Clara Zetkin: Zur Maifeier

[Nach „Die Gleichheit. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen“, 11. Jahrgang Nr. 9, 24. April 1901, S. 66]

Der Arbeit Maifeier ruft. Frongebeugte Arbeiterin, sorgenbelastete Arbeiterfrau, hast du ihre Botschaft vernommen? Sie tönt hinein in dein graues, schweres Werktagselend, in deine Feiertage, die ohne Freude und oft auch ohne Ruhe sind. Sie sucht dein Ohr bei der harten Lohnsklaverei in Fabrik und Werkstatt, im Feld und im Hüttenwerk, wie bei dem aufreibenden Schaffen im ärmlichen Heim.

Was bringt sie dir? Eine Kunde von Linderung der vielfältigen Pein, unter der du seufzest, eine Verheißung, dass die Ketten gelockert werden können und fallen müssen, welche deine Existenz umstricken und Leib wie Geist zu Boden drücken. Wie ein Tag goldenen Sonnenscheins und satter Himmelsbläue inmitten winterlichen Frostes und kahler Bäume, Lenzeswärme und Lenzesglanz vorahnen lässt, sprossendes frisches Grün, bunte Blumenpracht und Lerchenjubel, also die Maifeier inmitten der hundertfachen grimmen Unbill, welche die kapitalistische Ordnung über das schaffende Volk der Habenichtse entfesselt, die lockenden Segnungen einer Kultur der befreiten, glücklichen Arbeit.

Arbeiterin, Arbeiterfrau, wie könntest du Herz und Sinn diesem Ahnen, dieser Verheißung verschließen? Schau‘ um dich und lausche in dich! Predigen nicht die Verhältnisse, die Tatsachen — den Steinen gleich, die reden, wenn Menschen schweigen wollten —, die Mühsal, Freudlosigkeit und Kulturwidrigkeit deines Lebens? Und stammelt nicht wieder und wieder bei Arbeit und Sklavenrast deine gequälte Seele heiße, sehnsuchtsvolle Wünsche nach einem Empor aus Elend, Unbildung und Knechtschaft zu Wohlstand, Bildung und Freiheit?

Herrschgewaltig, gerüstet und gewappnet mit Machtfülle aller Art, die arglistigsten Kniffe und Pfiffe nicht verschmähend, steht die Klasse des kapitalistischen Unternehmertums dir Arbeiterin, den Deinen, Arbeiterfrau, und damit auch dir selbst gegenüber. Das Kapital, über das es verfügt, zwingt Menschentum und Menschenrecht der besitzlosen Arbeitenden unter des Eigentums lastendes Joch. Ein neuer Gott Mammon, erniedrigt das Kapital die Arbeiter mit Hand oder Hirn zu Lohnsklaven, denen es in unbeugsamer, fühlloser Härte seine Gesetze vorschreibt und sein „Ihr sollt“ und „Ihr sollt nicht“ zudonnert. Den Profit Reicher und Sehrreicher zu mehren, das ist der Zweck, den es dem Leben und Wirken des Volkes der Arbeit setzt.

Bist du eine Arbeiterin, proletarische Frau, so legt es deshalb Beschlag auf jede Minute deiner Zeit, auf jedes Fünkchen deiner Kraft, die es sich dienstbar und zinspflichtig zu machen vermag. Es presst dir die Stunden ab, deren du bedürftest, um deinen müden Leib in Luft und Licht zu stärken. Es bringt dich um den Genuss von Natur und Kunst, der deine Sinne erfreuen und läutern, deinen Geist erquicken, deinen Charakter verfeinern und bereichern könnte. Es sucht dich um deine Sonn-, und Feiertage zu prellen, es schmälert deine Nachtruhe und zwackt sogar von den Pausen zu deinen Mahlzeiten ab.

Du bedarfst der Ruhe, um dich von der aufreibenden Tagesarbeit zu erholen, um deine Kräfte für das Werk zu sammeln, das dich morgen erwartet. Larifari! antwortet das ausbeutende Kapital, der kurz bemessene Schlaf, der die Übermüdete bleiern umfängt, muss genügen. Du begehrst Muße, um dich zu bilden, du möchtest nicht als Blinde durch Natur und Gesellschaft tappen, du willst lernen, um zu wissen, und du willst wissen, um als harmonisch entwickelte, starke Persönlichkeit vernünftig und gut handeln zu können. Firlefanz! erwidert der dich knechtende Mammon. Du brauchst und sollst nicht mehr Kenntnisse dein eigen nennen, als erforderlich sind, damit du eine geschickte und flinke „Hand“ zur Bedienung der Maschine abgibst. Dein Wesen soll sich nicht über die dumpfen Niederungen der Sklaventugenden erheben, in der mein Gewinn so üppig gedeiht. Du forderst Zeit und Kraft, um deine Pflichten gegen die Deinen treu zu erfüllen, um den Aufgaben gerecht zu werden, welche dir im Kampfe der Arbeiterklasse um ihr Recht zufallen, welche dir Staat und Gesellschaft zuweisen. Sentimentalität und Hochverrat! lautet der Bescheid deines allmächtigen Herrn. Du sollst deiner Familie nur die Brosamen geben, die meine Ausbeutung von ihrem Tische fallen lässt. Für deinen Mann ist statt häuslicher Behaglichkeit die Betäubung gut genug, die ihm in der qualmgefüllten Wirtshausstube der Alkohol bringt. So lange mein Bedarf an menschlichem Maschinenfutter durch den Zuzug Arbeit- und Brotheischender vom Lande und von jenseits der Grenzen gedeckt wird, können deine Kleinen aus Mangel mütterlicher Betreuung sterben und verderben. Was sollte deine Qual mich quälen, da sie doch meinen Profit mehrt? Lass dich nicht gelüsten, dich gegen meine Ausbeutung und Herrschaft aufzulehnen! Du sollst nicht Rechte verlangen und ausüben, die an meiner Herrschermacht rütteln und sie eines Tages zerschmettert zu Boden schleudern.

Bist du Arbeiterfrau, Proletarierin, so vermagst du so wenig deine Existenz der ausbeutenden, unterdrückenden Macht des Geldsacks zu entziehen, wie deine Schwester, die Lohnsklavin, Bist du es nicht selbst, so sind es die Deinen, deren Körper, Geist, Charakter in der kapitalistischen Profitmühle zerstampft und zermalmt wird. Das Schicksal, das ihnen die Ausbeutung bereitet, es ist mit tausend Fäden mit deinem eigenen Lose verbunden. Ihre Armut ist dein Elend, ihre Leiden sind deine Qualen, ihre Unfreiheit ist deine Sklaverei.

Auf, Arbeiterin, auf, Arbeiterfrau, und kämpfe gegen die brutale, tückische Macht, welche dich und die Deinen plündert und knechtet. Rings um dich welch ein Schauspiel und welch ein Beispiel. Hunderttausende, ausgebeutet und beherrscht wie du, haben das bisher gebeugte Haupt stolz erhoben. Mit kühnem, klarem Blicke, mit heiß klopfendem Herzen, mit eisernem, opferbereiten Willen stehen sie ihrem Feinde gegenüber, der auch dein Feind ist, der Feind deiner Klasse. Wir sind unserer tiefen Not bewusst geworden, erklären sie dem Ausbeutertum, oder auch unserer Pflicht, es abzuwehren. Denn wir sind mehr, als bloße Arbeitsmaschinen, wir sind fühlende, denkende, wollende Menschen, die menschlich zu wirken und menschlich zu leben begehren. Wir beanspruchen Brot, Bildung, Freiheit. Wir fordern gegenwärtig vor Allem eine gesetzliche Zügelung der kapitalistischen Profitgier, auf dass diese nicht in ihrem wilden Raubtierinstinkt uns alles entreißt, was das Leben erst lebenswert macht. Wir wollen arbeiten, um zu leben, um menschenwürdig zu leben, aber wir wollen nicht leben, um zu arbeiten, um menschenwürdig zu arbeiten. Her mit einem wirksamen, gesetzlichen Schutze der Arbeit, dessen A und O der Achtstundentag ist! Her mit dem gesetzlichen Rechte und der praktischen Möglichkeit, uns selbst durch festen Zusammenschluss und gemeinsamen Kampf gegen die kapitalistische Auswucherung unserer Arbeitskraft schützen zu können! Her mit allen Reformen, welche die Kraft der Ausgebeuteten im Ringen für ihre volle soziale Befreiung stärken! Nieder mit dem Militarismus, welcher am Marke der Völker zehrt, den wichtigsten Kulturzwecken die Mittel entzieht, zu sinnlosen Abenteuern hetzt, eine stete Gefahr für den Frieden bildet, Rohheit großzieht und Barbarei entfesselt und ein furchtbares Werkzeug zur Unterwerfung des werktätigen Volkes ist! Kampf gegen den Kapitalismus, der gesellschaftliche Drohnen mit Gütern überhäuft und die Schöpfer des gesellschaftlichen Reichtums zum Darben verurteilt!

Arbeiterin, Arbeiterfrau, hörst du die Losung des ersten Mai? Sie fordert auch dein Glück und dein Recht, aber sie ruft auch dich in Reih und Glied der Streiter. Ein millionenköpfiges Heer treten sie in stolzem Aufmarsch auf den Plan. Die Ausgebeuteten aller Länder geeint zu dem Einen Volke der Arbeit, das inmitten des Wahnwitzes und der Gräuel der kapitalistischen Ordnung das Ideal der Kultur für Alle aufrichtet, inmitten der Barbarei der kapitalistischen Welt- und Beutepolitik dem Ideal des Friedens und der Völkerverbrüderung huldigt. Von jenseits der Grenzpfähle, der Gebirge und Meere strecken sich dir, deutsche Proletarierin, die Hände von Brüdern und Schwestern aus allen Ländern entgegen, wo die ausgebeutete Arbeit dem ausbeutenden Kapital den Kampf angesagt hat. Bedenke, dass der erste Mai nicht bloß ein Ahnen der künftigen Segnungen der befreiten Arbeit ist, sondern auch ein Mahnen an die Pflichten des leidenden und kämpfenden Proletariats. Lerne, organisiere dich, auf dass du einst selbst handeln und siegen kannst. Nicht der geduldigen, stumpfsinnigen Kreuzesträgerin, wohl aber der unerschrockenen, rastlosen Kämpferin winkt Freiheit und Kultur. Schwachmütigem Zagen und Klagen das Mitleid, dem zielsicheren Wagen und Schlagen der Sieg!


Kommentare

Eine Antwort zu „Clara Zetkin: Zur Maifeier“

  1. […] Zur Maifeier (Die Gleichheit, 24. April 1901) […]

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