Leo Trotzki: Brief an Natalia Sedowa

[23.-24. September 1933, eigene Übersetzung der französischen Übersetzung]

23. September 1933

Liebe Natalotschka, ich hatte tatsächlich nicht auf deine Notiz mit deinen „Wünschen“ geantwortet. Jeanne hatte die Creme schon vor deiner Notiz eingepackt, aber der Hausmantel ist nicht im Koffer; ich komme auch ohne warmen Hausmantel aus, indem ich ihn durch den gestreiften Bademantel ersetze. Die warmen Pantoffeln habe ich aus dem Koffer genommen. Jeanne erzählte mir, dass Sara viel über ihre Abreise gesprochen und die Frage gestellt hatte, wer sie ersetzen würde. Jeanne erwähnte die Tochter von Parijanine. Aber diese erhält in der sowjetischen Einrichtung [in der sie arbeitet] sicherlich ein recht hohes Gehalt und hat dort eine stabile Lage; welchen Sinn würde es für sie haben, zu uns zu kommen?

Ich befürchte, dass deine Anweisungen bezüglich des „Gartens“ die Suche behindern und die Anzahl der möglichen Häuser einschränken könnten. Es ist besser, ein gutes Haus ohne Garten zu haben als ein schlechtes mit Garten. Ljowa und Raymond könnten deine Anweisungen bezüglich des Gartens zu kategorisch auffassen.

Es ist jetzt halb neun Uhr abends. Ich sitze allein im Sessel in der Ecke deines Zimmers; auf dem Nachttisch steht die Lampe aus meinem Zimmer, das Fenster ist halb offen, der Ozean brüllt, obwohl der Wind nachgelassen hat; alle jungen Leute, einschließlich des neuen, Schmidt, sind unten … Heute habe ich Henri wegen Raymond geschrieben, ich habe einen ziemlich strengen Brief geschrieben und ihn gewarnt, dass es „das letzte Mal“ sei. Ich habe heute mit der neuen Malariabehandlung begonnen, mit dem neuen deutschen Medikament; die Behandlung dauert fünf Tage. Die Behandlung macht durstig.

Vera ist im Grunde ein sanfter Charakter; trotz harter Arbeit ist sie immer fröhlich, ein bisschen kokett und äußerst fürsorglich zu mir. Jeanne ist strenger, obwohl sie in letzter Zeit mit mir spricht und sogar ein wenig mit mir „plaudert“ (ich habe sie ein wenig gezähmt). Sie ernähren mich beide sehr gut.

24. [September] Ich schreibe dir wieder im Sessel sitzend, in der Ecke des Schlafzimmers, auf einem Knie… Unser neuer Wächter, der deutsche Student, spielt gut Klavier. Das bringt etwas Neues ins Haus. Ich lauschte durch den Fußboden; obwohl der Klang gedämpft war, war es angenehm. In den Zeitungen (Wosroschdjenije, aus der sowjetischen Presse entnommen) war gestern eine Meldung, dass Trotzkisten, „zusammen mit Rechten und Gaunern aller Art“, den Swerdlowsker Sowjet übernommen hätten; 24 Personen seien ausgeschlossen worden. Eine sehr interessante Information, aber was versteckt sich wirklich dahinter? Durch das Fenster dringt das Rauschen des Ozeans, heute hat es dreimal am Tag geregnet, es ist Herbst … Wie seltsam, dass du und ich an zwei Enden von Frankreich leben! Das ist etwas, was wir uns nicht vorgestellt haben, als wir hierher kamen. Ich vermisse dich, ich vermisse dich sehr, sehr, sehr; ich „denke“ viel an dich. Aber jetzt ist es nicht mehr lange. Es ist Zeit, ins Bett zu gehen, Natalotschka; bis ich einschlafe, werde ich in Gedanken mit dir sprechen. Ich werde alt, Natalotschka …

Man muss diesen Brief wegschicken. Ich umarme dich ganz fest.

Dein

L.


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