Lynn Walsh: Das Albtraum-Szenario

[eigene Übersetzung des englischen Textes in Socialism Today, Nr. 30, Juli 1998]

Ein obszönes und potenziell äußerst gefährliches atomares Wettrüsten hat auf dem südasiatischen Subkontinent begonnen. Was steckt hinter diesem erneuten Wettrüsten und wie sind die Aussichten für einen atomaren Schlagabtausch? Lynn Walsh schreibt.

Am 11. und 13. Mai führte Indien (nach 24 Jahren ohne Atomtests) eine Serie von fünf unterirdischen Atomexplosionen in der Region Pokhran, nur 150 Meilen von der pakistanischen Grenze, durch. Am 28. Mai antwortete Pakistan mit fünf unterirdischen Tests in den Chagal-Hügeln in der westlichen Provinz Belutschistan. Beide Staaten behaupteten, dass es sich bei den Tests um Explosionen mit geringer Sprengkraft handelte, die von Geräten erzeugt wurden, die für taktische Atomwaffen geeignet sind. Auf beiden Seiten folgten die Tests auf einen Raketenwettlauf, eine Reihe von Testabschüssen von Langstreckenraketen, die tief in das Gebiet der jeweils anderen Seite eindringen können.

Gleichzeitig haben beide Staaten ihre militärische Präsenz entlang der „Kontrolllinie“, die durch den umstrittenen Grenzstaat Jammu und Kaschmir verläuft, verstärkt. In Anbetracht der tiefen Feindschaft zwischen Indien und Pakistan, des giftigen Erbes der britischen „Teile und herrsche“-Politik schon während der Entkolonialisierung und dreier indisch-pakistanischer Kriege werfen die Atomtests unweigerlich die erschreckende Aussicht auf einen weiteren Krieg auf – und die Möglichkeit eines atomaren Konflikts.

Weit davon entfernt, die „nationale Sicherheit“ zu garantieren, wie sowohl führende indische als auch pakistanische Vertreter*innen behaupten, sind diese Atomtests eine Katastrophe für die Menschen auf dem Subkontinent und potenziell eine Bedrohung für die gesamte Menschheit. Ein atomares Wettrüsten in diesen stark militarisierten, furchtbar armen Ländern wird die sozialen Spannungen, die sich durch die sich verschärfende Wirtschaftskrise ohnehin schon verschärft haben, enorm verstärken. Ein atomares Wettrüsten zwischen zwei der ärmsten Länder der Welt ist besonders obszön. Etwa 370 Millionen Menschen in Indien und Pakistan überleben in absoluter Armut, mit Einkommen von weniger als 1 Dollar pro Tag. Im Zeitraum 1990-96 gaben die beiden Staaten zusammen 70 Milliarden Dollar für Militär und Waffen aus, verglichen mit nur 12 Milliarden Dollar für Bildung. Sie haben sechsmal mehr Soldat*innen als Ärzt*innen, während über 200 Millionen Menschen keinen Zugang zur medizinischen Grundversorgung haben.

Atomwaffen werden diese verzweifelt armen Länder nicht in Supermächte verwandeln. Im Gegenteil, die Umleitung von Ressourcen in Waffen wird die Risse in diesen klassengeplagten Gesellschaften noch vertiefen.

Jeder Einsatz von Atomwaffen, selbst von so genannten taktischen Waffen, durch Indien oder Pakistan wäre selbstmörderisch. Das US-Gesundheitsministerium schätzt, dass bei einem Atomkonflikt zwischen den beiden Staaten mindestens 50 Millionen Menschen getötet würden. Der radioaktive Niederschlag würde zu massiven menschlichen Opfern und Umweltschäden führen – ein vieltausendfach multipliziertes Tschernobyl. Aber angesichts der extremen Widersprüche in den halb entwickelten Ländern des Subkontinents und der Möglichkeit instabiler Regime, die verzweifelt nach einem Ausweg aus der Krise suchen, kann ein Atomkonflikt nicht völlig ausgeschlossen werden. Jedes Zurückgreifen auf Atomwaffen würde jedoch potenziell revolutionäre Protestbewegungen auslösen, nicht nur auf dem Subkontinent, sondern weltweit.

Der US-Imperialismus will die Atomwaffenkapazität unbedingt auf die fünf bestehenden Atommächte beschränken. Die indisch-pakistanischen Tests zeigen jedoch die völlige Unfähigkeit der einzigen Supermacht, die Atomwaffen zu kontrollieren, geschweige denn zu beseitigen, trotz des Endes des „Kalten Krieges“.

Was steckt hinter diesem erneuten Wettrüsten in Asien?

Die atomare Demagogie der BJP

Der politische Auslöser für die Tests war der knappe Sieg der BJP bei den indischen Parlamentswahlen im vergangenen Februar. Die führenden BJP-Vertreter*innen rechneten mit einem überwältigenden Sieg gegen die zusammengewürfelte Koalition aus regionalen und linken Parteien, die die vorherige Regierung der Vereinigten Front bildete. Sie glaubten, sie würden die Kongresspartei, die durch regionale Rivalitäten und Korruptionsskandale geschwächt war, entscheidend besiegen. Doch das Eingreifen von Sonia, der Witwe Rajiv Gandhis, in den Wahlkampf verschaffte der Partei einen großen Rückhalt. Sie spielte mit der Loyalität zur Nehru-Gandhi-Dynastie, die 30 Jahre lang die Regierungen der Kongresspartei führte, und beschwor demagogisch die harten Fakten der Armut herauf, die für mehr als die Hälfte der Bevölkerung die tägliche Realität ist.

Während die vorher regierende VF-Koalition fast die Hälfte der Sitze verlor, die sie 1996 gewonnen hatte, konnte der Kongress (I) seine Sitze auf 142 erhöhen. Die BJP gewann 179 Sitze, nur 19 mehr als 1996. Zusammen mit ihren Verbündeten verfügte die BJP über insgesamt 252 Sitze in der 545 Mitglieder zählenden Lok Sabha (Unterhaus des Parlaments), 21 Sitze weniger als die absolute Mehrheit. Nach einem zweiwöchigen parlamentarischen Kuhhandel gelang es den führenden BJP-Vertreter*innen, eine marode 14-Parteien-Koalition zusammenzustellen, die in einem Vertrauensvotum mit 274 zu 261 Stimmen den Sieg davontrug.

Die BJP war somit in der Lage, eine Regierung mit A. B. Vajpayee als Ministerpräsident zu bilden. Aber sie brauchte dringend einen politischen Schlag, um ihre Unterstützung in der Bevölkerung zu stärken und sich gegebenenfalls eine größere Mehrheit bei weiteren Wahlen zu sichern. So folgte die BJP-Regierung dem Beispiel früherer führender Kongresspolitiker*innen und drückte auf den Knopf der „nationalen Sicherheit“. Fünf Atomtests wurden durchgeführt, um die Bereitschaft der Regierung zur „Verteidigung der Nation“ gegen die angeblichen Feinde, Pakistan und China, zu demonstrieren und Indiens Anspruch auf den Status einer „Großmacht“ zu bekräftigen. Taktisch war dieser Schritt dem Einsatz von sektiererischen Pfeilen aus dem traditionellen Köcher chauvinistischer Waffen der BJP vorzuziehen. Schritte gegen Muslim*innen, Christ*innen und andere Minderheiten würden die Koalitionspartner*innen der BJP verprellen und es sehr viel schwieriger machen, Stimmen unter den Minderheiten (z. B. den 120 Millionen Muslim*innen) zu gewinnen.

Die BJP (Bharatiya Janata Party, früher Jana Sangh) ist eine hinduchauvinistische Partei, eine kommunalistische Partei, die mit den Unsicherheiten und Ängsten der indischen Mehrheits-Community (über 80%) spielt. Der innere Kern der BJP – und besonders der Hardliner-Innenminister, LK Advani – steht in Verbindung mit der RSS (Rashtria Sevak Sangh), einer faschistischen Aktivist*innenorganisation, die seit langem zu antimuslimischen Pogromen aufstachelt. Mit dem Ziel, die zerfallende Kongresspartei als dominierende Partei in ganz Indien abzulösen, versuchte die BJP Anfang der 1990er Jahre, ihre Massenunterstützung bei den Wahlen durch die berüchtigte „Ayodhya-Bewegung“ zu erhöhen. Diese gipfelte in der Zerstörung der Babri-Moschee in Ayodhya (in Uttah Pradesh) durch einen von der BJP mobilisierten sektiererischen Mob. Die BJP vertrat den Slogan „Swadeshi“ (wirtschaftliche Eigenständigkeit Indiens) und rührte die Werbetrommel für „Hindutva“ (hinduistischen Kulturnationalismus).

Der größte Zuwachs an Wähler*innenstimmen für die BJP kam jedoch von der neuen städtischen Mittelschicht, die auf der Grundlage neoliberaler Politiken – Privatisierung, Deregulierung und Zufluss ausländischen Kapitals – angewachsen ist – Globalisierungstrends, die kaum mit der Idee von Swadeshi vereinbar sind. Auch das Scheitern der BJP 1996, eine dauerhafte Regierung zu bilden, lehrte die führenden BJP-Vertreter*innen, dass sie eine gesamtindische Mehrheit nicht allein auf der Grundlage kommunalistischer Unterstützung konsolidieren konnten. Sie brauchten Verbündete unter der Vielzahl regionaler Parteien im Süden sowie einen bedeutenden Anteil an Stimmen von Teilen der armen, niedrigkastigen und nicht-hinduistischen Wähler*innenschaft. Daher haben die führenden BJP-Vertreter*innen in den letzten Jahren versucht, sich ein respektableres Image zu geben und sogar behauptet, die besten Verfechter*innen der Minderheitenrechte zu sein. Der „gemäßigte“ AB Vajpayee wurde als Ministerpräsident*innenkandidat aufgestellt und nicht der Hardliner (Ex-RSS-Chef) Advani.

Laut Meinungsumfragen erhöhten die Atomtests die Unterstützung für die BJP-Regierung. Neben dem Appell an nationalistische Gefühle gegen äußere „Feinde“ (Pakistan und China) appelliert die BJP an ein echtes, aber hohles antiimperialistisches Gefühl in der Kleinbourgeoisie. Sie spielt mit dem Gefühl, dass Indien eine Supermacht sein sollte, obwohl sie die Schleusen für ausländische Investitionen geöffnet hat, die die indische Wirtschaft mehr und mehr den multinationalen Banken und Konzernen unterordnen.

Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Atomtests der wackeligen BJP-Koalition eine lange Amtszeit sichern werden. In den Bundesstaaten, in denen die BJP zuvor Regierungen gebildet hat (z. B. Maharashtra und Rajasthan), hat die BJP bei den Parlamentswahlen Stimmen verloren, und eine Regierungsperiode auf Bundesebene wird den politischen Bankrott der Partei schnell offenbaren. Obendrein könnte die Koalition jederzeit durch den Austritt einer Handvoll Abgeordneter von dem einen oder anderen kleineren Partner zu Fall gebracht werden.

Die asiatische Wirtschaftskrise beginnt eine ernsthafte Auswirkung auf Indien zu haben, was sich durch die Auswirkungen der US-Sanktionen und die erhöhte Belastung durch Militärausgaben noch verschärfen wird. Die Opposition der beiden kommunistischen Parteien Indiens, der CPI und der größeren CPI(M), gegen die Atomtests ist zum Teil wahltaktisch motiviert, spiegelt aber auch die Empörung der Arbeiter*innen und Teile der Mittelschicht über den Schrecken und die grausame Verschwendung von Atomwaffen wider. Diese Opposition wird zweifellos wachsen, wenn die Folgen deutlicher werden.

Die hegemonialen Ambitionen der indischen Kapitalist*innen

Hinter dem rücksichtslosen Wahlopportunismus der BJP-Regierung, die auf Atomtests zurückgreift, liegen die nationalen Interessen der indischen Bourgeoisie. Lange bevor die BJP mit dem Slogan eines „größeren Indiens“, d.h. einer indischen Vorherrschaft, wenn nicht gar einer Aufsaugung des gesamten Subkontinents, in den Wahlkampf zog, verfolgten die aufeinander folgenden Regierungen der Kongresspartei die Hegemonialbestrebungen der herrschenden Klasse.

Indien (wie Pakistan) hat seit der Unabhängigkeit und der Teilung im Jahr 1949 massive Streitkräfte unterhalten. Im Jahr 1971 intervenierte der indische Staat in Ostpakistan, als sich dieses von Westpakistan abspaltete, um einen starken indischen Einfluss auf den neu gegründeten Staat Bangladesch aufrechtzuerhalten. 1987 besetzten indische Streitkräfte das tamilische Gebiet in Sri Lanka in einem vergeblichen Versuch, eine Einigung zu erzwingen.

Unmittelbar nach den indischen Atomtests warnte Advani, dass „Islamabad (d.h. die pakistanische Regierung) die Veränderungen in der geostrategischen Lage in der Region und in der Welt erkennen (und) seine anti-indische Politik, besonders in Bezug auf Kaschmir, zurückfahren sollte“. Der Verteidigungsminister der Koalition, George Fernandez, erklärte hingegen, Indiens atomare Kapazität sei eine Warnung an China.

Scharmützel zwischen indischen und pakistanischen Streitkräften über die „Kontrolllinie“ hinweg (die die indisch kontrollierte Zone von der pakistanisch kontrollierten Zone in Kaschmir trennt) sind ein ständiges Merkmal der indisch-pakistanischen Beziehungen. Die aufeinanderfolgenden Regime sowohl in Indien als auch in Pakistan haben die Kaschmirfrage immer wieder benutzt, um den Nationalismus zur Unterstützung ihrer jeweiligen kapitalistischen Ziele aufzupeitschen. Doch keines der beiden Regime unterstützt den einzigen Schritt, der den Konflikt lösen kann: einen unabhängigen, vereinigten Staat Kaschmir unter der demokratischen Kontrolle seiner Bevölkerung.

In Bezug auf China ist die Lage an der Grenze seit einigen Jahren relativ stabil, wobei das chinesische Regime Gespräche zur Beilegung des Streits vorschlägt, der 1963 zum indisch-chinesischen Krieg führte. Dennoch sind die jüngsten Tests die jüngste Runde in einem langen Zyklus atomarer Rivalität, der den Machtkampf zwischen den großen Nationalstaaten der Region widerspiegelt. China testete 1964 erstmals Atomwaffen, was Indien dazu veranlasste, ein Atomprogramm zu entwickeln und 1974 Tests durchzuführen. Dies wiederum führte zur Entwicklung des pakistanischen Atomprogramms, als der Ministerpräsident der Volkspartei, Z. A. Bhutto, bekanntlich versprach, dass das pakistanische Volk „Gras fressen“ würde, wenn es nötig sei, um Atomwaffen herzustellen.

Nicht eine unmittelbare militärische Bedrohung durch Pakistan oder China war der Grund für die Tests, sondern der Drang, Indiens Anspruch auf den Status einer Supermacht abzustecken und besonders der Bedrohung der indischen Ambitionen durch die Stärkung des Bündnisses zwischen den USA und China zu begegnen. Der Ehrgeiz der indischen herrschenden Klasse wurde durch den Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion gestärkt, die Indien in der relativ stabilen bipolaren Welt der Supermachtrivalität während des „Kalten Krieges“ den „Schutz“ ihres atomaren Schirms bot.

Selbst liberale Kritiker*innen der BJP-Atomtests äußern kapitalistische Ressentiments gegen die US-Politik: „Wir sind Indien“, sagt ein Kommentator, „das zweitgrößte Land der Welt. Man kann uns nicht einfach als selbstverständlich hinnehmen. Indien fühlt sich nicht von Pakistan bedroht, aber im gesamten internationalen Spiel wird Indien von der Achse China-USA an den Rand gedrängt“. („International Herald Tribune“, 23. Juni)

Der ehemalige indische Ministerpräsident I. K. Gujral, ebenfalls ein Kritiker der Atomtests, sagt: „Clinton macht es nichts aus, nach China zu gehen. (Was China auf dem) Tian’anmen tut, ist in Ordnung, in Tibet ist es in Ordnung, in Taiwan ist es in Ordnung. Alles ist in Ordnung, aber Ihr (die USA) ignorieren unsere Sicherheitsbedenken, weil wir arm und eine Nicht-Atommacht sind. In Euren Augen ist es wichtig, entweder eine Bombe zu haben oder Geld zu verdienen. Nun, Geld ist sehr schwer zu verdienen. Eine Bombe nicht“. (IHT, 23. Juni)

Indien fordert nun, den Umfassenden Teststoppvertrag (CTBT) unterzeichnen zu dürfen. Zuvor hatte Indien den Vertrag als „diskriminierend“ abgelehnt (Pakistan weigerte sich zu unterzeichnen, wenn Indien nicht unterschrieb). Nun fordert Indien jedoch, dass es in den Club der Atommächte aufgenommen wird und dem CTBT als sechste Atommacht beitritt.

Indien verstärkt auch seine Kampagne für einen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als sechstes ständiges Mitglied. Beide Forderungen werden von den USA rigoros abgelehnt werden. Während einige Teile des Kongresses die Stärkung Indiens als Gegengewicht zu China begrüßen, ist der US-Imperialismus strikt gegen jede Erweiterung des exklusiven Clubs der Atommächte.

Gleichzeitig sind einige Vertreter*innen des indischen Kapitalismus beunruhigt über die ihrer Meinung nach provokative, ja rücksichtslose Außenpolitik der BJP-Regierung. Sie sehen, dass ein Wettrüsten die indische Wirtschaft enorm belasten wird (die Verteidigungsausgaben wurden im jüngsten Haushalt bereits um 1,2 Milliarden Dollar auf 10 Milliarden Dollar erhöht). Sie fürchten die Auswirkungen der US-Sanktionen, die sich mit der Verschärfung der asiatischen Wirtschaftskrise auf die Wirtschaft negativ auswirken werden.

Pakistan

Indiens Atomtests riefen in pakistanischen politischen Kreisen eine intensive Debatte hervor. Benazir Bhutto, die Chefin der oppositionellen Volkspartei, verhöhnte Ministerpräsident Nawaz Sharif, für sein Zögern, mit unterirdischen Explosionen zu reagieren. Eine ganze Reihe weitsichtigerer kapitalistischer Politiker*innen und Kommentator*innen vertraten jedoch eine wesentlich vorsichtigere Auffassung. Sie warnten, dass Atomtests an sich nur sehr wenig bewirken würden, während sie unweigerlich Wirtschaftssanktionen der USA und politischen Druck seitens der westlichen Mächte provozieren würden. Die Belastung für die Wirtschaft, so warnten sie, wäre weitaus größer als die Belastung für Indiens viel größere Wirtschaft.

Innerhalb von zwei Wochen führte die Regierung von Nawaz Sharifs Muslimliga jedoch ihre eigenen Atomtests durch. Trotz des intensiven Drucks der USA, Japans und anderer Mächte diente die Verzögerung wahrscheinlich nur dazu, die notwendigen technischen Vorbereitungen zu treffen – und den reichen Feudalherr*innen und Kapitalist*innen zu ermöglichen, ihre Devisen aus dem Land zu schaffen, bevor die Regierung Devisenkontrollen einführte.

Die führenden Vertreter*innen der Muslimliga nutzten die Atomtests als Gelegenheit, ihre politische Unterstützung zu stärken und eine patriotische Leidenschaft gegen Indien zu entfachen. Ein Atomwaffenprogramm, versicherte Sharif, sei der einzige Weg, um das Überleben der (islamischen) Nation gegenüber der Bedrohung durch das (hinduistische) Indien zu sichern. Er werde Azad Kaschmir (der von Pakistan kontrollierte Teil von Jammu und Kaschmir) verteidigen, und Pakistan werde die muslimische Mehrheit in dem von Indien besetzten Teil des umstrittenen Staates weiterhin unterstützen.

Doch wie sollen Atomwaffen die Sicherheit einer von Armut und sozialer Unsicherheit geplagten Bevölkerung erhöhen? Wie die gesamte Politik Sharifs zielen auch die Atomtests darauf ab, den Reichtum, die Macht und das Prestige der unglaublich korrupten Feudalherr*innen und Kapitalist*innen zu mehren, die das Volk bis auf den letzten Tropfen des Mehr-Reichtums melken. Sharif rief zu Opfern auf, aber es ist klar, von wem sie verlangt werden: Es sind nur die Armen, die das Gras essen werden.

Am Tag der Tests kündigte die Regierung Sharif den Ausnahmezustand an. Die unmittelbare Wirkung war die Neutralisierung der Richter*innenschaft des Obersten Gerichtshofs, die für die Einhaltung der Menschenrechtsgesetze zuständig ist, womit der seit langem bestehende politische Konflikt der Regierung mit Teilen der höheren Gerichtsbarkeit beigelegt wurde. Der Ausnahmezustand hebt jedoch auch alle rechtlichen Beschränkungen für Polizei und Armee auf, was der Regierung immense repressive Befugnisse verleiht.

Im Moment haben die Atomtests die Unterstützung für Sharifs Regierung gestärkt. Viele politisch bewusste Arbeiter*innen sowie eine Schicht von linken und liberalen Intellektuellen lehnen ein Atomwaffenprogramm entschieden ab. Das Fehlen von organisierten Oppositionskräften bedeutet jedoch, dass der Widerstand gegen Atomwaffen derzeit nur wenig offenen Ausdruck findet. Dennoch werden sich die enormen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Atomprogramms mit der Zeit in Unzufriedenheit und Wut niederschlagen. Langfristig werden die Tests für die Regierung der Muslimliga ebenso wenig „Sicherheit“ bringen wie für die BJP-Koalition in Indien.

Die einsame Supermacht im Durcheinander

Die indisch-pakistanischen Atomtests sind ein massiver Rückschlag für die US-Außenpolitik. In Bezug auf die globale strategische Macht war es das vorrangige Ziel der USA, das Atommonopol der fünf etablierten Atommächte USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und China aufrechtzuerhalten, um das bestehende Kräfteverhältnis zu bewahren. Der Vertrag über das umfassende Verbot von Atomversuchen (CTBT) erkennt diese fünf – und nur diese fünf – ausdrücklich als etablierte Atommächte an, während er „Schwellen“-Atomstaaten (wie Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea) offiziell Beschränkungen auferlegt, um zu verhindern, dass sie eine voll entwickelte Atomwaffenkapazität entwickeln.

Die großen Mächte behalten natürlich nach wie vor riesige Atomwaffenarsenale. Gleichzeitig haben die fünf Mächte ihre Atomtests fortgesetzt, um ihre laufenden Programme vor der für 1999 vorgesehenen Ratifizierung des CTBT abzuschließen. Frankreich und China führten beide 1995-96 eine Reihe von Tests durch. In den Jahren 1997-98 führen die USA eine Reihe von Tests in der Wüste von Nevada durch.

Obendrein ist es ziemlich sichtbar, dass die Beschränkungen für die Verbreitung von Atomwaffen weitgehend umgangen werden. Zum Beispiel erhielt Indien notwendige technische Hilfe von Israel, das über eine weitaus größere Waffenkapazität verfügt, obwohl es keine eigenen Tests durchgeführt hat. Pakistan erhielt ähnliche Unterstützung von China, und seine Waffenwissenschaftler machten kein Geheimnis daraus, dass sie die von ihnen benötigte Technologie leicht von Unternehmen in den USA, Europa, Brasilien und anderswo kaufen können.

Für den US-Imperialismus besteht das Hauptziel des CTBT darin, andere Staaten daran zu hindern, den Status einer Atommacht zu erlangen und damit die Macht und das Prestige zu erlangen, die mit öffentlich anerkannten Atomwaffenarsenalen verbunden sind. Zbigniew Brzezinski, der frühere nationale Sicherheitsberater von Präsident Carter, räumte ein, dass die US-Politik immer „eine selektive und bevorzugte Weiterverbreitung“ war – mit anderen Worten: Lizenz für die großen Fünf, Beschränkungen für die „Schwellen-“ und „Schurken“-Atomstaaten. Würden die USA Indien und Pakistan in den Atomclub aufnehmen, würde das den Sinn der Übung untergraben. Andererseits sieht der CTBT vor, dass die „Schwellenstaaten“ unterzeichnen müssen, bevor der Vertrag in Kraft treten kann. Da der Einsatz erhöht wurde, ist es nun für jede indische Regierung fast unmöglich, den Vertrag zu unterzeichnen, solange sie nicht als Atommacht akzeptiert würde, was die Zukunft des CTBT in Frage stellen würde.

Auf breiterer Front ist die Asienpolitik der USA ein Scherbenhaufen. Clintons grandioser Besuch in China, bei dem China als stabilisierender Einfluss in Asien gepriesen wurde, findet zu einem Zeitpunkt statt, an dem die asiatische Wirtschaftskrise ihre Auswirkungen im Lande zu zeigen beginnt. Das Werben der USA um China hat Indien zweifelsohne angestachelt, Atomtests durchzuführen. 1995, als die Kongressregierung Atomtests in Erwägung zog, um ihre Wahlchancen zu erhöhen, intervenierten die USA, um sie zu verhindern. Diesmal versäumte es die CIA Berichten zufolge, das Weiße Haus vor den Vorbereitungen der BJP-Regierung zu warnen.

In Bezug auf Pakistan übten die USA intensiven Druck auf die Sharif-Regierung aus, die indischen Tests nicht nachzuahmen. Doch die inkonsequente Sanktionspolitik der USA gegenüber Pakistan ließ die einsame Supermacht mit wenig Einfluss auf die Regierung in Islamabad. In den 1980er Jahren drückten die USA ein Auge beim pakistanischen Atomprogramm zu, als Pakistan ein entscheidender Kanal für die Lieferung von Dollar und Waffen durch die CIA an die afghanischen Guerillas war, die gegen die von der Sowjetunion unterstützte Nadschibullah-Regierung kämpften. Als die verdeckte Operation der USA in Afghanistan endete, stellten die USA jedoch ihr milliardenschweres Militärhilfeprogramm ein und verhängten Sanktionen gegen Pakistan, weil es sich weigerte, sein Atomwaffenprogramm aufzugeben. Das Blockieren der Lieferung von F-16-Kampfflugzeugen, die Pakistan bereits bezahlt hatte, durch den Kongress, brachte sowohl die Regierung von Benazir Bhutto als auch die von Sharif in Rage.

Die Clinton-Regierung wurde durch die Gesetzgebung des Kongresses gezwungen, Wirtschaftssanktionen gegen Indien und Pakistan zu verhängen, wobei sie mehr oder weniger offen zugibt, dass diese außer einer destabilisierenden Schädigung der Wirtschaft dieser Länder kaum etwas bewirken werden. Die Hüterin der „neuen Weltordnung“ hat offensichtlich keine Lösungen für die wichtigsten Konfliktherde in Südasien.

Schlagaustausch mit Atomwaffen nicht ausgeschlossen

Sozialist*innen lehnen die Anhäufung von barbarischen Atomwaffen und Atomtests ab, die die Herstellung solcher Waffen erleichtern. Abgesehen von der Gefahr, die sie für das menschliche Wohlergehen und die Umwelt darstellen, und der grausamen Verschwendung von Ressourcen, stellen Atomwaffen in den Händen instabiler kapitalistischer Regime die potenzielle Gefahr eines Atomkonflikts dar. In der Nachkriegsperiode des Kalten Krieges (1945-89) herrschte ein relativ stabiles Kräfteverhältnis zwischen den beiden Supermachtlagern (dominiert jeweils vom US-Imperialismus bzw. der stalinistischen Bürokratie). Die Realität der gegenseitig gesicherten Zerstörung (Mutually Assured Destruction, MAD), die bedeutete, dass ein Atomschlag selbstmörderisch wäre, schloss den tatsächlichen Einsatz von Atomwaffen als rationale strategische Option aus. Die Atomwaffenarsenale verschafften ihren Besitzer*innen eher Prestige und Einfluss, als dass sie für einsetzbare Kampffeld-Waffen sorgten. Selbst in den neokolonialen Regionalkriegen, die von den Supermächten durch Stellvertreter*innen geführt wurden, wie durch den von der Sowjetunion unterstützten Norden und den von den USA unterstützten Süden im Vietnamkrieg, musste der US-Imperialismus den Einsatz selbst taktischer Atomwaffen ausschließen.

Die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan sind jedoch im Vergleich dazu äußerst instabil, sowohl aufgrund ihrer inneren Widersprüche als auch aufgrund der zahlreichen regionalen Konfliktherde. Die selbst aus kapitalistischer Sicht abenteuerlichen Schritte der BJP-Regierung sind eine Warnung vor dem, was sich in Zukunft entwickeln könnte.

Es ist jedoch zwecklos, von den kapitalistischen Regierungen ein Moratorium für weitere Tests zu fordern, geschweige denn einen Verzicht auf ihre Atomwaffenarsenale. Die herrschende Kapitalist*innenklasse wird immer versuchen, ihre Interessen – Reichtum, Macht, Territorium und internationales Prestige – durch die Anhäufung von Waffen zu verteidigen. Wenn sie sich die notwendigen Ressourcen und Technologien aneignen kann, wird sie nicht zögern, Atomwaffen zu entwickeln. Der einzige Druck, der die Entwicklung von Atomwaffen aufhalten kann, ist der Druck der Massenbewegungen der Arbeiter*innenklasse. Letztlich ist es jedoch nur der Sturz der feudalen und kapitalistischen Herrscher*innen, der das parasitäre Wachstum der Streitkräfte und das Albtraumszenario der atomaren Zerstörung beseitigen kann.

Auf dem gesamten asiatischen Subkontinent, wie auch in anderen Regionen, gibt es Millionen von Arbeiter*innen, die den verschwenderischen und aggressiven atomaren Egoismus ihrer herrschenden Klassen bitterlich ablehnen. In der kommenden Periode müssen wir uns bemühen, die notwendigen kämpferischen, sozialistischen Organisationen aufzubauen, um dieser Wut und dem Wunsch nach einer Gesellschaft Ausdruck zu verleihen, die auf den gemeinsamen Interessen der arbeitenden Menschen aufbaut und vom Gift des Nationalismus, des Kommunalismus und aller anderen Spaltungen nach Ethnie, Religion und Geschlecht befreit ist, die von den Kapitalist*innen benutzt werden, um zu spalten und zu herrschen.


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