[Die Gleichheit, Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen, Stuttgart, 10. Jahrgang, Nr. 19, 12. September 1900, S. 146-148]
Nur noch wenige Tage, und die erste Konferenz der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands tritt in Mainz zusammen. Allem Anschein nach wird die Beteiligung an ihr eine rege sein, ein klares Anzeichen dafür, dass in weiten Kreisen der Genossinnen das Bedürfnis empfunden wird nach größerer Planmäßigkeit, Einheitlichkeit und Energie des Wirkens im Dienste der sozialistischen Idee. Erfreulicherweise stehen die Genossen allenthalben der Konferenz sympathisch gegenüber. Von keiner Seite wurde, wie sonst bei selbständigen Aktionen der Genossinnen, der Vorwurf laut, dieselben wollten „einen Staat im Staate konstituieren“, eine quertreiberische Sonderbewegung ins Leben rufen. Früheres Misstrauen ist der Einsicht gewichen, dass die Proletarierin als Frau in Folge ihrer politischen Rechtlosigkeit und sozialen Unterbürtigkeit eine Sonderstellung einnimmt; dass der proletarischen Frauenbewegung mithin im Rahmen der allgemeinen Bewegung Sonderaufgaben zufallen; dass es also nicht eine Kräftezersplitterung und -vergeudung bedeutet, wenn die Genossinnen über praktische Mittel und Wege zur Lösung dieser Aufgaben beraten, vielmehr eine Kräfteersparnis und höhere Leistungsfähigkeit. Auch in einem wohlgeordneten, harmonischen Haushalt ist es die Frau, die in manchen Fragen allein das entscheidende Wort spricht.
Voraussichtlich wird sich die Konferenz dem Vorschlag der vorbereitenden Kommission entsprechend lediglich mit praktischen Fragen beschäftigen. Die beantragte Erörterung über die Stellung der proletarischen zur bürgerlichen Frauenbewegung dürfte kaum auf die Tagesordnung gesetzt werden. Der Parteitag zu Gotha hat die grundsätzliche Grenzlinie zwischen der Frauenrechtelei und der sozialistischen Frauenbewegung gezogen. In den Kreisen der Genossinnen hat sich aber seither kein Bedürfnis nach einer Revision der damals festgelegten Grundsätze geregt. Wäre jedoch ein solches Bedürfnis vorhanden, nicht eine Konferenz der Genossinnen würde berufen sein, zu entscheiden, vielmehr – in Folge der festen inneren Zusammengehörigkeit, die zwischen der proletarischen Frauenbewegung und der allgemeinen sozialdemokratischen Arbeiterbewegung besteht – der Parteitag der Sozialdemokratie. Die Frage nach der grundsätzlichen Stellung der proletarischen zur bürgerlichen Frauenbewegung würde aufgehen in der weiteren Frage nach der grundsätzlichen Stellung der Sozialdemokratie zu bürgerlichen Reformbewegungen. Die kümmerlichen Ansätze zu sozialer Reformarbeit im frauenrechtlerischen Lager sind jedoch keineswegs derart, dass sie zu einer theoretischen Auseinandersetzung über unsere grundsätzliche Stellung drängten. Nicht das Bedürfnis größerer theoretischer Erkenntnis wird gegenwärtig von den Genossinnen empfunden. Sie sind vielmehr von der Notwendigkeit überzeugt, sich über praktische Mittel und Wege zu verständigen, die das von der grundsätzlichen Erkenntnis geleitete Wirken fruchtbarer gestalten sollen.
Es ist gewiss nicht Lust und Liebe zu schädlicher Eigenbrötelei, es ist die durch verschiedene Umstände bedingte Notwendigkeit einer Arbeitsteilung, welche fordert, dass die proletarische Frauenbewegung innerhalb der allgemeinen Bewegung eigene Organe besitzt, welche Träger ihres Lebens und Tuns sind: die Vertrauenspersonen der Genossinnen. Je mehr vereinsgesetzliche Bestimmungen in dem weitaus größten Teile des Deutschen Reiches die politische Tätigkeit der Frauen erschweren und hindern, je mehr sie es ausschließen, dass dieselbe sich auf feste Organisationen stützt – seien es Parteivereine mit männlicher und weiblicher Mitgliedschaft, seien es Frauenvereine –, um so notwendiger ist eine Ausgestaltung des Systems unserer Vertrauenspersonen. Was in dieser Hinsicht seit dem Parteitag zu Gotha geschehen ist, erweist sich als durchaus unzulänglich.
Wir bedürfen zunächst einer weit größeren Zahl von Vertrauenspersonen, damit wir in allen größeren Orten und Industriezentren feste Stützpunkte und leitende Organe für unsere agitatorische und organisatorische Arbeit gewinnen, damit unsere Agitation das weibliche Proletariat in allen Gegenden erfasst. Die Aufgaben der Vertrauenspersonen müssen in großen Grundzügen festgelegt werden, um die Einheitlichkeit ihres Wirkens zu fördern und die Amtsführung von Genossinnen in Orten zu erleichtern, wo die proletarische Frauenbewegung noch jungen Datums ist und geschulter Kräfte ermangelt. Die Vertrauenspersonen der einzelnen Kreise oder Bezirke haben enge, stete Fühlung mit einander und mit der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands zu halten. Durch einen regelmäßigen lebendigen Zusammenhang zwischen den leitenden Personen gilt es der Zersplitterung der Kräfte und Mittel vorzubeugen, gilt es durch vereinbartes, planmäßiges Handeln die höchste Leistungsfähigkeit zu erzielen. Die Vertrauenspersonen der Genossinnen müssen von allen Organen der allgemeinen Arbeiterbewegung – Vertrauensmännern, Ausschüssen, Kommissionen etc. – als vollständig gleichberechtigt anerkannt und zur Mitarbeit und Mitentscheidung herangezogen werden. Die Verwirklichung dieser Forderung – an der es die Genossen in vielen Orten noch fehlen lassen – ist eine unerlässliche Voraussetzung dafür, dass die Tätigkeit der Genossinnen jederzeit als notwendige Ergänzung zu dem Wirken der Genossen tritt, dass die Aktionen von der einen und anderen Seite sich nie durchkreuzen, sondern einander stützen und fördern. Wir hoffen, dass der Ausbau des Systems der Vertrauenspersonen in den angedeuteten Richtungen dazu beiträgt, eine feste Grundlage zu schaffen für eine einheitliche rührige Tätigkeit der Genossinnen, für die Ausdehnung und Kräftigung der proletarischen Frauenbewegung.
Bei Erörterung der Mittel und Wege, welche geeignet sind, die Agitation unter dem weiblichen Proletariat wirksam zu gestalten, müssen wir unseres Erachtens Eines berücksichtigen: Dass unsere Tätigkeit verschiedenen Kreisen von proletarischen Frauen mit verschiedenen Bedürfnissen gilt. Wir wollen die Berufsarbeiterin wie die proletarische Hausfrau zum Klassenbewusstsein wecken, dem proletarischen Klassenkampf zuführen, für den Sozialismus gewinnen. Wir müssen ferner die Proletarierinnen, die Stumpfsinn und Gleichgültigkeit abgeschüttelt habe „, die ihre Befreiung zu hoffen, für sie zu kämpfen wagen, aus unklaren Rebellen wider die kapitalistische Ordnung zu zielbewussten, mit Wissen ausgestatteten Mitarbeiterinnen und Mitkämpferinnen erziehen, welche befähigt sind, ihrerseits aufklärend, werbend, führend unter der Masse ihrer Schwestern zu wirken.
Not tut vor Allem, dass wir unter den Berufsarbeiterinnen eine weit umfassendere, energischere Agitation treiben, als in der Vergangenheit, und zwar eine Agitation durch Wort und Schrift. Dieselbe müsste vor Allem an die Lage und die Interessen der Arbeiterinnen als ausgebeuteter Berufstätigen anknüpfen und von diesem Ausgangspunkt aus Aufklärung über die sozialen Verhältnisse bringen, welche die Existenz der Lohnsklavin beeinflussen, wie über die Mittel, diese kulturwürdiger zu gestalten. Die Losung: „Arbeiterinnen, organisiert Euch!“ müsste das Leitmotiv dieser Agitation sein. Sie hätte in engstem Zusammenhang mit der Gewerkschaftsbewegung zu stehen und gleichsam eine Vorbereitung für die eigentliche gewerkschaftliche Aufklärungs- und Organisationsarbeit zu bilden. Je schwieriger die Organisierung der Arbeiterinnenmassen ist und je dringender sie wird – ganz besonders in der Zeit der aufziehenden Krise –, um so notwendiger ist es, dass die proletarische Frauenbewegung dieser aufrüttelnden und vorbereitenden Agitation unter den Arbeiterinnen die höchste Aufmerksamkeit zuwendet. Als geeignetstes Mittel zur Agitation durch das Wort erscheinen uns Arbeiterinnenversammlungen, die mit Sachkenntnis durch persönliche Werkstuben- und Hausagitation etc. wohl vorbereitet sein müssen, und die je nach den lokalen Verhältnissen für die gesamte weibliche Arbeiterschaft eines Ortes oder für einzelne Arbeiterinnenkategorien bestimmt sind. Als geeignetstes Mittel zur Agitation durch die Schrift erachten wir Flugblätter und ganz kurze, populäre Broschüren in der Art, wie ihre Herausgabe beantragt worden ist. Wir haben eine stattliche Zahl „stiller Anhängerinnen“, die sich aus den verschiedensten Ursachen nicht im politischen Kampfe und in der Gewerkschaft betätigen können oder betätigen wollen. Die mündliche und schriftliche Agitation unter den Arbeiterinnen bietet ihnen eine unerschöpfliche Gelegenheit zu dringend nötigem und höchst segensreichem Wirken.
Es hieße Kruppsche Kanonen nach China tragen, wollten wir nachweisen, von welch großer Wichtigkeit es ist, dass auch die proletarischen Hausfrauen für den Befreiungskampf ihrer Klasse gewonnen werden. Die Agitation unter ihnen knüpft wohl am wirksamsten an die Interessen an, welche die Proletarierin als Frau, Gattin. Mutter, als rechtlose, aber pflichtenbebürdete Staatsangehörige an Erweiterung und Vertiefung ihrer Bildung hat, an einer klaren Kenntnis sozialen Verhältnisse, an gründlichen sozialen Reformen, an der Beseitigung der kapitalistischen Ordnung. Als Mittel der mündlichen Agitation steht uns die Volksversammlung zu Gebote. Die Mittel der schriftlichen Agitation sind noch sehr unzureichende. Auch hier gilt es vor Allem, eine geeignete leichtverständliche Broschürenliteratur zu schaffen. Des Weiteren müsste unsere Presse den vorliegenden Bedürfnissen mehr Rechnung tragen. Auf welche Weise das am erfolgreichsten geschieht – ob durch einzelne Artikel in den Tageszeitungen, durch eine „Frauenbeilage“, durch eine besondere Rubrik für Frauensachen, durch Ausgestaltung unserer Unterhaltungsliteratur etc. etc. – das bleibe dahingestellt. Hauptsache ist, dass das Gebotene von unserer Auffassung durchdrungen, klar und leicht verständlich ist, den Blick der Hausfrau für die Zusammenhänge zwischen den Interessen des Einzelnen, der Familie und denen der Arbeiterklasse, der Gesamtheit schärft, ihr die Ideale und Kämpfe des Mannes teuer werden lässt, ihr gleichsam das ABC der sozialen Erkenntnis der proletarischen Solidarität lehrt und sie zu Pflichtleistungen auf allen Gebieten anspornt und befähigt.
Im Interesse einer erfolgreichen Agitation unter der breiten Masse des weiblichen Proletariats ist erforderlich, dass wir eine Kerntruppe kenntnisreicher, zielklarer Genossinnen heranziehen, aus der sich tüchtige, leistungsfähige Agitatorinnen und Führerinnen rekrutieren. Bildungsinstitute der verschiedensten Art auf politischem, gewerkschaftlichem, wissenschaftlichem Gebiete, die sozialdemokratische Presse und Literatur geben den Genossinnen Gelegenheit, sich reicheres Wissen, eine tiefere theoretische Schulung anzueignen. Insbesondere ist es die Aufgabe der „Gleichheit“, in der einen und anderen Richtung die Entwicklung der Genossinnen zu fördern, sie zu zielbewussten, wohl ausgerüsteten Kämpferinnen zu erziehen. Zu Gunsten der Bildung der Genossinnen kann es sich unseres Erachtens nicht darum handeln. Neues zu schaffen, sondern das Vorhandene zu verbessern und noch nutzbarer zu machen.
Die Agitation für den gesetzlichen Arbeiterinnenschutz betreffend, dürfte die Konferenz kaum an dem Programm etwas ändern, das der Parteitag zu Hannover formuliert hat. Dagegen hat sie dem Programm unserer Forderungen ein festes Aktionsprogramm hinzuzufügen. Wir haben bereits in Nr. 23 der „Gleichheil“ vom vorigen Jahre Fingerzeige darüber gegeben, wie die Agitation für den gesetzlichen Arbeiterinnenschutz in die Wege geleitet werden könnte. Wir hoffen, dass von allen Seiten weitere Vorschläge zu der bedeutsamen Frage des Wie unserer Aktion gemacht werden. Dieselben müssen unserer Meinung nach unter einem zweifachen Gesichtspunkt geprüft werden. Einmal mit Rücksicht darauf, dass es die Aufgabe unserer Agitation ist, weite Kreise des werktätigen Volkes, ja der gesamten Gesellschaft, in erster Linie aber die Massen der Arbeiterinnen selbst zur Erkenntnis der Notwendigkeit der geforderten Reformen zu wecken, damit aus dieser Erkenntnis feste, unbeugsame Wille geboren wird, einen durchgreifenden gesetzlichen Schutz zu erringen. Dann aber muss es sich darum handeln, diesen nicht misszudeutenden Willen zur Kenntnis gesetzgebenden Gewalten zu bringen, ihm einen möglichst starken Einfluss zu sichern, ihn als Machtfaktor wirken zu lassen. Die Frage des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes ist durch die Erhebungen der Reichsregierung über die Fabrikarbeit der verheirateten Frauen „aktuell“ im landläufigen Sinne des Wortes geworden. Die bis jetzt vorliegenden Berichte der Gewerbeinspektion beweisen das. Nun heißt es, die Situation mit allem Nachdruck ausnutzen. Wir haben wiederholt dargelegt, dass der gesetzliche Arbeiterinnenschutz sowohl im Interesse der gewerkschaftlichen Organisation wie des politischen Kampfes und des endlichen Sieges der Arbeiterklasse liegt. Unserer Agitation muss mithin kräftige moralische und materielle Unterstützung seitens der Gewerkschaften wie der Partei zuteil werden.
Was die Bildungsvereine für Frauen und Mädchen anbelangt, so hat unseres Erachtens die Konferenz Klarheit zu schaffen über folgende Fragen. Erstens: Entsprechen die Bildungsvereine einem vorhandenen tatsächlichen Bedürfnis? Zweitens: Welches sind die Voraussetzungen für ihre gesunde Entwicklung und ihr gedeihliches Wirken? Drittens: In welcher Richtung liegen ihre Aufgaben, welches ist ihr Tätigkeitsgebiet?
Es gab eine Zeit, in welcher die Bildungsvereine und das, was sie zu leisten vermochten, bedeutend überschätzt wurden. Gleichsam wie Pilze schossen sie aus der Erde. Ein großer Teil von ihnen wurde durch die Behörden aufgelöst, da sie sich entgegen den Bestimmungen des Vereinsgesetzes einzelner Bundesstaaten mit ††† politischen Angelegenheiten beschäftigt hatten oder beschäftigt haben sollten. Ein anderer Teil vegetierte kraft- und saftlos dahin, leistete wenig Ersprießliches oder auch gar nichts. In der Folge kam eine Zeit, in der die Bildungsvereine bedeutend unterschätzt wurden. Im Allgemeinen erachtete man sie für recht herzlich überflüssige, wenn nicht gar für schädliche Gebilde, die man besten Falles geringschätzig duldete. Wie viele Andere, so haben auch wir in dieser Hinsicht manches gesündigt. Aber die Erfahrung hat Eins gezeigt. Trotz vereinsgesetzlicher Schwierigkeiten und behördlicher Schikanen, trotz Geringschätzung im Lager der Arbeiterklasse sind wieder und wieder Bildungsvereine für Frauen und Mädchen entstanden. Es fehlt nicht an Beispielen von trefflichen Leistungen ihrerseits. Dieser Tatbestand spricht dafür, dass wirkliche, tief empfundene Bedürfnisse innerhalb der proletarischen Frauenwelt zur Gründung von Bildungsvereinen führen. Des Weiteren aber besagt er, dass es nicht die Art der Organisation ist, welche die Misserfolge der früheren Jahre bedingt hat, dass diese vielmehr auf Rechnung der Umstände gesetzt werden müssen, unter denen die Vereine gegründet wurden und existierten, sowie auf Rechnung eines unrichtig abgegrenzten Wirkungsgebiets.
Die Existenzberechtigung der Bildungsvereine ist unserer Ansicht nach dort unbestreitbar, wo das Vereinsgesetz den nicht berufstätigen Frauen jede andere Form der Organisation, jede Zugehörigkeit zu einem politischen Verein unmöglich macht. Die nichtberufstätigen Frauen den Gewerkschaften zuweisen zu wollen, ist ebenso unberechtigt als erfolglos. Und mag das Wirkungsfeld der Bildungsvereine noch so eng begrenzt sein, besser immerhin eine unvollkommene Art der Organisation als völlige Organisationslosigkeit. Wenn nichts Anderes, so kann der Bildungsverein etwas sehr Wertvolles leisten: die einzelne Frau aus der Beschränktheit des Familienegoismus zum Wirken in einer Gemeinsamkeit und für eine Gemeinsamkeit emporzuheben. Existenzberechtigt ist der Bildungsverein auch da, wo es die Rückständigkeit der Genossen oder Genossinnen ausschließt, dass beide mit Nutzen in einer Organisation lernen und tätig sind.
Existenzberechtigt ist ferner der Bildungsverein für Frauen und Mädchen überall dort, wo er solche Bedürfnisse nach Entwicklung des Geistes und Charakters der Proletarierin befriedigt, die in der Eigenart und den Sonderpflichten der Frau begründet sind, und die innerhalb der allgemeinen proletarischen Organisationen nicht genügend berücksichtigt werden können. Aber freilich hat die kräftige Entwicklung von Bildungsvereinen zunächst eine Voraussetzung: das Vorhandensein von geeigneten organisatorischen und leitenden Kräften, die sich leider nicht überall nach Wunsch und Bedürfnis der Erde stampfen lassen. Des Weiteren ist Klarheit über das Wirkungsgebiet der Bildungsvereine erforderlich. Sollen sich diese ungekränkt von den Behörden und gefördert von der Arbeiterklasse entwickeln, so müssen sie darauf verzichten, Aufgaben lösen zu wollen, die sie Dank des Vereinsunrechts nicht lösen dürfen, oder die sie Dank der vorhandenen allgemeinen proletarischen Kampfes- und Bildungsorganisationen nicht zu lösen brauchen. Sie dürfen sich an die Frauen und Mädchen weder wenden als an politische noch als an gewerkschaftliche Kämpferinnen, sie dürfen nicht Organe zur einschlägigen Schulung sein wollen. Ihre Aufgabe muss es vielmehr sein, die weibliche Persönlichkeit in der Proletarierin zu erfassen und durch Bildung des Geistes und Charakters auf ein höheres Niveau zu heben, sie zu kräftigen und zu vertiefen. Zu diesem Zwecke haben sie die Proletarierinnen auf dem Gebiete der Naturwissenschaften, Hygiene, der Kinderpflege, Erziehung etc. etc. mit Kenntnissen auszustatten. Wirken die Bildungsvereine für Frauen und Mädchen in dieser Richtung und nicht als kräftezersplitternde Konkurrenzorganisationen der Gewerkschaften und politischen Vereine, so werden sie sich überall als nützliches und geschätztes Glied der Arbeiterbewegung einfügen. Wieweit die Bildungsvereine hier und da über die Grenzen dieses Tätigkeitsfeldes hinausgehen, welche Einzelaufgabe sie in Angriff nehmen können, darüber lässt sich unseres Erachtens keine allgemein gültige Schablone aufstellen. Das kann nur von Fall zu Fall entschieden werden auf Grund genauester Kenntnis rechtlichen und anderen Verhältnisse, der verfügbaren Kräfte etc. Wenn irgendwo das Wort gilt: Eines schickt sich nicht für alle, alles schickt sich nicht für einen, so in dieser Hinsicht. Wie die Agitation unter den Arbeiterinnen, so bieten die Bildungsvereine unseren „stillen Anhängerinnen“ die Möglichkeit zu sehr reicher, ersprießlicher Tätigkeit.
Es dürfte hier und da auffallen, dass auf der Tagesordnung der Konferenz nicht die Erörterung einer der allerwichtigsten Aufgaben der proletarischen Frauenbewegung steht: die Mitarbeit auf dem Gebiete der Gewerkschaftsbewegung. Der Grund hierfür ist sicher nicht in einer Verkennung unserer diesbezüglichen Pflichten zu suchen. Die Kommission hat sich vielmehr von der Auffassung leiten lassen, dass die Frage nach Mitteln und Wegen zur gewerkschaftlichen Organisierung der Arbeiterinnenmassen einer besonderen, eingehenden und gründlichen Erörterung bedarf und in so innigem Zusammenhang mit der Gewerkschaftsbewegung steht, dass sie nicht auf einer Frauenkonferenz beraten werden sollte, sondern von den Genossinnen zusammen mit den Gewerkschaften.
Wir hoffen, dass die Frauenkonferenz zu Mainz in jeder Hinsicht zum Ausgangspunkt eines kräftigen Aufschwungs der proletarischen Frauenbewegung wird. Wir hoffen, dass sie den Genossinnen neue Wege zeigt und ihnen zu der alten Begeisterung und Überzeugungstreue neue Kraft, klarere Erkenntnis verleiht, um in dem weiblichen Proletariat Massen zu sammeln und Kerntruppen zu schulen, welche der geschichtlichen Aufgabe gewachsen sind, den Kampf für das Ende der Knechtschaft des Menschen durch den Menschen zu führen und seine Schlachten siegreich zu schlagen.
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