Clara Zetkin: Friedrich Engels

[Die Gleichheit, Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen, Stuttgart, 5. Jahrgang, Nr. 17, 21. August 1895,S. 130 f., Nr. 18, 4. September 1895, S. 138-140, Nr. 19, 18. September 1895, S. 146 f.]

Ein halbes Jahrhundert der Geschichte des revolutionären Proletariats rauscht in Engels‘ Leben an uns vorüber. Die große Revolution. welche sich im 19. Jahrhundert in den Wirtschaftsverhältnissen vollzogen hat, unser Denken gründlich umwälzte und die kommende noch größere Umwandlung in ihrem Schoße trägt, sie pulsiert und atmet uns aus seinen Schriften entgegen.

Engels wurde am 28. November 1829 in Barmen geboren. Der Mann, der sein ganzes Leben der Befreiung der Armen und Enterbten widmete, der voll revolutionären, trotzigen Wagemutes den Kampf aufnahm gegen Alles, was Ausbeutung und Unterdrückung, was Vorurteil, Zwang, überkommene Vorstellungen heißt, entstammte einer streng religiösen und konservativen Patrizierfamilie. Aber ein frischer revolutionärer Hauch, wie er sonst nirgends in Deutschland zu finden, wehte durch seine Heimat. Die Lage an der Wasserstraße des Rheins, der natürliche Reichtum an Kohlen und Erzen, die Nähe von Frankreich und England hatten in der Rheinprovinz die moderne Großindustrie empor blühen lassen. Eine jugendstarke Bourgeoisie war hier erstanden, welche widerwillig sich in die preußische Herrschaft fügte und im Bewusstsein ihrer wirtschaftlichen Macht und Bedeutung gelegentlich von tiefgreifenden politischen Umwandlungen, von einer bürgerlichen Republik, träumte. Die große französische Revolution, die napoleonische Herrschaft waren nicht spurlos an den Rheinlanden vorübergegangen. Hier war die alte Feudalordnung am gründlichsten fortgefegt worden, im Rechts- und Verwaltungswesen gab es freiheitlichere Einrichtungen als sonst wo in Deutschland, preußisches Zopf- und Gamaschentum, preußischer Junkerhochmut waren hier bitter gehasst. Die Traditionen der großen französischen Revolution, unter deren Einfluss die Gegend zwanzig Jahre lang gestanden, zum Teil als französischer Besitz, wirkten weiter. Sie weckten wohl in Engels die Keime des Verständnisses und der Begeisterung für die Revolution und jene Abneigung gegen den Bürokratismus, welche ihm eine Beamtenkarriere als unerträglich erscheinen ließen.

Nachdem er die Realschule in Barmen absolviert hatte, deren Anschauungsunterricht in Physik und Chemie er die Grundlage seiner späteren umfassenden naturwissenschaftlichen Studien und Kenntnisse dankt, bezog er das Gymnasium zu Elberfeld. Ein Jahr vor dem Abiturientenexamen verließ er es, um sich dem Kaufmannsstande zu widmen. Niemals jedoch ging er in seinem Berufe auf. In Bremen, wo er von 1338 an als Volontär in einem Kaufhause seine berufliche Ausbildung erhielt, wie in Berlin, wo er 1841 sein Einjährigenjahr bei der Garde-Artillerie abdiente, und in Manchester, wo er 1842 bis 1844 in einer Fabrik tätig war, deren Teilhaber sein Vater, trieb Engels eifrig umfassende philosophische Studien. Er vertiefte sich in die revolutionären Ideen der französischen Enzyklopädisten und in die nicht minder revolutionäre Philosophie Hegels, die alles Seiende und Bestehende in seinem Werden und Vergehen erfasst, das Bleibende nur in dem steten Fluss, in der beständigen Umwälzung sieht, welche durch die vorhandenen Gegensätze und ihre Überwindung bestimmt wird. Auch Feuerbach, dessen scharfsinnige, kühne Angriffe das Christentum entgöttlichten, fand in Engels einen begeisterten Anhänger.

Hatten die Studien sein Verständnis für die philosophische und politische Revolution geschärft, so wurde ihm in England, dem Mutterlande des Kapitalismus, der Sinn erschlossen für die wirtschaftliche Revolution, für die kapitalistische Produktionsweise und ihren revolutionierenden Charakter. Seine Berufstätigkeit in Manchester gab ihm reiche Gelegenheit, die Lage des Proletariats kennen zu lernen und den aus ihr sich naturnotwendig ergebenden Klassenkampf auf wirtschaftlichem und politischem Gebiete. Die Hegelsche Philosophie trug dazu bei, dass er in der ausgebeuteten, entrechteten, im tiefsten materiellen und geistigen Elend schmachtenden Masse nicht bloß die leidende Arbeiterklasse sah, sondern auch die kämpfende Arbeiterklasse: die geschichtliche Macht, welche in gewaltigem Ringen die Revolution der Gesellschaftsverhältnisse vollziehen muss, welche zur Befreiung der gesamten Menschheit führt. So stand er dem Proletariat bereits damals nicht nur mit dem warmen Herzen des gebildeten Menschenfreundes gegenüber, sondern auch mit dem Interesse und der Sympathie des revolutionären Denkers. Bald befand er sich mitten im Getriebe der beiden Bewegungen, die streng von einander geschieden in erklärlicher Beschränktheit die Leiden der werktätigen Masse überwinden wollten: der utopistische humanitäre Sozialismus auf der einen Seite, die Chartistenbewegung auf der anderen. Der utopistische Sozialismus, den Engels in seiner höchsten damaligen Form als Owenismus praktisch kennen lernte, war eine rein bürgerliche Bewegung. Sie wurde von aufrichtigen Menschenfreunden getragen, welche die schreienden Übel der Fabrikarbeit, welche die sozialen Missstände aller Art empörten, und deren Einsicht gerade weit genug reichte, um die Beseitigung dieses Nebels einzig und allein von einer besseren Gesellschaftsordnung zu erhoffen. Allein es mangelte ihnen die Kenntnis der Gewalten, welche die Gesellschaftsordnung umzustürzen vermögen, und statt sie zu erforschen, klügelten sie vollkommenere Gesellschaftssysteme aus, welche ihrer Ansicht nach nur verwirklicht werden konnten durch das steigende Mitgefühl der Besitzenden für die Leiden der Arbeiterklasse, durch ihre wachsende Einsicht und ihren erweckten Gerechtigkeitssinn. Das Proletariat musste ihres Erachtens von oben her erzogen und beglückt werden, aber es kam nicht als geschichtliche Macht, als Träger der soziale Entwicklung in Betracht. Von der Arbeiterbewegung, von Streiks, Gewerkschaften, politischem Kampfe wollten die utopistischen Sozialisten nichts wissen. Die Arbeiterbewegung wieder, welche damals im Chartismus zur höchsten Blüte entfaltet war, ging mit ihren Zielen nicht über die Grenzen der Lohnarbeit, der bürgerlichen Gesellschaft hinaus. Sie wollte diese nicht umstürzen, nur das Wohnen in ihr für die Masse erträglicher machen. Zu diesem Zwecke forderte sie Koalitionsfreiheit, das Wahlrecht, einen Normalarbeitstag einen kleinen Grundbesitz usw. für die Arbeiter.

Engels studierte beide Richtungen gründlich, aber es entsprach nur seiner tatfreudigen praktischen Natur, dass er es nicht als Zuschauer tat, sondern als Mitkämpfer. Er wurde Mitarbeiter des chartistischen Organs „Der Nordstern“ und der „Neuen sittlichen Welt“ von Robert Owen. Die Einseitigkeiten beider Richtungen überwand er und erkannte, dass die Arbeiterbewegung die einzige Macht sei, welche den Sozialismus verwirklichen könne, und dass der Sozialismus das große, der Arbeiterbewegung gesteckte Ziel sei, das allein der Klassenkampf zu verwirklichen vermöge. Schon in den „Umrissen zu einer Kritik der Nationalökonomie“, die er, dreiundzwanzigjährig, für die von Marx und Ruge redigierten „Deutsch-Französischen Jahrbücher“ 1844 schrieb, versuchte er, den Sozialismus auf die Nationalökonomie zu begründen. Die Abhandlung ist von historischer Bedeutung, denn in ihr tat Engels den ersten Schritt zum wissenschaftlichen Sozialismus. Sie wurde Anlass zu dem denkwürdigen Briefwechsel, der Marx und Engels einander näher führte. Als der Letztere auf der Heimreise 1844 Marx in Paris besuchte, entstand zwischen Beiden jenes innige und tiefe Verhältnis, das auf größter geistiger Wahlverwandtschaft beruhend weit über die Grenzen der Freundschaft hinausging und zu einer unlösbaren Ideen- und Kampfgemeinschaft wurde, zu einem gemeinsamen Ringen, Streben und Schaffen, dem nur der Tod ein Ende setzte. Die erste Frucht dieser Ideenbrüderschaft war das Buch „Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik gegen Bruno Bauer und Konsorten“, das 1844 in Paris verfasst wurde, 1845 in Frankfurt erschien und mit Lessingscher Schärfe und glänzendem Witz geschrieben ist.

In die Heimat zurückgekehrt, ging Engels mit Feuereifer an die Verarbeitung des von ihm in Manchester gesammelten Materials über die Lage des englischen Proletariats. Bereits 1845 erschien in Leipzig das für alle Zeiten mustergültige Werk beschreibender Nationalökonomie: „Die Lage der arbeitenden Klassen in England.“ In diesem Buche, dem ersten, das aus der Grundlage des wissenschaftlichen Sozialismus steht, zeigt sich Engels‘ geistige Überlegenheit über seine Zeitgenossen in voller Größe. Während sie, wie Marx sagt, nicht über das „Be- und Verurteilen“ der sozialen Erscheinungen hinauskamen, hatte er sie in ihren Ursachen und Wirkungen begriffen. Seine meisterhaften, ergreifenden Schilderungen des Elends der englischen Fabriksklaven sind nicht ein buntes Sammelsurium grauenhafter Tatsachen, welche dem Kapitalismus das Mene Tekel schreiben. Sie eröffnen vielmehr einen Einblick in das Wesen der kapitalistischen Produktionsweise, der mächtigen Schöpferin des Massenelends, gleichzeitig aber auch der mächtigen Schöpferin der wirtschaftlichen Vorbedingungen einer höheren Gesellschaftsform, die sich unter den Geburtswehen des Elends und der Klassenkämpfe aus der Gegenwart Schoße ringt. Engels‘ Kritik des bürgerlichen Sozialismus und des Chartismus gipfelt in dem Nachweise der Notwendigkeit, Sozialismus und Arbeiterbewegung in Eins zu verschmelzen, durch den von den Klassengegensätzen gezeitigten proletarischen Klassenkampf die Unterschiede zwischen Besitzenden und Nichtbesitzenden aufzuheben, durch seine Macht den Sozialismus zu verwirklichen.

Die Verhältnisse in der pietistischen Vaterstadt hatten sich unterdes immer unerquicklicher für ihn gestaltet. Als geistig Freier war er in die Heimat zurückgekehrt, als Einer, der in trotzigem Rebellenmut allem Zwang und Herkommen, aller beschränkten und heuchlerischen Spießbürgerei keck den Fehdehandschuh hinwirft, als Einer, der mit der leidenschaftlichen Überzeugungstreue des Neuerers für die Verwirklichung seiner Ideale kämpft. Einsam stand er inmitten seiner Sippen und alten Freunde, als „Rotester der Roten“ bekämpft und mit Hass beehrt. Er trotzte der „guten Gesellschaft“, und sein taufrischer Humor verwandelte zum guten Teil in eine Quelle der Heiterkeit, was einem minder Großen und Freien zum Born tränenseliger Selbstbemitleidung oder galliger Verbitterung geworden wäre. Sein tatkräftiges Naturell ließ ihn auch hier nicht mit gekreuzten Armen zur Seite stehen. Auf seine Anregung veranstaltete Moses Heß 1845 in Barmen seine „Bürgervorträge“ über den Kommunismus und Engels selbst griff zur sittlichen Entrüstung des geschreckten Philistertums schneidig und geschickt in die Debatten ein. Den „Umstürzlern“ wurden die Säle abgetrieben, den Wirten mit Entziehung der Konzessionen gedroht, und schließlich verboten die Behörden ein und für allemal die Versammlungen. Von der Bourgeoisie der Heimat als Revolutionär geboykottet und verfolgt, begab sich Engels nach Brüssel. Hier, wo damals die politischen Flüchtlinge eine Freistatt fanden, lebte Karl Marx, den Frankreich auf den Wunsch der preußischen Regierung hin ausgewiesen hatte.

(Schluss folgt.)

(Fortsetzung statt Schluss.)

In Brüssel begann ein umfangreiches, inniges Zusammenarbeiten von Engels und Marx auf wissenschaftlichem und praktischem Gebiete, denn Beide waren nicht bloß Denker, auch Männer der Tat, Männer des revolutionären Denkens, Männer der revolutionären Tat. Ihr wissenschaftliches und praktisches Tun stellten sie ausschließlich in den Dienst des proletarischen Befreiungskampfes. Sie vertieften und erweiterten die gewonnene Erkenntnis über die treibenden Kräfte und die Richtung der geschichtlichen Entwicklung und bauten sie auf sicherer Grundlage zu einem wissenschaftlichen System aus, damit die nimmer fehlenden Waffen schmiedend für das Heer der Revolution. Sie weckten die Arbeiter zum Klassenbewusstsein, zur Erkenntnis ihrer geschichtlichen Aufgabe, sie erzogen die leidende, zersplitterte, unklare, zusammenhangslose proletarische Masse zu dem bewusst und einheitlich kämpfenden Weltproletariat, damit das Heer der Revolution sammelnd und schulend. In der Studierstube, in öffentlichen Bibliotheken waren Marx und Engels ebenso heimisch wie in Arbeiter- und Volksversammlungen. Sie lernten aus gelehrten Folianten, wie aus der Beobachtung des wirtschaftlichen wie politischen Zeitlebens und aus den Schilderungen und Klagen des Mannes der Arbeit. Lehrend und lernend gingen sie in dem von ihnen gegründeten „Deutschen Arbeiterverein“ aus und ein. Gleichzeitig unterhielten sie Fühlung mit den revolutionären Kreisen des Bürgertums und mit den sozialistischen Elementen in Frankreich, sowie mit den entsprechenden Presseorganen.

In jener Zeit traten die Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus zuerst in Verbindung mit dem internationalen „Bund der Gerechten„, der sich allmählich, unter Engels‘ und Marx‘ Einfluss, in der neuen theoretischen Auffassung bekannte. Engels vertrat die Pariser Sektion auf dem ersten Bundeskongress, der im Sommer 1847 in London stattfand, und auf dem der Bund einen neuen Namen erhielt – „Bund der Kommunisten“ –, sowie eine neue Organisation. Aus einem Geheimbund von Verschwörern ward er zu einer Gesellschaft für die Ausbreitung der kommunistischen Ideen. Schon im November des gleichen Jahres tagte ein zweiter Kongress der Kommunisten und beauftragte die anwesenden Freunde, das Manifest des Bundes auszuarbeiten. Das Resultat dieses Auftrags, das „Kommunistische Manifest„, ist zum Programm des internationalen revolutionären Proletariats geworden. Mit unübertrefflicher Klarheit und in gedrungener Kürze legt es die Grundsätze und Forderungen der zielbewusst kämpfenden Arbeiterklasse dar. Die überwältigende Wucht seiner logischen Beweisführung, die hinreißende Macht seiner Darstellung, in der sich Schärfe und Kühnheit mit durchdachter Leidenschaft paart, haben als treffsichere Kugeln Bresche auf Bresche in die heutige Gesellschaft gelegt, haben sie gründlicher in ihren Tiefen erschüttert, als alle romantischen Putsche und kindisch-brutalen Attentate der „Propagandisten durch die Tat“.

Wenige Wochen nach dem Erscheinen des „Kommunistischen Manifests“ krachte in der Pariser Februarrevolution der Thron des filzigen Louis Philipp, des Königs der Börsenjobber, zusammen. Die Donner der Revolution rollten durch ganz Europa, die Berliner Märztage, die Aufstände in Dresden und Wien bewiesen, dass auch der langsame und langmütige Deutsche rebellieren konnte. Engels und Marx eilten begeistert der Heimat zu, um für ihre Ideen zu kämpfen. In Köln gründeten sie die täglich erscheinende „Neue Rheinische Zeitung„, das einzige Blatt in Deutschland, das den Standpunkt des Kommunismus, d.h. des wissenschaftlichen Sozialismus vertrat. Hervorragende Talente, wie Freiligrath, Weerth, Wilh. Wolff u. a. scharten sich zu einem glänzenden Redaktionsstabe um Marx und Engels, und die „Neue Rheinische Zeitung“ wurde bald das gefürchtetste und bestgehasste deutsche Blatt, gefürchtet und gehasst nicht bloß von den Schildknappen des Absolutismus und der Feudalordnung, sondern auch von der verratslüsternen und verräterischen Bourgeoisie und von dem schwachmütigen, haltlosen und kurzsichtigen Kleinbürgertum. Denn mit gleicher Schärfe wendete die „Neue Rheinische Zeitung“ ihre vernichtende Kritik gegen alle Richtungen und Bestrebungen, welche den Interessen der Arbeiterklasse zuwiderliefen, und die halb aufrichtige, halb geheuchelte Illusion und Phrase fand ebenso wenig Gnade vor ihr als die brutale Gewalt. Am 19. Mai 1849 erlag das Blatt, wie Freiligrath in seinem herrlichen „Abschiedswort der Neuen Rheinischen Zeitung“ sagt, „den Nücken und Tücken, der schmutzigen Niedertracht der schleichenden Westkalmücken“. Es wurde behördlich verboten, Marx erhielt seine Ausweisung, Engels musste flüchten, da er seinem tatfreudigen Temperament entsprechend sich an dem niedergeschlagenen Ausstand der Arbiter der Rheinlande beteiligt hatte.

Er ging nach der Pfalz, die sich mit Baden zum Schutze der Reichsverfassung erhoben hatte, und trat in ein Freischarenkorps wo er das Amt eines Adjutanten des Kommandanten Willich bekleidete Als prächtiger Soldat der Revolution schlug er sich in drei Gefechten und in dem Treffen an der Murg, in allen Situationen eine kaltblütige Bewertung der Verhältnisse und eine absolute Verachtung der Gefahr betätigend, den Führern der Kampagne überlegen an klarem Erfassen der Sachlage und an scharfer, kritischer Erkenntnis der Fehler und Torheiten. Nach dem unausbleiblichen Scheitern des badischen Aufstands betrat Engels als einer der letzten Flüchtlinge den Schweizer Boden, den er jedoch bald wieder verließ – da ihm die Möglichkeit einer befriedigenden Tätigkeit fehlte –, um über Genua und Gibraltar nach London zu gehen. Hier traf er mit Marx zusammen, nach hier hatten sich auch die meisten Häupter der deutschen Revolution begeben.

Mit wenigen Ausnahmen versanken diese mehr und mehr in den Wahnglauben, durch das Theatergepolter revolutionärer Kraftphrasen und durch das Aushecken abenteuerlicher Pläne eine neue revolutionäre Erhebung entfesseln zu können. Marx und Engels war diese kindlich-kindische Auffassung durchaus fremd. Statt mit den „Färschtenkillern“ (Fürstenmördern) in partibus zu deklamieren, studierten sie, bemühten sie sich, die Organisation des Kommunistenbundes zu festigen und durch Kritik und Propaganda auf die freiheitlichen Bestrebungen in Deutschland einzuwirken. Diesem Zwecke diente auch die Monatsschrift, welche sie zusammen in Hamburg erscheinen ließen, und die nach dem verbotenen Tageblatte den Titel führte: „Neue Rheinische Zeitung“. In ihr veröffentlichte Engels u. a. eine Artikelserie über „die deutsche Reichsverfassungskampagne„, eine Arbeit über „die englische Zehnstundenbill“ und die bedeutsame Abhandlung über „den deutschen Bauernkrieg„. Die beißende, mit glänzendem Witz und schneidendem Spott gewürzte Kritik der sich ultrarevolutionär gebärdenden Vulgärdemokraten zog Marx und Engels den ganzen Hass der Herren zu. Die „Neue Rheinische Zeitung“ verlor ihre Abonnenten und musste nach dem sechsten Heft ihr Erscheinen einstellen. Auf ihre Herausgeber regneten seitens der Karl Vogt und Genossen Beschimpfungen, Verleumdungen, Verdächtigungen der gemeinsten Art nur so hernieder, die Beide gründlich niedergelebt haben. Eine politische Aktion war auf absehbare Zeit hinaus zur Unmöglichkeit geworden. Eine literarische Tätigkeit in Deutschland vermochten die Freunde nicht zu entfalten, denn seitens der bürgerlichen Demokraten waren sie ebenso geächtet wie von den Regierungen. Marx konzentrierte nun seine ganze Tatkraft auf wissenschaftliches Gebiet, versenkte sich in gründliche wirtschaftliche und geschichtliche Studien, nützte die reichen Quellen des Britischen Museums aus und legte den Grund zu seinem Lebenswerk, dem „Kapital“. Engels sah sich genötigt, seine geschäftliche Tätigkeit wieder aufzunehmen und in die Fabrik zu Manchester zurückzukehren, zuerst als Kommis, dann als Teilhaber.

Fast zwanzig Jahre lang musste er tagaus, tagein im Büro sitzen, musste er einen beträchtlichen Teil seiner Zeit und Kraft in der Tretmühle des Geschäftslebens ausnützen. Heiter und gelassen, mit dem ihm eigenen erquickenden und versöhnenden Humor fand er sich mit der Situation ab. Statt sich durch Klagen und Murren in der Pose des Märtyrers zu schwächen und zu verbittern, suchte er die Verhältnisse seiner Entwicklung und seinen Zielen dienstbar zu machen. Er eignete sich das ganze praktische Rüstzeug des modernen Großkaufmanns und Fabrikanten an, der den Weltmarkt überschaut, das Getriebe und die Zusammenhänge des wirtschaftlichen und politischen Lebens kennt und mit kühler Abwägung der Konjunkturen schnell und vorausberechnend seine Entscheidungen treffen muss. In den Freistunden trieb er jene umfassenden und tiefen Studien, die ihn zu einem Polyhistor, einem Vielwissenden, im besten Sinne des Wortes machten, zu einer an vielseitigem Wissen vereinzelten Erscheinung in unserer Zeit kleinkrämerischer Fachsimpelei. So beschäftigte er sich mit Kriegsgeschichte und Militärwissenschaften, mit Naturwissenschaften, Mathematik, Nationalökonomie, Geschichte und vor allem mit vergleichender Sprachlehre, seinem Lieblingsfach. „Er stammelt in zwanzig Sprachen“, schrieb in den siebziger Jahren der Pariser „Figaro“ von ihm; außer seiner Muttersprache und Französisch und Englisch beherrschte er völlig Italienisch, Spanisch, Russisch, Schwedisch, Holländisch. Auch literarisch feierte Engels in jener Zeit nicht. Er verfasste verschiedene ausgezeichnete Broschüren: „Po und Rhein„, „Savoyen, Nizza und der Rhein„, „Die preußische Militärfrage und die Arbeiterpartei„, in welch letzterer er die Feigheit und Halbheit des deutschen Liberalismus geißelt und nachweist, dass nur die revolutionäre Arbeiterklasse ernstlich mit dem Militarismus abrechnen könne. Dass er alle Zeitereignisse aufmerksamst verfolgte, versteht sich von selbst. Übrigens stand Engels in Manchester nicht vereinsamt da. Anregung und Freude brachte ihm der Verkehr mit etlichen gleichgesinnten Männern, mit Sam Moore, der mit Aveling zusammen den ersten Band des „Kapital“ ins Englische übersetzte; mit Wolff, „dem kühnen, treuen, edlen Vorkämpfer des Proletariats“, dem Marx den ersten Band seines unsterblichen Werks widmete; mit Professor Schorlemer, einem der bedeutendsten modernen Chemiker, der in den achtziger Jahren starb. Trotzdem empfand er die Trennung von seinem Marx unendlich schwer, denn während der zwanzig Jahre kam es zwischen den Freunden nur zu kurzen, gelegentlichen Zusammentreffen. Ihr Ideenaustausch war allerdings ein ununterbrochener und überaus reger. Fast täglich schrieben sie einander, und Engels‘ Briefe wurden von „Mohr“, wie Marx zu Hause hieß, stets mit Ungeduld erwartet. Wie Eleanor. Marx‘ jüngere Tochter erzählt, sprach dieser oft zu den Briefen des Freundes, als wäre er anwesend: „Nein, so ist’s nu doch nicht“.… „Da hast Du Recht“ etc.; manchmal lachte er über sie. dass ihm die Tränen über die Wangen liefen.

Endlich 1869 konnte sich Engels vom Geschäft zurückziehen. Er benutzte die gewonnene Bewegungsfreiheit, um 1870 von Manchester nach London überzusiedeln.

(Schluss folgt.)

(Schluss)

Nun begann für Marx und Engels eine herrliche Zeit wechselseitiger Anregung und Förderung, Ergänzung und Erfrischung, fruchtbarsten gemeinsamen Forschens und Schaffens. Im Laufe der nächsten zehn Jahre kam Engels täglich zu Marx. Manchmal gingen die Freunde zusammen spazieren, manchmal blieben sie daheim und wanderten im Zimmer auf und ab, jeder auf seiner Seite desselben, sich in den Ecken mit einem seltsamen Schwung auf den Absätzen umdrehend. Dabei diskutierten sie, wie Eleanor Marx-Aveling erzählt, über mehr Dinge, als die Schulweisheit der meisten Menschen sich träumen lässt. Nicht selten auch gingen sie schweigend nebeneinander auf und ab, bis sie sich gegenüberstanden und mit lautem Lachen erklärten, dass sie die letzte halbe Stunde ganz entgegengesetzte Pläne erwogen hatten. Sehr oft arbeiteten sie zusammen, stets teilten sie einander ihre Ideen mit, in Spezialfragen halfen sie einander brüderlich aus.

Marx fuhr fort, die gemeinsam gefundenen Theorien des wissenschaftlichen Sozialismus systematisch für die wissenschaftliche Welt darzulegen. Engels dagegen vertrat sie polemisch, prüfte an ihrer Hand die auftauchenden großen Zeit- und Streitfragen, legte ihnen gegenüber die Stellung des Proletariats klar und begründete dieselbe theoretisch und taktisch. Seine Darlegungen überzeugten durch die Unerbittlichkeit ihrer Logik, durch die wissenschaftlich unanfechtbaren Tatsachen, auf die sie sich stützten; sie fesselten durch die klare, durchsichtige Form der Darstellung, die knappe, kraftvolle und dabei leichte Sprache, durch glänzenden Witz und sprudelnden Humor. Ob Engels die offenen Feinde des Proletariats bekämpfte, wie in der Broschüre: „Der preußische Schnaps im deutschen Reichstage„, oder dessen falsche Brüder und Propheten entlarvte, stets war er von gleicher Frische, Schärfe und Gründlichkeit. So leicht und anmutig er seine Waffe führte, so wuchtig trafen seine Hiebe. Das erfuhr Mülberg, dessen proudhonistische, sentimental verschrobene Kleinbürgerei in „Die Wohnungsfrage“ er verdientermaßen abfertigte. Das erfuhren auch Bakunin und seine Nachbeter, mit denen der Mitbegründer des wissenschaftlichen Sozialismus in den Artikeln bzw. Broschüren: „Soziales aus Russland“ und „Die Bakunisten an der Arbeit“ gründlich abrechnete. Vor Allem aber war es das hohle, oberflächliche, in gespreiztem Größenwahn einher stolzierede Prophetentum Dührings, welches die volle Schärfe Engelsscher Polemik zu kosten bekam. Und mit dem sich ultraradikal gebärdenden Privatdozenten zusammen tat Engels die ideologischen bürgerlichen Elemente ab, welche damals aus den verschiedensten persönlichen Gründen mit der Sozialdemokratie zu kokettieren begannen und sie zu beeinflussen suchten. Die Schrift: „Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft„, welche gelegentlich der nötigen Klärung entstand, enthält neben einer unbarmherzigen kritischen Zerzausung der irreführenden Lehren eine mustergültige, knappe und dabei gründlich erhellende Darlegung des wissenschaftlichen Sozialismus, eine gedrängte Geschichte des Sozialismus, und sie beleuchtet die wichtigsten Punkte des gesamten modernen Wissens vom Standpunkte der materialistischen Dialektik aus. So ist nächst Marx‘ „Kapital“ der „Anti-Dühring“ ein Werk von grundlegender Bedeutung für die Erfassung des wissenschaftlichen Sozialismus. Einige Abschnitte davon sind unter dem Titel: „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ als besondere Broschüre erschienen und haben in die weitesten proletarischen Kreise Aufklärung über das Wesen der modernen revolutionären Bewegung getragen.

Engels‘ reiche, vielseitige Natur betätigte sich nicht nur im wissenschaftlichen Forschen und literarischen Schaffen, sondern gleichzeitig auch im regsten praktischen politischen Wirken. Im rechten Augenblick war er nach London übergesiedelt, um mit Marx zusammen und ihm die schier erdrückende Arbeitslast erleichternd, innerhalb der jungen, aber mächtig empor sprossenden Bewegung des Proletariats mit voller Kraft wirken zu können. Seit Beginn der sechziger Jahre erhob in den verschiedenen Ländern die Arbeiterklasse wieder das Haupt. Ihre ersten Lebensäußerungen waren unklar, widerspruchsvoll und zersplittert und konnten nicht anders als das sein. Nun galt es, alle dunklen Regungen des Klasseninstinkts zum zielklaren Klassenbewusstsein zu erziehen, die einzelnen Äußerungen des Klassenlebens zu einheitlichem Wollen zusammenzufassen, aus den zerstreuten proletarischen Massen, die von den Folgen der kapitalistischen Wirtschaftsweise zur Auflehnung gegen diese wach gepeitscht wurden, eine fest verbundene Macht zusammenzuschweißen, welche zukunftssicher auf dem rechten Wege dem rechten Ziele zustrebt. Das Proletariat musste für den bewusst geführten politischen Klassenkampf geschult und organisiert werden, damit es den Sozialismus verwirklichen konnte. Dies die Aufgabe, welche sich die „Internationale“ gestellt hatte, die 1864 in London von Angehörigen der verschiedenen Nationen gegründet wurde, nicht als Riesenklub von Verschwörern, sondern als eine Gesellschaft für die Aufklärung und Organisierung des internationalen Proletariats. Marx war die geistige Führerschaft der „Internationale“ zugefallen, und Engels hatte ihr seit ihrer Gründung nicht mit in den Schoß gelegten Händen gegenübergestanden. Allein mit voller Kraft konnte er sich ihrer Förderung erst widmen, nachdem er Manchester verlassen hatte.

Gerade damals bedurfte Marx der Mitarbeit des gleich genialen Freundes auf praktischem Gebiete am dringendsten. Geschichtliche Ereignisse von weittragendster Bedeutung – der deutsch-französische Krieg und die Kommune – hatten eine revolutionierte politische Situation geschaffen, der gegenüber die Haltung und Aktion des Proletariats geklärt und festgelegt werden musste. Aus dieser Lage der Dinge heraus erwuchsen für die „Internationale“ und ihre Leiter die höchsten Anforderungen und ein ernster, verantwortungsreicher Kampf nach außen und innen, gegen die Feinde des Proletariats, wie gegen die Unklarheit in seinen eigenen Reihen und denen seiner revolutionären Vorhut. Die Folge davon war, dass der Bund noch mehr als vorher schon ein Gräuel und Scheuel für alle Gutgesinnten ward, und dass schwerwiegende Meinungsverschiedenheiten seiner Anhänger zu Tage traten und in erbitterten Kämpfen ausgefochten wurden. 1871 bröckelten zuerst die einflussreichsten Engländer von der „Internationale“ ab, weil sie in spießbürgerlicher Respektabilitätsmeierei diese durch ihre Solidarisierung mit der Kommune für „kompromittiert“ erachteten. Dann kam es zu harten, zur Trennung führenden Auseinandersetzungen mit den proudhonistischen Mutualisten, welche durch Volksbanken Volkskredit, Genossenschaften aller Art auf Gegenseitigkeit und ähnliche kleinbürgerliche Utopistereien das Proletariat befreien zu können wähnten. Und schließlich spielte sich im Schoße der „Internationale“ der gewaltige Kampf ab zwischen Marx und Bakunin, dem Apostel des Anarchismus, welcher die Gesellschaft durch Verschwörungen und Putsche revolutioniere wollte, statt zu diesem Zwecke das Proletariat auf den politischen Kampf und die Eroberung der politischen Macht zu verweisen. Die „Internationale“ spaltete sich, in reinlicher Scheidung gingen Anarchisten und wissenschaftliche Sozialisten auseinander. Der Zerfall der „Internationale“ ward durch diese Spaltung beschleunigt, aber nicht veranlasst. Sie starb, weil sie ihr Werk vollbracht hatte, weil die von ihr ausgestreute Saat herrlich in die Halme geschossen war. In allen Kulturländern war eine klassenbewusste Arbeiterbewegung in Fluss gekommen, welche stetig an innerer und äußerer Kraft gewann und zielklar den Klassenkampf aufnahm. In dem Maße, als die sozialistischen Parteien der einzelnen Länder kämpfend in die heimatlichen Verhältnisse eingriffen, wurde die „Internationale“ als Organisation überflüssig, ja zur Fessel. Ihre Form zerfiel, aber unsterblich und siegreich belebte ihr Geist, ihr Gedankeninhalt die sozialistische Arbeiterbewegung der alten und neuen Welt.

Engels hatte als Mitglied des Generalrates – zuerst als korrespondierender Sekretär für Belgien und Spanien, dann für Italien und Spanien – rührigsten Anteil an der Entwicklung der „Internationale“ genommen. Nach ihrem Zerfall blieben Marx und er die geistigen Führer des internationalen Klassenkampfs. Von England aus, einer sozialpolitischen Warte, wie es keine zweite gibt, umflutet von den Erscheinungen, dem Wogen und Werden der fortgeschrittensten kapitalistischen Produktion und des Weltverkehrs, im Besitz des reichsten wissenschaftlichen Rüstzeugs und der Erfahrungen eines halben Jahrhunderts revolutionären Kampfes, im Verkehr mit den sozialistischen Vorkämpfern aller Nationen: gewannen sie einen klaren und tiefen Überblick über die gesamte wirtschaftliche und politische Entwicklung. So konnten dem Proletariat seine theoretischen Pfadfinder klare und fruchtbare Berater sein. Broschüren, Artikel und zahllose Briefe in den verschiedensten Sprachen zeugen davon.

Harte persönliche Schicksalsschläge trafen Engels in jener Zeit der vollen und freien Betätigung seiner Individualität im Dienste des Proletariats. Der Tod entriss ihm die zärtlich geliebte Gattin, eine liebenswürdige charaktervolle Irländerin, welche energischen, selbständigen Anteil an der Bewegung der Fenier nahm. Dann nahm das Land, „von dessen Grenzen kein Wandrer wiederkehrt„, Marx‘ Frau auf, die treue, hingebende, hochsinnige und begeisterte Gefährtin des revolutionären Ringens der Freunde. Bald darauf starb Marx‘ älteste Tochter, und schließlich sank 1883 Marx selbst ins Grab. Unausfüllbar war die Lücke, die sein Tod in Engels‘ Leben zurückließ, Und wenn dieser den unersetzlichen Verlust überwand, so nicht nur in Folge seiner energischen Natur, sondern auch Dank der Kraft, welche er aus dem Emporblühen und Reifen des gemeinsamen Lebenswerks schöpfte, aus der gesunden Entwicklung der internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung, Dank des lebendigen Gefühls der Verantwortlichkeit und Pflicht, zu vollenden, was der Freund nicht mehr zu Ende zu führen vermocht. Mit der frischen Energie und dem Feuer des Jünglings, der Geduld des Gelehrten und der zähen Ausdauer des erprobten Kämpfers hat Engels die ihm mit Marx‘ Tode zugefallene Aufgabe gelöst. Und dazu mit der zartesten, pietätvollen Hand des Freundes, der in der Gemeinsamkeit des Denkens und Wollens eines ganzen Lebens mit Marx‘ Genius verbunden und ihm innig verwandt war. So lange Engels lebte, war auch Marx nicht tot.

Engels war stets bestrebt gewesen, nur „zweite Violine zu spielen“, mit rührender Bescheidenheit seine Persönlichkeit und sein Wirken in den Hintergrund zu stellen, damit das Verdienst des Freundes um so heller strahle. Und so widmete er seit Marx‘ Tode den besten Teil seiner Zeit und Kraft dessen wissenschaftlicher Hinterlassenschaft. Er besorgte die dritte, vermehrte und revidierte Auflage des ersten Bandes vom „Kapital“ und gab 1885 den zweiten, 1894 den dritten Band desselben heraus. Eine Riesenarbeit hatte er damit bewältigt, denn es handelte sich um die wissenschaftliche Darstellung und Erklärung der schwierigsten wirtschaftlichen Probleme, und von Marx‘ Seite waren vielfach nur Bruchstücke, unvollständige Aufzeichnungen, Andeutungen, in deutscher, englischer und französischer Sprache hingeworfene Schlagworte vorhanden. Er löste diese Riesenarbeit, wie kein anderer außer ihm sie zu lösen vermochte und errichtete damit seinem Freunde ein Denkmal dauerhafter als Erz. Neben dieser Leistung wurde er seinen früheren Aufgaben gerecht und führte seine eigenen Forschungen weiter. 1884 erschien seine Studie über den „Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats„, in welcher er an der Hand der Morganschen Forschungen Vorgeschichte und Geschichte als Glieder eines einheitlichen Entwicklungsganges aneinanderfügt. Die Schrift ist von grundlegender Bedeutung für den Befreiungskampf des weiblichen Geschlechts. Die zahlreichen Neuauflagen und Übersetzungen seiner Werke revidierte er und versah sie mit neuen Vorreden, die Musterstücke des Stils und der klaren Auseinandersetzung sind. Im Züricher „Sozialdemokrat„, der „Neuen Zeit„, in sozialistischen Organen des Auslands erschienen wertvolle Artikel von ihm. Schon von der tödlichen Krankheit erfasst, schrieb er im Frühjahr dieses Jahres noch eine Vorrede zu Marx‘ „Klassenkämpfe in Frankreich„. Das Letzte, was er für die Öffentlichkeit geschrieben, ist ein offener Brief, mit welchem er das Wiedererscheinen einer sozialistischen Zeitung in Palermo mit jugendlicher Begeisterung begrüßt. Bis zu seinem Tode korrespondierte er ratend, anfeuernd und klärend in alle Weltteile, und wie sein gastfreundliches Haus die Führer im Streit wie die einfachen Soldaten des proletarischen Klassenkampfs mit gleicher Herzlichkeit ausnahm, so stellte er, ohne sich je aufzudrängen, seine Kenntnisse und Erfahrungen Jedem zur Verfügung, der dem Proletariat ehrlich diente. Noch trug er sich mit einer Fülle weitreichender Arbeitspläne, so unter anderem der Abfassung einer Geschichte der „Internationale“, als ihn der Tod am 5. August mitten vom fruchtbaren Schaffen rief.

Mit ihm ging ein großer Mann zu Grabe, ein Mann aus einem Guss. Harmonisch vereinigten sich in ihm der Gelehrte, der Kämpfer, der Mensch zu einem Ganzen, zu einer mächtigen und doch dabei einfachen, schlichten Persönlichkeit. Das internationale Proletariat hat mit ihm den zweiten seiner großen Theoretiker verloren und den bedeutendsten seiner Taktiker, beim Rat und bei der Tat wird es ihn vermissen. Aber es ehrt ihn nicht in stumpfer Trauer, sondern mit dem festen Gelöbnis, in seinem Geiste den von den Ideen des wissenschaftlichen Sozialismus befruchteten Klassenkampf weiter zu führen; es dankt ihm, indem es rüstig seiner Befreiung entgegen ringt.


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