedische Partei hat nicht nur für die gleiche Resolution wie Tranmæl gestimmt, sondern sich auch geweigert, die Erklärung für die Vierte Internationale zu unterzeichnen. Obwohl sie im Prinzip der Notwendigkeit einer neuen Internationale zustimmten, betrachten die Parteiführer ihre „Proklamierung“ als verfrüht. Tatsächlich liegt hinter dieser Haltung ein zentristisches Schwanken. Heute geht es nicht darum, die neue Internationale zu proklamieren, sondern die Notwendigkeit der neuen Internationale zu proklamieren und ihre Grundprinzipien vor den Augen der Arbeiterklasse der Welt zu formulieren.
Insoweit unter diesen Umständen SAP und OSP mit der einen Hand die Erklärung für die neue Internationale und mit der anderen Hand die Erklärung zusammen mit Tranmæl, Balabanowa, Paul Louis und anderen unterschrieben haben, behindern sie die Bildung der notwendigen Klarheit; sie geben den Schwankenden ein neues Beispiel des Schwankens; sie verzögern die revolutionäre Entwicklung der schwedischen Partei wie auch die einer Reihe anderer Organisationen. Man darf sich nicht allein von dem Ehrgeiz leiten lassen, möglichst viel anzuhäufen. Man muss eine politische Karte und einen Kompass vor sich haben. Massenquantität kann nur das Ergebnis von prinzipieller Qualität sein.
18. Genosse L. P. hat völlig Recht, wenn er darauf besteht, dass die Sektionen der alten linken Opposition aufhören sollten, sich nur als Opposition oder nur als Hilfstruppen der russischen Opposition zu betrachten. Sie müssen als Kader (ein Teil der Kader) der neuen nationalen Parteien und der neuen Internationale agieren. Genosse L. P. unterscheidet sich in dieser Frage wohltuend von jenen Empirikern, die die Vorhutrolle der Linken Opposition nicht verstehen, weil sie sich im Grunde von einem rein gewerkschaftlichen Kriterium (dem Kriterium der bloßen Zahlen) leiten lassen, statt von einem marxistischen Kriterium, das von der entscheidenden Rolle der Theorie, der Prinzipien und der Methoden ausgeht.
19. Die Idee des Genossen L. P., dass wir einen Katalog der toten und lebenden Sektionen der Komintern führen sollten, ist falsch. Diese Frage ist in unserer Diskussion ausreichend behandelt worden. Wenn wir in diesem oder jenem Land die Mehrheit in der nationalen Sektion erobern können, dann nicht durch die Idee der Reform, sondern durch die offene Gründung der neuen Internationale. So hat die Dritte Internationale zu ihrer Zeit die Mehrheit der französischen Sozialdemokratie erobert.
20. Es ist ganz richtig, dass in der Literatur der linken Opposition sehr wichtige Fragen der modernsten wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen nicht behandelt wurden. Abhandlungen dieser Art setzen das Wachstum der Kader, die Aufnahme neuer Kräfte, eine breitere Arbeitsteilung, einschließlich der theoretischen Arbeit, voraus.
Andererseits muss man erkennen, dass die theoretische Arbeit der verschiedenen Tendenzen sowie die unmittelbare Entwicklung der Weltwirtschaft und -politik im letzten Jahrzehnt nichts hervorgebracht hat, was im Widerspruch zu den wichtigsten programmatischen und strategischen Prinzipien der Linken Opposition und ihrer revolutionären Perspektive steht. Darin liegt die größte Garantie für den Erfolg des zukünftigen Aufbaus.
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