[„Die Gleichheit. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen”, 16. Jahrgang, Nr. 14, 9. August 1905, S. 91 f.]
Die Sozialdemokratie heißt die Frau als gleichberechtigte Mitkämpferin in ihren Reihen willkommen; sie war in Deutschland die erste und lange die einzige politische Partei, welche die Frau als Mitglied mit gleicher Pflichten und Rechten wie den Mann in ihre Organisationen aufnahm. Sie anerkennt nicht nur das Recht des Weibes auf Mitarbeit am politischen Leben, sie proklamiert deren Bürgerpflicht, sie ist sich klar über das Interesse, welches sie selbst daran hat, dass die Frau in die Arena des politischen Kampfes tritt. Ihre Haltung entspricht ihrem Programm, das sich ausdrücklich für die volle soziale Gleichberechtigung der Geschlechter erklärt; sie wird bedingt durch ihre geschichtliche Auffassung vom Gange und den Bedingungen der gesellschaftlichen Entwicklung; sie ist der Ausfluss ihres Wesens als der breitesten demokratischen Bewegung, welche die Geschichte kennt.
Der Entwurf des neuen Organisationsstatuts der sozialdemokratischen Partei sieht daher in seinem § 1 die Zugehörigkeit der Frau zur Sozialdemokratie als eine Selbstverständlichkeit vor. „Zur Partei gehörig wird jedePerson betrachtet, die sich zu den Grundsätzen des Parteiprogramms bekennt und die Partei dauernd durch Geldmittel unterstützt.“ Was dieser Paragraf besagt, das wird noch vervollständigt und unterstrichen durch die Erklärungen des Parteivorstandes und anderer, dass die geforderte stramme Zentralisation unmöglich sei, weil sie zufolge der meisten einzelstaatlichen Vereinsgesetze die Frauen außerhalb des Rahmens der Partei, abseits von ihrem Leben stellen würde. Man sollte meinen, dass damit die Frage nach der Stellung der Frau als eines gleich verpflichteten und gleichberechtigten Mitglieds der sozialdemokratischen Organisation entschieden sei.
Und dem wäre auch so ohne bestimmte Faktoren, welche für die politische Betätigung der Frau entscheidende und zwar hemmende Sonderverhältnisse schaffen. Die Vereinsgesetze verbieten in dem weitaus größten Teile von Deutschland den Frauen die Mitgliedschaft in politischen Organisationen und die aktive Beteiligung an ihren Versammlungen. Die jahrhundertealte unterbürtige Stellung des weiblichen Geschlechtes in Familie, Gesellschaft und Staat hat in der Frau die Entwicklung von Bürgersinn und Bürgertugend unterbunden, hat sie zur politisch Stumpfsinnigen und Gleichgültigen gemacht, deren Abkehr vom politischen Leben überwunden werden muss. Lebensgewohnheiten, Herkommen und Pflichten halten die Frau mehr als den Mann im Hause fest und schaffen besondere innere und äußere Bedingungen für die Agitation, die sie aus ihrer politischen Rückständigkeit erwecken soll. Die Überbürdung mit der Doppellast der Brotfron und Hausarbeit legt so unbarmherzig Beschlag auf Zeit und Kraft der Proletarierin, dass sie sich im Allgemeinen nicht in dem gleichen Umfang wie der Mann am politischen Kampfe beteiligen kann. So findet die Sozialdemokratie im weiblichen Proletariat ein besonders schwieriges Rekrutierungsgebiet für organisierte Kämpferscharen; so tritt die Frau ihr Recht zur Mitgliedschaft in der sozialdemokratischen Partei unter weit ungünstigeren Bedingungen an als der Mann.
Dieser Stand der Dinge erklärt, dass sich zwei weitere Paragrafen des Entwurfes mit der Stellung der Frau in der Partei befassen, und was sie festlegen. Der eine davon ist neu, § 14. Er lautet: „Die planmäßige Agitation unter dem weiblichen Proletariat wird durch weibliche Vertrauenspersonen betrieben, die möglichst an allen Orten im Einvernehmen mit den Parteiinstanzen gewählt werden.“
Der Paragraf dünkt uns von besonderer prinzipieller und praktischer Wichtigkeit. Er begreift in sich die Anerkennung der proletarischen Frauenbewegung als eines Teiles der allgemeinen sozialdemokratischen Bewegung, der mit dieser in innerer Wesenseinheit verbunden ist, aber seiner eigenen Organe bedarf. Er ist der Ausdruck unserer Auffassung vom Charakter und von den Aufgaben der proletarischen Frauenbewegung und gleichzeitig die Frucht der praktischen Erfahrung über die Mittel und Wege, diese Aufgaben zu erfüllen. Was in letzterer Beziehung der Parteitag zu Gotha 1896 beschlossen hat, das stellt er auf eine breitere und festere Basis.
Die Aufstellung besonderer Vertrauenspersonen, welche die Agitation unter dem weiblichen Proletariat zu leiten haben, ist eine Notwendigkeit. Sie wird bedingt durch die vereinsgesetzliche Rechtlosigkeit der Frau in den meisten deutschen Bundesstaaten, darunter den beiden größten von allen. Als Forderung praktischer Zweckmäßigkeit aber erweist sich, dass diese Vertrauenspersonen weibliche sein sollen. Die Frau kennt am besten alle die inneren und äußeren Hemmungen, welche aus der Eigenart der Frau, ihrer rückständigen Entwicklung und Stellung, ihrem Gebundensein durch Pflichten erwachsen, sie wird ihnen am ehesten beizukommen, sie am erfolgreichsten zu überwinden verstehen. Jedoch nicht allein die innere Disposition der Frau, welche die Frau gewinnen soll, spricht für die Arbeitsteilung zwischen männlichen und weiblichen Vertrauenspersonen. Nicht minder die Überlastung der Genossen, welche in den politischen Organisationen an führender Stelle stehen und die ungeheure, wachsende Fülle der praktischen Tagesarbeit bewältigen müssen. Die Anforderungen, die an sie herantreten, schließen aus, dass sie noch nebenher die Agitation unter dem weiblichen Proletariat planmäßig und mit dem nötigen Nachdruck betreiben können. So wertvoll ist, was einzelne Genossen zur Förderung der proletarischen Frauenbewegung leisten; so unentbehrlich, was die Partei zu ihrer Unterstützung tut: am kräftigsten schreitet sie dort vorwärts, wo unter Leitung einer tüchtigen weiblichen Vertrauensperson ein Stamm geschulter Genossinnen für die Einbeziehung der Proletarierinnen in den Klassenkampf wirkt.
Durchaus hinfällig ist die hier und da geäußerte Befürchtung, dass durch die Aufstellung werblicher Vertrauenspersonen der Keim zur Absplitterung der proletarischen Frauenbewegung von der allgemeinen Bewegung, der Keim zu Eigenbrötelei und Reibereien mit den Genossen gelegt werde. Gerade das Gegenteil trifft zu. § 14 bezweckt, die proletarische Frauenbewegung in immer festeren Zusammenhang mit der Sozialdemokratie zu bringen. Nicht nach Laune und Willkür der Genossinnen sollen weibliche Vertrauenspersonen aufgestellt werden, sondern nur nach geschehener Verständigung mit den Parteiinstanzen. Das setzt eine ernste Prüfung der Vorbedingungen für eine gedeihliche Tätigkeit der weiblichen Beauftragten voraus, das bedingt aber auch ein Wirken, welches sich in steter Fühlung mit der Organisation der Genossen hält, ihre Aktionen nicht durchkreuzt und schwächt, vielmehr ergänzt und stärkt. Die revolutionierte Lage und das revolutionierte Bewusstsein wecken überall in der proletarischen Frauenwelt den Drang nach politischer Betätigung. In herzerfrischender Weise regen und rühren sich Kräfte, die im Dienste des proletarischen Befreiungskampfes genützt sein wollen und genützt werden müssen. Sie lassen sich nicht zurück dämmen, sie werden sich Bewegungsfreiheit erringen, entweder mit der Unterstützung der organisierten Genossen oder ohne sie und damit – das ist unvermeidlich – zum Teil gegen sie. In je engerer Fühlung aber mit der sozialdemokratischen Organisation diese Kräfte in die Bewegung eintreten, je umfassender sie von der überlegenen Schulung und Disziplin der Genossen profitieren können: um so rascher und glatter wird ihre Eingliederung in das allgemeine Heer der proletarischen Befreiungskämpfer sich vollziehen; um so fester wird ihr innerer Zusammenhang mit der Partei werden; um so seltener die befürchteten Quertreibereien und Reibungen. Eine Aufstellung und Tätigkeit weiblicher Vertrauenspersonen, die im Einvernehmen mit den Parteiinstanzen geschieht, bringt ja die proletarische Frauenbewegung unter die Kontrolle der allgemeinen Bewegung. Die Erfahrung zeigt denn auch, dass mit dem fortschreitenden Ausbau des Systems der weiblichen Vertrauenspersonen die Konflikte zwischen Genossinnen und Genossen nicht zugenommen haben, sondern sich verminderten. Die Partei hat ihn daher nicht zu fürchten, wohl aber hat sie von ihm zu hoffen und ihn darum zu fördern.
Die zweite Bestimmung des Entwurfs, welche die Stellung der Frau in der sozialdemokratischen Organisation regelt, ist in § 15, Absatz 1 enthalten und bezieht sich aus die Beschickung des Parteitags. Er lautet: „Insoweit nicht unter den gewählten Vertretern des Wahlkreises Frauen sich befinden, können weibliche Vertreter in besonderen Frauenversammlungen gewählt werden.“ Die Bestimmung ist nicht neu, sie steht seit Jahren in Kraft. Nachdem sie – auf Antrag der Berliner Genossinnen – aus dem Statut gestrichen gewesen, wurde sie später wieder in dasselbe eingefügt. Gegenwärtig fehlt es nicht an Stimmen – und sie werden auch in Jena ertönen –, welche abermals ihre Beseitigung verlangen und das Recht von Frauenversammlungen, zum Parteitag zu delegieren, auf die Länder beschränkt wissen wollen, in denen die Frauen nicht Mitglieder politischer Vereine sein dürfen. Die Forderung wird damit begründet, dass die geltende Satzung der Frau ein Vorrecht einräume, „eine Extrawurst brate“, weil überall, wo Männer und Frauen zusammen politisch organisiert sein können, die Genossinnen sich unter den gleichen Bedingungen wie die Genossen um ein Mandat zum Parteitag zu bewerben vermöchten.
Das klingt zutreffender, als es ist. Der Gedankengang operiert mit der Elle eines mechanischen Gleichheits- und Gleichberechtigungsprinzips und übersieht weiter oben hervorgehobene Sonderumstände, welche heutigentags erschweren, ja verhindern, dass große Frauenmassen regelmäßig und stetig an der politischen Tagesarbeit der Partei teilnehmen. Die meisten aufgeklärten Proletarierinnen werden – wie die Dinge liegen – ihre wachsende politische Reife und Schulung weit mehr dadurch bekunden, dass sie verständnisvoll und opferbereit hinter der Front der Kämpfenden stehen und die Kampfesfreudigkeit und Kampfesfrische der Männer erhöhen und künftige Streiter erziehen, als dass sie selbst vor die Front treten und in den vordersten Reihen fechten. Das folgt vor allem aus der Gebundenheit der Frau durch Hauswirtschaft und Kind, eine Gebundenheit, die der Mann leider nur recht selten dadurch mildert, dass er es vorurteilslos nicht unter seiner Würde erachtet, seinerseits gelegentlich einen größeren Teil häuslicher und väterlicher Pflichten zu tragen.
Aber die Quantität schlägt auch in unserem Falle in die Qualität um. Die geringere Zahl der Genossinnen, die regelmäßig am öffentlichen Parteileben teilnehmen, wird zum geringeren Anrecht auch der tüchtigsten Kämpferin auf ein Mandat zum Parteitag. Mathematisch stimmen die Berechnungen aufs Haar, welche dartun, dass hier oder da auf Grund des geringen Prozentsatzes der Frauen, welche sich aktiv an der Parteiarbeit beteiligen, keine Genossin ihre Delegierung erwarten könne. Aber den Leistungen der einzelnen mitarbeitenden Genossinnen gegenüber, die dem besten Genossen gleich ihre ganze Kraft in den Dienst der Bewegung stellen, wird die tadellose Berechnung zur Ungerechtigkeit, die um so schärfer empfunden wird, als das Weib, um Gleiches leisten zu können wie der Mann, meist mehr Energie und Opfermut aufwenden muss, als er. Von anderen Umständen zu schweigen, welche es der Frau erschweren, auch bei gleicher Leistungsfähigkeit im politischen Kampfe mit dem Manne um ein Mandat zu konkurrieren.
Unseres Erachtens muss das berücksichtigt, muss die Frage von einer höheren Warte aus betrachtet werden als der einer ziffernmäßigen Richtigkeit. Auch der Hinblick auf die Notwendigkeit, die Scheu der Frau vor dem öffentlichen Leben zu überwinden, ihren Eifer zu beleben, ihr Persönlichkeitsbewusstsein zu wecken, muss bei ihrer Beantwortung mitsprechen. Ebenso wenig wie Sondergesetze zum Schutze der Arbeiterin gegen die kapitalistische Ausbeutung das Recht der Frau antasten, ebenso wenig überspannt es die betreffende Sonderbestimmung des Statuts zum Vorrecht. Wie jene dient sie zum Ausgleich bestimmter Sonderverhältnisse zu Ungunsten des weiblichen Geschlechtes. In Wirklichkeit ist sie weit weniger ein Vorrecht, als das Zugeständnis von der geringeren Konkurrenzmöglichkeit der Frau im Werben um ein Mandat. Die gleiche Leistungstüchtigkeit vorausgesetzt, kann man dem Stamme der tätigen Genossinnen statt der noch mangelnden großen Zahl von Mitkämpferinnen wohl die Zahl der Männer zugute rechnen, denen lediglich durch das bewusste Mühen und oft Entsagen der Frauen politische Kampfestüchtigkeit gesichert wird.
Unbegründet ist die Befürchtung, dass die Fortdauer der Bestimmung zu „einer Überschwemmung“ des Parteitags mit Frauen führen würde, denen es mehr um die Befriedigung ihrer Eitelkeit als um Mitarbeit in der Partei zu tun wäre, und die oft nur über „Gefälligkeitsmandate“ verfügten. Dass in puncto der Zahl weiblicher Delegierten die Bäume nicht in den Himmel wachsen, dafür sorgen besser als alle Bestimmungen die Kosten einer eigenen Delegation seitens der Genossinnen und ihre bescheidenen Kassenverhältnisse. Was aber die „Gefälligkeitsmandate“ anbelangt, so ist die proletarische Frauenbewegung organisiert genug, um eine scharfe Kontrolle darüber auszuüben, dass Arbeitende und nicht bloß Paradierende als ihre Vertreterinnen in der Öffentlichkeit erscheinen. Gerade die Genossinnen haben seit Jahren ihren Stolz darein gesetzt, sich nicht aus freundlichen Rücksichten, sondern auf Grund ihrer Leistungen für die Bewegung und in der Bewegung delegieren zu lassen. Übrigens hat es der Parteitag in der Hand, in dieser Beziehung unnachsichtige Strenge walten zu lassen. Er „prüft die Legitimation seiner Teilnehmer“ und kann jedes zweifelhafte Mandat zurückweisen. Die geringe, ja viel zu geringe Zahl weiblicher Mandatsträger, welche – trotz des Delegationsrechtes der Frauenversammlungen – an den bisherigen Parteitagen teilgenommen haben, ließe Klagen darüber verständlicher erscheinen, als Ängste ob eines Überwucherns des weiblichen Elements.
Zerwürfnissen mit den Genossen wegen der eigenen Delegation wirkt die Notwendigkeit entgegen, dass die Genossinnen auf das Zusammenarbeiten mit den Männern angewiesen sind. Von vornherein wird daher überall das größte Gewicht darauf gelegt, dass die selbständige Delegierung nicht den Charakter einer Demonstration gegen die Genossen trägt, sondern eine Maßregel praktischer Zweckmäßigkeit ist, die im Einvernehmen mit ihnen erfolgt. Tatsächlich ist denn auch bis jetzt die Zahl der Konflikte unbedeutend und lokal beschränkt, die zwischen Genossinnen und Genossen anlässlich einer eigenen Delegation der ersteren zum Parteitag entstanden sind. Und wo sie doch auftraten, war die Delegation nicht die treibende Ursache unerquicklichen Streites, sondern nur der Ausdruck eines bereits vorhandenen Missverhältnisses.
Das Recht der Frauenversammlungen, die Parteitage mit Delegierten zu beschicken, ist sicher keine Vollkommenheit, für die wir uns begeistern. Allein wie die Dinge sind, erscheint es als ein praktischer Notbehelf, der zurzeit noch von Nutzen für die proletarische Frauenbewegung ist. Beim richtigen Gebrauch vermindert es die Reibungsflächen zwischen Genossen und Genossinnen, lässt keine Kleinlichkeit auf der einen Seite, keine Verbitterung auf der anderen aufkommen und hilft mit, die Arbeitsfreudigkeit, den Bildungsdrang, die Kampfestüchtigkeit der Frauen zu erhöhen. Die Partei hat keinen Grund – zumal solange die Delegierung zum Parteitag überhaupt nicht besser geregelt ist als jetzt – engherzig formalistisch zu sein. Dagegen sprechen viele Erwägungen für eine weitherzige Regelung der Frage, welche den Frauen als treuen Mitarbeitenden auch volles tatsächliches Recht als Mitratende und Mitentscheidende sichert. Eine solche Regelung würde ihr bescheidenes Teil zur Förderung der proletarischen Frauenbewegung beitragen, die Bein vom Bein und Fleisch vom Fleisch der allgemeinen sozialistischen Bewegung ist. Im Interesse des Proletariats liegt jede Maßregel, die ihre Kraft stärkt, die Proletarierinnen zum Klassenbewusstsein zu rufen und sie organisiert und diszipliniert dem Klassenkampf zuzuführen.
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