Leo Trotzki: Brief an Alfonso Leonetti

[15. Juni 1934, eigene Übersetzung des französischen Textes in Œuvres 4, dort unter den Titel „Les difficultés dans l’organisation“ „Die Schwierigkeiten in der Organisation“, verglichen mit der englischen Übersetzung]

Lieber Freund,

Vielen Dank für Ihren für mich sehr aufschlussreichen Brief. Ich habe ihn heute erhalten, als ich meine Verwaltung verließ, die beabsichtigt, mich zu entlassen. Wie auch immer … Was die Frage der Liga betrifft, so erwähne ich sie in meiner Kritik des Aktionsprogramms. Ich schicke Ihnen eine Kopie davon. Diese Form der Erklärung ist die bequemste, weil jeder gezwungen ist, genaue Formulierungen zu geben, und das beseitigt Missverständnisse und überflüssige Diskussionen.

Die Lage in der Liga beunruhigt mich sehr. Nicht aus dem Blickwinkel unterschiedlicher Prinzipien, sondern aus dem Blickwinkel des Arbeitssystems. Es wäre jedoch ein großer Fehler, das Plenum zur Arena für erbitterte Diskussionen über die Liga zu machen. Durch Diskussionen kann man Ideen präzisieren, aber nicht Charaktere und Gewohnheiten ändern. Natürlich bin ich nicht gegen die Diskussion, aber sie sollte auf einige wenige, klar umrissene und für alle Delegierten zugängliche Punkte reduziert werden. Das bedeutet meiner Meinung nach, dass es unbedingt notwendig ist, vor dem Plenum in der französischen Kommission Missverständnisse auszuräumen, gemeinsame Formeln für Fragen zu finden, in denen es keine grundsätzlichen Differenzen gibt, und genaue Formeln für strittige Punkte gegenüberzustellen. Dies ist das einzige Verfahren, um die Atmosphäre im Plenum nicht zu vergiften.

Soweit ich weiß, will man die Frage der internationalen Konferenz stellen. Ich habe beobachtet, dass die Genossen und Sektionen, die am wenigsten zu unserer internationalen Organisation beitragen, die größten Ansprüche an die Frage der internationalen Konferenz stellen. Diese Frage muss an die politische Realität angepasst werden. Die Konferenz bedeutet ein paar Dutzend Delegierte. Wie können die Ausgaben gedeckt werden? Und vor allem: Wo soll die Konferenz abgehalten werden, ohne schädliche Folgen wie in Holland? Wenn die Arbeiterpartei in England oder Norwegen an die Macht kommt, kann die Situation für die Konferenz politisch günstiger werden. Die finanzielle Frage wird auf jeden Fall bestehen bleiben. Aber heute von der Konferenz zu sprechen oder auch nur ein Datum festzulegen, wäre nur bürokratischer Leichtsinn. In illegalen Organisationen – international gesehen ist das bei uns der Fall – ist der organisatorische Demokratismus1 notwendigerweise eingeschränkt. Das mehr oder weniger vollständige2 Plenum ersetzt bei uns die Konferenz, bis sich die politischen Bedingungen ändern. Die Unzufriedenen sollten ihren praktischen Plan vorlegen.

Was das Sekretariat betrifft, so habe ich meine Meinung bereits in Genf mitgeteilt, ja sogar meine Überzeugung: Man muss Dubois formell in das Sekretariat einführen. Das Plenum könnte folgende Resolution annehmen:

„Um das Sekretariat zu stärken, vor allem für die Arbeit in den angelsächsischen Ländern, beschließt das Plenum, den Genossen Dubois mit beschließender Stimme einzuführen.“

Das ist tausendmal besser als die Schaffung eines Übergangsregimes, das zu Missverständnissen Anlass gibt, eine falsche Situation schafft und in einer Krise endet. Als Vollmitglied wird Genosse Dubois in jeder Frage abstimmen und seine Verantwortung wahrnehmen müssen. Die Erfahrung wird zeigen – ich hoffe und wünsche es von ganzem Herzen -, dass dies der einzig richtige Weg ist.

Ich schreibe Ihnen nichts über die griechische Frage: Ich hatte noch keine Zeit, die Dokumente zu lesen, ebenso wenig über die polnische Frage. Ich werde Ihnen das nächste Mal darüber schreiben.

Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf den Direktivenentwurf über die Miliz3 lenken. Ich halte dieses Dokument für sehr wichtig, weil es alle Punkte auf den Punkt bringt. Ich schicke Ihnen einige Notizen zu diesem Reglement.

Mit freundlichen Grüßen.

Crux [Leo Trotzki]4

P.S. Was Ihren Artikel betrifft, so schicke ich ihn Ihnen anbei zurück. Meine Zustimmung zum Inhalt und meine Ablehnung der Losung einer sozialistischen Regierung werden in den anderen Schriften geklärt.

1In der englischen Übersetzung: „Demokratie“

2In der englischen Übersetzung: „möglichst gut besuchte“

3Im französischen Text: „Entwurf des Milizreglements“

4In der französischen Wiedergabe fehlt die Unterschrift


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