Franz Mehring: Die Irrlichter des Freisinns

[Die Neue Zeit, IX. Jahrgang 1890-91, II. Band, Nr. 50, S. 745-749]

Berlin, den 14. September

An einem Frühlingstage des Jahres 1863 tagte der „Berliner Arbeiterverein“ in dem größten Versammlungssaale der damals nur erst preußischen Hauptstadt. Kopf an Kopf drängte sich eine vieltausendköpfige Menge um die Estrade, auf welcher Herr Schulze-Delitzsch erschien, umgeben von einem Stabe ebenso erlauchter wie erleuchteter Koryphäen. Man sah da den Präsidenten Lette, den Geheimrat Engel, den Staatsrat Franke, den Finanzrat Hopf, dazu die publizistischen Leuchten der Freihandelslehre, die Herren Prince-Smith, Wolf, Maron und – nicht zu vergessen – Max Wirth, der dazumal von Lassalle noch nicht geschunden war. Diese Männer „aus Süd und Nord, Ost und West unseres Vaterlandes“ kamen, wie Herr Schulze-Delitzsch erläuterte, „die Berliner Arbeiter kennen zu lernen, Zeugen zu sein von dem Ernste und der Haltung, wie sie hier den Lehren ihrer Wissenschaft entgegengetragen werden.“ Dann schwang Herr Schulze-Delitzsch das Schwert seines Geistes gegen „das ganze Halbwissen des Herrn Lassalle“ und erklärte: „Dort Redensarten, hier Kapital und Bildung – wir wollen sehen, wer das Feld behält! Wohl, meine Herren, entscheiden sie sich für meine Wege, so stehe ich weiter zu Diensten.“ Und mit „allseitigem, donnernden Beifall“ trennte sich die Versammlung.

Seitdem ist bald ein Menschenalter ins Land gegangen; die Arbeiter haben ganz und gar auf die „Dienste“ des Herrn Schulze-Delitzsch und seiner Nachbeter verzichtet; der „Berliner Arbeiterverein“ aber ist auf ein kleines Häuflein übrigens durchaus wackerer Männer zusammengeschrumpft, die, mehr Kleinhandwerker als Lohnarbeiter, mehr den Erinnerungen der Vergangenheit, als den Hoffnungen der Zukunft leben, die an ihren demokratischen Überzeugungen ebenso fest-, wie sie sich demgemäß von aller gehässigen Gesinnung gegen die Arbeiterpartei freihalten. Waren sie hierdurch schon in den Augen des Herrn Eugen Richter des „Verdachts verdächtig, “ so haben sie vollends dem Fasse den Boden ausgestoßen, indem sie den sozialdemokratischen Antrag auf Gewährung freier Lehrmittel in den hiesigen Gemeindeschulen unterstützten und den sozialdemokratischen Stadtverordneten Vogtherr zu einem beiläufig unpolitischen Vortrage in ihrem Vereine einluden Nunmehr beeilt sich die „Freisinnige Zeitung,“ den Bannstrahl gegen den „kleinen“ Verein zu schleudern – als ob nicht bloß die Unfähigkeit der freisinnigen Arbeiterpolitik ihn „klein“ gemacht hätte! –; sie befiehlt, dass kein freisinniger Abgeordneter mehr in dem Verein sprechen dürfe. Natürlich nehmen die Berliner Kinder des Vereins den Spaß ebenso spaßhaft, wie er ernsthaft gemeint ist; es ist nicht ihre Sache, die hier geführt werden soll. Nur eine grundsätzliche Schwenkung, welche der Zwischenfall in der freisinnigen Parteipolitik, wenn nicht veranlasst, so doch befördert hat, erheischt eine nähere Beleuchtung. Wie die Blätter melden, sind die „leitenden Kreise“ der freisinnigen Partei nunmehr entschlossen, den Unfug freisinniger Berufsvereine nicht mehr zu dulden; dabei komme nichts heraus, als eine erfolgreiche Werbung von Rekruten für die Sozialdemokratie, wie u. A. erst wieder an dem Verein der freisinnigen Handlungsgehilfen erlebt worden sei.

Diese Erkenntnis trifft den Nagel auf den Kopf; wie sollte es auch anders sein? Organisieren sich die etwa noch in der freisinnigen Partei vorhandenen proletarischen Elemente zur Vertretung ihrer Klasseninteressen, so müssen sie mit dem kapitalistischen Klasseninteresse, das die Partei als solche vertritt, in einen unlösbaren Zwiespalt geraten. Verständen die freisinnigen Herren, von Gegnern zu lernen, so hätten sie jene Erkenntnis bereits vor zwanzig Jahren gewinnen können, denn damals prophezeite ihnen Freund Liebknecht schon im „Volksstaat“: „Nur zu, Ihr Herren Bourgeois-Sozialdemagogen! Nur recht viel „Arbeitervereine“ zusammengebracht und einexerziert! Ihr nehmt uns damit einen Teil der Arbeit ab, Nur zu! Je mehr „Arbeitervereine“ Ihr organisiert, desto besser für uns, Denn sie werden, wenn es zum Klappen kommt, auf unserer Seite fechten.“ Ja noch mehr! In seiner naiven Zeit war sich der freisinnige Kapitalismus selbst vollkommen klar über seinen inneren, unversöhnlichen Gegensatz zu der Berufsorganisation der Arbeiter, und am 11. Februar 1865 erklärte Herr Faucher im preußischen Abgeordnetenhause? „Die Trade-Unions sind nicht der fortschreitende Teil des Genossenschaftswesens, sondern der rückschreitende; sie sind der Keim, aus dem unser modernes, besseres Genossenschaftswesen (Konsum-, Rohstoff-, Vorschussvereine) entstanden ist und welches diesem die intelligentesten Kräfte entfremdet, Unser Genossenschaftswesen unterscheidet sich von den Trade-Unions, gerade wie die Gewerbefreiheit vom Zunftwesen.“ so Herr Faucher, Und dass der kapitalistische Freisinn vor einem Vierteljahrhundert schon ganz genau wusste, was ihm jetzt durch die empfindlichsten Nackenschläge wieder eingebläut werden muss, das ist der Humor davon. In der Tat gehört der Rundtanz, den die Irrlichter des Freisinns gemacht haben, bis sie im Jahre 1891 da wieder anlangten, von wo sie im Jahre 1865 ausgingen, zu den ergötzlichsten Komödien der Zeitgeschichte.

Bereits im Jahre 1869 hatte der tote Lassalle den lebenden Schulze so in die Enge getrieben, dass der „König im sozialen Reiche“ den Berliner Arbeitern zurief: „Es besteht die Ungerechtigkeit, dass eine kleine Minderheit von dem schweiße der Arbeiter lebt, … In geschlossenen Reihen als Macht müssen die Arbeiter auftreten, um die Hebung ihrer sozialen Stellung durchzusetzen Denn wer im Besitze der Macht ist, der politischen wie der wirtschaftlichen, teilt sie nie freiwillig und räumt nur Denjenigen, die gleichfalls als Macht auftreten, eine Stelle neben sich ein. Deshalb, meine Herren, disziplinieren sie sich, organisieren sie sich!“ Kurzum, Herr Schulze gab seinen Segen zu der „rückschreitenden Form des Genossenschaftswesens“ und Herr Max Hirsch organisierte Gewerkvereine als freiwillige Hilfstruppen des kapitalistischen Freisinns. Fürsichtlich zog er den Arbeitsbienen ihren Stachel aus, aber selbst in der verhunzten Form der Organisation machte sich das proletarische Klassenbewusstsein geltend, Nicht allein, dass sich diese Gewerkvereine nur als ein Übergangsstadium der Arbeiter von der Fortschrittspartei zur Sozialdemokratie bewährten: auch der kleine Rest, der in der „Verbandsschlinge“ hängen blieb, war keineswegs gewillt, nach der Pfeife des kapitalistischen Freisinns zu tanzen. Und so bezeichnet Herr Parisius in seiner Geschichte der Fortschrittspartei betrübt die Tatsache, das die eifrige Beteiligung der Gewerkvereine an den Generalversammlungen des „Vereins für Sozialreform“ unter seinen Parteigenossen „etwas abkühlend“ gewirkt habe, und dass, als die Gewerkvereine 1873 auf ihrem Verbandstage den Beschluss fassten, eigene Kandidaten für die Reichstagswahlen aufzustellen und nicht bloß als fortschrittliches Stimmvieh zu dienen, die „an sich vortreffliche Sache“ in „falsche Bahnen“ geraten sei.

Aber ehe dieses Irrlicht seine verräterische Natur offenbarte, tanzte schon ein anderes Irrlicht lustig neben ihm her. Es hieß: Gewinnbeteiligung mit Anteil am Geschäft. Unter einem fürchterlichen Aufgebot der Reklame führte sie ein freisinniger Kapitalist, Herr Wilhelm Borchert jun., beraten von Geheimrat Engel, in seine Messingfabrik ein. Die soziale Frage war wieder einmal gelöst, Herr Engel, ein sehr verdienter Statistiker, aber als Sozialpolitiker nur ein Mann von Einfällen, bald geistreichen, bald geschmacklosen Einfällen, schrieb im Jahrbuch der städtischen Behörden von 1869: „Es kann nicht fehlen, das dieses System rasch Verbreitung finden werde, denn es ist ebenso praktisch, wie wissenschaftlich richtig, und es ist sofort und überall ausführbar. Es ist aber auch eminent politisch, Der Unterschied zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird nach und nach beseitigt, und damit wird auch der fast künstliche Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat aufgehoben. Jedem Arbeiter wird die Aussicht auf Kapitalansammlung geöffnet. Jeder ist, obgleich Arbeiter, doch auch Arbeitgeber und Mitbesitzer seine Werkstatt. … So ist denn die soziale Frage keine Frage mehr, die Anhäufung von Arbeitermassen in großen Städten keine Gefahr mehr, sondern eine Wohltat, denn so viel Arbeiter, so viel kleine Eigentümer, so viel treue, strebsame Bürger, so viel wahre Freunde des unbeweglichen und beweglichen Besitzes, und darum auch eben so viel Verteidiger der öffentlichen Ordnung.“ Und denselben Hymnus trug Herr Engel auch noch mündlich dem damaligen Kronprinzen in der Juristischen Gesellschaft vor. Der Jubel war groß, aber leider von kurzer Dauer.

Herr Borchert schätzte den Wert seiner Fabrik auf 900,000 Mark ein und zerlegte diese Summe in 6000 Anteilscheine zu 150 Mark, von denen ein geringer Teil durch Beamte und ältere Arbeiter der Fabrik erworben wurden. Mitreden sollten diese „Besitzer ihrer Werkstatt“. aber erst dürfen, wenn sie drei Zehntel der Anteilscheine erworben hätten, woran natürlich niemals zu denken war. Der jährliche Reingewinn wurde zur Hälfte als „Dividende“ unter die Besitzer, zur Hälfte als „Bonus“ im Verhältnis der Gehälter und Löhne unter die Arbeiter verteilt, unter welche sich beiläufig Herr Borchert selbst mit 9000 Mark „Direktorialgehalt“ eingeschätzt hatte, Und fünf Jahre lang wurde nun alljährlich der „Bonus“ verteilt, wieder unter ohrenzerreißendem Wirbeln der Reklametrommeln. Es klang ja auch ganz schön, wenn beispielsweise nach dem ersten Jahresabschlusse jeder der 66 Arbeiter 87 Mark „Bonus“ erhielt; leider aber war der böse „Sozialdemokrat“ auf dem Posten und wies sofort nach, das die Arbeiter der Borchertschen Messingfabrik in dem betreffenden Jahre nur 13,50 Mark Wochenlohn erhalten hätten und nicht 15 Mark, den damals ortsüblichen Lohn der Metallarbeiter. Dieser Nachweis, wonach die Beteiligung am Geschäftsgewinn tatsächlich ein von den Arbeitern dem Fabrikbesitzer geleisteter Vorschuss war, hätte Herrn Borchert vielleicht weniger beunruhigt, aber er kam durch die von ihm beliebte „Lösung der sozialen Frage“ auch sonst nicht auf seine kapitalistischen Kosten. Seinen Kummer darüber schüttete Herr Borchert in einem Briefe an die teilnehmende Seele des Herrn Viktor Böhmert wie folgt aus „Das Resultat der Gewinnbeteiligung und der Arbeitsprämien lässt sich bei mir dahin zusammenfassen, dass Schwierigkeiten, Streiks, sowie gemeinschaftlich gestellte Forderungen der Arbeiter hinsichtlich weiterer Verbesserung ihrer Lage oder hinsichtlich der Arbeitszeit und Fabrikordnung, durch diese Einrichtung vermieden würden, und das ferner der Zahl und Häufigkeit nach weit weniger Wechsel im Arbeitspersonal eintrat, als dies sonst wohl geschehen wäre. Dagegen lässt sich ein durch Ziffern erkennbarer vermehrter Fleiß, Sorgfalt und Eifer der Arbeiter nicht konstatiere. … Da die neu hinzutretenden Arbeitnehmer nur in sehr langsamer Weise Ersparnisse machen und Anteile erwerben konnten, für sie also nur die Arbeitsprämie in Frage stand, so blieben sie meistens nicht länger in der Fabrik, als bis sie besser bezahlte Arbeit erhalten konnten. Es zeigt dies, dass bei den Arbeitnehmern Berlins sehr häufig wohl nur das Wollen und die Neigung fehlt, ein Jahr hindurch zu warten, bis ihnen der Bonus zuteil wird. Die große Masse der Berliner Arbeiter will ohne weise Rücksichtnahme auf die Zukunft unter erreichbar besten Bedingungen eben nur von Tag zu Tage leben.“ Schrecklich von dieser „großen Masse,“ aber da sie nun einmal so ist, blieb Herrn Borchert, um den höchstmöglichen Mehrwert aus ihr herauszupressen, oder, wie er es aus drückte, ihr „einen hinlänglichen Antrieb zur Entfaltung eines Maximums von Fleiß und Sorgfalt während eines ganzen Jahres“ zu geben, nichts weiter übrig, als den Zeitlohn mit dem „Bonus“ abzuschaffen und dafür den Akkordlohn mit einer „Produktionstantieme“ einzuführen, so zwar, dass für jedes Hundert Zentner, welches über die monatliche Normalleistung von dreizehn Hundert Zentnern hinaus fertig gestellt wurde, eine gewisse Erhöhung des Lohns eintreten solle, um 500 Mark für das vierzehnte, um 1000 Mark für das fünfzehnte und um 1500 Mark für das sechzehnte Hundert. Diese „Lösung der sozialen Frage“ lief also auf den alten Satz hinaus: „Akkordlohn ist Mordlohn,“ und da musste denn freilich Herr Engel verstummen, und nach ihm auch alle Trommeln und Trompeten der Reklame. –

Die spaßhaftesten Zickzacksprünge aber hat ein drittes Irrlicht des Freisinns gemacht, Nach dem Glauben der Faucher und Genossen war die Fabrikgesetzgebung ein „bürokratisch-sozialistisches Experiment,“ das gegenüber dem „modernen Kultur-und Rechtsstaate“ die „innere Verwandtschaft des Polizei- und des Sozialistenstaats“ bekunde. Aber dies orthodoxe Bekenntnis litt unter dem Drange und Sturme der Zeit schwere Not und auf dem fortschrittlichen Parteitage von 1878 -– dem ersten und letzten seines Geschlechts – setzten einige jüngere, demokratisch gesinnte Elemente der Partei unter den Programmforderungen durch. „Weiterer Ausbau der wirtschaftlichen Gesetzgebung, insbesondere zum Schutze für Leben und Gesundheit der Arbeiter, der Frauen und Kinder.“ Es war wenig genug, aber für Herrn Eugen Richter war es noch viel zu viel. Zu diesem der zehn Gebote setzte er in dem „Neuen ABC-Buch für freisinnige Wähler“ ein „Was ist das?“ des Inhalts, das die „sogenannte Arbeiterschutzgesetzgebung zwar den Schein der arbeiterfreundlichen Gesinnung erweden könne, in Wahrheit aber für die Arbeiter sehr zweischneidiger Natur“ sei, Er sagte wörtlich: „Es gehören dahin Anträge in Bezug auf die Beschränkung der Sonntagsarbeit, der Frauen- und Kinderarbeit, sowie Einführung des Normalarbeitstages. Durch solche Polizeivollmachten geraten die Industrie, die Arbeitgeber und die Arbeiter selbst in eine wirtschaftlich und politisch schädliche Abhängigkeit von den Behörden.“ Und jedes Mal, wenn Bismarck im Reichstage seine geschmacklosen Tiraden gegen den Arbeiterschutz vorbrachte, klatschten die freisinnig-kapitalistischen Auguren begeistert in die Hände, männiglich zum Beweise, dass sie nicht bloß „nörgeln, “ sondern der Regierung auch voll und ganz zustimmen könnten, vorausgesetzt, das sie „vernünftige Ansichten“ hegte. Als dann das Fusionsprogramm hinter den Kulissen festgestellt wurde, verschwand auch jeder halbwegs klare Satz über die Fabrikgesetzgebung, und an seine Stelle wurde das manchesterlich vieldeutige Orakel gesetzt: „Eintreten für alle auf Hebung der arbeitenden Klassen zielenden Bestrebungen,“ aber „Bekämpfung des Staatssozialismus, sowie der auf Bevormundung und Fesselung des Erwerbs- und Verkehrslebens … gerichteten Bestrebungen.“ Etwelches Murren über dies verwaschene Gerede beschwichtigte später die „Freisinnige Zeitung“ mit der Erklärung, die Forderung von Arbeiterschutzgesetzen sei „bereits derart Gemeingut aller politischen Parteien geworden, das ihre Aufzählung in einem besonderen Parteiprogramm wenig Bedeutung habe.“ Eine schöne Phrase, eine vortreffliche Phrase, namentlich wenn man sie mit dem oben erwähnten Artikel „Arbeiterschutz“. aus dem ABC-Buche vergleicht! Aber es sollte noch besser kommen.

Nämlich: Der Widerstand Bismarcks gegen die Fabrikgesetzgebung erwies sich als so unüberwindlich, und der Hass, den er dadurch gegen sich aufregte, wuchs so stark an, dass der freisinnige Kapitalismus nicht er selber hätte sein müssen, um hier nicht die Möglichkeit eines vorteilhaften politischen Geschäftchens zu wittern. Namentlich angesichts der Reichstagswahlen von 1890 war es am Ende ratsam, ein bisschen in „Sozialreform“ zu machen; vorläufig war ja keine Gefahr dabei, und der agitatorische Nutzen war so handgreiflich, so wurde denn der freisinnige Kapitalismus „sozialreformerisch;“ selbst der eiserne Charakter, welcher das ABC-Buch redigiert, erweichte sein starres Herz; in der neuesten, 1890 erschienenen Auflage sind jene früheren Sätze über die „Zweischneidigkeit“ der Fabrikgesetzgebung einfach gestrichen; es wird nur mit der stolzen Ruhe überlegener Einsicht erzählt, das der Reichstag immer wieder den gesetzlichen Arbeiterschutz verlangt habe und sich „durch die schroff abweisende Haltung der Regierung gleichwohl nicht beirren“ ließ. Und als Bismarck vornehmlich über „diese Frage stürzte, als die Februar-Erlasse des Kaisers erschienen, da scholl es eintönig aus der freisinnig-kapitalistischen Presse: „Wir haben es immer gewollt, wir haben es immer gesagt. Herr, hier sind wir!“ Leider aber ließ sich Niemand verblüffen und so nahm denn der kapitalistische Freisinn bei der diesjährigen Beratung des Arbeiterschutzgesetzes im Reichstage mit einer kühne Schwenkung die Spitze der „Verschlechterungskommission“ die Anträge Gutfleisch säbelten alles nieder, was dem Kapitalismus mehr als höchstens ein sanftes Kriseln verursachen konnte, Nunmehr braucht nur noch der Urtext des ABC-Buchs wiederhergestellt zu werden, und auch dieses Irrlicht des Freisinns ist dahin zurück getanzt, von wo es vor einem Menschenalter aufflimmerte.

Erfolg- und zwecklos, wie die Irrfahrten dieser Irrlichter sonst waren, haben sie sich dadurch doch als das erwiesen, was sie sind. Ihr trügerischer Schein kann und wird keinen Arbeiter mehr in den Sumpf locken. Sie haben keinen Zweck mehr, als Herrn Eugen Richter zu leuchten, indem er die „Irrlehren der Sozialdemokratie“ kritisch vernichtet, und es wäre grausam, sie in dieser ebenso bescheidenen, wie melancholischen Beschäftigung zu stören.


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