[Eigene Übersetzung des englischen Textes in Militant Nr. 383 vom 25. November 1977, S. 12]
Sadats dramatischer Besuch in Israel hat die arabischen Staaten gespalten und weltweite Proteste der Palästinenser*innen hervorgerufen. Der ägyptische Präsident muss jetzt ganz oben auf der Abschussliste der Palästinenser*innen stehen.
Ist es überraschend, dass die Palästinenser*innen verärgert sind? Von Israel enteignet, in Jordanien schikaniert und vor kurzem von Syrien im Libanon verraten, erhielten sie nun von dem Regime in Ägypten, das unter Nasser einst am lautesten für ihre Sache eintrat, offen einen Dolchstoß in den Rücken.
Jahrzehntelang haben führende arabische Vertreter*innen, darunter Nasser und dann Sadat, den arabischen Massen einen militanten Nationalismus und den Hass auf Israel, oft Hass auf die Jüd*innen, eingeimpft. Nach all dem erscheint der Besuch als eine unanständige Geste.
Nicht neu
Warum der scharfe Wandel? In Jerusalem sagte Sadat nichts Neues. Er wiederholte die grundlegenden Forderungen der arabischen Staaten. Hat er geglaubt, dass Israel, das sie ein Jahrzehnt lang trotz ständiger Kriegsdrohung abgelehnt hat, unter der Führung des rechtsgerichteten Zionisten Begin, sie akzeptieren würde, weil er israelischen Boden betreten hat?
Was die anderen arabischen Staaten und insbesondere die Palästinenser*innen befürchten, ist, dass hinter Sadats formaler Wiederholung der alten Forderungen die stillschweigende Bereitschaft steht, „Frieden um jeden Preis“ zu erkaufen – einschließlich des Opferns eines palästinensischen Heimatlandes. Abgesehen von seiner Rede in der Knesset erwähnte Sadat die Palästinenser*innen mit keinem Wort. Begin seinerseits versprach überhaupt keine Zugeständnisse.
Die führenden Vertreter*innen der arabischen Staaten, abgesehen von Hussein von Jordanien, haben Sadats Initiative einhellig verurteilt, sogar Saudi-Arabien, das reaktionärste und pro-amerikanischste Land, und der derzeitige Zahlmeister der ägyptischen Armee.
Der Besuch Sadats, der von der kapitalistischen Weltpresse als heldenhafter Schritt in Richtung Frieden begrüßt wurde, ist in Wirklichkeit ein verzweifeltes Glücksspiel. Die Notwendigkeit, die Aufmerksamkeit von der Krise im eigenen Land abzulenken, hat bei seinen Berechnungen sicherlich eine große Rolle gespielt. In Ägypten besteht zweifellos der verzweifelte Wunsch nach einer gesicherten Friedensregelung. Aber werden die Vorteile des Friedens gleichmäßig verteilt sein?
Sadats Politik spiegelt vor allem die Interessen der neuen Generation von Kapitalist*innen und Staatsbürokrat*innen wider, die sich herausgebildet hat, seit Sadat die Umkehrung von Nassers Politik vollzogen, mit der Sowjetunion gebrochen, Kompromisse mit den Großgrundbesitzer*innen und Kapitalist*innen geschlossen, das Land für ausländisches Kapital geöffnet und engere Beziehungen zum US-Imperialismus gefestigt hat. Für sie bedeutet Frieden Macht, Profite und Privilegien.
Aber es sind die ägyptischen Arbeiter*innen und Bauer*innen, die die Last des Konflikts mit Israel tragen. Die Streikwelle, die Anfang des Jahres ausbrach, offenbarte eine verzweifelte wirtschaftliche Lage und stellte eine ernsthafte Bedrohung für das Regime dar.
Palästinenser*innen
Im Moment hält Sadat ein fast unwiderstehliches Friedensversprechen bereit. Aber wenn der Frieden, wenn er denn kommt, keine Früchte trägt, wird der Zorn der enttäuschten Massen das Ende Sadats bedeuten.
Kann es so etwas wie einen „permanenten Frieden“ im Nahen Osten geben? Selbst die Vereinigten Staaten, die Ägypten inzwischen als Klientelstaat fast auf Augenhöhe mit Israel behandeln, haben zur Vorsicht gemahnt, weil den Palästinenser*innen nichts angeboten worden ist.
Sadat hofft, mit Hilfe der USA (und mit jordanischem Einverständnis) einen einseitigen Frieden mit Israel zu erkaufen. Doch die Wurzeln des Konflikts werden bleiben. Selbst während Sadat in Jerusalem weilte, beschossen israelische Jets arabische Dörfer im Libanon mit Raketen. Sadat mag Zeit kaufen, aber er kann keinen Frieden kaufen. Das, was er in diesem Prozess eintauschen muss, könnte sich für ihn als ebenso fatal erweisen wie der Krieg selbst.
Furcht
Innerhalb des bestehenden Rahmens von Klasseninteressen und nationalen Konflikten kann es keinen dauerhaften Frieden geben. Sadat, Begin und all die anderen führenden Politiker*innen sind in ein Netz verstrickt, das über mehr als ein Jahrhundert von den Kolonialmächten und den Regimen, die sie gestützt und manipuliert haben und mit denen sie in jüngster Zeit aneinandergeraten sind, gesponnen wurde.
Solange Grundbesitzertum und Kapitalismus fortbestehen, gibt es keine Möglichkeit, die Bestrebungen der arabischen und israelischen Massen in Einklang zu bringen oder zu befriedigen.
Eine Lösung wartet auf die Initiative der Arbeiter*innen und Bäuer*innen selbst. Es ist die Angst vor ihrer Bewegung, zusammen mit den Arbeiter*innen im Westen, die hinter den verzweifelten Manövern der Diplomat*innen steckt, um Krieg und Krise abzuwehren.
Lynn Walsh
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