Lynn Walsh: Die Politik von Zippergate

[Socialism Today, Nr. 6, März 1996, S. 16-19]

Der Chef der Exekutive des mächtigsten Staates der Welt ist in eine neue Schmuddelkrise verwickelt – Zippergate [Reißverschlussgate]. Unglaublicherweise dreht sie sich um die Behauptung, dass Präsident Clinton Sex mit der 21-jährigen ehemaligen Praktikantin Monica Lewinsky hatte und dass er und seine Berater*innen sich verschworen hätten, Lewinsky und andere dazu zu bringen, darüber zu lügen. Mit diesem Schwerpunkt hat der Sonderstaatsanwalt Kenneth Starr seine juristische und politische Kampagne gegen den Präsidenten intensiviert. Ein Amtsenthebungsverfahren gegen Clinton oder sein Rücktritt wurden auf die politische Tagesordnung gesetzt, was an den Watergate-Skandal erinnert, der Nixon 1974 aus dem Amt trieb.

Lynn Walsh fragt: Wie ist Clinton in einen solchen Schlamassel geraten? Wohin wird es führen?

Der Oberste Gerichtshof hat die Pandora-Büchse der legalen und politischen Übel geöffnet, als er entschied, dass Paula Jones, eine ehemalige Angestellte des Bundesstaates Arkansas, ihre Zivilklage gegen Clinton, den ehemaligen Gouverneur von Arkansas, wegen sexueller Belästigung und Verletzung ihrer Bürger*innenrechte einreichen könne. Fatalerweise lehnte Clinton einen Vergleich mit Jones ab, anstatt sich auch nur teilweise zu entschuldigen. Also suchten Jones‘ Anwält*innen, unterstützt von zwielichtigen rechten Stiftungen, nach weiteren Zeug*innen, die aussagen würden, dass sie von Clinton sexuell belästigt worden waren oder heimlich Sex mit ihm hatten. Sie stießen auf Monica Lewinsky, die als Zeugin vorgeladen wurde. Lewinsky unterzeichnete jedoch eine eidesstattliche Erklärung, in der sie jegliche sexuelle Beziehung zu Clinton bestritt. Gestützt auf Informationen von mysteriösen Informant*innen unterstellten Jones‘ Anwält*innen Clinton und seinen Berater*innen sofort eine Vertuschung.

Nun kam Kenneth Starr ins Spiel, der vom republikanisch dominierten Kongress ernannte Sonderstaatsanwalt, der die Verwicklung des Präsidenten in „Whitewater“ untersuchen sollte. Dabei handelte es sich um einen Skandal, bei dem es um Immobiliengeschäfte und die illegale Verwendung von staatlich garantierten Krediten einer Little Rock Thrift (Bausparkasse) ging, eine von vielen, die in den 1980er Jahren von Spekulant*innen abgezockt wurden. An den Whitewater-Geschäften waren angeblich Clinton, der damalige Gouverneur des Bundesstaates, Hillary Clinton, Partnerin in einer bekannten Anwaltskanzlei in Little Rock, und ein Kreis von Günstlingen der Demokratischen Partei beteiligt. Nach der Verurteilung von zwei oder drei der Whitewater-Akteur*innen konnte Starr jedoch keine weiteren Anklagen erheben. Am frustrierendsten war, dass er Clinton und Hillary nichts Ernsthaftes anhängen konnte – und er wäre beinahe zurückgetreten.

Lewinsky war genau das, was Starr brauchte, um seine Ermittlungen wieder in Schwung zu bringen. Dieser bibeltreue Republikaner sagt, er sei nicht an sexuellem Verhalten interessiert, sondern nur an Meineid und Verschwörung zur Beeinflussung der Justiz. Mit einem riesigen Mitarbeiter*innenstab und unbegrenzten Mitteln (er hat bereits über 30 Millionen Dollar ausgegeben) weitete Starr seine Ermittlungen aus und begann, Lewinsky und Clintons Berater*innen- und Mitarbeiter*innenkreis mit Vorladungen zu überziehen. Trotz strenger Gesetze gegen die Veröffentlichung von Zeug*innenaussagen im Großen Geschworenengericht hat Starrs Team zweifellos Beweise an die Medien weitergegeben, um Clinton zu diskreditieren.

Später entschied die Richterin im Fall Paula Jones, dass die Lewinsky-Beweise im Fall Jones nicht verwendet werden können. Clintons Anwält*innen argumentieren, dass von Meineid keine Rede sein könne, wenn Lewinskys Zeuginnenaussage nicht vor Gericht verwendet wird. Es ist in jedem Fall beispiellos, dass ein Staatsanwalt in einem Zivilverfahren eine Untersuchung wegen Meineids einleitet, noch bevor dieses abgeschlossen ist. Starr scheint jedoch entschlossen zu sein, einen Fall von krimineller Verschwörung aufzubauen.

* * *

Die Lewinsky-Anschuldigungen stürzten Clinton in die schwerste Krise seiner Präsidentschaft. Die öffentliche Meinung wurde von der Flut der Vorwürfe erschüttert. Das Weiße Haus war in Aufruhr. Nach tagelangem Zögern bestritt Clinton schließlich kühn, dass er jemals „sexuelle Beziehungen zu dieser Frau, Miss Lewinsky, gehabt hatte. Ich habe nie jemanden aufgefordert zu lügen, kein einziges Mal, niemals“. Am nächsten Tag ging Hillary in die Offensive, indem sie Starr als „politisch motivierten Staatsanwalt, der mit den rechten Gegnern meines Mannes verbündet ist“, angriff. Sie griff scharf eine „riesige rechte Verschwörung“ an, die Clintons Präsidentschaft zerstören wolle.

Medienkommentator*innen taten dies als paranoides Geschwätz einer verzweifelten Frau ab, einige warfen ihr sogar McCarthyismus vor. Doch selbst „Newsweek“ (9. Februar) musste zugeben, dass „die Verbindungen zwischen den Lewinsky-Akteuren ein verworrenes Netz bilden“. Es gibt eindeutig ein Geflecht von Verlagen, Anwält*innenklüngeln und Geschäftsinteressen, allesamt ultrarechte Republikaner*innen, die eine demokratische Präsidentschaft erbittert ablehnen. Diagramme ihrer Verflechtungen sehen aus wie ein verworrenes Spinnennetz und brauchen mehrere Seiten, um sie zu erklären.

Das Verfahren von Paula Jones gegen Clinton wurde von der Landmark Legal Foundation eingeleitet und wird derzeit vom Rutherford Institute finanziert. Linda Tripp, die Lewinsky vermittelte, war zuvor auf der Suche nach weiteren Anti-Clinton-Zeug*innen für den Fall Jones. Sie kam mit der Tabaklobby nach Washington und wurde von Lucianne Goldberg angeleitet, einem ehemaligen Mitglied des Teams von Präsident Nixon für schmutzige Tricks und jetzt eine „Literaturagentin“, die als eine Art Impresaria für Anti-Clinton-Zeug*innen fungiert.

Ein Großteil des Drecks, der die Skandalmaschine jetzt füttert, stammt von rechten Verlagsgruppen wie Alfred Regnery, der Bücher veröffentlicht, in denen Clinton in Verschwörungen und Morde verwickelt wird. Die mächtigste Dreckschleuder scheint jedoch Richard Scaife zu sein, Erbe des Mellon-Bankvermögens, der eine Batterie von Thinktanks und Publikationen finanziert.

Fast alle Anwält*innen, die an der Offensive gegen Clinton beteiligt sind, gehören der Federalist Society an, und viele von ihnen sind mit der Tabakindustrie verbunden. Dazu gehört auch Kenneth Starr selbst, ein prominenter Federalist, der in seiner lukrativen Privatpraxis weiterhin große Tabakkonzerne vertritt. Als Bewunderer von Nixon in den 1970er Jahren arbeitete Starr sowohl für die Reagan- als auch für die Bush-Regierung. Er wurde von Senator Jesse Helms, dem Dinosaurier aus North Carolina und überzeugten Freund der Tabakindustrie, als Sonderstaatsanwalt eingesetzt. Sogar die „Washington Post“, die Starrs Rolle immer noch verteidigt, gibt zu, dass er „in der Vergangenheit seine eigene konservative Politik lässig überspielt hat… Es ist ein großer Fehler“.

* * *

Warum hat es einen so langen schmutzigen Krieg gegen Clinton gegeben? Die Präsidentschaft ist vom Standpunkt der herrschenden Klasse aus kaum in der Weise außer Kontrolle geraten wie Nixon wegen des Vietnamkriegs. Nixon hat den Krieg entgegen den Beschlüssen des Kongresses heimlich durch die Bombardierung von Laos und Kambodscha ausgeweitet und versucht, seine Regierung der Kontrolle durch den Kongress und die Justiz zu entziehen. Clinton stieß unausweichlich politisch mit dem Kongress zusammen, der seit 1994 von einer großen republikanischen Mehrheit dominiert wird. Clinton hat jedoch die meisten der 1992 versprochenen Sozialreformen schnell wieder aufgegeben. Es gab keine wesentliche Änderung der von Reagan und Bush eingeleitete Politik zugunsten der Großkonzerne und der Wall Street. Teile der Großkonzerne wie die Telekommunikations- und Medienkonzerne, die Clinton 1996 finanzierten, sind sehr gut gefahren.

Aber es ist gerade Clintons „überparteilicher“ Herangehensweise, der den Kreuzzug der Rechten ausgelöst hat. Clintons Neue Demokrat*innen haben den größten Teil der republikanischen Agenda an sich gerissen: einen ausgeglichenen Bundeshaushalt, einen Krieg gegen „Sozialschmarotzer“. Da es immer schwieriger wurde, Clinton politisch anzugreifen, konzentrierten sich die Republikaner*innen zunehmend auf seine Zahlungen für dubiose Günstlinge und vor allem auf seine Abenteuer in den Gefilden des Fruchtbarkeitsgottes. Der Kreuzzug der Republikaner*innen wird von großen Geschäftsinteressen unterstützt, die einen besonderen Groll gegen Clinton hegen, insbesondere die großen Tabakkonzerne.

Die Republikaner*innen stehen auch dem Problem gegenüber, dass Clinton und die Strateg*innen der New Democrats sich darauf konzentrierten, die Präsidentschaft zu gewinnen und zu behalten, wobei sie stillschweigend akzeptierten, dass die Republikaner*innen ihre Mehrheit im Kongress behalten würden. Clinton hat versucht, eine Politik des „Zusammenlebens“ mit der republikanischen Mehrheit zu entwickeln. Seine Stärke besteht darin, dass der Präsident die massiven Programme für obligatorische Ansprüche kontrolliert, insbesondere die Sozialversicherung, was in den USA die Altersversorgung bedeutet. Ihre Verteidigung durch Clinton war entscheidend für seine Wiederwahl im Jahr 1996. In Wirklichkeit hätten die Republikaner*innen und ihre Unterstützer*innen aus den Großkonzernen gerne die Privatisierung der Sozialversicherung, was weitere Steuersenkungen für Unternehmen ermöglichen und die Renten als Goldgrube für Finanzunternehmen erschließen würde. Dies auf den Wahlkampfveranstaltungen auszusprechen, wäre jedoch der politische Tod. Selbst Newt Gingrich sah sich gezwungen, aufzustehen und Clintons Versprechen zur Lage der Nation zu beklatschen, den Haushaltsüberschuss zur Stärkung der Sozialversicherung zu verwenden.

Der geistreiche US-Schriftsteller Gore Vidal witzelte einmal, die USA hätten eine kapitalistische Partei mit zwei rechten Flügeln. In seinem jüngsten Kommentar zu Clintons gegenwärtigen Schwierigkeiten fasste Vidal die Situation sehr gut zusammen: „In jeder Wahlrepublik geht es in der Politik darum, wer von wem welches Geld eintreibt, das für wen und wofür ausgegeben wird. Wenn das herrschende Establishment keinen Einblick in seine Arbeitsweise gewährt, weil ihm die Medien gehören und es den größten Teil des Kongresses, der Justiz und der Exekutive für sich gepachtet hat, bleibt nicht viel übrig, worüber man bei Wahlen reden kann, außer über Sex, die Flagge, den Fötus und, in den guten alten Zeiten, den Kommunismus. Die Tatsache, dass Clintons Sexualleben jetzt im Mittelpunkt unseres politischen Diskurses steht, ist also ganz normal“. („Observer“, 28. Januar)

Das Problem der Clintons, so Vidal, sei, dass sie „nie unser Klassensystem verstanden (in das Bush an der Spitze hineingeboren wurde) und was die Eigentümer*innen von solchen Angestellten wie dem Präsidenten und seiner Frau erwarten“. Clinton gab den traditionellen New-Deal-Reformismus der Demokrat*innen auf. Aber er hat die Versicherungsgesellschaften verärgert, indem er ein „sozialisiertes“ Gesundheitswesen vorschlug; er hat die großen Tabakkonzerne aufgebracht, indem er auf Entschädigung drängte; und er hat die Wall Street mit der Drohung alarmiert, ihre Steuerschlupflöcher zu beschneiden. Das Problem für die Republikaner*innen ist, dass diese Politiken sehr populär sind.

Der Kampf zwischen der demokratischen Präsidentschaft und ihren rechten republikanischen Gegner*innen im Kongress ist kein Konflikt um grundlegende Interessen. Es ist ein Gerangel zwischen rivalisierenden Vertreter*innen der Kapitalist*innenklasse, ein Kampf um politische Macht und die mit dem Amt verbundene Beute. Verschärft wird dieser Kampf durch die Aufteilung der Macht zwischen den drei getrennten Zweigen des US-Staates: der exekutiven Präsidentschaft, der Judikative und der Legislative des Kongresses. Erschwert wird er durch die Zersplitterung der massiven US-Kapitalist*innenklasse, die der Bildung einer geschlossenen herrschenden Elite entgegenwirkt. Wenn die Arbeiter*innenklasse keine unabhängige politische Stimme hat, können sich die beiden kapitalistischen Parteien den Luxus gönnen, sich gegenseitig um Macht, Prestige und die Beute der Großkonzerne zu bekämpfen.

Wie anders sähe es aus, wenn es eine Massenpartei der Arbeiter*innenklasse gäbe, die diese innenpolitische Krise nutzen könnte, um die organische Fäulnis sowohl der Republikaner*innen als auch der Demokrat*innen, die Korruption des gesamten Systems aufzudecken – und den arbeitenden Menschen eine echte Alternative anzubieten.

* * *

Trotz der Sintflut von Schmuddelvorwürfen, die um Clinton herumschwirren, stieg seine Zustimmungsrate nach seiner Rede zur Lage der Nation (2. Januar) auf 60 bis 70%. Interessieren sich die Menschen nicht für das moralische Chaos im Weißen Haus? In Wirklichkeit spiegelt die überwältigende „Zustimmung“ zu Clinton mehrere Stimmungslagen in der Bevölkerung wider: Zynismus gegenüber allen Politiker*innen, eine Abneigung gegen die Methoden Starrs und der Medien und vor allem das Gefühl, dass die Wirtschaft unter Clinton gestärkt wurde und dass die Aussichten für den Lebensstandard besser sind, als sie unter den Republikaner*innen wären.

Niemand hat 1992 geglaubt, dass er einen Tugendbold wählt.

Nach der Affäre um Gennifer Flowers wussten alle, dass sie für einen Ehebrecher, wahrscheinlich einen Serienschürzenjäger, stimmen würden. Die Mehrheit der Wählenden (weniger als die Hälfte der Wähler*innenschaft) zog einfach Clintons Politik der Doles vor. Als der Lewinsky-Skandal bekannt wurde, löste er zweifelsohne Schock und Abscheu aus. Doch die Wut löste sich bald in Zynismus auf. Nur 36% der Wähler*innen sind der Meinung, dass Clinton zurücktreten sollte, selbst wenn nachgewiesen würde, dass er Oralverkehr mit Lewinsky hatte. Fast die Hälfte (49%) lehnt ein Amtsenthebungsverfahren gegen Clinton ab, auch wenn er ihr gesagt hat, sie solle in einem Gerichtsverfahren jegliche sexuelle Beziehung abstreiten.

Vor allem liberale Feministinnen befinden sich in einer Zwickmühle. Sie begrüßen Clintons Forderung nach einer Erhöhung des Mindestlohns, die vor allem für Arbeiterinnen wichtig ist, und nach einer neuen 21-Milliarden-Dollar-Initiative für Kinderbetreuung. Er setzt sich weiterhin für Förderungsmaßnahmen für benachteiligte Gruppen und bessere Geschäftsmöglichkeiten für Frauen ein und hat auch eine Frau in den Obersten Gerichtshof berufen. Aber, so die Leiterin einer nationalen feministischen Organisation, „ich hasse die Geschichten, die über Bill Clinton verbreitet werden, und ich glaube, dass zumindest einige davon wahr sein müssen. Hat er die Angewohnheit, Frauen als Sexobjekte zu behandeln? Es scheint so. Aber ich schaue mich um und sage: ,Was sind unsere Alternativen?’“. („International Herald Tribune“, 30. Januar). Die Alternative scheint ein Abstieg in das finstere Mittelalter mit Leuten wie Newt Gingrich zu sein.

Die meisten Menschen ziehen den Jagdhund, den sie kennen, den Schakalen vor, die sie fürchten. Der christlichen Rechten ist es nicht gelungen, eine puritanische „moralische Mehrheit“ aufzubauen, die sie nach Belieben einsetzen kann, um liberalere Gegner*innen zu vernichten. In den achtziger Jahren unter Reagan haben Teile des Großkapitals Millionen von Dollars in einen moralischen Kreuzzug zu emotionalen sozialen Fragen (wie Abtreibung) gesteckt, als Deckmantel für ihre Bestrebungen das Rad bei Jahrzehnten von Sozialreformen zurückzudrehen. Aber Clinton hat Unterstützung (auch unter republikanischen Frauen) für seine Verteidigung des Abtreibungsrechts gewonnen, eines der wenigen progressiven Themen, an denen er festgehalten hat.

Die Abscheu über das Verhalten des Präsidenten wurde von der Abscheu über die Taktik des Sonderstaatsanwalts überholt. Starr behauptet, es gehe ihm nur um die Rechtsbeugung, aber seine Ermittlungen haben sich unbestreitbar von betrügerischen Grundstücksgeschäften auf Oralsex verlagert. Linda Tripp wurde verkabelt, um ihre Freundin und Vertraute Monica Lewinsky in die Falle zu locken, während Lewinsky selbst von Starr gedrängt wurde, Clinton mit einem Kabel in die Falle zu locken. Umfragen zeigen, dass 60% der Befragten dagegen sind, dass Starr in Clintons Sexualleben herumschnüffelt, und verurteilen seine Methoden, die weithin als „sexueller McCarthyismus“ angesehen werden. Die Hälfte der Befragten glaubt, dass es eine rechte Verschwörung gegen Clinton gibt, während 60% die Rolle der Medien kritisieren. („Newsweek“, 9. Februar)

Clinton wurde 1996 wegen der Stärke der wirtschaftlichen Erholung wiedergewählt, und das anhaltende Wachstum erlaubt es ihm, die Angriffe Starrs vorerst zu überstehen. Die langfristige Verschlechterung des Lebensstandards wurde nicht rückgängig gemacht. Die Ungleichheit nimmt immer noch zu. Aber die meisten Menschen sind etwas besser dran als während der Rezession 1990-92. Und obwohl in Wirklichkeit ein Abschwung vor der Tür steht, konnte Clinton in seiner Rede zur Lage der Nation ein leuchtendes Bild des kommenden Wohlstands malen.

Er prahlte damit, dass der Bundeshaushalt früher als geplant ausgeglichen sein werde, und versprach, dass der voraussichtliche Überschuss (über 200 Mrd. Dollar bis 2003) für die langfristige Stärkung des Sozialversicherungssystems verwendet werden würde. Noch besser: Er versprach eine ganze Reihe neuer Sozialausgabenprogramme in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Kinderbetreuung und Umwelt. Um dies zu finanzieren (ca. 150 Mrd. Dollar über fünf Jahre), will er 24 Mrd. Dollar von Großunternehmen eintreiben, indem er Steuerschlupflöcher schließt und Steuervergünstigungen zurücknimmt, die vor allem Finanzunternehmen und Immobilienhändler*innen zugute kommen. Dem muss der von den Republikaner*innen dominierte Kongress jedoch noch zustimmen.

Der größte Teil der neuen Einnahmen wird jedoch von den großen Tabakkonzernen kommen: 65 Milliarden Dollar, die erste Tranche des vorgeschlagenen 368,5 Milliarden Dollar schweren Vergleichs, der eine Entschädigung für die durch das Rauchen verursachten schrecklichen medizinischen Probleme darstellt. Aber auch hier muss der Kongress noch zustimmen. Die politischen Schachfiguren der Tabakindustrie werden sich dem Abkommen erbittert widersetzen. Kein Wunder, dass Tabakgelder eine so große Rolle in den Anti-Clinton-Guerillabanden spielen.

In Wirklichkeit wird Clinton auf keinen Fall in der Lage sein, diese Versprechen zu erfüllen. Abgesehen von der Obstruktion des Kongresses wird ein wirtschaftlicher Abschwung seine Fünfjahres-Haushaltspläne zunichte machen. Aber heute scheint Clinton der Mittelschicht und den Arbeiter*innen im Blaumann viel mehr zu bieten als seine republikanischen Gegner*innen.

Wird Clinton aus dem Amt gedrängt werden? Das ist zwar möglich, aber nicht wahrscheinlich. Starr selbst räumt ein, dass der Präsident verfassungsrechtlich nicht angeklagt werden kann – nur ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet werden kann. Wie vernichtend der Bericht des Sonderstaatsanwalts auch ausfallen mag, es wird dem Kongress obliegen, eine Entscheidung zu treffen – wofür letztlich eine Zweidrittelmehrheit im Senat erforderlich ist.

Einige einzelgängerische Republikaner*innen fordern bereits ein Amtsenthebungsverfahren. Doch Gingrichs Taktik ist: „Geduldig sein“, sich zurücklehnen, während Starr losschlägt. Die Strategie (wie die „New York Times“ kommentiert) besteht darin, „dafür zu sorgen, dass Herr Clinton an Ort und Stelle bleibt – aber ihn verwundet zu halten“. Ein angeschlagener Clinton, so hoffen sie, wird bei den Zwischenwahlen im November und darüber hinaus ein verwundbares Ziel für die Republikaner*innen sein.

Eine ähnliche Strategie verfolgten die Demokrat*innen 1986, als die Iran-Contra-Affäre ausbrach. Trotz der Masse an Beweisen dafür, dass Reagans nationaler Sicherheitsberater Poindexter und sein Verteidigungsminister (Weinberger) illegale Waffenverkäufe an den Iran organisiert und die Contras in Nicaragua entgegen den Beschlüssen des Kongresses heimlich weiter unterstützt hatten, beschlossen die Demokrat*innen frühzeitig, Reagan nicht anzuklagen. Sie zogen es vor, 1988 gegen einen angeschlagenen Präsidenten zu kämpfen. Trotz des Ausmaßes von Reagans konterrevolutionären Verbrechen überwog das politische Kalkül wie immer gegenüber den verfassungsrechtlichen Grundsätzen.


Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert