Leo Trotzki: Brief an Natalia Sedowa

[22. September 1933, eigene Übersetzung der französischen Übersetzung]

22. September 1933

Liebe Natalotschka, aus dem, was Ljowa mir erzählt hat, habe ich entnommen, dass du jetzt „so lala“ oder, um es genauer zu sagen, schlecht lebst: ohne guten Tisch und ohne Bäder. Das bereitet mir viel Kummer. Du wirst dich nicht nur durch Ruhe erholen. Mit Ljowa und Raymond haben wir hier folgenden Plan besprochen: Warum ziehen du und ich (nachdem ich mich vorher „aufgerappelt“ habe) nicht in eine gute Pension ohne „Gefolge“? Nur Henri würde in derselben Pension leben (er muss sich ausruhen), etwa zwei Wochen lang, während wir uns nach einer neuen Bleibe umsehen würden usw. Diese Idee ist für mich sehr attraktiv… Wie schön wäre es für uns beide, wenn wir uns in zwei kleinen Zimmern ganz ruhig ausruhen könnten! Wie schön wäre es, wenn das möglich wäre!

Ich habe die Zusammenarbeit mit der Neuen Weltbühne beendet, oder genauer gesagt, ich habe sie angesichts der zweideutigen Haltung der Redaktion ausgesetzt. Man muss von hier aus Geld an Siewutschka schicken. Es gibt immer noch keine endgültige Antwort des englischen Verlags. Ich mache mir noch keine Sorgen, er sollte in Amerika schreiben, vielleicht ist er sogar aufs Land gefahren; die gesamte Korrespondenz, die bis jetzt auf seine Initiative hin geführt wurde, schließt einen Bruch aus. Trotzdem wäre es mir lieber, den Vertrag in der Hand zu haben. Gleichzeitig führt der amerikanische Literaturagent Gespräche über das Buch über die Rote Armee (das ist ein Vorbehalt).

Durch das Fenster sehe ich den Ozean, der glitzert und brüllt, genau wie in Prinkipo; aber dort war das Meer mein, es gehörte zur Familie; mit dem Atlantischen Ozean habe ich noch nicht die geringste Freundschaft geschlossen!

Sara hat mir gerade den Brief gebracht, den ich Ljowa für dich gegeben hatte und den er hier vergessen hat. Vor seiner Abreise hatte ich ihn gefragt: „Du wirst doch den Brief an Mama nicht vergessen?“ Er tastete seine Tasche ab und sagte: „Nein, nein, ich werde ihn nicht vergessen“. Der Brief blieb drei Tage lang bei mir.

Liebling, Natalotschka, ich umarme dich ganz fest.

Dein

L.


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