Peter Taaffe: Spaltungen an der Spitze, Umwälzungen von unten

[20. Mai 1988, Broschüre „Stalinism in Crisis“ (Stalinismus in der Krise), S. 10-17]

„Die Revolution beginnt von oben“, sagte Marx. Weil sie eine bevorstehende Revolte der Arbeiter*innenklasse spüren, beginnen sich die Spitzen der Gesellschaft in verschiedene Lager aufzuspalten: Die einen suchen nach Reformen, um die Flut abzuwehren, während die anderen auf zunehmende Repression setzen. Marx sprach davon, dass die Differenzen innerhalb der Kapitalist*innenklasse das sichtbarste Symptom des kommenden Sturms sind, aber seine Worte gelten mit gleicher Kraft für eine herrschende Kaste wie die stalinistische Bürokratie in Russland.

Selbst ohne die neuen Beweise der turbulenten Ereignisse in Armenien, Polen, Ungarn und praktisch allen Staaten Osteuropas würden die offenen Spaltungen innerhalb der russischen Bürokratie an sich schon auf bevorstehende soziale Umwälzungen hinweisen. Der erbitterte Kampf zwischen den verschiedenen Flügeln der Bürokratie hat sich in einer Weise entfaltet, wie es sie seit der Zwischenkriegszeit, dem Kampf zwischen Stalin und Bucharins „rechter Opposition“, nicht mehr gegeben hat. Im Vorfeld der „außerordentlichen Konferenz“ der „Kommunistischen Partei“ im Juni, der ersten ihrer Art seit 1941, brach ein offener Krieg aus. Gorbatschow hat öffentlich auf „konservative“ Kritiker seiner Politik eingdroschen: „Wir müssen den Konservatismus besiegen, der unseren Weg blockiert. Wir müssen alles ausrotten, was den Prozess der Perestroika (Umstrukturierung) behindert.“

Im November erlebten wir den Zusammenstoß zwischen Gorbatschow und dem ehemaligen Moskauer Parteichef Jelzin. Als Vertreter jenes Teils der Bürokratie, der für die Gefühle der Masse der Bevölkerung empfänglicher ist – er fuhr mit öffentlichen Verkehrsmitteln, was für einen Bürokraten einmalig war – begann Jelzin, einige ihrer Kritikpunkte und die knickrigen Auswirkungen von „Glasnost“ (Offenheit) und Perestroika aufzugreifen. Er wagte es sogar, Gorbatschow und seine Frau Raisa als Vertreter*innen der neuen „aufgeklärten“ Bürokratie zu kritisieren. Seine kurze Rebellion endete mit dem Widerruf seiner „Fehler“ und der Entfernung aus dem Politbüro. Sein Geständnis erinnerte an Stalins Schauprozesse. Jetzt hat er in der deutschsprachigen Ausgabe der „Moscow News“ sensationell enthüllt, dass er „aus dem Krankenhaus geholt und unter Drogen gesetzt wurde, um an der Novembersitzung teilzunehmen, auf der ich entlassen wurde“. Unabhängig davon, ob er die Wahrheit sagt oder nur seine schändliche „Beichte“ vertuschen will, ist allein die Tatsache, dass er dies öffentlich sagen darf, ein Symptom für die offenen Auseinandersetzungen innerhalb der Bürokratie.

Angesichts der Kritik des „konservativen“, offen stalinistischen Flügels der Bürokratie, der von Ligatschow vertreten wird, war Gorbatschow wahrscheinlich gezwungen, sich auf Jelzin und seine Anhänger*innen zu stützen. Der Ligatschow-Flügel ist richtigerweise entsetzt, dass Gorbatschows Maßnahmen die Schleusen geöffnet haben. Sie greifen ihn an, weil er dem Aufkommen der Arbeiter*innenklasse und der Gefahr einer politischen Revolution die Tür geöffnet hat.

Vom ersten Tag der Machtübernahme Gorbatschows an wies „Militant“ darauf hin, dass er keineswegs bereit war, die Herrschaft der Bürokratie in Frage zu stellen, sondern dass er für größere Privilegien für die oberen Schichten der Elite stand. Seine Maßnahmen waren ein Versuch, die aufgeblähten Privilegien, insbesondere der mittleren Schichten der Bürokratie, zu beschneiden. Während er die „legalen“ Privilegien der Elite standhaft verteidigte, führte er einen Krieg gegen die „illegale“ Verschwendung und Korruption, die einen kolossalen Teil des von der Arbeiter*innenklasse produzierten Mehrprodukts verschlang.

Während sein Regime lautstark die Tugenden der „Demokratisierung“ verkündet, hat es die Organisatoren der jüngsten schwachen und unwirksamen „demokratischen Konferenz“ und den Herausgeber der Zeitschrift „Glasnost“ verhaftet und eingesperrt. Während Gorbatschow jeden Gedanken an eine „Rückkehr zum Kapitalismus“ verwirft, ist er bemüht, alles zu unterdrücken, was die Grundlagen der bürokratischen Herrschaft in Frage stellt: „Wir zerstören nicht das Gesellschaftssystem oder ändern die Eigentumsformen … Man stelle sich vor, nach 70 Jahren versuchen sie immer noch, uns mit Nachkommen von Kapitalisten und Trotzkisten Angst einzujagen.“ „Sie“ sind die Ligatschow-Anhäng*innen. Unter „Trotzkisten“ sind die Ideen der Arbeiter*innendemokratie und der politischen Revolution zu verstehen.

Gorbatschows Politik war „Reformen von oben, um eine Revolution von unten zu verhindern“. Wenn man jedoch den Deckel des Dampfkochtopfs der russischen Gesellschaft öffnet, könnte ein Prozess in Gang gesetzt werden, der die Grundlagen der bürokratischen Herrschaft bedrohen könnte. Die turbulenten Ereignisse in Armenien in den letzten drei Monaten bestätigen dies voll und ganz. In der kleinsten der 15 Republiken der „Sowjetunion“, die nicht mehr als vier Millionen Einwohner*innen zählt, fanden zwei Demonstrationen mit jeweils einer Million Teilnehmer*innen statt! Während der Streik in Armenien im Februar mit Zugeständnissen von Gorbatschow abgebrochen wurde, dauerte der Streik in Berg-Karabach, einer autonomen, überwiegend armenischen Region innerhalb Aserbaidschans, mehr als einen Monat lang an. Er wurde erst abgebrochen, nachdem die Bürokratie als Vergeltung eine Reihe von Fabriken geschlossen hatte.

Während Gorbatschow die zentrale Forderung nach dem Recht Bergkarabachs auf Anschluss an Armenien ablehnte, versprach er massive Investitionen in Höhe von 2.000 Millionen Rubel (2.000 Mio. £) in Armenien. Weitere Zugeständnisse wurden vom „Obersten Sowjet“ gewährt, sie warnten allerdings, dass „Streiks nicht Teil von ,Glasnost‘ sind“. Diese Zugeständnisse mögen die Armenier*innen vorübergehend besänftigen, aber sie werden das zentrale Problem der Verweigerung des demokratischen Rechts der Bevölkerung von Berg-Karabach, ihr eigenes Schicksal zu bestimmen, nicht lösen.

Die ungelöste nationale Frage in der gesamten UdSSR könnte in der nächsten Periode zu weiteren Umwälzungen führen. Die Bürokratie wird nicht in der Lage sein, weiterhin Zugeständnisse in einem solchen Ausmaß wie in Berg-Karabach zu machen. Diese Proteste waren zum Teil mit den nationalen Bestrebungen der Bevölkerung verbunden, aber sie entstanden auch aus dem Protest gegen die Verwüstung und Verschmutzung Armeniens und des gesamten Transkaukasiens. Die Proteste begannen mit einer Demonstration gegen den geplanten Bau einer Gummifabrik. Zwischen 1965 und 1985 vervierfachte sich die Zahl der Krebserkrankungen in der Region, die auf die Umweltverschmutzung zurückzuführen waren. In der Tat gibt es heute in jedem Staat der UdSSR und Osteuropas Beispiele für Umweltkatastrophen, die auf die ungebremste Herrschaft einer unkontrollierten bürokratischen Elite zurückzuführen sind.

Gorbatschows „Reformen“ haben eine derartige Situation geschaffen, dass es in der UdSSR jetzt in jeder beliebigen Frage, von der nationalen Frage über die Vergiftung der Umwelt bis hin zu Löhnen und anderen sozialen Fragen, zu einer sozialen Explosion kommen kann. Gorbatschow hatte völlig Recht, wenn er die Situation, bevor er an die Macht kam, als „Vorkrise“ bezeichnete. Er hat sein Programm als „Revolution ohne Schüsse“ bezeichnet. In seinem Buch „Perestroika“ gibt es einen Abschnitt, in dem er das Konzept der „Revolution von oben“ rechtfertigt. Dieser Aufruhr innerhalb der Bürokratie hat seine Wurzeln in der katastrophalen Wirtschaftslage. Marx wies darauf hin, dass der Schlüssel zur Entwicklung der Gesellschaft in der Entwicklung der Produktivkräfte liegt. Kein System, sagte er, verlässt den Schauplatz der Geschichte, ohne alle ihm innewohnenden Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben. Dies gilt für die stalinistischen Regime ebenso wie für den Kapitalismus, obwohl es zwei völlig unterschiedliche Gesellschaftssysteme sind.

Die Bürokratie in Russland konnte ihre Herrschaft über Jahrzehnte aufrechterhalten, weil sie eine kolossale Entwicklung der Produktivkräfte – Wissenschaft, Arbeitsorganisation und Technik – leitete. Wachstumsraten von 10 bis 20 Prozent, die alles im Kapitalismus Erreichte bei weitem übertrafen, wurden aufgrund der Vorteile der Planwirtschaft erzielt. Trotz der Verschwendung und der Verbrechen der Bürokratie war sie in der Lage, eine relativ fortschrittliche Rolle zu spielen, so lange sich die Wirtschaft in einem solchen Tempo entwickelte. Durch dieses Wirtschaftswachstum und durch das Ausnutzen der Angst der russischen Arbeiter*innen vor einer imperialistischen Intervention konnte sie die Macht in ihrem Griff halten. Diese Faktoren hielten die Hand der mächtigen russischen Arbeiter*innenklasse zurück. Aber die Bürokratie ist nun, wie der Kapitalismus im Westen, eine absolute Fessel für die weitere Entwicklung der Gesellschaft. Dies war unter Breschnew deutlich geworden, als die Wirtschaft um magere drei Prozent pro Jahr wuchs und damit unter der Entwicklungsrate vieler kapitalistischer Länder, insbesondere Japans, lag.

Dies ist keineswegs, wie die kapitalistischen Ökonomen behauptet haben, auf die inhärenten Schwächen einer „Planwirtschaft“ zurückzuführen. Angesichts der Sackgasse ihres eigenen Systems versäumen sie es nicht, auf die Verschwendung, das Missmanagement und die Defizite der Planwirtschaften hinzuweisen.

Diese sind jedoch ein Produkt der stalinistischen Misswirtschaft und nicht der Planwirtschaft. Sie unterschätzen absichtlich die kolossalen wirtschaftlichen Leistungen und das Potenzial der Planwirtschaft.

Russland ist in der Weltraumforschung etwa zehn Jahre voraus. Eineinhalb Millionen Wissenschaftler*innen, ein Viertel derjenigen der Welt, sind Russ*innen. Das Land hat die am besten ausgebildete Bevölkerung der Welt, ein Drittel der Bevölkerung verfügt über einen Hochschulabschluss. Im Computerbereich liegt es schätzungsweise nur zwei bis drei Jahre hinter Amerika zurück. Das Produktionspotenzial, zumindest im „europäischen Russland“, ist mit dem der fortgeschrittensten kapitalistischen Länder des Westens vergleichbar.

Der „Economist“ kommentierte kürzlich, dass „Russlands Problem kein Mangel an Erfindungsreichtum ist“. Aber wegen der toten Hand der Bürokratie sind zwei Jahre, nachdem sowjetische Erfindungen ein Patent, ein sogenanntes „Autorenzertifikat“, erhalten haben, nur 23 Prozent von ihnen in Produktion übergegangen, während in Amerika die Zahl bei 66 Prozent und in Westdeutschland bei 64 Prozent liegt. Als Beispiel gibt er eine revolutionäre Methode, die 1955 in der russischen Stahlindustrie entwickelt wurde. 27 Jahre später wendeten nur 12% der russischen Stahlindustrie diese Methode an, während 62% der Fabriken in Westdeutschland und 79% der Fabriken in Japan diese Methode anwendeten. Wie im Falle Großbritanniens wurde also, wenn auch aus anderen Gründen, der Erfindungsreichtum und der Einfallsreichtum der russischen Arbeiter*innen vergeudet. Die tote Hand und die Verschwendungssucht der bürokratischen Elite und nicht die Grenzen des Marktes, wie im britischen Kapitalismus, haben die Nutzung dieser Technologie zum Nutzen der Völker verhindert.

Gorbatschows Haupt-Wirtschaftsberater, Abel Aganbegjan, hat argumentiert, dass es in der ersten Hälfte der 1980er Jahre überhaupt kein echtes Wachstum gab! Da die sowjetische Bevölkerung um ein Prozent pro Jahr wuchs, bedeutete dies, dass die Durchschnittsruss*innen immer ärmer wurden oder gezwungen waren, sich auf dem Schwarzmarkt oder mit einem Zweitjob durchzuschlagen, um ihren Lebensstandard zu halten. Alle Vorteile der Planwirtschaft wurden durch die Bürokratie zunichte gemacht. Anstatt den Kapitalismus zu überholen, wie Chruschtschow geprahlt hatte, ist Russland zurückgefallen. Die Fabriken sind verrostet – der Anteil der Metallbearbeitungsmaschinen, die älter als 20 Jahre waren, war von 16% im Jahr 1980 auf 21% im Jahr 1985 gestiegen.

Mit fast der gleichen Menge an Maschinen, die der Arbeiter*innenklasse zur Verfügung stehen, beträgt die Produktion Russlands etwa 55% derjenigen der USA. Allein diese Tatsache ist eine Verurteilung der Herrschaft der Bürokratie. Denn es war Marx, der darauf hinwies: „Ökonomie der Zeit, darin löst sich schließlich alle Ökonomie auf“. Ein noch größeres Missmanagement und Verschwendung enthüllt sich im Agrarsektor. Russland, unter dem Zarismus die Kornkammer Europas, ist nun gezwungen, Getreide zu importieren. Dies ist natürlich zum Teil auf die schrecklichen Verbrechen und Fehler von Stalins Zwangskollektivierung in den 1930er Jahren zurückzuführen, die die russische Landwirtschaft bis heute prägt.

Gleichzeitig spiegelt es die Gleichgültigkeit, Verschwendung und Missmanagement des stalinistischen Regimes wider. Eine kürzlich in „Memo“, der Zeitschrift des Moskauer Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen, veröffentlichte Studie weist darauf hin, dass es in der Sowjetunion mehr als 24 Millionen Landwirte gibt, das sind mehr als in allen westlichen Industrieländern und Japan zusammengenommen; dennoch beträgt die landwirtschaftliche Produktion Russlands nur 22 Prozent der des Westens. Der „Economist“ weist darauf hin, dass „die sowjetische Arbeitsproduktivität in der Landwirtschaft etwa ein Fünftel der westeuropäischen und ein Zehntel der amerikanischen beträgt.“ Russland produziert viermal so viele Traktoren wie die Vereinigten Staaten und kann dennoch nicht die gleichen Ergebnisse in der Landwirtschaft erzielen! In Usbekistan hat die „Prawda“ aufgedeckt, dass „ein riesiges System des organisierten Verbrechens, von Halsabschneidern, ‚Untergrundmillionären‘ und ‚Profikillern‘ am Werk war.“ Insgesamt 4 Millionen Pfund wurden vom Staat abgeschöpft, indem die Zahlen der Baumwollproduktion gefälscht wurden.

Gorbatschows Kampagne gegen die Korruption, insbesondere in den mittleren Schichten der Bürokratie, hat zweifellos einen gewissen Erfolg erzielt. Zusammen mit dem Kampf gegen den Alkoholismus hat sie zunächst die Wirtschaft angekurbelt, wird aber auf bürokratischer Ebene unweigerlich im Sande verlaufen. Siebzig Jahre nach der russischen Revolution und obendrein während der Kapitalismus am Vorabend einer neuen Rezession steht, blickt ein Flügel der Bürokratie nun auf den „Markt“ als Lösung. Einer von Gorbatschows politischen Berater*innen hat „das Konzept des Staatssozialismus“ als „stalinistischen Irrtum“ verurteilt. Fjodor Burlazki hat erklärt: „Bisher können wir nur die groben Umrisse erkennen, (die) eine geplante, wenn auch marktwirtschaftliche Wirtschaft auf der Grundlage von Gewinn- und Verlustrechnung mit vielen verschiedenen Formen von gesellschaftlichem Eigentum und Besitz umfassen würden.“

Gorbatschow hat versucht, das „ungarische Modell“ zu imitieren, und zwar genau zu einem Zeitpunkt, zu dem dieses zusammenbricht. Ungarn fand in einer Zeit des kapitalistischen Weltwirtschaftsaufschwungs auf dem Weltmarkt einen gewissen Ausweg, allerdings um den Preis, dass es kolossale Schulden von 1.600 Dollar pro Kopf der Bevölkerung anhäufte. Die Bedienung dieser Schulden hat lähmende Auswirkungen auf die ungarische Wirtschaft. Nun schlägt Ministerpräsident Grosz, der bei einem kürzlichen Besuch in Großbritannien seine Bewunderung für Thatcher zum Ausdruck brachte, „Privatisierung“ und die Nachahmung des Kapitalismus vor.

In Russland und in Osteuropa gibt es einen prokapitalistischen Flügel der Bürokratie. Es handelt sich um eine Minderheit, und es gibt keine Möglichkeit der Rückkehr zum Kapitalismus. Aber schon die Tatsache, dass sich solche Tendenzen entwickeln können, ist ein Symptom für die Sackgasse der Regime. Nur durch das Anzapfen der kolossalen Reserven an Initiative und Improvisation der Massen kann sich die russische Gesellschaft aus ihrer Sackgasse befreien. Im Westen sind das Privateigentum und der Nationalstaat das größte Hindernis für eine enorme Entwicklung der Produktivkräfte. Im Osten ist die Herrschaft der Bürokratie und des Nationalstaates mit seinen schädlichen Parallelstrukturen das Haupthindernis für die weitere Entwicklung der Gesellschaft.

Gorbatschow stellt keine „neue Kraft“ zur Entbürokratisierung der russischen Gesellschaft dar. In der Tat können gerade die von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen die Probleme enorm verschärfen und eine Bewegung der Arbeiter*innenklasse in Richtung einer politischen Revolution entfachen. Wie in Polen und Jugoslawien befürworten Gorbatschows Berater*innen die Streichung von Subventionen und eine „größere Effizienz“, indem sie den Manager*innen erlauben, „überschüssige Arbeiter*innen freizusetzen“. Eine Schätzung der Regierung geht davon aus, dass bis zum Jahr 2000 etwa 16 Millionen Arbeiter*innen, so viele wie in ganz Spanien, aus den Fabriken entlassen werden.

In Jugoslawien werden die Folgen der „Dezentralisierung“ in der Zahl von einer Million „Arbeitslosen“ und der 200-prozentigen Inflation enthüllt, die die jugoslawische Gesellschaft heimsucht. In der Provinz Kosovo hat sie zu offenen Konflikten zwischen der Bevölkerung albanischer und serbischer Abstammung geführt, mit bewaffneten Zusammenstößen, Mord und Vergewaltigung und der Flucht der serbischen Bevölkerung aus dem Gebiet. Die Kluft zwischen dem Kosovo und den reicheren Republiken Slowenien und Serbien ist größer als zwischen Jugoslawien und Amerika. Ein Kommentator sagte, es sei, als lägen Westdeutschland und Indien innerhalb der Grenzen desselben Landes.

Die jüngsten Preiserhöhungen in Polen führten zu Unruhen in Nowa Huta und Gdańsk. Dem Regime ist es nur durch eine Kombination aus Zugeständnissen und Repression gelungen, die Situation zu halten. Im Vergleich zu den anderen Regimen Osteuropas hat Russland eine relative Preisstabilität genossen. Doch die Kombination aus Subventionsabbau und dem Zwang, weniger Arbeiter*innen für mehr Produktion einzusetzen, die den Vorschlägen von Aganbegjan zugrunde liegt, könnte zu ähnlichen Explosionen wie in Polen führen – nur in weit größerem Maßstab.

Die Zickzacks der Bürokratie von der Zentralisierung zur Dezentralisierung und zurück zur Zentralisierung und Re-Dezentralisierung hat das grundlegende Hindernis für die weitere Entwicklung der russischen Gesellschaft nicht beseitigt, und das ist die Herrschaft der Bürokratie. Aber der interbürokratische Kampf selbst wird die Arbeiter*innenklasse ermutigen, sich auf die politische Bühne zu begeben. Gorbatschow-Anhänger*innen haben in Briefen an die russische Presse bereits davor gewarnt, dass er abgesetzt werden könnte, dass aber „die Massen nicht schweigen werden“. Dies ist eine versteckte Drohung, Gegendemonstrationen zu organisieren, für den noch unwahrscheinlichen Fall, dass Gorbatschow abgesetzt werden könnte. Doch während Gorbatschow einen Schritt in Richtung größerer „Freiheit“ für die Bürokratie zulassen kann, die Perspektiven für die russische Gesellschaft zu diskutieren und zu erörtern, werden der Arbeiter*innenklasse keine solchen Rechte zugestanden. Es ist für ein stalinistisches Regime unmöglich, freie Gewerkschaften und demokratische Rechte zuzulassen, wie sie im kapitalistischen Westen existieren.

Der Kapitalismus kann diese Rechte tolerieren, weil sie in der Gesellschaft durch das Eigentum an den Produktionsmitteln verwurzelt sind, während die stalinistische Bürokratie eine parasitäre Wucherung ist. Sobald die Arbeiter*innenklasse das Recht hat, Kritik zu üben und an Wahlen teilzunehmen, wird die Funktion der Bürokratie selbst in Frage gestellt werden. Sobald die polnischen Arbeiter*innen in den Jahren 1980/81 eine effektive Doppelherrschaft erlangt hatten, wollten sie nicht nur über Löhne und Gewerkschaftsfragen diskutieren, sondern auch über die ungeheuerliche Korruption und die Rolle der Bürokratie selbst.

Das einzige, was eine politische Revolution in Polen – die Errichtung einer Arbeiter*innendemokratie – verhinderte, war das Fehlen einer weitsichtigen Führung. Die Vertreter*innen des KOR wie Kuroń und zufällige Figuren wie Lech Wałęsa spielten die Hauptrolle beim Zum-Entgleisen-Bringen der polnischen Revolution. Jetzt, wo die polnischen Arbeiter*innen nach sieben Jahren der Unterdrückung wieder das Selbstvertrauen und die Kraft haben, in den Kampf zu ziehen, warnen Kuroń und Wałęsa sie davor, das Regime zu „provozieren“, mit dem verschleierten und nicht ganz so verschleierten Rat, sich ruhig zu verhalten, um Gorbatschow nicht „gegen sich aufzubringen“. Wałęsa hat sogar erbärmlicherweise eine Einheitsfront mit Gorbatschow für die Demokratisierung Russlands und Polens angeboten.

Ohne die Entwicklung einer weitsichtigen marxistischen Führung, die mit dem von Trotzki ausgearbeiteten Programm für die politische Revolution bewaffnet ist, kann es zu einer langwierigen Periode von Umwälzungen kommen, auf die eine instabile Ruhe folgt, wie wir in Polen gesehen haben. Um Erfolg zu haben, wird die politische Revolution – wie die soziale Revolution im Westen – nun den „subjektiven Faktor“ brauchen. Wegen der geringen Größe der marxistischen Kräfte wird die politische Revolution nicht in einem Akt erfolgen, sondern ein Prozess sein, der sich über einen längeren Zeitraum entwickelt.

Aber die jüngsten Entwicklungen in Russland und die offenen Auseinandersetzungen innerhalb der Bürokratie sind ein Vorbote dafür, dass der Prozess der politischen Revolution jetzt in Russland selbst begonnen hat, sich zu entfalten.


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