[November 1986, eigene Übersetzung nach: Militant International Review, Nr. 34, Frühjahr 1987, S. 18-28]
Die amerikanische „Irangate“-Krise hat enthüllt, dass Gelder aus dem Verkauf von Waffen an den Iran zur Finanzierung der nicaraguanischen „Contras“ verwendet wurden. Einmal mehr stellt sich die Frage der Zukunft der nicaraguanischen Revolution in den Köpfen der Arbeiter*innen und Jugendlichen in der ganzen Welt.
Im Juli 1979 wurde die verhasste Somoza-Diktatur nach 40 Jahren rücksichtsloser Unterdrückung gestürzt. Dies trug dazu bei, die Flammen der revolutionären Kämpfe, die Mittel- und Lateinamerika erfassten, neu zu entfachen. Die Revolution in Nicaragua trug dazu bei, die Jugend in ganz Südamerika zu begeistern, und Teile von ihr sahen in dieser Aufstandsbewegung ein nachahmenswertes Beispiel. Allein diese Entwicklung rechtfertigt eine gründliche Untersuchung der nicaraguanischen Revolution, um die Aufgaben zu klären, vor denen die Arbeiter*innen und Jugendlichen in Ländern wie Brasilien, Argentinien und Chile stehen.
Die Ereignisse in Nicaragua haben auch den US-Imperialismus an den Rand einer direkten militärischen Intervention und zur Finanzierung der Contras in Höhe von über 100 Millionen US-Dollar gebracht. Der US-Imperialismus ist entsetzt über die Aussicht auf eine durch ganz Zentralamerika fegende Revolution, die die Marionettenregime in El Salvador, Honduras, Guatemala usw. stürzen könnte, wo sich die Revolution in vollem Gange befindet. Die Angst vor einer Revolution in ganz Zentralamerika mit ihren unvermeidlichen Folgen in Südamerika hat Reagan und den US-Imperialismus dazu veranlasst, zu versuchen, das „Beispiel“ Nicaragua „auszurotten“.
Es kann keinen Zweifel daran geben, dass der Sturz der Somoza-Diktatur einen gewaltigen Fortschritt für die Arbeiter*innen und Bäuer*innen Nicaraguas bedeutete, vor allem, wenn man es gegen den Albtraum der zunehmenden Armut und des Elends auf dem gesamten Kontinent abwägt. Unter der Somoza-Diktatur starben über 30 % der Kinder auf dem Land an vermeidbaren Krankheiten. Seit der Revolution konnte die Kindersterblichkeit von 33 % auf 8 % gesenkt werden, und in einer Massenkampagne gegen Polio wurden über 1 Million Menschen geimpft. Der Verbrauch von Mais ist um 33 %, von Bohnen um 40 % und von Reis um 30 % gestiegen. In den letzten Jahren der Somoza-Diktatur wurden insgesamt 1.000 Ärzt*innen in ganz Nicaragua insgesamt 200.000 Mal aufgesucht. Seit der Revolution haben sich jedes Jahr 500 Ärzt*innen qualifiziert und Patient*innen sie 6 Millionen Mal pro Jahr aufgesucht.
Es wurde eine massive Alphabetisierungskampagne durchgeführt, bei der Heerscharen von Lehrer*innen und Student*innen aufs Land geschickt wurden, um den Analphabetismus auszurotten. Vor der Revolution hatten schätzungsweise 75 % der Bevölkerung noch nie ein Buch gelesen und über 50 % waren Analphabet*innen! Diese Quote ist inzwischen auf 14 % gesunken, und es wurden 1.200 Schulen gebaut. Solche Entwicklungen werden von allen Aktivist*innen der Arbeiter*innenbewegung eindeutig unterstützt. Sie haben jedoch dazu geführt, dass viele Jugendliche Illusionen in die Führung der Sandinistas entwickeln und glauben, dass die sozialistische Revolution durchgeführt werde. Der Marxismus unterstützt jede Errungenschaft und jeden Fortschritt der ausgebeuteten Massen Nicaraguas und stellt sich unerbittlich gegen den US-Imperialismus in seinen Versuchen, die Revolution zu zerschlagen. Dabei können und dürfen sich Marxisten jedoch nicht auf die Rolle von bloßen Cheerleader*innen reduzieren. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die eroberten Errungenschaften von der Konterrevolution bedroht sind. Es ist notwendig, die Prozesse in der Revolution zu analysieren und zu erklären, wie die erreichten Errungenschaften am besten verteidigt und weiterentwickelt werden können. So steht die Sache mit der nicaraguanischen Revolution.
Das Schlüsselthema, das den Kern der Sache in Nicaragua und Zentralamerika im Allgemeinen trifft, ist die Theorie der permanenten Revolution und die Frage des Klassencharakters der Revolution. Denn in der gesamten kolonialen Welt, insbesondere in Mittel- und Südamerika, hat eine enorme Bewegung der Massen stattgefunden. Noch vor drei Jahren war ganz Südamerika ein einziges riesiges Konzentrationslager. Heute gibt es nur noch zwei Militär- und Polizeidiktaturen, in Chile und Paraguay. Es war die Bewegung der Arbeiter*innen, Jugendlichen und ausgebeuteten Massen, die zum Sturz dieser Regime geführt hat. Wie wir später sehen werden, war dies auch in Nicaragua der Fall.
In diesen Ländern bestand die unmittelbare Aufgabe darin, die Probleme der bürgerlichen Revolution zu lösen. Das heißt, die Entwicklung der Industrie, die Lösung der Landfrage, die Sicherung eines einheitlichen, unabhängigen Nationalstaats und die Errichtung einer stabilen parlamentarischen Demokratie. Diese Fragen stehen in unterschiedlichem Maße im Mittelpunkt der Aufgaben, die sich in ganz Lateinamerika unmittelbar stellen.
Permanente Revolution
Wie Trotzki und Lenin erklärten, besteht in der modernen Epoche das Problem darin, dass diese Fragen von der nationalen Kapitalist*innenklasse in den Kolonialländern nicht gelöst werden können, weil sie zu schwach ist. Die nationale Kapitalist*innenklasse, die an die Großgrundbesitzer*innen und letztlich an die Rockschöße der mächtigeren imperialistischen Mächte gebunden ist, ist völlig unfähig, eine unabhängige oder progressive Rolle zu spielen. Die Volkswirtschaften der Kolonialländer werden von den multinationalen Konzernen beherrscht, die sie als Quelle billiger Arbeitskräfte und zur Sicherung von Rohstoffen und Mineralien genutzt haben.
Welche Klasse ist also in der Lage, diese grundlegenden Probleme zu lösen, die für die weitere Entwicklung der Gesellschaft entscheidend sind? Wie die Erfahrung der Russischen Revolution glänzend gezeigt hat, kann nur die industrielle Arbeiter*innenklasse mit Unterstützung der armen Bäuer*innen und der ausgebeuteten Schichten der Gesellschaft diese Aufgabe bewältigen. Denn auch in den rückständigen Kolonialländern ist mit den Investitionen der imperialistischen Mächte und in gewissem Maße mit der schwachen Entwicklung der nationalen Kapitalist*innenklasse eine industrielle Arbeiter*innenklasse entstanden.
Wenn eine solche Klasse die Macht ergreift, kann sie sich jedoch nicht nur auf die Frage der bürgerlichen Revolution beschränken, sondern wird zwangsläufig diese Grenzen überschreiten und zu den Aufgaben der sozialistischen Revolution übergehen, mit der Verstaatlichung der Wirtschaft und einem zentralisierten Produktionsplan auf der Grundlage eines Systems der Arbeiter*innendemokratie. Um die Grundlage für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft zu schaffen, muss die Revolution über die engen Grenzen der rückständigen und unterentwickelten Nationen hinaus auf die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder ausgedehnt werden. So kann die Revolution zwar in einem Kolonialland beginnen, aber wenn sie zum Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft führen soll, muss sie auf internationaler Ebene entwickelt werden. Das waren die Ideen der Bolschewiki während der Russischen Revolution unter der Führung von Lenin und Trotzki. Das Scheitern der internationalen Revolution ließ die UdSSR isoliert zurück, mit einer rückständigen Wirtschaft und horrenden Mangelerscheinungen, die zusammen mit den Versuchen des Imperialismus, die Revolution zu zerschlagen, den Weg für eine politische Konterrevolution in den 1920er Jahren ebneten. Während die wirtschaftliche Grundlage der Revolution von 1917 (die verstaatlichte Planwirtschaft) unangetastet blieb, zerstörte die politische Konterrevolution die Arbeiter*innendemokratie und ersetzte sie durch eine bürokratische Kaste – eine Clique, die nun jede Idee einer Weltrevolution aufgegeben hat und stattdessen als konterrevolutionäre Bremse für solche Entwicklungen fungiert, um ihre eigene Position zu schützen. Denn die Entwicklung der Revolution auf internationaler Ebene würde eine politische Revolution zur Wiederherstellung der Arbeiter*innendemokratie mit sich bringen.
In der jüngsten Epoche hat sich im Zuge der Entfaltung der kolonialen Revolution eine neue Wendung ergeben. Die Revolution wurde in einigen Ländern durchgeführt, aber auf eine verzerrte Art und Weise. Die Gesellschaft befindet sich in einer derartigen Sackgasse, dass trotz des Fehlens einer echten marxistischen Massenkraft der Kapitalismus und die Grundherrschaft gestürzt werden konnten. Er wurde jedoch nicht durch eine Arbeiter*innendemokratie ersetzt, sondern durch einen Staatsapparat, der eher dem heutigen Moskau als dem von 1917 entspricht. An der Spitze solcher Regime stehen Guerillagruppierungen, Student*innen und Intellektuelle oder auch radikale Schichten der Offizierskaste der Armee. Als diese Führer die Macht übernahmen, taten sie dies nie mit der Perspektive, die Revolution zu vollenden. Sie wurden zum Teil durch den Druck der Massen und zum Beispiel, wie im Falle Kubas, durch die Reaktion des Imperialismus in Form eines Wirtschaftsboykotts dazu gezwungen. Solche Regime wie in Kuba, China, Syrien usw. waren sehr populär und genossen enorme Unterstützung, da die Vorteile einer verstaatlichten Planwirtschaft spürbar wurden. Diese Entwicklung bedeutet zwar einen Bruch mit dem Großgrundbesitz und dem Kapitalismus und stellt somit einen enormen Fortschritt dar, bedeutete aber noch nicht die sozialistischen Revolution und ein Regime der Arbeiter*innendemokratie.
Das Fehlen eines Regimes der Arbeiter*innendemokratie ist in der Natur dieser Revolutionen begründet, insbesondere im Fehlen einer bewussten Führungsrolle des Proletariats, die ihren höchsten Ausdruck in einer marxistischen Massenpartei findet. Denn nur die Arbeiter*innenklasse kann die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft anführen. Wenn andere Gruppierungen dies versuchen, ist das Beste, was erreicht werden kann, die soziale Revolution in einer verzerrten Form und die Errichtung eines bürokratischen totalitären Einparteienregimes.
Es sind diese entscheidenden Aspekte der kolonialen und permanenten Revolution, die jetzt von entscheidender Bedeutung sind, wenn ein Weg zur erfolgreichen Entwicklung der sozialistischen Revolution in Bezug auf Nicaragua gefunden und die Bedrohung der Konterrevolution durch den US-Imperialismus und die Contras besiegt werden soll.
Dazu ist es notwendig, die historische Entwicklung Nicaraguas zu betrachten, insbesondere unter Berücksichtigung der Rolle der nationalen Bourgeoisie, der Arbeiter*innenklasse und der Bäuer*innenschaft.
Die geschichtliche Entwicklung Nicaraguas
Wie alle Länder Mittel- und Südamerikas wurde auch Nicaragua kontinuierlich vom Imperialismus ausgeplündert und ausgebeutet. Nach der Eroberung durch Spanien im Jahr 1523 wurde Nicaragua unter der Kolonialherrschaft rücksichtslos ausgeblutet. Die Miskito-Indianer*innen an der Atlantikküste leisteten teilweise erfolgreichen Widerstand. Später erhielten sie Unterstützung von Großbritannien, das zu diesem Zeitpunkt eine Basis für eigene Operationen in der Region gegen die Spanier*innen, Französ*innen und schließlich die nordamerikanischen Mächte haben wollte. Diese Unterstützung erfolgte im Gegenzug dafür, dass der britische Imperialismus das Gebiet mit relativ freier Hand ausbeuten konnte.
Während der dreihundertjährigen spanischen Kolonialisierung wurde Nicaragua zu einer Basis für den Sklavenexport in Länder wie Santa Domingo, Ecuador, Peru und Chile. Als Mitglied der Zentralamerikanischen Föderation wurde Nicaragua 1821 „unabhängig“, und 1824 wurde die Sklaverei abgeschafft. Die Sklavenarbeit wurde jedoch bis weit ins 19. Jahrhundert fortgesetzt. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich innerhalb der herrschenden Klasse zwei klare Gruppierungen herausgebildet. Die erste war der so genannte „liberale“ Flügel, der sich in Gebieten wie dem pazifischen Küstenhafen Corinto ansiedelte. Sie setzten sich größtenteils aus Kleinunternehmer*innen, Handwerker*innen und anderen zusammen und bildeten eine aufstrebende Klasse von Einzelhändler*innen, die politisch von der großen französischen Revolution beeinflusst war und den Freihandel mit Nachdruck befürworteten. Ihnen gegenüber stand eine erzkonservative aristokratische Clique von Grundbesitzer*innen.
Während die „liberalen“ Regime vielleicht etwas weniger repressiv waren, wenn sie die Oberhand hatten, zeigten sie schnell ihre Schwäche. Sie waren völlig unfähig, sich gegen den dominierenden Einfluss des nordamerikanischen Imperialismus zu wehren, und wurden letztlich immer von ihm an den Rockschößen mitgeschleift – in der Regel nach ein paar Protesten gegen die „Exzesse“ der USA, die ihren Partikularinteressen geschadet haben mögen. Sie waren unfähig, den Traditionen der aufstrebenden französischen Bourgeoisie zu folgen, von der sie jedoch einen gewissen verbalen „Radikalismus“ übernommen hatten.
Die konservative Clique machte sich nie auch nur die Mühe, eine „radikale“ Maske aufzusetzen, sondern akzeptierte von Anfang an den Mantel der offenen Kollaboration mit dem US-Imperialismus. Dennoch war sie eine mächtige Gruppierung, die sich auf den Kaffeemarkt stützte, der bis 1950 50 % der nicaraguanischen Exporte ausmachte.
Die nicaraguanische Bourgeoisie war also von Anfang an schwach und kraftlos, insbesondere gegenüber den mächtigen imperialen Mächten. Als solche war sie nicht in der Lage, eine substantiell unabhängige und schon gar nicht eine progressive Rolle zu spielen. Sie waren nicht in der Lage, auch nur annähernd die Aufgaben der bürgerlichen Revolution zu erfüllen, die die „Liberalen“ in der Geschichte so neidisch ihre französischen Kolleg*innen hatten erfüllen gesehen. Letzten Endes akzeptierten sie die Rolle, wenig mehr als ein Couponschneider für den Imperialismus zu sein. Zwischen diesen beiden Gruppierungen wurde ein erbitterter Kampf in Form von Militärputschen, Diktaturen und Bürger*innenkriegen ausgefochten, wobei der US-Imperialismus im Laufe der Entwicklung die Rolle des Schiedsrichters spielte, indem er denjenigen unterstützte, der seinen Zwecken zu diesem Zeitpunkt am besten diente.
Mit der Entdeckung von Gold im Jahr 1843 [in Kalifornien] wuchs das Interesse an Zentralamerika, insbesondere wegen der Aussicht auf den Bau eines Kanals von Küste zu Küste für den Transport von Gold und anderen Rohstoffen. Im August 1849 unterzeichnete Roberto Ramirez als Oberster Direktor von Nicaragua den ersten Vertrag, der den Bau eines solchen Kanals ermöglichte. Gleichzeitig akzeptierte die gesetzgebende Versammlung den Grundsatz des „absoluten Ausschlusses ausländischer Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Staates und forderte andere zentralamerikanische Staaten auf, dies ebenfalls zu tun“.
Wie die Ereignisse zeigten, war eine solche Erklärung eher ein Traum, wie die herrschende Klasse Nicaraguas die Dinge gerne gehabt hätte. Denn als der US-Imperialismus mit der Peitsche knallte, sprangen sie blitzschnell ab und akzeptierten die „Realitäten“ des Lebens. Sie waren zu schwach, um sich ernsthaft zu wehren, und fürchteten jede Mobilisierung der nicaraguanischen Massen, mit denen sie in Konflikt geraten wären.
Im Jahr 1850 brach ein Bürger*innenkrieg aus, der den extrem reaktionären Prutos Chamorro an die Macht brachte. Dies löste einen Aufstand der „Liberalen“ aus, die unter der Führung von Jerez und Castellon 1854 eine kleine Streitmacht in El Realejo anlandeten. Diese „liberale“ Gruppierung nahm sofort Friedensgespräche auf, um einige Zugeständnisse zu erreichen. Das Angebot wurde abgelehnt und die „Liberalen“ wandten sich nach Norden, um die Hilfe eines amerikanischen Söldners, William Walker, in Anspruch zu nehmen. Dieser bot im Gegenzug für großzügige Zahlungen eine Truppe von etwa 300 Mann an. Er landete 1855 mit der nicaraguanischen Staatsbürgerschaft und dem selbst verliehenen Rang eines Obersts.
Tatsächlich hatte der „liberale“ Flügel der herrschenden Klasse Nicaraguas die Unterstützung eines bekannten Sklavenhalters aus dem Süden [der USA] angeworben, der seine eigenen Ziele verfolgte – die Kontrolle nicht nur über Nicaragua, sondern über ganz Zentralamerika zu erlangen, um von dort aus die südlichen Sklavenstaaten Nordamerikas zu stärken.
Die wachsende Macht des US-Imperialismus
Walker ergriff die Macht und setzte seine Marionette Rivas als Präsident ein, während er in Wirklichkeit aus den Kulissen regierte. Seine Herrschaftsmethoden waren so reaktionär und rücksichtslos, dass selbst Rivas abgestoßen wurde. Rivas mobilisierte ganz Zentralamerika zu seiner Unterstützung und rebellierte 1856, womit er den sogenannten „Nationalen Krieg“ begann. Walker ließ sich als Reaktion zum Präsidenten von Nicaragua und El Salvador ernennen. Walkers Bestreben, ganz Zentralamerika zu erobern, brachte ihn in Konflikt mit dem britischen Imperialismus, da er versuchte, seinen Einfluss auf die Küstengebiete der Miskito-Indianer*innen auszudehnen – damals eine britische Kolonie, die später in Nicaragua eingegliedert wurde. Walker wurde 1857 besiegt, woraufhin er nach Nordamerika zurückkehrte, um 1860 einen weiteren Angriff zu starten.
Zu diesem Zeitpunkt waren die Nordstaaten Amerikas [d.h. der USA] eindeutig nicht an einem Sieg Walkers interessiert, der die Position der Südstaaten gestärkt hätte. Außerdem begannen sie, Zentralamerika als potenzielles Entwicklungsgebiet für sich selbst ins Auge zu fassen. Walker wurde von einem britischen Kanonenboot gefangen genommen und der Regierung in Honduras übergeben, wo er an eine Wand gestellt und erschossen wurde. Der ganze Vorfall zeigte deutlich die Rolle des „liberalen“ Flügels der herrschenden Klasse Nicaraguas. Mit der Unterzeichnung des Cassirisarra-Vertrags im Jahr 1859 wurde der Weg für das Eindringen der USA in Nicaragua offiziell geebnet. Die „Liberalen“ eroberten Managua schließlich 1893 nach einer Reihe von Aufständen. Im Jahr 1894 annektierten sie die Miskitoküste und zahlten dem britischen Imperialismus dafür 15 Millionen US-Dollar als „Entschädigung“.
Dies war die Zeit des Aufstiegs des US-Imperialismus, der die großen europäischen kapitalistischen Mächte zunehmend zusammendrückte. Die Politik der so genannten „Dollar-Diplomatie“ wurde eingeführt. Bestimmten Ländern der Region werden Kredite gewährt. Im Gegenzug wurden den USA Exklusivrechte für den Handel und die Ausbeutung von Mineralien und anderen Rohstoffen gewährt. In Wirklichkeit bedeutete dies, dass die betreffenden Staaten dem US-Imperialismus ausgeliefert wurden, damit dieser mit ihnen machen konnte, was er wollte. Es wurden Bedingungen zum Schutz von Investitionen, Banken und Eisenbahnen auferlegt, deren Nichteinhaltung automatisch das Recht auf militärische Intervention zur Folge hatte.
1893 kam die Nationalistische Liberale Partei an die Macht. Ihr wurden Waffen zur „Einigung Zentralamerikas“ angeboten, wenn die USA im Gegenzug die Exklusivrechte zum Bau und Betrieb eines Kanals zwischen den Küsten erhielten. Präsident Zelaya weigerte sich. Daraufhin inszenierten die USA seinen Sturz, und 1909 marschierten erstmals US-Truppen in Nicaragua ein. Eine präsidiale Marionette des US-Imperialismus wurde an die Macht gebracht: Diaz. Er stimmte sofort den folgenden „Vorschlägen“ zu: Abschaffung aller staatlichen Monopole; Vereinbarung zur Begleichung der Auslandsschulden; Garantie für die Interessen aller ausländischen Staatsangehörigen; Unterstellung aller nicaraguanischen Zollämter, Postämter, nationalen Banken, Eisenbahnen und Häfen unter die Kontrolle der US-Gläubigerbanken. Die Bedingungen waren so hart, dass die „Liberalen“ 1912 erneut revoltierten. 2.700 US-Marines landeten, um die Revolte niederzuschlagen. Diaz wurde erneut zum Präsidenten „gewählt“ und erhielt 4.000 Stimmen von einer Bevölkerung von 800.000.
Der US-Imperialismus war entschlossen, die totale Kontrolle über Nicaragua aufrechtzuerhalten, vor allem wegen seines eigenen Interesses am Bau eines Kanals. Die US-Marine war bis 1925 ständig in Nicaragua stationiert. Zwei Monate nach ihrem Abzug fanden Wahlen statt, auf die ein erneuter Putsch der Konservativen unter der Führung Chamorros folgte. Erneut tobte ein Bürger*innenkrieg mit weit verbreiteten Angriffen auf US-Investitionen. Die Rebellion wurde von Vizepräsident Mocada angeführt. Erneut wurden US-Truppen entsandt. Friedensbedingungen wurden angeboten und von Mocada im Namen der „liberalen“ Offiziere akzeptiert. Es gab jedoch eine Ausnahme: Sandino, oder wie er genannt wurde, „der General des freien Mannes“. Er weigerte sich, das Friedensangebot anzunehmen und begann einen Guerillakrieg, der bis 1932 andauerte.
Der General des freien Mannes
Sandinos Haltung weckte die Sympathien von Tausenden von Bäuer*innen und der städtischen Massen. Von den „Liberalen“ verraten und vom Hass auf den US-Imperialismus beseelt, erregte sein Kampf die Vorstellungskraft in ganz Nicaragua und Zentralamerika. Darüber hinaus erhielt er internationale Unterstützung durch die Erinnerung an die Russische Revolution, die Chinesische Revolution von 1927 und den britischen Generalstreik von 1926 und wurde von den Aktivist*innen, die von ihm berührt wurden, als ein weiterer Kampf gegen den Imperialismus angesehen. Es wurde sogar berichtet, dass 1927 in Peking Transparente zur Unterstützung von Sandino getragen wurden.
Die Guerillaarmee, die mit nur 27 Rekruten begann, wuchs schnell an und erreichte in ihrer Blütezeit eine Stärke von etwa 3.000 Mann. Ihre Unterstützung kam vor allem von den Bäuer*innen und den städtischen Armen, nicht nur aus Nicaragua, sondern aus ganz Zentral- und Südamerika. In ihren Reihen fanden sich Jugendliche aus Süd- und Zentralamerika und sogar einige Europäer*innen und einige wenige aus Asien. Diese Bewegung, so begrenzt sie auch war, erschreckte den Kapitalismus und den US-Imperialismus. Infolgedessen wurden über 800 voll bewaffnete US-Marines entsandt, um die Guerilla zu zerschlagen, obwohl sie nur 50 bis 100 bewaffnete Männer zählte. Sandino und seine Armee führten einen Kampf, den man nur als äußerst heldenhaft bezeichnen kann und der in ganz Zentral- und bis zu einem gewissen Grad auch in Südamerika eine starke Tradition hinterlassen hat. Zunächst erlitten sie einige Niederlagen, errangen aber später einige sehr überzeugende militärische Siege gegen die US-amerikanischen und nicaraguanischen Streitkräfte.
Als es dem Regime zunächst nicht gelang, diese Bewegung zu zerschlagen, wurde es wütend und entfachte eine Schreckensherrschaft gegen die bäuerlichen Massen. Massenhinrichtungen, Folterungen und Schläge wurden völlig wahllos durchgeführt. Dies bewirkte jedoch nur, die Sympathie für Sandinos Armee zu erhöhen. Ein Großteil der Repressionen wurde von der Nationalgarde durchgeführt, die auf Geheiß des US-Imperialismus gegründet und dann von diesem eingesetzt wurde. Ein Beispiel für die angewandte Rücksichtslosigkeit war Ocotal, eine kleine Stadt, die von einer Gruppe von Bäuer*innen geplündert wurde, die nicht zu Sandinos Streitkräften gehörten. Die Folge war ein massiver Bombenangriff, bei dem über 300 Menschen getötet wurden. In Managua wurden 70 Bombenflugzeuge aus den USA eingeflogen und auf dem Land und im ganzen Land eingesetzt. Nach einem kurzen Intermezzo der Verhandlungen gingen die US-Truppen in die Offensive. Alle Gefangenen wurden sofort hingerichtet. Die berüchtigte „Westen“-Folter wurde eingeführt, bei der den Opfern beide Arme abgeschnitten wurden.
Trotz der scheinbar unüberwindbaren Hindernisse und mit nur wenigen Waffen wurde der Kampf einige Jahre lang fortgesetzt. Nachdem ihm der Abzug der US-Truppen zugesichert und die Sicherheit seiner Kämpfer versprochen worden war, willigte Sandino 1932 in die Kapitulation ein. Dies war ein verhängnisvoller Fehler, aus dem viele Lehren gezogen werden können, nicht zuletzt für die Lage, die sich in jüngster Zeit entwickelt hat. Als die Guerillas in die Städte kamen, erwies sich die seinen Männern versprochene „Sicherheit“ als nicht gegeben. Sie wurden von der Nationalgarde festgenommen und auf Befehl von Somoza hingerichtet.
Später wurde Sandino nach einem Essen mit Regierungsvertreter*innen selbst getötet. Selbst in seinem Tod wurde die Vorherrschaft des US-Imperialismus und dessen Zusammenarbeit mit der nationalen Bourgeoisie deutlich sichtbar. Somoza wandte sich an den Präsidenten und erklärte: „Ich komme von der US-Botschaft, wo ich eine Besprechung mit Botschafter Arturo Bliss hatte, der mir versicherte, dass die Regierung in Washington die Beseitigung von Augusto Sandino empfiehlt, weil sie ihn für einen Störenfried des Friedens im Land hält.“
Sandino hat einen heroischen Kampf geführt. Doch Heroismus ist nicht genug für einen erfolgreichen Kampf. In seiner Analyse und Methode lag eine grundlegende Schwäche, die ihm den Sieg verwehrte – eine Schwäche, die leider auch heute noch in der FSLN-Führung besteht. Für Sandino war der Kampf rein militärisch, mit dem Ziel, die US-Truppen von nicaraguanischem Boden zu vertreiben. Selbst wenn dieses Ziel erreicht wurde, hatte er nicht erkannt, dass der Imperialismus ohne eine soziale Revolution immer noch wirtschaftlich dominieren würde. Außerdem würde er dabei Hand in Hand mit den nationalen Bourgeois arbeiten.
Als Ergebnis weigerte er sich, den Kampf auf die sozialen Fragen auszuweiten, und erkannte nicht an, dass es in Nicaragua einen Kampf zwischen den Klassen gab. Die Bewegung war rein national ohne Orientierung auf die Gewinnung und Mobilisierung der Unterstützung der ausgebeuteten Massen in ganz Zentralamerika, was klar hätte erreicht werden können. Wie hätte schließlich eine kleine Nation wie Nicaragua eine mächtige imperiale Macht allein besiegen können, ohne einen Klasseninhalt in der Bewegung?
Die Somoza-Diktatur
Für Sandino war es also „im Wesentlichen eine nationale Sache“. Er kam zwar zu der richtigen Schlussfolgerung, dass „nur die Bauern und Arbeiter bis zum Ende gehen werden“, aber er begriff nicht die notwendige Schlussfolgerung in Bezug auf die soziale Revolution und unternahm keine wirklichen Anstrengungen, um eine Basis in den damals entstehenden städtischen Zentren aufzubauen. Die Möglichkeiten, die jungen städtischen Massen für die Revolution in ganz Zentralamerika zu gewinnen, zeigen die Ereignisse in El Salvador, wo die Arbeiter*innenpartei bei den ersten und letzten „freien“ Wahlen 1931 auf der Grundlage einer Bewegung für eine Landreform und einer Bewegung in den Städten an die Macht gelangte. Im Jahr 1932 folgten Kommunalwahlen, bei denen die Kommunistische Partei große Gewinne verbuchen konnte. Bereits zu diesem Zeitpunkt waren 10 % der Arbeiter*innen in Gewerkschaften organisiert. Die Kommunistische Partei rief etwas verfrüht zu einem Aufstand auf, der niedergeschlagen wurde. Diese Ereignisse zeigten jedoch deutlich, welche Möglichkeiten zu dieser Zeit bestanden.
Sandino schlug jedoch einen anderen Weg ein: „Weder extrem rechts noch extrem links, sondern eine Einheitsfront ist unsere Losung. Unter diesen Umständen ist es nicht unlogisch, dass unser Kampf von allen sozialen Klassen ohne ,Ismen‘ oder Klassifizierungen unterstützt wird.“
Mit dem Abzug der amerikanischen Truppen entbrannte innerhalb der Sandinistas eine Debatte über die sich entwickelnde soziale Revolution. Sandino lehnte sie ab, nachdem er zuvor den Ausschluss der „Kommunisten“ aus seiner Armee unterstützt hatte. Zum Teil war dies zweifellos auf die ultralinke Position des „Sozialfaschismus“ usw. zurückzuführen, die die Komintern damals vertrat, aber es zeigte deutlich die grundlegende Schwäche in der Analyse des „Generals des freien Mannes“. Es wurde eine „patriotische Gruppe“ gegründet, die Sandino aufforderte, zu kapitulieren, den Krieg zu beenden und „stabile Bedingungen für die Wirtschaft“ unter dem „liberalen“ Sacasa, der zu dieser Zeit Präsident war, zu schaffen. Sandino akzeptierte und wurde 1934 nach einem Essen mit Sacasa und Somoza ermordet.
Die Ermordung bereitete den Weg für einen Staatsstreich der Nationalgarde. Jarquin wurde zum Präsidenten ernannt, der daraufhin manipulierte Wahlen ausrief, die Somoza im Januar 1937 an die Macht brachten. Die Wahlen wurden in allen Gemeinden verboten und die Amtszeit des Präsidenten verlängert. Damit war der Weg frei für eine 40-jährige Diktatur, die vom US-Imperialismus unterstützt, und in der Tat an die Macht gebracht wurde. Somoza war nichts weiter als eine Marionette des US-Imperialismus. Trotz dieser rücksichtslosen Unterdrückung wurde jedoch nicht jede Opposition niedergeschlagen. In Managua konzentrierte sie sich vor allem auf die CTM (Arbeiter*innenverband von Managua) mit über 3.000 Mitgliedern, die halb im Untergrund agierten.
Somoza wurde 1956 ermordet, sein Platz wurde zunächst von seinem älteren Sohn eingenommen, der dann nach seinem Tod die Macht an seinen jüngeren Bruder weitergab.
Die Somoza-Diktatur war ein Albtraum für die Massen Nicaraguas, der Zehntausende von Menschenleben kostete und mit bitterer Armut und Elend einherging. Schätzungsweise 30 % der Bevölkerung hatten nicht einmal annähernd eine angemessene Ernährung. Wie in allen Kolonialländern brachte die Industrialisierung für das junge Proletariat in den Städten keine Vorteile im materiellen Sinne.
Diese Hölle auf Erden für die Masse der nicaraguanischen Bevölkerung spiegelte sich in der Anhäufung eines riesigen Vermögens durch die Familie Somoza wider. Bis 1979 wurde es auf 150 Millionen US-Dollar im Lande und weitere Millionen im Ausland geschätzt. Darüber hinaus besaß Somoza 150 einzelne Industriebetriebe, die 25 % der gesamten Industrie und über 10 % des bebaubaren Landes ausmachten. Außerdem besaß er die einzige Fluggesellschaft, einen Fernsehsender, eine Zeitung und die Mercedes Benz Vertriebsgesellschaft.
Wirtschaftliche Entwicklung Nicaraguas
Neben der Vermehrung seines persönlichen Reichtums sah Somoza seine Hauptaufgabe darin, die Interessen des US-Imperialismus zu verteidigen. Nach den Worten seines Sohnes war sein Vater „der einzige nationale Führer, auf den die USA zählen konnten und der sich in den Vereinten Nationen zu 1000 % für sie einsetzte“. Der US-Imperialismus betrachtete die Somoza-Diktatur zweifellos als „eine der ihren“, auch wenn ihm bestimmte „Exzesse“ etwas peinlich waren. Wie Franklin Roosevelt es ausdrückte: „Somoza mag ein Hurensohn sein. Aber er ist unser Hurensohn.“
Somoza sorgte dafür, dass der gesamte Staatsapparat faktisch in seine Privatarmee umgewandelt wurde, jedenfalls was die 7.500 Mann starke Nationalgarde betraf. Um zu verhindern, dass sie von einer Bäuer*innen- oder Arbeiter*innenbewegung angesteckt wurde, sorgte Somoza dafür, dass sie vom Rest der Gesellschaft getrennt und mit umfangreichen Vergünstigungen und Privilegien ausgestattet wurde. Es wurden gute Löhne gezahlt, und um zu verhindern, dass die Offiziere ein zu freundschaftliches Verhältnis zu den Truppen aufbauen, wurden diese regelmäßig versetzt, wobei die meisten zur Ausbildung in die USA geschickt wurden. Zwischen 1946 und 1973 wurden offiziell 4.120 Offiziere und Soldaten zu diesem Zweck in die USA entsandt. Nicaragua übernahm eine wichtige strategische Rolle für die Operationen des US-Imperialismus in ganz Zentralamerika. Von hier aus wurde 1961 die fehlgeschlagene Schweinebucht-Operation zur Niederschlagung der kubanischen Revolution gestartet.
Nach den vorangegangenen dreißig Jahren war Nicaragua fast nicht wiederzuerkennen. Es hatte eine umfassende Industrialisierung stattgefunden, die größtenteils durch Direktinvestitionen multinationaler Unternehmen und auch durch Kredite an die für zentralamerikanische Verhältnisse relativ mächtige nationale Bourgeoisie ermöglicht wurde. Diese Kredite und Investitionen sorgten dafür, dass der Imperialismus den Löwenanteil hatte und die Wirtschaft dominierte. So beliefen sich die Auslandsschulden 1972 auf 255 Millionen US-Dollar und stiegen bis 1978 auf schwindelerregende 1.000 Millionen US-Dollar an. Die USA hatten bedeutende Investitionen in kritischen Sektoren der Wirtschaft, aber die nationale Bourgeoisie hatte einen großen Einfluss auf die Leichtindustrie. Die Industrialisierung vollzog sich weitgehend in den 1950er Jahren und führte zu einer Stärkung der industriellen Arbeiter*innenklasse, da Tausende ehemaliger Bäuer*innen vom Land in die Städte, insbesondere nach Managua, zogen.
Die Baumwolle löste Kaffee, Viehzucht und Zucker als Hauptgrundlage der Wirtschaft ab. Die Produktion stieg von 3.300 Tonnen im Jahr 1950 auf 125.000 Tonnen im Jahr 1965. Bis 1970 hatte die Leichtindustrie den gleichen Anteil am Bruttoinlandsprodukt wie die Landwirtschaft. Bis 1976 lag sie mit 24 % gegenüber 23 % leicht vorn. Infolgedessen sank der Anteil der landwirtschaftlichen Bevölkerung von 60 % im Jahr 1960 auf 44 % im Jahr 1977. Die in der Industrie, im Baugewerbe und im Bergbau beschäftigten städtischen Arbeiter*innen machten 1975 16-18 % der Gesamtbevölkerung aus – ein größerer Anteil als im vorrevolutionären Russland.
Auch bei den Landverhältnissen vollzog sich mit der Etablierung gewisser kapitalistischer Landverhältnisse eine wichtige Entwicklung. Die Konzentration von Land in wenigen Händen ging einher mit der Zunahme der Landarbeiter*innen im Gegensatz zu den Bäuer*innen, die immer noch die Mehrheit bildeten. Eine winzige Clique von 1.600 Personen (1,5 %) besaß 45,1 % des gesamten bebauten Landes, 20,3 % weitere 41,1 %. Die ärmsten 78 % der Bäuer*innen besaßen nur 17 % des Bodens. Die Gesamtzahl der Landarbeiter*innen belief sich auf 310.000.
Kämpfe in den 1970er Jahren
Wie der Rest der kolonialen Welt kam auch Nicaragua nie in den Genuss der Früchte der Boomjahre des Kapitalismus, da der Rahm von den imperialistischen Mächten abgeschöpft wurde. Doch zwischen 1969 und 1974 wurde die nicaraguanische Wirtschaft von einer Rezession heimgesucht, die verheerende Auswirkungen hatte. In diesem Zeitraum schlossen 292 Fabriken, d.h. 37 % der Gesamtproduktion. Auch die Inflation stieg an. Der Totengräber der kapitalistischen Gesellschaft, das Industrieproletariat, trat in dieser Zeit als junge und frische Arbeiter*innenklasse in Aktion. Die Industrialisierung hatte bei den Arbeiter*innen enorme Erwartungen geweckt. Als sich diese Erwartungen jedoch nicht erfüllten und die Wirtschaft in eine Rezession geriet, begann das Proletariat, seine Muskeln spielen zu lassen und seine neu erworbene Stärke einzusetzen. Dies ging einher mit einer Bewegung unter den Bäuer*innen und einem Kampf der FSLN-Guerilla, der im Juli 1979 im Sturz der Somoza-Diktatur gipfelte.
In den 1970er Jahren kam es in den Städten zu einer erheblichen Bewegung der Arbeiter*innenklasse. Es kam zu Streiks unter den Lehrer*innen, Bauarbeiter*innen und Beschäftigten des Gesundheitswesens. Diese Kämpfe spiegelten sich in einer Bewegung auf dem Lande wider, wo es zu Landbesetzungen und heftigen Kämpfen mit der Nationalgarde kam. Während dieser Bewegung begann die FSLN unter den Bäuer*innen und Landarbeiter*innen an Autorität und Ansehen zu gewinnen. Da es keine andere ernstzunehmende Kraft gab, gewann sie nach einer gewissen Zeit auch in den Städten an Ansehen, zum Teil, weil das verhasste Regime einen großen Teil seiner Propaganda und Repression gegen die FSLN richtete. Diese Bewegung der Arbeiter*innen und Bäuer*innen versetzte sowohl den US-Imperialismus als auch die Somoza-Diktatur in Angst und Schrecken. Sowohl die imperialistischen Mächte als auch die nationale Bourgeoisie der Kolonialländer fürchten vor allem anderen eine Bewegung der Massen.
1977 wurden die Bauarbeiter*innen erneut in den Kampf gezogen und erwiesen sich als eine der kämpferischsten Gruppen des nicaraguanischen Proletariats. Auf dem Land fand ein regelrechter Bürger*innenkrieg statt. Im Jahr 1978 brachen in León Esteli, Chirandega und Masaya größere Kämpfe zwischen der Nationalgarde und bewaffneten Gruppen aus. Schließlich bombardierte die Nationalgarde diese Kleinstädte und tötete über 6.000 Menschen. Masaya hielt den Angriffen eine Woche lang stand. Der Heroismus und die Entschlossenheit zum Kampf waren enorm. In den zwei Jahren vor dem Sturz der Diktatur wurden 50.090 Menschen oder 2 % der Gesamtbevölkerung getötet.
Teile der nationalen Bourgeoisie, die solche Entwicklungen fürchteten, begannen, in Opposition zur Diktatur zu gehen. Mit der Befürwortung einer Strategie, das Regime zu lockern, hofften sie, die Bewegungen der Arbeiter*innen und Bäuer*innen kontrollieren zu können. Dabei waren sie insgesamt erfolglos, was zumindest teilweise an der Entschlossenheit Somozas lag, an der Macht festzuhalten. Diese Spaltungen hatten bereits 1970 mit der Spaltung zwischen der Konservativen Partei und der Nationalliberalen Partei Somozas aufzutreten begonnen und wurden durch das Erdbeben, das Nicaragua 1972 erschütterte und Managua zerstörte, noch verstärkt. Ausländische Hilfe wurde eilig herbeigeschafft, aber nur wenig kam den Kapitalist*innen zugute, deren Fabriken und Investitionen zerstört worden waren und die eine Entschädigung und den Wiederaufbau der für den Kapitalismus erforderlichen Infrastruktur benötigten – nichts kam den Arbeiter*innen und Bäuer*innen zugute. Somoza auf der anderen Seite konnte seine Taschen noch weiter füllen.
Hätte es unter den sich entwickelnden Bedingungen eine unverfälschte marxistische Partei gegeben, hätte sich die Revolution nach dem klassischen Muster der Ereignisse in Russland von 1917 entwickeln und ein Regime der Arbeiter*innendemokratie an die Macht bringen können, das als Sprungbrett für die Entwicklung der Revolution in ganz Mittel- und Südamerika und dann in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern und sogar in den USA diente. Die drei von Lenin festgelegten objektiven Bedingungen für eine Revolution bestanden. Die Bourgeoisie war unter dem Druck der Bewegung der Massen gespalten. Die Mittelschichten der Gesellschaft waren zunehmend radikalisiert und wurden in den Kampf einbezogen, wie die Streiks der Lehrer*innen und der Beschäftigten im Gesundheitswesen zeigten. Auf dem Land war eine massive Bewegung im Gange und die Arbeiter*innenklasse war bereit zu kämpfen. Es war das Fehlen der vierten Voraussetzung, einer marxistischen Partei, das dazu führte, dass die Revolution einen verzerrten und etwas eigenartigen Verlauf nahm.
Im Dezember 1974 bildete ein Teil der Bourgeoisie mit einigen Gewerkschaftsorganisationen eine so genannte „breite Front“, die Demokratische Befreiungsunion (UDEL). Da der US-Imperialismus die Entwicklung der Revolution sah, begann er nach Möglichkeiten zu suchen, eine Explosion zu verhindern, und unterstützte die UDEL als mögliche „liberale“ Alternative zur Diktatur.
Die sandinistische FSLN hatte in dieser Zeit eine Reihe von Guerillaangriffen durchgeführt, die eine massive Repressionswelle auslösten. Somoza rechnete damit, dass er sie niedergeschlagen hatte und hob 1977 den Ausnahmezustand auf. Doch diese Repressionswelle schüchterte die Bewegung nicht ein, sondern löste eine enorme Reaktion aus. Im November 1977 veröffentlichte die UDEL einen Aufruf, in dem sie zu einer „demokratischen Alternative“ zu Somoza aufrief, der auch die FSLN angehören sollte. Der Aufruf wurde in der konservativen Tageszeitung La Prensa veröffentlicht, die von UDEL-Führer Chamorro herausgegeben wurde. Chamorro wurde daraufhin im Jahr 1978 ermordet. Die Revolution braucht manchmal die Peitsche der Konterrevolution, denn diese Ermordung löste eine neue und entscheidende Bewegung aus.
Der Sturz Somozas
Die UDEL und die Gewerkschaften riefen anlässlich der Beerdigung Chamorros zu einem Generalstreik auf. Schätzungsweise 120.000 Menschen nahmen daran teil. Dies war ein entscheidender Wendepunkt für die Revolution, und zum ersten Mal fand eine allgemeine städtische Mobilisierung statt. Sie erschreckte die Bürgerlichen, die bis dahin die UDEL unterstützt hatten. Daraufhin gründeten sie im Juli 1978 eine neue Organisation, die FAO, die sich aus Teilen der Bourgeoisie und einem Flügel der FSLN, Las Terceristas, zusammensetzte. Diese nahm Verhandlungen mit den USA auf, um eine „gemäßigte“ Lösung der Krise zu finden. Als die Verhandlungen mit den USA aufgenommen wurden, zog sich die FSLN zurück. Die FAO nahm daraufhin direkte Verhandlungen mit Somoza auf. Die Bourgeoisie versuchte verzweifelt, eine soziale Explosion zu verhindern. Als Ergebnis der Verhandlungen mit Somoza verlor die FAO den größten Teil ihres Einflusses, den sie bei den Massen aufgebaut hatte. Die Ereignisse hatten die Arbeiter*innen und Bäuer*innen dazu gebracht, nicht mehr an ein „Gespräch“ mit dem verhassten Diktator zu denken.
Die FSLN führte einen Kampf auf dem Lande und hatte mangels einer organisierten Alternative auch in den Städten ein starkes Ansehen erlangt. Und das, obwohl es sich um eine kleine Organisation handelte, die zu keinem Zeitpunkt mehr als 500 bewaffnete Aktivist*innen umfasste. Sie war in drei Fraktionen unterteilt, die eine Vielfalt von Ideen vertraten, aber von der Idee des Guerillakampfes als Ersatz für die bewusste Bewegung der Arbeiter*innenklasse zur Machtergreifung mit Unterstützung der armen Bäuer*innen dominiert wurden.
Im Februar 1979 wurde eine neue Organisation gegründet, die die drei Fraktionen der FSLN, einige Gewerkschaften und einige kleinere bürgerliche Gruppierungen umfasste. Nachdem sie sich zuvor gezwungen sah, ihre militärischen Aktivitäten einzustellen, startete die vereinigte FSLN im März eine neue Offensive. Das Regime war völlig isoliert, und nur die Nationalgarde war bereit, es zu unterstützen.
Es kam zu einer massiven sozialen Explosion, und die FSLN rief daraufhin zur Mobilisierung der Massen auf. Am 10. Juni brach in Managua ein spontaner Generalstreik aus. Teile der Nationalgarde versuchten, sich zur Wehr zu setzen, wurden aber von der enormen Bewegung überwältigt, die sich entwickelte. Das Regime wurde gestürzt und geschlagen. Die Nationalgarde floh und bildete später die Basis der heutigen „Contras“.
Aus Costa Rica, dem Exil, kehrten die sandinistischen Führer*innen zurück und kündigten die Bildung einer provisorischen Regierung an, die aus drei Sandinistas und zwei bürgerlichen Politikern bestand. Sie marschierten in Managua ein und setzten sich an die Spitze der Bewegung. Die provisorische Regierung wurde in Junta des Nationalen Wiederaufbaus (JGRN) umbenannt.
Die Sandinistas
Der bürgerliche Staatsapparat war zusammengebrochen! Was aber ist an seine Stelle getreten? Und was sind die Perspektiven für die nicaraguanische Revolution? Um die Klassenbasis des entstandenen Staates besser zu verstehen und die beiden oben gestellten Fragen zu beantworten, ist es zunächst notwendig, auf die Ideen und die Geschichte der FSLN zu schauen.
Im Lichte eines solchen Aufstiegs wurde der Eindruck erweckt, dass die Sandinistas die sozialistische Revolution durchführen. Leider ist es genau ihr Versäumnis, das zu tun, was jetzt die Revolution in Gefahr bringt. Die sozialistische Revolution besteht vor allem in einer bewussten Bewegung des Proletariats, um die Macht in die eigenen Hände zu nehmen, durch die Errichtung einer Arbeiter*innendemokratie, die auf den Erfahrungen der Pariser Kommune von 1871 beruht, die dann in der russischen Revolution von 1917 verdeutlicht wurden. Lenin fasste zusammen, dass ein solchen Staat auf folgenden Grundlagen beruht: Abschaffung des stehenden Heeres und seine Ersetzung durch die Bewaffnung des Volkes, Wahl aller Beamt*innen, die jederzeit sofort abberufen werden können, für alle Beamt*innen der gleiche Lohn wie für Facharbeiter*innen, Beteiligung des Volkes an der gesamten Verwaltung und Rotation der Führungspositionen mit Leitung und Kontrolle der Gesellschaft durch Arbeiter*innenräte – Sowjets.
Ein auf diesen Grundlagen basierender Staatsapparat existiert in Nicaragua derzeit leider nicht. Außerdem wurde das Regime durch einen spontanen Aufstand von unten gestürzt, und nicht durch eine bewusste Bewegung des Proletariats zur Machtübernahme. In diese Bewegung sind die Ideen der Guerilla eingeflossen, die insbesondere durch die Guerillabewegung und die Ideen der FSLN die Methode des proletarischen Kampfes verdrängt haben. So haben wir die Entwicklung einer Revolution gesehen, der die entscheidende Führung des Proletariats in bewusster Form gefehlt hat und die von den falschen Ideen des Guerillatums durchdrungen war.
Man vergleiche dies mit der Oktoberrevolution in Russland, die von den Bolschewiki unter der Führung von Lenin und Trotzki bewusst vorbereitet wurde und bei der das Proletariat mit der Perspektive der internationalen Revolution ausgestattet wurde, um den Erfolg der Revolution zu sichern und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft zu ermöglichen.
In anderen ähnlichen Lagen wurde die Revolution zwar durchgeführt, aber auf eine verzerrte Art und Weise. In Kuba zum Beispiel wurde der Kapitalismus abgeschafft, aber anstelle eines Regimes der Arbeiter*innendemokratie wurde ein bürokratischer totalitärer Einparteienstaat errichtet. Ein Regime, das zwar enorm populär war und in geringerem Maße auch heute noch ist, aber keine Arbeiter*innendemokratie ist. In Nicaragua jedoch haben die Sandinistas die Revolution nicht zu Ende geführt im Sinne eines Sturzes des Kapitalismus, der in der Wirtschaft immer noch vorherrscht. So befanden sich die Sandinistas an die Spitze eines neuen Staatsapparates, und überließen dem Kapitalismus die Vorherrschaft auf dem Markt! Was hat zu diesem anscheinend seltsamen Phänomen geführt?
Leider hat die Führung der FSLN weder aus den Erfahrungen der Russischen Revolution noch aus denen der internationalen Arbeiter*innenklasse gelernt. Tragischerweise sind sie nicht unter den Einfluss des Bolschewismus von Lenin und Trotzki gekommen, sondern haben sich den Mantel des Menschewismus umgehängt. Denn in Wirklichkeit haben sie die so genannte Zwei-Etappen-Theorie akzeptiert. Sie vertraten die Perspektive, dass es einen „fortschrittlichen“ Flügel des Kapitalismus gäbe, dass mit dem Sturz der Diktatur eine Periode der kapitalistischen Entwicklung notwendig sei, in der sie die Macht mit der Bourgeoisie teilen könnten. Sie hatten keine Perspektive für die sozialistische Revolution. Für die Sandinistas ist sie grundlegend eine „nationale Angelegenheit“. Wenn eine solche Perspektive vom Standpunkt der sozialistischen Revolution im Jahr 1927 zum Scheitern verurteilt war, wie viel mehr ist sie es dann heute? Mit der zunehmenden Monopolisierung des Kapitalismus und der Entwicklung des Weltmarkts kann sich keine Revolution und keine Nation vom internationalen Markt und – für eine erfolgreiche Revolution – von seiner Entwicklung auf eine internationale Ebene abkoppeln. Vom Standpunkt des Marxismus und der Interessen der Weltrevolution und der nicaraguanischen Arbeiter*innen und Bäuer*innen aus gesehen, geht es nicht um die guten oder nicht guten Absichten der FSLN-Führung. Ihr Heroismus ist nicht das Thema. Die Frage ist, wie ein dauerhafter Sieg für die Massen als Ganzes erreicht werden kann.
Guerillakampf
Die Geschichte der FSLN geht auf das Jahr 1962 zurück, als sie von Carlos Fonseca, Silvio Mayorga und Tomas Borge gegründet wurde. Viele ihrer Gründungsmitglieder kamen aus der pro-Moskau-orientierten PSN (Nicaraguanische Sozialistische Partei), vor allem weil sie damit unzufrieden waren, dass kein ernsthafter und streitlustiger Kampfes gegen die Diktatur geführt wurde. Gleichzeitig waren sie von der Entwicklung der Revolution in Kuba enorm inspiriert worden. Fonseca hatte Che Guevara in Kuba getroffen, ein Jahr nachdem die FSLN ihre Kampagne in Nicaragua begonnen hatte. Ihre anfängliche Strategie war die eines klassischen Guerillakampfes auf dem Lande. Durch den Griff zu den Waffen hofften sie, den Konflikt so weit entwickeln zu können, dass mit der Sympathie der Masse der Bäuer*innen ein Sieg errungen werden könnte. Zwischen 1962 und 1967 wurde ein solcher Kampf geführt.
Diese Methode war von Anfang bis Ende falsch, insbesondere angesichts der industriellen Entwicklung des Landes in den vorangegangenen Jahren. Mit ihrer Handvoll Mitglieder versuchte die FSLN, sich an die Stelle einer Massenbewegung, vor allem in den Städten, zu setzen. Auf der Grundlage einer Bewegung der Arbeiter*innen in den Städten und einer Bewegung der Bäuer*innen auf dem Lande und mit einem marxistischen Programm, einer marxistischen Perspektive und einer marxistischen Partei hätte die Revolution zur Errichtung einer Arbeiter*innendemokratie führen können. Aber für die Führer*innen der FSLN waren solche Ideen ein Buch mit sieben Siegeln.
Der Marxismus hat immer erklärt, dass es die in den Fabriken und Betrieben organisierten Industriearbeiter*innen sind, die gezwungen sind, als Klasse zu kämpfen, und die die entscheidende Rolle in der Revolution spielen werden. Hinter ihr Banner können andere ausgebeutete Schichten wie die armen Bäuer*innen, die Intellektuellen, die Student*innen und das städtische Kleinbürger*innentum gezogen werden. Jeder Versuch, eine winzige Organisation an die Stelle einer solchen Bewegung zu setzen, kann niemals zur Errichtung einer Arbeiter*innendemokratie führen, die die Grundlage für die Lösung der Probleme der bürgerlich-demokratischen Revolution durch die Entwicklung der sozialistischen Revolution auf internationaler Ebene ist. Jede Organisation, die versucht, sich selbst an die Stelle einer solchen Bewegung zu setzen, wird sich unweigerlich von den Massen isolieren, was zu Misstrauen und Verachtung gegenüber den Massen führt und damit den Keim für eine spätere bürokratische Clique legt.
Der Marxismus strebt eine maximale Beteiligung der Arbeiter*innenklasse und der Bäuer*innenschaft an. Dabei lehnt er jedoch keineswegs die Notwendigkeit ab, dass die Massen zu den Waffen greifen, auch nicht dass die Bäuer*innenschaft einen Krieg auf dem Lande organisiert, der in Nicaragua eine entscheidende Rolle spielen würde: aber immer als Hilfskraft für eine Bewegung in den Städten. Die sandinistische Führer*innen betrachteten die Bewegung in den Städten jedoch als Hilfskraft und stellte sich sogar vor, dass eine relativ kleine Organisation einen solchen Kampf führen würde. Die Haltung der FSLN wurde von Daniel Ortega unterstrichen, als er erklärte: „Wir haben die Massen unterschätzt.“ So wurde selbst in der Bäuer*innenschaft, die zwar breite Sympathie und Unterstützung entwickelte, kein Versuch unternommen, eine Massenpartei aufzubauen.
1970 erlitt die FSLN einige schwere Niederlagen und war gezwungen, ihre Tätigkeit für eine gewisse Zeit einzustellen. Dies führte zu einer offenen Diskussion innerhalb der FSLN. Es hatten sich drei klare Tendenzen herausgebildet: eine von Ortega geführte Mehrheit, „Las Terceristas“; der GPP (der langgezogene Guerillakrieg) unter der Führung von Tomas Borge; und die kleinste, „die proletarische Tendenz“ unter der Führung von Jaime Wheelock.
Eine klare Mehrheit sprach sich für eine Art von Guerillakrieg aus, auch wenn die Meinungen über die Art des Krieges auseinander gingen. „Las Terceristas“ sprachen sich dafür aus, die Kampagne nach dem Vorbild der Tupamaros in Uruguay in die Städte zu tragen, wonach, wie sie hofften, die Arbeiter*innenklasse ihnen und ihrer Bombenkampagne folgen würde. Aber eine solche Kampagne würde bestenfalls das Bewusstsein der Arbeiter*innenklasse senken, denn nur die Arbeiter*innenklasse kann ihre eigene Emanzipation durchsetzen. „Warum sollen wir kämpfen, wenn sie es für uns tun?“ wäre unweigerlich das positivste Ergebnis einer solchen Position. Die „Terceristas“ unternahmen keine Anstrengungen, um in den Städten eine Partei des Proletariats aufzubauen. Gleichzeitig unterstützten sie ein Bündnis mit bestimmten Teilen der nationalen Bourgeoisie.
Der GPP befürwortete einen langen Kampf auf dem Lande, ohne jeglichen Bezug zu den Städten. Die „Proletarische Tendenz“ vertrat die Ansicht, die FSLN müsse sich in der Arbeiter*innenklasse verwurzeln. Dies bedeutete zwar einen Schritt nach vorn, doch fehlte ihr das notwendige Programm, um das zu tun. Im Jahr 1975 wurde die „Proletarische Tendenz“ aus der FSLN ausgeschlossen. Mit einer klaren Mehrheit, die den Guerillakampf befürwortete, kam die FSLN 1979 an die Macht.
Der Charakter des Staates
Mit der Zerschlagung des Somoza-Staatsapparats wurde die FSLN zum Staatsapparat. Die Heuchelei des US-Imperialismus bei der Anprangerung der „Unterdrückung“ in Nicaragua hat alle Dimensionen überschritten, denn in Wirklichkeit ist Nicaragua seit der Revolution von 1979 der demokratischste Staat in Zentralamerika. Die Wahlen von 1984 haben gezeigt, welch überwältigende Unterstützung die FSLN genossen hat. Innerhalb von vier Tagen hatten sich mehr als 80 % aller über 16-Jährigen zur Wahl registriert und verschafften Ortega einen größeren Maß an Unterstützung, als Reagan bei den US-Präsidentschaftswahlen erreichte. Der aufgebaute Staatsapparat wird jedoch nicht zulassen, dass die Verwaltung der Gesellschaft in den Händen der Arbeiter*innen und armen Bäuer*innen liegt. Im Grunde genommen heißt es wieder einmal: „Wir machen das in eurem Namen“. Der Staatsapparat ist nach kubanischem Vorbild aufgebaut, und so wäre es trotz der nach wie vor großen Begeisterung für die Revolution ein Irrtum zu glauben, dass es in Nicaragua eine echte Arbeiter*innendemokratie gebe, die die Grundlage für den sozialistischen Aufbau der Gesellschaft zu schaffen beginnt. Dies gilt sowohl für den Staatsapparat als auch für die Eigentumsverhältnisse. Außerdem ist das Land bei seinem derzeitigen Kurs auch nicht in der Lage, sich in eine solche Richtung zu bewegen.
Der Charakter des Staatsapparats ist ein Spiegelbild der FSLN selbst. Als Organisation hat sie nie die Merkmale einer gesunden Arbeiter*innenpartei angenommen. Sie war und ist eine streng kontrollierte Organisation, die die Masse der Arbeiter*innen und Bäuer*innen aus ihren Reihen ausschließt. So hatte sie im Januar 1981, fast zwei Jahre nach der Revolution, gerade einmal 500 Mitglieder. Diese Zahl wurde auf 5.000 und dann wieder auf 12.000 erhöht. Selbst jetzt ist die Mitgliedschaft eng und auf einige wenige Auserwählte beschränkt, die eine spezielle Ausbildung für Regierungsämter erhalten. Die Sandinistas argumentieren, dass die Beschränkungen für die Mitgliedschaft notwendig seien, um die Infiltration von Konterrevolutionär*innen und Karrierist*innen zu verhindern. Maßnahmen zum Schutz vor solchen Bedrohungen sind klar erforderlich. Jedoch ist genau das Gegenteil geschehen. Eine Partei mit einer massenhaften, aktiven und vor allem politisch bewussten Mitgliedschaft ist der Weg, um sich vor einer solchen Entwicklung zu schützen. Eine Partei mit einer eingeschränkten Mitgliedschaft, die, wie wir sehen werden, nicht von der Arbeiter*innenklasse kontrolliert wird, wird den Weg für eine aufsteigende und privilegierte Gruppe an der Spitze ebnen.
Dieser restriktive Charakter der Partei spiegelt sich auch im Staatsapparat wider. Denn hier liegt die Kontrolle und Leitung nicht in den Händen der Arbeiter*innenklasse und der Bäuer*innenschaft. Die gesamte Leitung und Politikgestaltung liegt stattdessen in den Händen der FSLN-Führung, insbesondere des Nationalen Direktoriums. Seit den Wahlen hat der Präsident die wichtigsten Machtbefugnisse in seinen Händen konzentriert. Die Sandinistas verweisen auf die Entwicklung der Massenorganisationen der Gewerkschaften (CST), der Landarbeiter*innenverbände (ATC), der Jugendbewegung (MJ19) und vor allem der Sandinistischen Verteidigungskomitees (CDS) als Grundlage der Kontrolle durch die Massen. Das explosive Wachstum dieser Organisationen nach der Revolution ist unbestreitbar und verdeutlicht die Unterstützung für die Sandinistas und die Begeisterung für die Revolution. Die CDS zählen 12.000, mit einer geschätzten Beteiligung von 500.000. Die Macht liegt jedoch nicht in ihren Händen. Die CDS haben, das ist wahr, über eine gewisse Autonomie in lokalen Fragen des täglichen Lebens. Sie haben jedoch eher die Funktion eines Treibriemens für die FSLN-Führung, um die Entscheidungen nach unten weiterzugeben. Gleichzeitig fungieren sie als Resonanzboden für eine gewisse Beratung. Sie kontrollieren oder bestimmen die Politik nicht, und auch die Regierung steht nicht unter ihrer Kontrolle. Es wird oft darauf hingewiesen, dass dies die Aufgabe der Nationalversammlung ist. Diese hat jedoch nur wenig effektive Macht, die fest im sogenannten Direktorate konzentriert ist.
Dieser Apparat ist in keiner Weise mit der Sowjetdemokratie zu vergleichen, die nach der russischen Revolution von 1917 bestand. Lenin und Trotzki kämpften gegen jede Entwicklung von Karrierismus und Bürokratie, aber nicht, indem sie die Arbeiter*innen am Eintritt in die Partei hinderten. Die Mitgliederzahl der Bolschewiki explodierte von 8.000 im Februar [1917] auf 240.000 am Vorabend der Oktoberrevolution. Die Kommunistische Partei Russlands degenerierte aufgrund der objektiven Bedingungen, die sich entwickelten, insbesondere aufgrund der Niederlage der Weltrevolution zu jener Zeit. Die Sowjet-Regierungsform war nicht mit der der CDS in Nicaragua vergleichbar. Die Sowjets bildeten die Regierung und bestimmten die Politik auf nationaler und lokaler Ebene. Sie wurden von den Betrieben gewählt, mit Delegierten der Bäuer*innen und Soldaten. Alle konnten jederzeit abberufen werden.
Wirtschaft noch in privaten Händen
Im Unterschied dazu weist der Staatsapparat in Nicaragua, obwohl er populär ist, immer noch die Merkmale der Regime auf, die in Kuba, China, Jugoslawien und anderen Ländern entstanden sind – Regime, die in der Anfangszeit große Unterstützung genossen, aber nicht von Regimes der Arbeiter*innendemokratie.
Diese Regime haben jedoch die Abschaffung des Großgrundbesitzes und des Kapitalismus vollzogen und damit einen Schritt nach vorn gemacht. Dieser Schritt wurde von den Sandinistas nicht vollzogen. In Nicaragua befindet sich die Wirtschaft immer noch in privaten Händen.
Mit dem Beginn der Revolution sind die Bourgeois mit überwältigender Mehrheit zur Unterstützung der Contras übergegangen, und sind entschlossen, die Revolution zu zerschlagen. Manche dieser Bourgeois wurden in der Anfangsphase der Bewegung von den Sandinistas in die Regierung aufgenommen. Arturo Cruz, der Führer des CDN, wurde 1980 in die Regierung aufgenommen. Er unterstützte faktisch die US-Intervention und bezeichnete die Wahlen als „undemokratisch“. Die beiden ursprünglichen bürgerlichen Vertreter in der Regierung sind fast sofort zu den Contras übergelaufen. Die nationale Bourgeoisie wird den sandinistischen Staat nicht akzeptieren, weil er nicht ihr Staat ist. Dies gilt trotz der Beschwichtigungsversuche der Sandinistas, die sich aus ihrem Glauben an die Existenz des nicht existierenden „progressiven Flügels“ der Bourgeoisie ergeben. Damit die Bourgeoisie herrschen kann, braucht sie ihren eigenen Staatsapparat, auf den sie sich stützen kann.
Die Sandinistas haben, entgegen der landläufigen Meinung, nicht die entscheidenden Bereiche der Wirtschaft übernommen. Wie sie selbst in ihrem Programm, dem „Plan für den Kampf“, erklärten: „Gleichzeitig haben wir uns zum Ziel gesetzt, die Beteiligung von ausländischem Kapital aus anderen Staaten und von Privatunternehmen an der Entwicklung unseres Landes im Rahmen einer gemischten Wirtschaft (meine Hervorhebung) zu regeln, die sowohl Raum für das Funktionieren der Unternehmen des Volkseigentumssektors als auch für diejenigen in den Händen der privaten Eigentümer bietet, die den Interessen der nationalen Entwicklung entsprechen. …“ In Wirklichkeit bedeutet dies, dass die kapitalistische Klasse immer noch Kontrolle über die Wirtschaft hat. Und das, obwohl der Besitz von Somoza verstaatlicht wurde: 168 Fabriken, die 25 % der Industrieanlagen ausmachen und 13.000 der 65.000 Beschäftigten des Industrieproletariats beschäftigen. Dennoch verblieben 60 % der Wirtschaft in privaten Händen. So blieben die multinationalen Giganten wie Exxon und General Mills unangetastet. In der Tat verfügte die JGRN in ihrer Proklamation Nr. 3, dass nur das Finanzwesen, der Bergbau, die Fischerei und alle Somoza gehörenden Betriebe verstaatlicht werden konnten. In Bezug auf den Agrarsektor war das Privateigentum sogar noch dominanter. Eabier Garvstiaga vom Planungsministerium behauptete 1981, dass „nur sehr wenige Menschen sich klar sind, dass 80 % der landwirtschaftlichen Produktion in den Händen des privaten Sektors sind, ebenso wie 78 % der industriellen Produktion“. Eine detailliertere Aufschlüsselung verdeutlicht diesen Punkt noch weiter: 72 % der Baumwollproduktion, 53 % der Kaffeeproduktion, 58 % der Rinderwirtschaft und 51 % der Zuckerproduktion befinden sich in privater Hand. Manche würden behaupten, dass diese Zahlen ein verzerrtes Bild vermitteln, weil der größte Teil des Bodens in der Landwirtschaft in den Händen von Kleinbesitzer*innen liegt. Auch diese Behauptung hält der Realität nicht stand. Trotz eines breit angelegten Landverteilungsprogramms verfügen die 200.000 Kleinstbäuer*innen immer noch nur über 14 % des Landes. Die Realität ist konkret!
Eine solche Situation hat die Sandinistas in die schlimmste aller möglichen Welten geführt. Sie, oder die Massen, haben die Bourgeoisie verängstigt, aber indem sie die Wirtschaft in ihren Händen ließen, haben sie sie der Sabotage und dem Chaos preisgegeben. Denn die Bourgeoisie hat nicht nur die Contras unterstützt, sondern auch von Anfang an ein Programm zur wirtschaftlichen Destabilisierung verfolgt. Die Kapitalist*innen haben ihre Dankbarkeit für die massiven staatlichen Subventionen und die Senkung der Gewinnsteuern durch ein massives Kapitalabzugsprogramm und einen Investitionsstreik demonstriert. So trug der öffentliche Sektor 1977 15 % und 1980 41 % zum BIP bei. Dies war zum Teil auf einige Verstaatlichungen zurückzuführen, aber auch auf den Rückgang des BIP aufgrund der Sabotage durch die Bourgeoisie. Die Wirtschaft funktioniert also mit 60 % der Kapazität. Dies wurde durch die Anhäufung einer massiven Auslandsverschuldung noch verschlimmert, die 1981 dazu führte, dass 40 % aller Exporterlöse für den Schuldendienst aufgewendet wurden.
Es ist klar, dass nach dem Sturz der Somoza-Diktatur eine marxistische Partei in einem kleinen, rückständigen Land wie Nicaragua auf einige Probleme gestoßen wäre. Die Weigerung des sandinistischen Regimes, die Kommandohöhen der Wirtschaft zu übernehmen und einen zentralisierten demokratischen staatlichen Produktionsplan unter demokratischer Arbeiter*innenkontrolle und -verwaltung einzurichten, hat die Situation jedoch noch verschlimmert. Andererseits haben sie die Probleme verschärft und die Hand des US-Imperialismus gestärkt, indem sie sich weigerten, zu versuchen, die Revolution in ganz Zentral- und Südamerika zu verbreiten und eine Sozialistische Föderation der zentral- und südamerikanischen Staaten zu gründen, was der einzige Weg wäre, um die Probleme zu lösen und eine sozialistische Gesellschaft in einem Land wie Nicaragua zu entwickeln.
Die Rolle Moskaus
Die sandinistische Führung betrachtet die Angelegenheit als „nationale Angelegenheit“. Der Imperialismus nicht! So erklärte Tomas Borge am 1. Mai 1982: „Mit dem Sieg der Revolution beginnt eine neue Phase. Es ist immer noch notwendig, die breitest möglichen Schichten der nicaraguanischen Gesellschaft zu vereinen, um dem gemeinsamen Feind aller Nicaraguaner, dem US-Imperialismus, entgegenzutreten. Diese neue Phase nach dem Sieg legt der Schwerpunkt auf der Verteidigung der Nation, auf dem Kampf für die Achtung unserer nationalen Souveränität, auf dem Selbstbestimmungsrecht und der Notwendigkeit, alle nicaraguanischen Patrioten zu vereinen, um einem großen und grausamen Feind entgegenzutreten.“ Alle Marxisten unterstützen das Recht auf Selbstbestimmung und wenden sich gegen die Bedrohung durch den US-Imperialismus. Solche Aufgaben werden jedoch nicht erfüllt werden, indem man sich weigert, an die Arbeiter*innen und ausgebeuteten Massen Nord- und Südamerikas zu appellieren. Sie werden nicht erreicht, indem man an die nationalen Bourgeois appelliert, die die Contras unterstützen und die Wirtschaft destabilisieren.
Es stellt sich eindeutig die Frage, warum die FSLN sich geweigert hat, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und die Revolution zu vollenden, wenn auch auf eine verzerrte Weise. Wie bereits erläutert, war dies zum Teil auf das völlig falsche Verständnis der FSLN-Führung in Bezug auf die Rolle der nationalen Bourgeoisie zurückzuführen. Dies spiegelt jedoch den Einfluss der Moskauer Bürokratie wider, die eine entscheidende Rolle bei der Verzögerung der Revolution gespielt hat. Zu einem bestimmten Zeitpunkt bereiteten sich die Führer der Sandinistas tatsächlich auf die Abschaffung des Kapitalismus und des Großgrundbesitzes vor, wenn auch in einer verzerrten Form, aber die stalinistische Bürokratie hielt sie zurück. Die stalinistische Bürokratie in Moskau hat jede Perspektive für die Weltrevolution völlig aufgegeben – in der Tat, sie fürchtet deren Entwicklung. Denn die Entfaltung der Weltrevolution und die Errichtung echter Arbeiter*innendemokratien würde unweigerlich als Anziehungspunkt für die Arbeiter*innen in den stalinistischen Staaten wirken. Sie würde Erschütterungen auslösen, die nicht die Rückkehr zum Kapitalismus ankündigen, sondern die politische Revolution und die Wiederherstellung der Arbeiter*innendemokratie in der UdSSR und ihre Einführung in Osteuropa, China und den anderen deformierten Arbeiter*innenstaaten einleiten würden. Ein solcher Prozess würde den Sturz der Bürokratie selbst bedeuten.
Deshalb haben sie sich weltweit um eine Einigung mit den imperialistischen Mächten bemüht und sich jeder Entwicklung der Revolution, selbst in verzerrter Form, widersetzt, die das Gleichgewicht stören würde. So haben sie sich bemüht, die Vollendung der sozialen Revolution in Nicaragua zu verhindern, weil dies Auswirkungen auf die gesamte Region hätte und den Interessen des US-Imperialismus erheblich schaden würde. Den gleichen Prozess konnte man in Bezug auf Kuba sehen. Die bürokratische Clique in Moskau wollte die Revolution nicht. Obendrein hatten weder Che Guevara noch Fidel Castro vor oder bei ihrer Machtübernahme eine Perspektive für eine „sozialistische“ Revolution. Sie waren aufgrund der objektiven Situation, in der sie sich befanden, gezwungen, die soziale Revolution durchzuführen, teilweise aufgrund des Drucks der Massen und auch aufgrund der Blockade durch den US-Imperialismus, der 90 Prozent der Wirtschaft kontrollierte. Die stalinistische Bürokratie wurde somit vor eine vollendete Tatsache gestellt, zu deren Akzeptieren sie keine Alternative hatte. Kuba wurde dann „ins Boot geholt“, um die Lage zu managen und einzudämmen.
Die Rolle Moskaus bei der Zurückhaltung der nicaraguanischen Revolution kann man klar beim Besuch Ortegas in Moskau im April 1985 sehen, wo er um Waffen und Unterstützung für die Vollendung der Revolution bat. Er kehrte mit leeren Händen zurück, mit Ausnahme von 200 Millionen US-Dollar, was genau das war, was er von den EG-Ländern erhielt. Der Kreml hat vor allem versucht, das „Gleichgewicht“ in der Region aufrechtzuerhalten. Wie die britische Zeitung „The Times“ feststellte, „ist der Kreml nicht erpicht darauf, in einen Stellvertreterkrieg mit den USA in Zentralamerika hineingezogen zu werden“. Als im November 1984 ein Ausnahmezustand ausgerufen wurde, um der drohenden US-Intervention zu begegnen, berichtete dieselbe Zeitschrift: „…eine kleine Anzahl älterer MIGS-Modelle, die angeblich für Nicaragua bestimmt waren, sind in Kuba geblieben und wurden von Dr. Castro mit einem Embargo belegt. Dieser Druck wurde größtenteils durch die Agentur von Havanna ausgeübt, die die Sandinistas ermutigt hat, die Revolution zurückzuhalten. In einer Rede in Nicaragua am 11. Januar 1985 befürwortete Castro die „Mischwirtschaft“: „Gestern hatten wir die Gelegenheit, die Rede des Genossen Daniel Ortega zu hören, und ich muss ihn dazu beglückwünschen. Sie war ernsthaft und verantwortungsvoll. Er erläuterte die Ziele der Sandinistischen Front in allen Bereichen – für eine gemischte Wirtschaft, politischen Pluralismus und sogar ein Gesetz über ausländische Investitionen. … Ich weiß, dass es in Ihrem Konzept auch für eine gemischte Wirtschaft Platz gibt. Sie können eine kapitalistische Wirtschaft haben. Was Sie zweifellos nicht haben werden, und das ist das Wichtigste, ist eine Regierung im Dienste der Kapitalisten.“ Kaum eine Perspektive für die sozialistische Revolution!
Solche Kommentare zeigen deutlich die Bremse, die die Bürokratien in Kuba und Moskau der Revolution angelegt haben. Die sandinistischen Führer*innen waren bereit, dies zu akzeptieren, weil sie leider den Charakter der Revolution nicht verstanden haben und keine Perspektive und kein Programm für die Weltrevolution haben. Möglicherweise gefährden ihr Programm und ihre Methoden die Revolution selbst.
Perspektiven für die Revolution
Die nicaraguanische Revolution ist an zwei Fronten bedroht. Auf der einen Seite war die Aussicht auf eine militärische Intervention der USA sehr real. Auf der anderen Seite gab es den Contra-Krieg und Versuche der Bourgeoisie, die Sandinistas zu destabilisieren, mit der Perspektive, sie zu stürzen. Trotz der Weigerung der Sandinistas, die Wirtschaft zu verstaatlichen, werden die Bourgeoisie und der US-Imperialismus das Fortbestehen des sandinistischen Staates nicht akzeptieren. Diese Position „zwischen den Stühlen“ hat mehr als sieben Jahre gedauert und kann noch länger andauern, aber sie kann nicht unbegrenzt fortbestehen.
Es gibt zwei Punkte, die den US-Imperialismus von einer direkten Intervention abgehalten haben. Erstens: die Rückwirkungen in ganz Zentral- und Südamerika. Zweitens haben die Sandinistas angesichts dieser Aussicht ihnen geholfen, indem sie die Revolution in Schach hielten.
Hätte der US-Imperialismus interveniert, hätte dies eine massive Bewegung auf dem gesamten Kontinent ausgelöst. Massive Demonstrationen in Brasilien, Argentinien, Chile, Peru, Bolivien usw. hätten stattgefunden. Amerikanische Botschaften wären niedergebrannt worden, ebenso wie US-Investitionen. In diesem Sinne hätte dies der Revolution auf dem gesamten Kontinent einen Anstoß gegeben. Aus diesem Grund haben sie sich zurückgehalten. Eine Intervention hätte die Probleme des US-Imperialismus auf lange Sicht nicht gelöst. Kurzfristig hätte sie „das Beispiel“, das Nicaragua den Arbeiter*innen und der Jugend des gesamten südlichen Amerikas gegeben hat, zunichte gemacht. Es ist elementar, dass der Marxismus im Falle eines Eingreifens der USA, das möglich ist, dagegen ankämpfen würde, indem er die Politik, das Programm und die effektivste Art der Bekämpfung erklärt. Dies würde jedoch auf enormen Widerstand stoßen und in Wirklichkeit ein Krieg sein, der aus dem langfristigen Blickwinkel nicht zu gewinnen ist. Die Times fasste die Situation richtig zusammen: „Als etwa 500 hartgesottene sandinistische Guerillas das Somoza-Regime in Nicaragua stürzten, waren rostige Pistolen, Schrotflinten und Sportgewehre die gängigsten Waffen in ihrem behelfsmäßigen Arsenal. Ihr Triumph über viel besser ausgerüstete Kräfte von ungefähr gleicher Größe war ein beeindruckendes Zeugnis dafür, was man mit Engagement und Mut erreichen kann. Und der schlimmste Fehler, den Washington in seiner unerbittlichen Kampagne gegen die Sandinistas begehen könnte, wäre zu glauben oder zu bezweifeln, dass die aufgeregten jungen Leute, die letzte Woche ,No pasaran‘ skandierten, sich voll und ganz der Verteidigung ihres Landes gegen noch einschüchterndere Widerstände verschrieben haben.“
Die Sandinistas haben mehr als 150.000 unter Waffen, einschließlich der Milizen, die sich gebildet haben. Es wäre ein blutiger Kampf, aber wenn der US-Imperialismus sich einmal für ein solches Vorgehen entschieden hat, wird er keine andere Wahl haben, als es zu Ende zu führen. Es könnte Massenbombardements bedeuten, wie sie zum Beispiel in Vietnam oder Kampuchea durchgeführt wurden, wo atemberaubende 10 % der Bevölkerung ausgelöscht wurden. Nach einer gewissen Zeit würde es den amerikanischen Streitkräften jedoch gelingen, die Städte einzunehmen. Es wäre jedoch ein Pyrrhussieg. Die Jugend würde aufs Land gehen, und die amerikanische Armee stünde unter ständiger Belagerung durch die Masse der Bevölkerung, ohne Aussicht auf einen entscheidenden Sieg. Eine solche Entwicklung würde nach einer gewissen Zeit unweigerlich zur Demoralisierung führen. Die anfängliche Unterstützung für den Krieg, die der US-Imperialismus zu erzeugen vermag, würde sich nach einer gewissen Zeit in ihr Gegenteil verkehren. In diesem Sinne würde sich eine Bewegung entwickeln, die derjenigen ähnelt, die sich um den Vietnamkrieg herum entwickelt hat. Die Armee in Nicaragua würde sich aufgrund von Demoralisierung, Drogenmissbrauch, Alkoholismus usw. aufzulösen beginnen, wie sie es in Vietnam tat. Der Abzug der Besatzungstruppen würde sich abzeichnen und damit zusammen eine Niederlage und ein erneuter Sieg der Sandinistas und dieses Mal, nach einer solchen Erfahrung, die Errichtung eines Regimes ähnlich dem in Kuba, mit der Vollendung der sozialen Revolution, wenn auch in verzerrter Form.
Der US-Imperialismus hat in dieser Phase anscheinend aus Angst vor den Folgen von einer Intervention Abstand genommen. Die US-Intervention ist jedoch nicht die einzige Gefahr, vor der die nicaraguanische Revolution steht. Die Bourgeoisie hofft, dass die Unterstützung, die die Sandinistas genießen, durch die Frustration und Unzufriedenheit, die sich aufgrund der Wirtschaftskrise und der daraus resultierenden Knappheit usw. entwickelt, aufgefressen wird. Mit der sich entwickelnden Unzufriedenheit hoffen sie dann, die Sandinistas zu spalten, wobei sie möglicherweise die Kirche um Figuren wie Bischof Obando nutzen, und dann Teile der Contras in die Regierung bringen und faktisch den bestehenden Staatsapparat stürzen und ihn durch ihren eigenen ersetzen. Die wirtschaftliche Entwicklung hat der Bourgeoisie sicherlich eine gewisse Basis für die Entwicklung einer solchen Perspektive gegeben.
Angesichts der Unterstützung, die die Sandinistas derzeit genießen, könnten die Contras allein das Regime nicht stürzen. Jüngste Berichte deuteten auf ein Absinken der Moral der Contras hin. Die jüngsten US-Hilfsspritzen werden es ihnen ermöglichen, weiterzumachen, aber sie stellen keine ernsthafte Herausforderung für die FSLN dar, die immer noch die Unterstützung der Mehrheit der Massen in Nicaragua genießt. Nach Angaben von Alfonso Robelo von der rechtsgerichteten Vereinigten Nicaraguanischen Opposition (einer Fraktion der Contras) sind von den 23.000 angegebenen Mitgliedern nur 6-7.000 aktiv. Im Süden ist die ARDE (Demokratische Revolutionäre Allianz) auf 3.000 Kämpfer geschrumpft, und weiter südlich hat der berüchtigte FDN-Kommandant El Negro (Der Schwarze) nur noch zwanzig Kämpfer*innen. Die Basis der Sandinistas muss also ausgehöhlt werden. Dies ist einer der Gründe, warum die Bourgeoisie dafür gesorgt hat, dass die wirtschaftliche Sabotage am wirksamsten ist.
Die Maßnahmen, die sie und der US-Imperialismus ergriffen haben, waren zweifellos wirksam. In Verbindung mit dem Einbruch der Weltmarktpreise für Rohstoffe wurde die Wirtschaft in einem Ausmaß zerstört, das hätte verhindert werden können, wenn die Sandinistas die Führung der Wirtschaft übernommen und einen demokratischen staatlichen Produktionsplan eingeführt hätten. Der Lebensstandard ist dramatisch gesunken, und die Wirtschaft hat seit 1984 jedes Jahr die schlechteste Leistung im Vergleich zur Situation vor 1979 erbracht. Die Inflation liegt jetzt bei 400 % und damit höher als je zuvor unter der Somoza-Diktatur. Es hat sich ein massiver Schwarzmarkt entwickelt, auf dem inzwischen schätzungsweise 130.000 Menschen ihren Lebensunterhalt direkt verdienen. Die Arbeitslosigkeit ist höher als unter der Somoza-Diktatur. Diese Situation führte zu einer Reihe von Streiks und sogar zu Lebensmittelunruhen in Managua. Daraufhin verhängte die Regierung unter dem Deckmantel einer drohenden US-Intervention den Ausnahmezustand und verbot alle Streiks, wobei die Regierung in einer Erklärung die „Exzesse“ der Arbeiter*innen angriff. Die FSLN-Führung verweist auf die Tatsache, dass sie gezwungen ist, 40 % des BSP für das Militär auszugeben, um sich auf eine US-Intervention vorzubereiten. Der Marxismus würde sie dafür nicht kritisieren. Mit einem Produktionsplan stünden jedoch mehr Ressourcen zur Verfügung, und mit der Schaffung einer echten Arbeiter*innendemokratie würden alle notwendigen Opfer vom Proletariat im Interesse seiner Regierung akzeptiert, wie dies beispielsweise im postrevolutionären Russland der Fall war.
In Nicaragua entwickelt sich bereits eine gewisse Skepsis, die sich in den Zeitschriften der FSLN und den Veröffentlichungen der Gewerkschaften widerspiegelt. Es sind Briefe erschienen, in denen gefragt wird: „Warum hört ihr nicht auf uns?“. Die Sandinistas genießen nach wie vor enorme Unterstützung, aber Dissens und sogar Opposition beginnen sich zu entwickeln. Der Hauptgrund dafür, dass sie sich nicht weiter entwickelt haben, ist die drohende US-Intervention, die paradoxerweise die Entwicklung weiterer Unruhen gegen die Unzulänglichkeiten der Sandinistas gebremst hat. Eine solche Lage kann jedoch nicht unbegrenzt andauern.
Die Miskito-Indianer*innen
Einige Befürworter der FSLN argumentieren, dass die Vollendung der sozialen Revolution eine Intervention des US-Imperialismus provoziert hätte. Doch alle Zugeständnisse, die die Sandinistas gemacht haben, haben die Entschlossenheit des Imperialismus, sie zu stürzen, in keiner Weise geschmälert. Die Erfahrung der Russischen Revolution ist in dieser Hinsicht für die internationale Arbeiter*innenbewegung wesentlich. Einundzwanzig Armeen der imperialistischen Mächte griffen ein, um zu versuchen, die Revolution zu zerschlagen. Sie wurden von der Roten Armee unter der Führung Trotzkis zurückgeschlagen, nicht zuletzt wegen der Haltung der Bolschewiki gegenüber der Weltrevolution. Sie wandten sich an die Arbeiter*innen Europas und appellierten an die Basis der intervenierenden Armeen in einer Klassen-Weise. Indem sie an die Frage auf diese Weise herangingen, erzwangen sie den Rückzug der imperialen Mächte, nachdem die gesehen hatten, wie die Soldaten die Revolution unterstützten. Würden die Sandinistas eine marxistische Herangehensweise für die Revolution wählen, die die Enteignung der führenden Wirtschaftsmächte, die Ausbreitung der Revolution in ganz Zentralamerika und einen Klassenappell an die amerikanischen Arbeiter*innen und Soldaten vorsieht, würden sie die Niederlage des amerikanischen Imperialismus sicherstellen.
Der unmarxistische Ansatz der sandinistischen Führung hat sich auch in der gegenüber den Miskito-Indianer*innen angenommenen Politik gezeigt, die die FSLN teuer an Unterstützung gekostet hat. Tausende von ihnen hätten als engagierte Kämpfer*innen gegen den Imperialismus rekrutiert werden können, wenn die FSLN bereit gewesen wäre, ihnen die von ihnen geforderten autonomen Rechte zu gewähren. Auf diese Weise hätte sie das Vertrauen dieses Teils der Massen gewinnen und ihnen dann im Rahmen einer demokratischen sozialistischen Planwirtschaft sprachliche und kulturelle Rechte garantieren und sie in die Revolution integrieren können – mit anderen Worten, sie hätte die Haltung Lenins und Trotzkis gegenüber den nationalen Minderheiten einnehmen können. Das Versäumnis, dies zu tun, trieb Tausende in die Arme der konterrevolutionären Contras.
Etwa 80.000 Indianer*innen leben an der Ostküste, meist im Nordosten als praktisch einzige Bewohner*innen. Auf die Weigerung, Autonomie zu gewähren oder anzubieten, folgten dann erzwungene Massenumsiedlungsprogramme. 1982 wurden 10.000 Menschen von den Sandinistas aus ihren Dörfern entlang des Rio Coco vertrieben, weil sie glaubten, dass sich in diesem Gebiet ein Stützpunkt der Contras befand. Die Contras hatten durch das Angebot der Autonomie eine gewisse Basis unter ihnen gewonnen. Das Umsiedlungsprogramm wurde rücksichtslos und ohne jegliches Feingefühl durchgesetzt. Typisch dafür war das Dorf Saklan am Rio Coco. Es hatte eine Bevölkerung von 1500. Es wurde „evakuiert“ und dann niedergebrannt.
Es stimmt, dass sich viele von den Contras abgewandt haben, nachdem sie sie aus erster Hand erlebt haben. Einem Bericht zufolge sind 30.000 Menschen aus Honduras und anderen von den Contras genutzten Stützpunkten nach Nicaragua zurückgekehrt. Dennoch ist dies ein Hinweis auf die falschen Methoden und die falsche Politik der Sandinistas.
Wie wir in diesem Artikel erklärt haben, ist die einzige Möglichkeit, die Gefahr einer Konterrevolution zu besiegen, die Vollendung der Revolution, d.h. der Sturz des Kapitalismus und die Errichtung einer Arbeiter*innendemokratie. Jede Verzögerung gibt den Bourgeois nur die Möglichkeit, die Reaktion vorzubereiten und zu organisieren. Die Errichtung einer Arbeiter*innendemokratie in einem kleinen Land wie Nicaragua wird nicht unmittelbar zu einer sozialistischen Gesellschaft führen. Das wäre angesichts des Mangels und der Rückständigkeit, die bestehen und überwunden werden müssen, unmöglich. Um eine solche Aufgabe zu bewältigen, wäre zumindest in einer Reihe der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder eine Revolution sozialistischen Charakters oder alternativ die politische Revolution in den stalinistischen Staaten erforderlich. Der Sieg der Arbeiter*innenklasse in einem kleinen Land wie Nicaragua kann die Weltrevolution nicht vollenden. Er kann sie jedoch beginnen. Denn die Errichtung einer Arbeiter*innendemokratie selbst in einem kleinen Land kann eine Bewegung auslösen und als Anziehungspunkt für die fortgeschritteneren Länder Südamerikas dienen. Und ein Sieg in einem dieser Länder würde die gesamte internationale Situation verändern und den Sturz des Kapitalismus und des Stalinismus einläuten. In diesem Zusammenhang muss die entscheidende Bedeutung gesehen werden, dass das Proletariat in diesen kleinen Ländern ein marxistisches Programm und die Lehren aus der nicaraguanischen Revolution annimmt.
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