[März 1975, eigene Übersetzung nach: Common Market – No, Socialist Europe – Yes, London 1975, S. 1-7.]
Die „Sozialistischen Antworten auf die EG“ von Ted Grant wurden 1971 zur Frage von Britanniens Beitritt zum Gemeinsamen Markt geschrieben.
Die drei Jahre, die seit der ersten Auflage vergangen sind, haben die Analyse nicht hinfällig gemacht. Im Gegenteil, wie die Leser*innen sehen können, haben die Ereignisse in Britannien und den anderen acht Ländern, aus denen die EG besteht, diese Analyse völlig bestätigt.
Aber nicht allein aus diesem Grund gibt Militant diese Broschüre zu dieser Zeit wieder heraus. Das Juni-Referendum über den Gemeinsamen Markt hat die Debatte in der Arbeiter*innenbewegung über alle Fragen, die in dieser Broschüre behandelt werden, wieder eröffnet. Militant war die einzige Strömung in der Labour- und Gewerkschaftsbewegung, die in der Kontroverse über den Gemeinsamen Markt 1971 eine klare Klassenposition einnahm. So ist es auch in der gegenwärtigen Debatte.
In den zwei Jahren, seit der britische Kapitalismus dem Gemeinsamen Markt beitrat, hat sich seine Krankheit ungeheuer verstärkt. Der sonnige Optimismus selbst der Confederation of British Industries, des Sprachrohrs der Monopole – die am meisten vom Beitritt zu gewinnen hatten – ist völlig verpufft. Die chronische Schwäche der britischen kapitalistischen Wirtschaft hat sich in jeder Branche gezeigt.
Sie wurden von ihren Konkurrenten in der EG völlig abgehängt und geschlagen. Das fasst sich in dem riesigen Handelsdefizit zusammen, das der britische Kapitalismus gegenüber den anderen EG-Ländern angehäuft hat. Seit 1972 hat dieses Defizit von 459 Millionen Pfund im Jahr auf 2785 Millionen 1974 zugenommen. Aber das liegt nicht allein an der Mitgliedschaft im Gemeinsamen Markt, wie manche Gegner argumentieren. Es ist ein Ausdruck des Niedergangs – des Mangels an Konkurrenzfähigkeit – der britischen Kapitalist*innen. In der gleichen Periode ist Britanniens Defizit mit dem Rest der Welt von 477 Millionen auf 4259 Millionen Pfund gestiegen!
Die frühere „Werkstatt der Welt“ importiert jetzt über 50 Prozent seiner Industrieprodukte und Halbfabrikate! Ein Anzeichen der verheerenden Schwäche des britischen Kapitalismus zeigte sich kürzlich, als der „Economist“ enthüllte, dass 1974 insgesamt für 12 Milliarden Pfund Industrieprodukte nach Britannien importiert wurden. Der britische Kapitalismus wird in seinem eigenen Hinterhof geschlagen!
Das ist eine Folge des völligen Versagens der Kapitalist*innen in der Vergangenheit, ihre Fabriken zu modernisieren, um die Herausforderung der EG-Konkurrent*innen zu bestehen. Investitionen in der produzierenden Industrie nahmen 1974 um 10 Prozent zu, aber das war immer noch unter dem Betrag, den die Kapitalist*innen 1970 reinvestierten! Aber das „Treibhaus“ der EG-Konkurrenz führte zumindest in einem Investitionsfeld zu einem spektakulären Sprung – Immobilien. So haben die britischen Kapitalist*innen schätzungsweise 5 Milliarden Pfund in Immobilien in Ländern des Gemeinsamen Marktes gesteckt.
Das hat ein katastrophales Zurückfallen der Schlüsselindustrien wie Stahl bedeutet, die immer noch ein Maßstab der wirtschaftlichen Gesundheit sind. 1974 fiel die Stahlproduktion in Britannien um 15,9 Prozent auf 22,4 Millionen Tonnen. Selbst das rückständige Italien überholte Britannien 1974 in der Stahlproduktion zum ersten Mal mit 23,8 Millionen Tonnen, während Frankreich, der frühere Satellit des britischen Kapitalismus, 27 Millionen Tonnen erzeugte und die deutsche Stahlproduktion 53 Millionen Tonnen war.
Die glitzernden Aussichten der Mitgliedschaft im Gemeinsamen Markt haben sich für die britischen Kapitalist*innen als Fata Morgana erwiesen. Auch die von [Premierminister] Wilson im Triumph vom EG-Gipfel in Dublin heimgebrachten „neuverhandelten“ Bedingungen werden nichts tun, um den welkenden Reichtum wiederherzustellen. Wilson hat sich den lauten Beifall der Kapitalist*innen und der Presse verdient, weil sie verstehen, dass die Mitgliedschaft im Gemeinsamen Markt zwar keine magische Medizin für ihre Krankheiten bietet, sie aber außerhalb der EG vor einer noch größeren Katastrophe stünden. Aber die Zugeständnisse, die Wilson erlangt hat, sind winzig, wenn man sie den massiven Problemen gegenüberstellt, die die Wirtschaft heimsuchen.
Der Gesamtbetrag der Rückzahlung von britischen Beiträgen zum EG-Haushalt wird in keinem Jahr mehr als 125 Millionen Pfund betragen. Doch letztes Jahr gab es ein Zahlungsbilanzdefizit von 3820 Millionen, mehr als 5 Prozent des britischen Bruttosozialprodukts. Die Aussichten für dieses Jahr liegen bei einem Defizit irgendwo in der Höhe von 4000 bis 5000 Millionen Pfund. In dieser „grundlegenden Frage“ kreißte der EG-Berg und gebar eine Maus! Das selbe gilt für die Zugeständnisse bei Butter und Käse aus Neuseeland, die in keiner Weise die grundlegenden Interessen der anderen kapitalistischen Mächte in der EG herausfordern.
Britanniens EG-Rival*innen – besonders Deutschland und Frankreich – waren nur bereit, diese Zugeständnisse zu machen, weil sie fürchten, dass der Austritt des britischen Kapitalismus ein schwerer Schlag für die EG wäre, der schließlich zu ihrem völligen Auseinanderbrechen führen würde.
„Sozialistische Antworten auf die EG“ zeigt im Detail, dass selbst zur Zeit von Britanniens Eintritt in die EG nationale Rivalitäten den Traum eines kapitalistischen „Vereinigten Europas“ untergraben hatten. Aber in den letzten zwei Jahren sind alle verbliebenen Hoffnungen, die die Kapitalist*innen immer noch hatten, völlig erschüttert worden.
So verspottet der „Economist“, ein eifriger Befürworter des Beitritts des britischen Kapitalismus zur EG und einer „Europäischen Union“, in seiner Ausgabe vom 14. Januar seine eigene Vergangenheit: „der große Entwurf von Europa ist tot und kann es auf lange Zeit bleiben … Die Bestrebungen in Deutschland und den Benelux-Staaten nach einem vereinten Europa der Zukunft werden zwar immer noch von ein paar Leuten leidenschaftlich vertreten, sind jetzt aber ziemlich angestaubt … Dieser Neunergipfel {der gerade in Paris stattgefunden hatte} besiegelte die Idee, dass Europa eine lockere Konföderation von Nationalstaaten bleiben wird.“
Der „Economist“ bestätigt auf seine eigene krasse und zynische Weise die konsequente Position des Marxismus, dass es unmöglich ist, Europa auf kapitalistischer Grundlage zu vereinigen „… Herr Tindemans, der belgische Ministerpräsident, {wurde} als „weiser Mann“ {bezeichnet}, (was er schon ist) und für ein Jahr und möglichst länger {beauftragt}, eine Definition der undefinierten Worte „Europäische Einheit“ zu versuchen“!!
Nur eine Handvoll von naiven Befürwortern des Gemeinsamen Marktes und ihre Gegenstücke im Anti-Gemeinsamer-Markt-Lager können sich immer noch vorstellen, dass Britannien von einem „Vereinten Europa“ aufgesogen werden könnte. Die Kapitalist*innen haben diese Träume seit langem aufgegeben. Die „Times“ ihr Organ mit der höchsten Autorität, zeigte dies in ihrem Kommentar zum Dublin-Gipfel: „Die Pläne zur Wirtschafts- und Währungsunion bleiben nur eine Bestrebung für die Zukunft, kein Entwurf.“
Mit anderen Worten gibt es nicht die entfernteste Möglichkeit einer „Wirtschafts- und Währungsunion“. Wie könnte die „Times“ anders schreiben, wenn jedes der EG-Länder unverfroren jede feierliche Zusicherung ignoriert hat, die Gemeinschaftsregeln nicht zu verletzen, sobald sie fühlten, dass es um ihre „nationalen Interessen“ gehe?
Der vorherrschende Sektor des Finanzkapitals in Britannien möchte nicht deshalb im Gemeinsamen Markt bleiben, weil sie planen, einen teuflischen „Europäischen Superstaat“ zu schaffen, wie sich manche Gegner*innen des Gemeinsamen Marktes einbilden. Sie sind durch wirtschaftliche Bänder an die europäischen Märkte gebunden. 35 Prozent der britischen Exporte gehen in andere EG-Länder. Der Handel und Einfluss Britanniens im früheren Empire – dem „Commonwealth“ – ist noch mehr als 1972 drastisch zurückgegangen.
Dies wurde kürzlich durch die Erklärung der Premierminister von Australien, Kanada und Neuseeland unterstrichen, die alle Vorträge über die Vorteile eines Verbleibs Britanniens im Gemeinsamen Markt hielten. Der australische Premierminister besuchte erst Brüssel, bevor er nach London kam, was den verringerten Einfluss Britanniens in seinen früheren Kolonien zeigt!
Die Aussichten für den britischen Kapitalismus innerhalb der EG sind in der Tat düster. Sie traten zu spät ein, zu einer Zeit als die Umrisse eines künftigen Auseinanderbrechens der EG schon Gestalt annahmen und das „europäische Wirtschaftswunder“ schon zu bremsen begann. Jetzt hat selbst der Kommissar für Europäische Wirtschaftsangelegenheiten, Wilhelm Haferkamp, das Europäische Parlament informiert: „Die Tage von schnellen Wachstumssteigerungen sind für immer vorbei. Die Wachstumsrate des privaten Verbrauchs {das heißt des Lebensstandards der Arbeiter*innenklasse – PT} muss in der Zukunft hinter dem Nationalprodukt insgesamt zurückbleiben.“ („Times“, 20. 2. 1975)
Aber wenn der britische Kapitalismus außerhalb des Gemeinsamen Marktes wäre, wäre das eine noch größere Katastrophe für die britischen Monopole! Sie wären gezwungen, einer „Freihandelsvereinbarung“ mit der EG beizutreten. Dies könnte bedeuten, dass Schlüsselpreise für Stahl und andere Produkte von der EG festgelegt würden, wie bei Norwegen und Schweden, ohne dass die britischen Kapitalist*innen etwas zu sagen hätten.
Deshalb haben die britischen Kapitalist*innen die Argumente Powells und des linken Flügels der Labour-Unterhausfraktion um „Tribune“ mit Verachtung behandelt, dass EG-Mitgliedschaft „Britanniens Souveränität“ einschränke. Auf einer kapitalistischen Grundlage würde Britannien – womit die Bosse sich selbst meinen – außerhalb der EG weniger Souveränität genießen. Auf einer kapitalistischen Grundlage gibt es in diesem Stadium keine Alternative zum Fortbestehen der EG-Mitgliedschaft.
Der rechte Flügel der Befürworter*innen des Gemeinsamen Marktes in der Labour-Unterhausfraktion spiegelt mit zärtlicher Sorge die Sehnsucht der vorherrschenden Teile des Finanzkapitals wider, in der EG zu bleiben.
Aber es gibt kein Atom Sozialismus oder Klassen-Herangehensweise in der Haltung von „Tribune“ und ihren Verbündeten, der Führung der „Kommunistischen“ Partei, in dieser Frage. Sie haben die Frage der „Souveränität“ betont. Das bedeutet, die fortgeschrittenen Arbeiter*innen in der Labour Party und besonders den Gewerkschaften völlig falsch zu schulen. Besonders die KP hat während der Neuverhandlungen über den angeblichen Verrat an der „Nation“, an „Britannien“ gesprochen. Das bedeutet, allen niedrigen nationalistischen Vorurteilen politisch ungeschulter Arbeiter*innen und der Mittelschicht nachzugeben.
Die „zwei Nationen“ Disraelis [Mitte des 19. Jahrhunderts] bestehen immer noch – die Nation der Reichen und die der Armen. Es ist das „Britannien“ der Armen – die Arbeiter*innenklasse und die unteren Schichten der Mittelschicht – um die sich die Arbeiter*innenbewegung sorgt. Solange die Gesellschaft nicht nach sozialistischen Prinzipien umgestaltet wird, sieht ihre Zukunft düster aus, egal ob im Gemeinsamen Markt oder draußen. „Tribune“ sagt das nirgends klar. Sie verbindet Opposition zur EG auch nicht mit einer klaren Klassen- und sozialistischen Alternative.
In ihrer Ausgabe vom 7. März brachte „Tribune“ einen langen Artikel von Michael Barrat Brown, der ihrer Behauptung nach eine „sozialistische Alternative“ zum Gemeinsamen Markt brachte. Folgendes Zitat wird zeigen, dass es nichts dergleichen war: „das System der politischen Organisation der EG hat bloß einen politischen Zweck: alle ihre Mitgliedsstaaten daran zu hindern, aus der kapitalistischen Umklammerung auszubrechen … alle Wirtschaftsinstitutionen, Regeln und Vorschriften der EG sind entworfen, um einen einzigen wirtschaftlichen Zweck zu erreichen: dass der Einsatz der Ressourcen an Kapital, Land und Arbeit von Waren und Dienstleistungen auf dem Markt durch den Profitertrag des Privatkapitals bestimmt ist.“ Dies ist natürlich wahr.
Aber wäre das nicht auch der Fall, wenn Britannien außerhalb des Gemeinsamen Marktes wäre und immer noch auf kapitalistischer Grundlage bliebe? Barratt Brown sagt weiter, dass „.die Freiheit nationaler Regierungen, in ihre Wirtschaften einzugreifen, eng umgrenzt ist.“ Aber wie wäre die Lage irgendwie anders, wenn die Labour-Regierung den Gemeinsamen Markt verließe, aber immer noch im Rahmen des Kapitalismus bliebe? Die Macht der Labour-Regierung zwischen 1964 und 1970 war „eng umgrenzt“ nicht durch den Gemeinsamen Markt, sondern durch „Kapitalstreiks“, wirtschaftlichen Druck und die Erpressung durch die Kapitalist*innen, vor der die Labour-Führer*innen kapitulierten.
Als Ergebnis wurde das minimale Reformprogramm von Labour aufgegeben. Wegen dem erbarmungslosen Druck der britischen Monopole und nicht wegen der EG-Kommission hat die Labour-Regierung den Kapitalist*innen im letzten Haushalt ungeheure Zugeständnisse gemacht und versprochen, dass im nächsten noch mehr Gunstbeweise kommen würden. Selbst so milde Maßnahmen wie die Nationale Unternehmensbehörde (National Enterprise Board) und die Kapitaltransfersteuer wurden verwässert, um die Kapitalist*innen zufriedenzustellen. Aber es sind nicht Römischen Verträge – ein Fetzen Papier – oder ausländische Teufel, die die Labour-Regierung zum Rückzug bei diesen Maßnahmen gezwungen haben, sondern die lebendige Wirklichkeit des Drucks der britischen Kapitalist*innen. Man kann diesem Druck weder im Gemeinsamen Markt noch außerhalb entgehen, es sei denn, die Labour-Regierung bricht diese Macht, indem sie die 300 Monopole unter Arbeiter*innenkontrolle und -management verstaatlicht.
Ein unbestimmter Vorschlag Michael Barratts, „öffentliches Eigentum auszudehnen“, ist keine wirkliche Alternative. Von ihm und „Tribune“ werden keine klaren Maßnahmen skizziert, die ein sozialistische Alternative zum Gemeinsamen Markt liefern. Radikale Phrasen werden verwendet, aber sie sind unfähig, die engstirnige nationalistische Herangehensweise von „Tribune“ zu verdecken.
„Tribune“ bestreitet – wahrscheinlich als Ergebnis der vergangen Kritik der Marxist*innen – entrüstet diesen Vorwurf: „Die Tendenz zu einem ziemlich beschränkten Nationalismus konservativerer Nationalist*innen {vielleicht sind die weniger konservativen Nationalist*innen vorzuziehen – PT} muss korrigiert werden. Sie hat gefährliche und potenziell faschistische Auswirkungen. Einer rein nationalistischen und potenziell antisozialistischen Linie hinterherzutrotten, wäre tödlich.“ Ein großer Teil der „Tribune“-Parlamentsabgeordneten und Unterstützer*innen wie Clive Jenkins weigern sich, Michael Barratt Browns Vorschlag zu befolgen. Warum sonst haben sie die Absicht, auf demselben Podium wie der fanatische „Antisozialist“ Powell und andere rechte Tories zu reden?
Aber ein paar Zeilen, nachdem Barrat Brown Leute mit „nationalistischen“ Abweichungen verurteilt, begeht er genau die gleiche Sünde: „Es ist Mode, die Schwäche des Nationalstaats angesichts der Supermächte und der riesigen Konzerne anzuprangern, und natürlich sind die meisten kleinen Nationalstaaten verzweifelt schwach … aber Britannien ist nicht klein… Appelle an den Dünkirchen-Geist [aus dem Zweiten Weltkrieg] wurden von scheiternden Politiker*innen zu oft beschworen um viel Überzeugungskraft zu haben, aber wenige würden leugnen, dass die Herausforderung, „allein zu gehen“ mit ein paar wirklichen Belegen für die Gleichheit der Opfer [die von den verschiedenen Klassen erbracht werden] eine gemeinsame Reaktion hervorlocken würden … Die einzige Hoffnung für Britannien ebenso wie für andere, die unter solch einer Ebbe {in ihren Wirtschaftsbedingungen} leiden, ist sich selbst so weit sie können vom Weltmarkt abzuschneiden“!! (Unsere Hervorhebung)
Diese Zeilen von Michael Barratt Brown enthüllen die völlige Verwirrung – um es freundlich auszudrücken – von „Tribune“. Wissenschaft, Technik und die Arbeitsorganisation – die Produktivkräfte – rebellieren gegen das Privateigentum auf der einen Seite und den Nationalstaat auf der anderen. Der Markt von 55 Millionen in Britannien ist zu klein für die riesigen Monopole, die das Potenzial für den europäischen und den Weltmarkt haben und auf sie orientiert sind.
Es ist reaktionärer Utopismus, zu sagen, dass es möglich sei, Britannien vom Weltmarkt abzuschneiden. Durch die internationale Arbeitsteilung – die sich in den letzten 25 Jahren ungeheuer ausgedehnt hat – ist die Welt zu einem wechselseitig abhängigen Ganzen verbunden. Es ist für jedes beliebige Land – erst recht für Britannien, das für seine meisten Rohstoffe und Nahrungsmittel vom Ausland abhängt – unmöglich, eine selbstgenügsame sozialistische Utopie aufzubauen.
Der Beginn des Sozialismus würde ein Niveau der Technik und Produktion bedeuten, das höher als das höchste bisher unter dem Kapitalismus erreichte Niveau wäre. Das ist nicht möglich, wenn die Produktivkräfte durch das kapitalistische Eigentum und den Nationalstaat erdrosselt werden. Die erfolglosen Versuche der Kapitalist*innen, Europa zu vereinigen, drücken den Widerspruch zwischen der Notwendigkeit zur Organisation der Produktion zumindest im europäischen Maßstab und den Schranken dafür in Form der althergebrachten Interessen des Kapitalismus aus.
Nur die Arbeiter*innenklasse kann die mächtigen Produktivkräfte zum Wohle der Völker auf dem Kontinent durch Sozialistische Vereinigte Staaten von Europa befreien.
Die große Mehrheit der Basis der Arbeiter*innenbewegung lehnt den Gemeinsamen Markt aus vagen Klassengründen ab. Sie sehen, dass die Kapitalist*innen die Vorteile der EG loben und lehnen sie daher instinktiv ab. Sie werden in ihrer Opposition bestätigt, wenn sie sehen, dass der rechte Flügel der Labour-Unterhausfraktion dem Chor der Befürworter*innen des Gemeinsamen Markts beitritt. Diese Würdenträger*innen haben bei der Befürwortung der fortgesetzten EG-Mitgliedschaft einen Block mit dem raffgierigsten Teil des Finanzkapitals gebildet. Sie behaupten, dass dies im Geiste des „Internationalismus“ gemacht werde, dass die EG einen Schritt zu einem „sozialistischen Europa“ darstelle. Dies ist ein verderbliches Märchen, das die Sprecher des britischen Kapitalismus selbst zurückgewiesen haben.
So wies Christopher Soames, einer der EG-Kommissare kürzlich in einer Rede darauf hin: „Ich glaube, dass nach Europa zu gehen wesentlich auf dem kapitalistischen System beruht und das immer so sein wird“ („Times“, 25. 1. 1975) Darüber hinaus ist die EG unfähig, die nationalen und Rassenspaltungen Europas zu überwinden. Die gegenwärtige Weltrezession hat schon zu 4 Millionen Arbeitslosen in der EG geführt und brachte in ihrem Gefolge Maßnahmen zum Ausschluss von eingewanderten Arbeiter*innen aus Deutschland, Frankreich etc.
Aber die führenden Gegner*innen der EG in den Reihen der Arbeiter*innenbewegung haben dieses Klassenmisstrauen der fortgeschrittenen Arbeiter*innen in enge nationalistische Kanäle geleitet. Das drückt sich nicht nur in den Argumenten von „Tribune“ bezüglich „Souveränität“ und „ruhmreicher Isolation“ aus. Es ist auch an ihrer Bereitschaft – gemeinsam mit der KP – sichtbar, mit rechten Tories, liberalen Abweichler*innen und den Nationalist*innen Podien zu teilen und zu demonstrieren. Die „theoretische“ Rechtfertigung für diese Haltung wurde von der KP-Führung geliefert. So schrieb Jack Woodis im „Morning Star“ vom 28. Februar: „Mit anderen Worten: wenn die Tory-Gegner des Gemeinsamen Marktes die EG ablehnen, werden sie von Klassenzielen angespornt, die von denen der Kommunistischen Partei grundlegend verschieden sind.
Trotzdem teilen wir ein gemeinsames Ziel, indem wir Britannien aus dem Gemeinsamen Markt herausnehmen wollen – und dies liefert eine objektive Grundlage unseren verschiedenen Klassengründen zum Trotz in eine vereinigte Kampagne gegen den Gemeinsamen Markt einzutreten … Bei der Arbeit für solch eine breite Kampagne ist nichts gegen sozialistische Prinzipien. Im Gegenteil war es immer der Grundsatz des Marxismus dass die Arbeiter*innenklasse für sich allein nie ihre Ziele erreichen kann.“
Die KP rechtfertigt ihre Parteinahme für Klassenkollaboration durch den Hinweis auf den Umstand, dass Labour bei den Parlamentswahlen im Oktober nur 39,3 Prozent der Stimme erhielt. Sie sagen, es sei daher notwendig, jede Klassenopposition gegen den Gemeinsamen Markt zu verwässern und praktisch aufzugeben, um Tory- und liberale Wähler*innen zu hofieren. Aber ist das nicht genau die Herangehensweise des rechten Flügels von Labour von Jenkins & Co? Sie behaupten, dass das Labour-Programm abgeschwächt werden müsse, dass die mystische „Mitte“ besetzt werden müsse, wenn die Mittelschicht und politisch ungeschulte Arbeiter*innen nicht „abgeschreckt“ werden sollen. Der Marxismus hat diese Argumente viele Male beantwortet. Wir haben darauf hingewiesen, dass diese Schicht nicht für eine blassere Version des Toryismus stimmen wird. Es ist notwendig, ein Programm vorzubringen, das ihre Forderungen mit der Idee einer sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft verbindet. Das kann nur in einer Schlacht gegen die Tory-, liberalen und nationalistischen Führer*innen erfolgreich sein – nur wenn die Arbeiter*innenbewegung die Entlarvung dieser Schurken vor ihren Anhänger*innen der Mittelschicht und der Arbeiter*innenklasse angeht. Indem man einen Block mit ihnen bildet – ein Podium mit ihnen teilt –, verstärkt man die Illusionen in die Tory-, liberalen und nationalistischen Führer*innen. Der rechte Flügel der Labour Party kann ziemlich bequem mit Gegenstücken bei den Tories und Liberalen Podien teilen. Für sie könnte das eine Generalprobe für eine ständiger Allianz – in einer Großen Koalition – sein, wenn die Wirtschaftskrise ernsthaft genug ist.
Aber „Tribune“-Parlamentsabgeordnete, die ein Podium mit Leuten wie Powell teilen, helfen und begünstigen einen gefährlichen Gegner der Arbeiter*innenbewegung, egal wie unbewusst sie das machen. Leute, die den Anspruch erheben, auf dem linken Flügel der Labour Party zu stehen, sollten die Aufgabe haben, das nationalistische und rassistische Gift zu bekämpfen, das von Powell und seinen Verbündeten vorgebracht wird.
Dennis Skinner und ein paar Abgeordnete der „Tribune“-Gruppe weigern sich, auf dem selben Podium wie Tories und Liberale zu reden. Aber sie müssen einen Schritt weiter gehen. Es reicht nicht aus, bloß den Gemeinsamen Markt abzulehnen. Dieser Opposition muss eine klare Klassen-Herangehensweise verliehen werden. Darüber hinaus muss in der Referendum-Kampagne eine gangbare sozialistische Alternative aufgestellt werden. Wir werden befürworten, dass Militant-Unterstützer*innen beim Referendum mit „Nein“ stimmen. Wir lehnen den gemeinsamen Markt auf die selbe Weise ab, wie wir den britischen Kapitalismus ablehnen. Aber gleichzeitig befürworten wir eine sozialistische Alternative – ein sozialistisches Britannien und Sozialistische Vereinigte Staaten von Europa.
Die Kapitalist*innen werden die Presse, Fernsehen, Radio und die ungeheuren Propagandamittel, die ihnen zur Verfügung stehen, nutzen, um ein massives „Ja“ zu garantieren. Sie werden den Umstand nutzen, dass Nahrungsmittelpreise gegenwärtig im Gemeinsamen Markt niedriger als auf dem Weltmarkt sind. Und wenn es irgendwelche Hinweise gibt, dass die Abstimmung zu ihren Ungunsten ausgehen könnte, werden sie eine Angstkampagne machen. Das machten ihre südirischen Gegenstücke 1972 und erhielten eine 5:1-Mehrheit. Auch in Dänemark drohten die Kapitalist*innen der Arbeiter*innenklasse mit Abwertung, wenn es ein „Nein“ im Referendum gebe!
Aber ein Sieg für die Kapitalist*innen und ihre Schatten in der Arbeiter*innenbewegung wird die Krankheiten des britischen Kapitalismus nicht heilen. Die sich aufstapelnden Probleme des britischen Kapitalismus bedeuten die Gewissheit von sozialer Unruhe in Britannien. Die Krise ist so ernsthaft dass die Kapitalist*innen offen von der Ersetzung der Labour-Regierung durch eine Große Koalition zu einem gewissen Zeitpunkt reden, als Mittel, um den Lebensstandard der Arbeiter*innenklasse rücksichtslos zusammenzukürzen.
Auch in Europa sind die großartigen Ereignisse in Portugal und Griechenland und die kommende Revolution in Spanien eine Vorwegnahme einer Epoche sozialer Revolution, die keinen Teil des „alten Kontinents“ unberührt lassen wird. Die Losung eines „sozialistischen Britanniens und Sozialistischer Vereinigter Staaten von Europa“ ist kein Programm für die unbestimmte und entfernte Zukunft. Es ist der einzige Weg, auf dem die Arbeiter*innen von Britannien und Europa das Elend vermeiden können, das eine Fortsetzung des Kapitalismus bedeuten wird. Wir drängen alle Jungsozialist*innen, Labour-Party-Mitglieder und Gewerkschafter*innen, sicherzustellen, dass „Eine sozialistische Antwort auf die EG“ so viele Arbeiter*innen wie möglich während der Referendum-Kampagne erreicht. Wir fügen als Anhang auch einen Artikel bei, der 1923 von Leo Trotzki geschrieben wurde. Dieser Artikel ist zusammen mit „Eine sozialistische Antwort auf die EG“ entscheidend für ein Verständnis des Gemeinsamen Marktes und der Aufgabe der Vereinigung Europas auf einer sozialistischen Grundlage.
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