August Bebel: Aus Norddeutschland

[Nr. 972, Korrespondenz, Die Gleichheit, Wien, II. Jahrgang, Nr. 3, 18. Januar 1889, S. 6]

:: Aus Norddeutschland, 15. Jänner: Das Ereignis des Tages ist der Ausfall der gestern stattgehabten Reichstags-Ersatzwahl in Breslau an Stelle des verstorbenen Kräcker. Das Resultat ist glänzend ausgefallen für die Sozialdemokratie. Unser Kandidat, Schneidermeister Kühn, erhielt 7800 stimmen, der freisinnige Kandidat 5333, der Kartell – Kandidat 4585 und der Kandidat der Antisemiten und sogenannten christlichen Sozialreformer Stellmacher Kühn nur 1481 Stimmen. Es kommt also zwischen dem sozialdemokratischen und dem freisinnigen Kandidaten zur Stichwahl und es ist die gegründete Hoffnung vorhanden, das dabei Kühn siegt. –

Glänzend für die Sozialdemokratie, ist das Wahlresultat ebenso kläglich als blamabel für die sogenannten christlichen Sozialreformer und Antisemiten ausgefallen. Ihr Kandidat, Stellmacher Kühn, ist der Führer der Deputation der königstreuen Arbeiter, die im November vorigen Jahres dem Kaiser bei seiner Anwesenheit in Breslau den großartigen Fackelzug brachten und der damals zum Dank einen kaiserlichen Händedruck und das allgemeine Ehrenzeichen erhielt.

Verblendet und hochmütig gemacht durch die Vorgänge von damals, dachten die christlichen Sozialreformer einen Hauptfang machen zu können, wenn sie dem Kandidaten der „Umsturzpartei“, Schneidermeister Kühn, ihren Führer, Stellmacher Kühn, entgegenstellten. Nachdem man nun von jener Seite selbst Stellmacher Kühn als Kandidat der königstreuen Arbeiter proklamierte, erlebt die Welt das Schauspiel, das die Zahl der Arbeiter, welche der „Umsturzpartei“ folgten, fünfundeinhalbmal größer ist, als jene der königstreuen. Wir sind mit diesem Resultat sehr zufrieden.

In voriger Woche fanden die württembergischen Landtagswahlen statt, an welchen sich unsere Partei ebenfalls lebhaft beteiligte. Auf unsere Kandidaten fielen über 10.000 Stimmen gegen 3500 bei der früheren Wahl. Die Partei brachte zwar keinen Kandidaten durch, aber entsprechend ihrer Stimmenzahl hätte sie nach den im ganzen Lande abgegebenen stimmen eigentlich fünf Abgeordnete zu beanspruchen.

Auch die Reichstags-Ersatzwahl im Wahlkreise Offenburg (Baden) ist für unsere Partei günstig verlaufen. Der Wahlkreis ist überwiegend bäuerlich und kleinbürgerlich. Trotzdem und obgleich die Wahlagitation unserer Genossen seitens der staatlichen und der Gemeindebehörden in der schamlosesten Weise gehemmt und unterdrückt wurde, erhielt der Kandidat Adolf Geck über 500 Stimmen mehr als bei der Wahl im Februar 1887. Das sind alles Zeichen, das der von uns schon öfter behauptete Umschlag der Stimmung in den Massen, zu Gunsten der Sozialdemokratie, in der Tat vorhanden ist und die Partei alle Ursache hat, der Zukunft besten Mutes entgegenzugehen.

In Magdeburg sind sechs Parteigenossen wegen Verbreitung eines Flugblattes am Neujahrstag in Haft genommen worden und wird wohl eine Anklage erhoben werden. Deswegen hoffen wir doch, das bei der nächsten Wahl Magdeburg wieder unser wird.


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