[eigene Übersetzung des englischen Textes in Socialist Appeal, Nr. 22, Mitte März 1946, S. 3 f.]
Seit Hitlers Fall hat die deutsche Parteipolitik einen weitgehend unwirklichen Charakter getragen. Mit der Unterbrechung des Wirtschaftslebens und dem Vorherrschen des Kampfes ums Leben gab es wenig wirkliche Arbeiterklassenpolitik. Die Parteien haben weitgehend die Kämpfe zwischen den Besatzungsmächten und die Manöver von Teilen der deutschen Bevölkerung für eine günstige Politik ihnen gegenüber widergespiegelt.
Auf einer kürzlichen Konferenz der Berliner Sozialdemokraten fand dieser Meinungsaustausch statt.
„Glaubt ihr wirklich“, fragte der Redner, „dass Deutschland ohne die Besatzungsmächte leben könnte?“
„Ja, wir kämen ohne sie klar“, war die laute und wütende Antwort von Hunderten von Delegierten. (Observer, 3. 3. 1946)
Bei den gegenwärtigen Bedingungen von nationaler Unterdrückung muss ein Eintreten für Deutschlands nationale Unabhängigkeit – das aber alle Formen von Chauvinismus zurückweist – die Grundlage jeder wirklich sozialistischen Politik sein. Der wütende Schrei der Delegierten ist daher ein willkommenes Zeichen für die Wiederbelebung des politischen Leben.
Zweifellos ist gegenwärtig die wichtigste politische Frage der Vorschlag der Kommunistischen Partei für eine Vereinigung mit den Sozialisten.
Sozialdemokratische und Kommunistische Parteien
Gegenwärtig zeigen die Führungen der zwei Parteien der Arbeiterklasse wenig Anzeichen, dass sie etwas aus der Erfahrung des Nazi-Sieges und der Diktatur gelernt haben. Aber die Führer, die gegenwärtig die Politik bestimmen, sind das Produkt von 12 Jahren Degeneration in der Welt außerhalb. Die Sozialdemokratie (SPD) ist am stärksten in der britischen und US-Zone. Sie hat einen kleinen stalinistischen Flügel in der russischen Zone, aber die überwältigende Mehrheit der Führung ist sklavisch vom anglo-amerikanischen Imperialismus abhängig. Ihr Programm scheint darin zu bestehen, bei den Alliierten darum zu betteln, Deutschland ein gewisses Maß an kapitalistischer Demokratie zuzugestehen, was der Höhe- und Endpunkt ihrer Politik ist.
Umgekehrt ist die Kommunistische Partei (KPD) eine reine Agentur der russischen Besatzung. Sie zählt in ihren Reihe viele ergebene Kämpfer in der Illegalität gegen Hitler, die in einem späteren Stadium durchaus revolutionäre Politik verlangen können. Aber die aus dem Exil in Moskau aufgezwungene Führung ist völlig konservativ. So erklärte Walter Ulbricht letzten Juni definitiv, dass ein Kampf für Sozialismus gegenwärtig nicht in Frage komme: und das ist die Linie der gesamten KPD. Sie fordert ein vereinigtes Reich einschließlich der Ruhr, aber das ist ein rein demagogischer Punkt, den Stalin verwendet, um seinen „Verbündeten“ Ärger zu machen. Wenn es zur Frage der Plünderung und wirtschaftlichen Erdrosselung Deutschlands durch Russland und die Wegnahme von deutschem Gebiet durch Polen kommt, schweigt die KPD.
Keine Partei zeigt irgendwelche Anzeichen, dass sie versteht, dass ihr Versagen, kühne revolutionäre Politik anzubieten, zur Demoralisierung der deutschen Arbeiterklasse und zum Sieg des Faschismus führte. Im Gegenteil sind sie unterwürfiger gegenüber dem Kapitalismus als jemals vorher.
Der Vereinigungsvorschlag
Es gibt einen auffälligen Unterschied gegenüber 1933 in der stalinistischen Kampagne für Vereinigung mit den Sozialdemokraten, die sie damals als „Sozialfaschisten“ angriffen.
Die KPD behauptet, dass das eine Lehre ist, die sie aus der tragischen Spaltung in den Jahren vor Hitlers Sieg gelernt haben. Zweifellos unterstützen viele echte KPD-Aktivisten es aus diesem Grund ehrlich. Aber die Führer haben ziemlich andere Motive. Sie unterziehen ihre kriminelle ultralinke Politik jener Jahre nicht einer kritischen Untersuchung – weil das ihre eigene Verantwortung für den Nazi-Sieg entlarven würde. Schlimmer noch, sie tun der ganzen kommunistischen Tradition Gewalt an. Zum Beispiel antwortete die Kommunistische Partei in Frankfurt am Main auf die Weigerung der Sozialdemokraten, sich zu vereinigen, indem sie erklärten, dass „die Spaltung der deutschen Arbeiterklassen-Bewegung seit 1918 (!) ausschließlich dem deutschen Imperialismus geholfen und dem deutschen Volk und dem Weltfrieden Schaden zugefügt hat.“ Hier wird die Anprangerung der bitteren Spaltung 1918-23 als Entschuldigung genommen, um jede Spur der Tradition von Liebknecht und Luxemburg im Kampf gegen den Reformismus und bei der Gründung der Kommunistischen Partei zu verwischen.
Die sozialdemokratischen Führer behaupten, dass die stalinistische Vereinigungskampagne Teil ihres Plans zur Zerschlagung aller Opposition und zur Einrichtung einer monopolistischen Diktatur unter russischer Kontrolle sei. Die Sozialdemokraten haben ihre eigenen Gründe, die Vereinigung abzulehnen, die wir später behandeln werden, aber der Vorwurf ist zweifellos wahr. Der Terror der GPU in der russischen Zone hat die Sozialdemokraten gezwungen, die Vereinigung zu akzeptieren. Das Kommuniqué eines gemeinsamen Treffens von Vertretern der zwei Parteien in Berlin am 21. Dezember, wo die Vereinigung einmütig vereinbart wurde, trug die Unterschrift von zwei Mitgliedern der russischen Besatzungstruppen, die bei der Diskussion zugegen waren!
William Forrest vom „News Chronicle“ (2. 3. 46) enthüllt Fälle von „extremem Druck, der auf Sozialisten ausgeübt wurde, um sie der Einheit zugänglich zu machen. Laut diesen Berichten ist der NKWD (besser bekannt als OGPU) eines der Hauptinstrumente bei diesem Druck.
Mitten in der Nacht klingelt der NKWD-Mann an der Wohnung eines örtlichen sozialistischen Führers und nimmt ihn zu ihrem Hauptquartier.“
Der „Manchester Guardian“ (26. 2. 46) erklärt:
„Von den prominenteren SPD-Mitgliedern, die sich gegen die Vereinigung ausgesprochen haben, wurde Herr Bryll vom thüringischen Vorstand verhaftet; Frau Lisa Peter, Frau des früheren Magdeburger Bürgermeisters Kors [?] Peter, der nach Westfalen gehen musste, wurde in Magdeburg in Gewahrsam genommen“ etc. etc.
Die Haltung der Arbeiter
Unter diesen Bedingungen soll die Vereinigung den Zugriff der russischen Besatzungstruppen in ihrer Region stärken und die vereinigte Partei als Instrument zur Verwandlung Deutschlands in einen Satelliten der stalinistischen Bürokratie verwenden. Natürlich nicht zum Sturz des Kapitalismus, sondern nur, um den Interessen der raffgierigen Bürokratie zu dienen.
Gegenwärtig gibt es trotz der Traditionen der KP und ihrer Gleichsetzung mit der Bodenreform einen Rückgang des KP-Einflusses. Das ist auch nicht nur in der russischen Zone so. Die Arbeiter geben ihre Stimme den Sozialdemokraten, weil sie auf jeden Fall in Worten für Demokratie stehen.
So wurden in Sachsen am 16. Januar bei Delegiertenwahlen zum Gewerkschaftskongress 286 Delegierte für die Sozialdemokraten und 52 für die KPD gewählt.
Die jüngsten Betriebsratswahlen in Berliner Fabriken gaben der SPD 110, der KPD 50, den Christdemokraten 2 und den unpolitischen 37.
Die Kommunalwahlen in Bayern (US-Zone) gaben der SPD 500.000 Stimmen gegenüber 140.000 der KPD.
Die Basis-Sozialdemokraten lehnen die Vereinigung ab. Bei der kürzlichen Konferenz der Berlin Partei wurden Grotewohl und andere Protagonisten der Vereinigung wiederholt unterbrochen und mit Rufen wie „Marionette“ und „Diktatur“ niedergeschrien. Die Delegierten stimmten eine Resolution für sofortige Vereinigung nieder und machten eine geheime Abstimmung aller Sozialdemokraten in Berlin und der russischen Zone zur Bedingung für die Vereinigung! So sind nur in der russischen Zone die Sozialdemokraten für die Vereinigung.
Gegen die Vereinigung
Die Opposition der sozialdemokratischen Führer, besonders aus den Westzonen, wird hauptsächlich dadurch bestimmt, dass sie Agenten der Westalliierten sind, die alle Maßnahmen ablehnen wollen, durch die der stalinistische Einfluss gefestigt wird. Sie bringen keine prinzipiellen Argumente aus einen sozialistischen Blickwinkel vor. Sie sind in Wirklichkeit nicht besser als die Stalinisten. Es gibt also keine Gründe, die Vereinigung aus programmatischen Gründen abzulehnen; unter anderen Umständen (wie in diesem Land) sollten wir sie unterstützen, damit alle Reformisten und Verräter zusammenkommen und eine Quelle der Verwirrung für die Arbeiterklasse entfernen.
Aber unter den konkreten Umständen sollten Revolutionäre die Vereinigung ablehnen. Wegen ihren „demokratischen“ Ideologien bietet die SPD möglicherweise Kanäle für unabhängige Tätigkeit der Arbeiterklasse – die unmittelbar in Opposition zur opportunistischen Qusiling-Führung geraten muss. Vereinigung mit der KPD würde ein totalitäres, GPU-beherrschtes Regime bedeuten, in dem die Arbeiter erstickt würden.
Aber unter keinen Umständen darf Sozialdemokraten und Stalinisten erlaubt werden, die völlig richtige Idee der Arbeitereinheit – für spezifische Ziele im Kampf gegen den Kapitalismus – zu diskreditieren. Es ist ein Verbrechen, für das man den Stalinisten die Verantwortung geben muss, dass die guten Gelegenheiten, die Lehren der tragischen Niederlage von 1933 zu verbreiten, versäumt werden. Welche Ironie, dass die Arbeiter erneut den Sozialdemokraten zuströmen sollten, die die Geschichte ein für allemal für ihre völlige Kapitulation vor dem Faschismus diskreditiert hat, weil die „Kommunisten“ heute das größere Übel sind! Und dass die Idee der Arbeitereinheitsfront, wegen deren Fehlen der Faschismus leicht die Macht eroberte, durch genau diese „Kommunisten“ diskreditiert wird!
Der revolutionäre Weg
Aber wir können sicher sein, dass diese Lehren von den fortgeschrittenen Arbeiter Deutschlands nichts vergessen werden. Wir erfahren, dass weitverbreitete Diskussionen über den Verrat ihrer Führung, die den Kampf gegen Hitler nicht führte, in den Reihen der deutschen KP stattfinden, und dass die Basis die Richtigkeit von Trotzkis Position der Forderung nach einer Arbeitereinheitsfront angesichts der faschistischen Gefahr erkennt. Was sie brauchen und nicht finden ist eine Partei mit einem revolutionären Kampfprogramm gegen den Kapitalismus; unbefleckt durch Zusammenarbeit mit den imperialistischen und stalinistischen Unterdrückern; für ein freies und unabhängiges Deutschland in Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa. Ohne solch ein Programm ist alles Reden über „Einheit“ bedeutungslos. Nur wenn die Vierte Internationale in Deutschland Wurzeln schlägt, wird die deutsche Arbeiterklasse mit all ihren Kampftraditionen und unschätzbarem Erbe an Erfahrung einen Weg aus der Sackgasse von stalinistischem und sozialdemokratischem Manövrieren auf den Weg zur Freiheit finden.
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